Kommentar

Full text search

Kommentar
Bregenz gehört zu jenen alten Städten, deren Geschichte in ungebrochener Linie darzustellen infolge gewaltigen Quellenverlustes sehr erschwert ist und deren Wachstumsphasen daher nicht immer klar gesehen werden, besonders, wenn unter Wachstum auch Veränderung in der Qualität verstanden wird. Trotz einer mehr als ein Jahrhundert betriebenen Forschung bleiben viele Fragen ohne sichere Antwort.
Bregenz liegt am südöstlichen Ende des Bodensees (Spiegelhöhe 396m), am westlichen Steilabfall des Vorpostens der Alpen, des auf 1.066m ansteigenden, süd-nördlich ziehenden Pfänderkammes, der sich nördlich der Stadt dem Seeufer nähert und mit einem Felsriegel in den See hinein die Enge der Bregenzer Klause bildet. Dieser das Landschaftsbild von Bregenz prägende jähe Absturz einer langen abgestuften Felsmauer aus tertiären Sandsteinen und Konglomeraten mit dem rechtwinklig vorspringenden Gebhardsberg (600m) und dem isolierten, niedrigen Felssporn des Riedersteines im Westen der Stadt bezeichnet den Rand des mächtigen rheintalischen Grabenbruches, der südwärts Vorarlberg durchzieht. Der schmale, im Süden von der Bregenzerach begrenzte Bregenzer Siedlungsraum zwischen Berg und See besteht vorwiegend aus Terrassenland, vor allem aus der etwa 50 Hektar großen Terrasse des Ölrains zwischen Gebhardsberg und Riederstein in 420 bis 430m Höhe, hauptsächlich ein späteiszeitliches Delta der Bregenzerach, teilweise Moräne eines Seitengletschers, dessen Zunge in der Feldmoosmulde lag. Dazu kommen gleich hohe, aber gewöhnlich sehr kleine Mündungsterrassen der Bäche des Pfänderhanges, unter ihnen die wichtigste, das Plateau der durch den Einschnitt des Thalbachs vom Ölrain abgetrennten und auf der anderen Seite vom Weißenreutebach begrenzten, 7 Hektar großen Oberstadt oder Altstadt (426–427m). Die steile Westflanke des Pfänders ist von Wildbächen tief zerschnitten, seit alters Bergstürzen ausgesetzt und daher im allgemeinen siedlungsfeindlich. Ein breiter Gürtel am Ufer in Höhe von 400m ist auf Seeboden von den Bächen oder durch Menschenhand aufgeschüttet, bis in die neueste Zeit von Überschwemmungen heimgesucht, verursacht durch typische Gewitterstürze des wolkenstauenden Pfänders mit seiner höchsten Niederschlagsmenge am Bodensee. Sonst ist das Ufergebiet großteils aus Schottern bestehendes Deltaland der Bregenzerach, vor allem im Stadtteil Vorkloster (1).
(1) Zur Geologie: J. BLUMRICH, Der Pfänder, in: Jahresbericht d. Kommunal-Obergymnasiums B., 1904, S. III—XIV; DERS., Geologie d. Riedersteins und Oelrains in B., in: SchrrVGBodensee, 1921, S. 5–24; DERS., Die Feldmoosmulde in Rieden-B., in: Heimat, Dornbirn 1925, S. 46–48; DERS., Vorarlbergs Anteil am Bodenseeufer, in: Heimat, Dornbirn 1931, S. 37–44.
Geschichtlich verbindet Bregenz die ungewöhnliche Aufgabe einer natürlichen Festung mit der Verkehrslage als Knotenpunkt zweier Fernwege, von der Schweiz nach Osten und von der Donau das Rheintal aufwärts nach Italien, außerdem als Hafen am Bodensee, der freilich durch Windverhältnisse – der Luftpolster des Pfänders und häufige Stürme –, zudem durch nahe Konkurrenz beeinträchtigt war. Diese mehrfache Rolle im Verkehr spielte Bregenz schon in der vorrömischen Zeit, wie Funde im benachbarten Lauteracher Ried mit Münzen der römischen Republik sowie der Fund latènezeitlicher Eisenmasseln in der Bregenzerach unterhalb Kennelbach beweisen (2). Siedlungsgeschichtlich war der Raum von Bregenz noch in der nachrömischen Zeit durch eine überaus scharfe Randlage gekennzeichnet: Mit Bregenz endete an der Bregenzer Klause das altbesiedelte, bis weit nach Graubünden südlich hinabreichende Land der Dörfer und Markgenossenschaften und begann das später gerodete weite Weilerland Oberschwabens, östlich gleich hinter der Stadt dehnte sich bis ins Hochmittelalter unbesiedelt der gewaltige Bregenzerwald (3).
(2) S. JENNY, Die Münzfunde von Lauterach, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1881, S. 12; E. VONBANK, Vom ältesten Lauterach, in: Heimatbuch Lauterach, 1953, S. 7; DERS., Vor- und Frühgeschichte, in: K. ILG, Landes- und Volkskunde Bd. 2, 1968, S. 29; L. LEPUSCHITZ, Die Brücke über die B.er-Ach im Zuge der Reichsstraße B.-Arlberg, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1914, S. 3–9.
(3) B. BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, 1948, S. 21–23.
Älteste Siedlungsfunde im Stadtgebiet an der Kennelbacher Straße, also am Rand der Ölrainterrasse gegen die Bregenzerach, reichen in die frühe Bronzezeit zurück (4). Der von Strabon genannte vorrömische feste Hauptort des keltischen, nach der Bregenzerach (Brigantia) benannten Stammes der Brigantier, Brigantion ist wohl auf der Terrasse der Altstadt zu suchen, Funde fehlen aber bis jetzt. Das Stammesgebiet dehnte sich auch südlich des namengebenden Flusses, auf dem besonders fruchtbaren Boden von Wolfurt und Lauterach aus. Für die römische Zeit fand A. Hild 1926 in Lauterach gegenüber der Riedenburg einen gegen drei Meter breiten gepflasterten Weg in Richtung auf die Bregenzerach (5). Das spricht für eine besonders enge Verbindung, vielleicht einheitliche Flur.
(4) A. HILD, Brigantium und seine Vorzeit, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1952, S. 28.
(5) HILD, a. a. O., S. 31.
Im Jahre 15 v. Chr. von Tiberius im Räterkrieg nach einer Seeschlacht und heftigem Widerstand zerstört, erwuchs Brigantium als römische Gründung neu auf dem Ölrain. Den Anfang machte ein mit Erdwällen und Gräben befestigtes, bald aufgelassenes Kastell zwischen der Kaspar-Schoch-, Josef-Huter-, Kosmas-Jenny- und Willimarstraße, an die sich rasch eine in schlichtem Lehmfachwerk erbaute Zivilsiedlung anschloß (6), langgestreckt beiderseits der auf den Riederstein zielenden Heerstraße nach Helvetien und Straßburg, hinter der die gegen Kennelbach zielende Straße nach Mailand merklich zurückblieb. Die Besiedlung der wegen seiner durchlässigen Schotter sehr trockenen Ölrainterrasse wurde durch den Bau einer Wasserleitung wesentlich gefördert (7). Das neue Handelszentrum mit zwei nachgewiesenen Marktplätzen, einem von 28 Ar (8) und einem zweiten von 5 Ar Fläche (9), beide an der Hauptstraße, erhielt eine inschriftlich bezeugte römische Kaufmannszunft (”cives Romani negotiatores Brigantienses”) (10) und wurde, ungewiß wann, doch wahrscheinlich in der Mitte des 1. Jahrhunderts zur Stadt erhoben. Nach einem Brande um 69 n. Chr. wurde sie stattlicher, in Stein – meist Rollsteinen der Bregenzerach – wiederhergestellt (11), wobei der Terrassenrand seewärts begreiflicherweise die schönsten Fassaden erhielt, die Handwerkerhäuschen sich an der Bergseite zogen. Die Stadt wuchs über die Ölrainsiedlung weit hinaus, bedeckte die Nordhänge der Terrasse bis zu den Ufern des Sees in der Linie Steinbühel – Leutbühel – Anton-Schneider-Straße sowie den Hügel der Oberstadt, sie entwickelte nordwärts gegen die Klause eine locker verbaute Vorstadt. Darauf weisen neben Funden von Wohnhäusern und Gewerbebetrieben in der Eichholz-, Anton-Schneider-, Gebhard-Flatz- und Schillerstraße auch Teile eines zweiten römischen Friedhofes (12). Der Schwerpunkt von Brigantia, wie die Stadt jetzt hieß (13), ruhte aber die guten zwei Jahrhunderte ganz eindeutig auf der Ölrainstadt, obwohl sie an der Blumenstraße dem großen Friedhof mit seinen mehr als tausend Gräbern auswich, überragend sowohl durch die Ausdehnung auf etwa 22 Hektar verbauten Grundes als durch die Qualität, da die öffentlichen Gebäude (Tempel, Thermen, Versammlungshaus, Markthallen) sich nahezu ausschließlich dort befanden.
(6) HILD, a. a. O., S. 30.
(7) HILD, a. a. O., S. 37.
(8) JENNY, Bauliche Überreste von Brigantium I, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1889, S. 10.
(9) JENNY, Bauliche Überreste von Brigantium II, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1893, S. 4–5.
(10) BILGERI, Geschichte Vorarlbergs Bd. 1, 1971, S. 25.
(11) H. J. KELLNER, Die Zeit der römischen Herrschaft, in: Handbuch d. bayerischen Geschichte I, 1967, S. 50.
(12) K. SCHWERZENBACH, Geschichte der römischen Ausgrabungen in B., in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1906, S. 11; V. KLEINER, Fundbericht, in: Heimat, Dornbirn 1932, S. 151.
(13) Ammianus Marcellinus XV 4, 1–5 bei: E. HOWALD – E. MEYER, Die römische Schweiz, 1940, S. 142; Notitia dignitatum bei: HOWALD – MEYER, a. a. O., S. 132.
Seit 233 in gefährlicher Frontnähe gegen die Alemannen, trat die außerordentliche Verkehrsbedeutung der Stadt noch mehr hervor. Eine Inschrift aus der Zeit von 238–244 bezeugt Bregenz als Posten der „beneficiarii”, der Straßengendarmerie des Statthalters von Rätien in Augsburg (14). Wenige Jahre später erhielt es als dritte Hauptstraßenverbindung die Via Decia nach Wüten in Tirol (15). Bregenz war aber von Anfang an nicht nur Knoten im Straßenverkehr, sondern als Handelsstadt auch ein sehr wichtiger Hafenplatz am nicht ohne Grund „Lacus Brigantinus” genannten See, zudem ein Ort mit bedeutendem Fischexport. Der geräumige Hafen ist 1968–72 in einer Breite von mindestens 80m und einer weit größeren, doch vorderhand unbestimmten Länge, erkennbar an mächtigen Quadermauern und dichtem Pfahlschlag, festgestellt worden (16). Das Hafenviertel – Maurach, Untere und Obere Kirchstraße – war aufgrund der Funde ziemlich eng verbaut, und zwar schon in der Frühzeit.
(14) E. STEIN, Die kaiserlichen Beamten und Truppenkörper, 1932, S. 83.
(15) R. KNUSSERT, Das römische Straßennetz im Allgäu, in: Westallgäuer Heimatblätter, 1965, Nr. 26, 27.
(16) VONBANK, Die römische Hafenmauer am B.er Leutbühl, in: Montfort, 1972, S. 256–259.
Nach dem alemannischen Durchbruch des Limes 259 wurde Brigantia zerstört, die Ölrainstadt in der Folge wegen ihrer offenen Lage, wohl auch wegen Zerstörung der Wasserleitung und Niederbruch des Handels geräumt, doch die Siedlung hielt sich im engen Raum des Oberstadthügels und seewärts im Maurach und seiner Umgebung nach Wiederaufbau und Befestigung, wobei die Ruinen der Ölrainstadt bereits als Steinbruch dienten. Bregenz bekam nun in Grenzlage als ein Hauptpunkt der Verteidigung in einem jahrhundertelangen, ständigen Kampf weitere Befestigungen und laut der Notitia dignitatum in der Zeit des Kaisers Theodosius eine Abteilung der Bootsflottille (”numerus barcariorum”) (17). Die Zerstörung auch dieser Stadt nach dem Abzug der römischen Legionen im frühen 5. Jahrhundert ist gewiß. Jonas, der Schüler des Iren Kolumban (gest. 615), fand Bregenz um 640 längst zerstört (”oppidum olim dirutum”) (18); dagegen ging die von den Alemannen eroberte, dann von den Ostgoten beherrschte Festung der Oberstadt nicht unter (Aufzählung der befestigten Orte des Alemannenlandes beim Geographen von Ravenna: „Bracantia”) (19). Auch unter den seit 537 folgenden Franken hieß sie „castrum” (802) (20) und „oppidum” (bei Walahfrid, gest. 849) (21).
(17) Notitia dignitatum bei: HOWALD – MEYER (wie Anm. 13) S. 132.
(18) Jonas, Vita Columbani, in: MG. SS. rer. Germ, in usum schol., 1905, S. 211.
(19) H. LIEB – R. WÜTHRICH, Lexicon Topographicum der römischen und frühmittelalterlichen Schweiz Bd. 1, 1967, Artikel „Brigantium”.
(20) Urkunde vom 15. Mai 802, Stiftsarchiv St. Gallen, ediert im Urkundenbuch der Abtei St. Gallen I, hg. von H. WARTMANN, 1863, S. 154 Nr. 164.
(21) Walahfrid, Vita Galli, in: MG. SS rer. Merov. IV, hg. v. B. KRUSCH, 1902, S. 288.
Neben der fast erloschenen zweiten und der zur Ackerflur gewordenen ersten Stadt war inzwischen ein anderes, agrarisches Bregenz aufgekommen, mit dem gegen die wasserreiche Bergseite des Ölrains gerückten Dorf als Mittelpunkt, von dem aus neue Hauptwege entstanden (Riedergasse-Gallusstraße). Die einstige Metropole verschwand keineswegs ganz, sie ließ beträchtliche aufragende und hinderliche Ruinen zurück, die durch das ganze Mittelalter und bis ins 17. Jahrhundert bezeugt sind (22). So ist auch obiger Bericht von Jonas von der seit alters zerstörten Stadt zu verstehen. Der Mönch Wetti nennt Bregenz um 820 „civitas diruta”, „zerstörte Stadt” (23), und Walahfrid (gest. 849) spricht von einer „vor Alter zusammengefallenen Stadt” (”oppidum iam vetustate collapsum”) (24). Der Mönch Liuther ziert die Lebensbeschreibung des hl. Magnus um 1135 mit der Darstellung eindrucksvoller Bauten in Bregenz (25); der Chronist von Petershausen spricht um 1150 von Bregenz als von einem „Ort, der jetzt noch Ruinen alter Siedlung zeigt” (26). Ramsperg berichtet 1656, daß nicht nur unterirdische Gewölbe, sondern auch „dickes Hausgemäuer und Fundamente, die Anzeiger großer Gebäude” auf dem Ölrain angetroffen werden. Gebüschbewachsene Ruinenhügel (27) haben die Kultur des Bodens behindert. Zahlreiche Mauerzüge blieben im Maurach zurück. Die nunmehrige Flurordnung schuf freilich weite Ackerbereiche ohne Wege, mit bloßen Überfahrtsrechten, zwei auf der Ölrainterrasse, einen unterhalb des nördlichen Terrassenrandes, sodaß schon deshalb ein Großteil des alten Wegenetzes verschwand (28); mit ihm auch die verwahrloste, allzubreite römische Heerstraße. Nördlich der Stadt wurde sie nachweislich mindestens an einer Stelle durch Muren vom Pfänder herab unbrauchbar (29). Murschutt der nachrömischen Zeit wurde unmittelbar am antiken Hafenbecken, zwischen Rathaus- und Deuringstraße, ja sogar im Bereich des römischen Hafenmolos am Leutbühel festgestellt (30).
(22) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 1.
(23) Wetti, Vita Galli, in: MG. SS rer. Merov. IV, hg. v. KRUSCH, 1902, S. 260.
(24) Walahfrid, Vita Galli, in: MG. SS rer. Merov. IV (wie Anm. 21), S. 282.
(25) Vita Sancti Magni (Stiftsbibliothek St. Gallen).
(26) Die Chronik des Klosters Petershausen, hg. v. O. FEGER. (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 3, 1956, 2. Aufl. 1978) S. 40.
(27) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 44.
(28) BILGERI, a. a. O., S. 41.
(29) VONBANK, Quellen zur Ur- und Frühgeschichte Vorarlbergs, in: Montfort, 1955, S. 129.
(30) VONBANK, Die römische Hafenmauer (wie Anm. 16) S. 256–259.
Bregenz, bis ins 7. Jahrhundert vorherrschend romanisch, bildete eine Insel in alemannischer Umgebung. Die Niederlassung der irischen Mönche um Kolumban und Gallus, abseits vom Dorf am St. Gallenstein bei der zum Heidentempel gewordenen Aureliakirche (31) war nur vorübergehend (610–613). Die bald darauf erfolgte Christianisierung brachte zwischen Burghügel und Dorf einen neuen bedeutenden Punkt hervor: die Pfarrkirche St. Gallus, eine herrschaftliche Gründung über mehreren Gräbern, darunter das Grab eines Kriegers, in einem zerstörten römischen Bau.
(31) Nach R. EGGER und HILD an der Stelle der Gärtnerei des ehemaligen St. Gallusstiftes an der Fluher Straße, s. HILD, Ein Alemannengrab in der Stadtpfarrkirche in B., in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1940, S. 25. Die öfters, aber ohne triftige Beweisführung vertretene Meinung, die Aureliakirche sei an Stelle der späteren Pfarrkirche St. Gallus zu suchen, ist abzulehnen. Nach Walahfrid (Vita Galli, wie Anm. 21, S. 289), der sich an die älteste Tradition aus dem frühen 8. Jh. hält, erbauten die Mönche ihre Hütten um die Aureliakirche („circa Oratorium mansiunculas sibi fecerunt”). Das waren etwa zwölf Leute, die nach Walahfrid in den folgenden drei Jahren einen Garten anlegten, Bäume pflanzten und Vieh hielten. Dies war am Ort der Pfarrkirche inmitten des Dorfes nicht möglich, wohl aber am St. Gallenstein, am Rande der B.er Flur. Die überlieferte Störung des B.er Vogelfanges durch die Glocke in der Kirche ist bei der St.-Gallus-Pfarrkirche schwer denkbar, denn dieser Vogelfang wurde sicher nicht bei den Häusern und Hofstätten, sondern im Gebüsch am Rande der Flur betrieben.
Fränkische Grafen, zuletzt die Familie der sogenannten Ulriche, kamen um die Mitte des 8. Jahrhunderts im Gefolge der Karolinger, besetzten den Hügel der Oberstadt und errichteten an der leichter angreifbaren Bergseite ihre feste Wohnung. Die ältesten Hinweise auf den Baubestand des Grafenschlosses kommen spät, in den Jahren 1393 und 1409, lassen aber urtümliche Züge im Bauplan erkennen (32). Den ältesten Teil der Burg an der von Natur aus schwachen Stelle bildete der Turm, bis zu seiner Sprengung (1884) das mächtigste Bauwerk der Stadt; dann folgte südwärts das Burgtor, später mit dem Oberen Stadttor identisch, anschließend noch 1409 das „Grosse Hus gelegen bi dem Oberen Tor”, mit dem Keller und einem Gebäude, „da der Stal gewesen ist”, womit der seit ältesten Zeiten wichtige Marstall mit den Rossen gemeint ist. Das anschließende älteste Zeughaus bildete den natürlichen Abschluß der Schmalseite, wo sich viel später der Eckturm der Oberstadt, der Beckenturm, befand. Zum ältesten Grafenbesitz gehörte zweifellos die unmittelbar an den Turm stoßende Mühle und die dann folgende „Wette” oder Roßschwemme, nicht nur für die Rosse der Burg, sondern als Wasserbehälter für die ganze Burgsiedlung wichtig, wenn der Feind die Wasserleitung zerstörte oder ein Brand ausbrach. Ebenso bedeutsam war ein weiterer, notwendig in die älteste Zeit zurückreichender Grafenbesitz auf dem Burghügel. Er lag am Unteren Tor, wo der Name Hof das einstige herrschaftliche Zentrum der Landwirtschaft bezeichnet. Dort befand sich an Stelle der späteren Martinskapelle der fest gebaute Speicher samt dem Keller darunter, nach Grabungen im Jahre 1974 direkt auf römischem Mauerwerk errichtet (33), mit dem 1363 genannten Amt des „Kellers im Hof”, der diese Sammelstelle der Abgaben betreute. Nach späterer Überlieferung grenzte bergwärts ein Garten mit Hundestall an, Besitz der Grafen, deren Jagdfreude mancher hochmittelalterliche Ortsname des Bregenzerwaldes bezeugt. Unmittelbar hinter der Stadtburg, vor dem Oberen Tor lag das gräfliche Gut Miltenberg, einst „des Grafen Baumgarten” genannt, im Lauf des Jahres öfters Aufenthalt des Grafen mit dem noch 1479 von einem Lehenmann in seinem Baumbestand betreuten Obstgarten; daher urkundet der Graf 1293 „in pomerio ante portam superiorem oppidi Pregantini” (”im Baumgarten vor dem Oberen Tor der Bregenzerstadt”). Die Grundherrschaft der Grafen dehnte sich, Fremde immer stärker ausschließend, auch über das Maurach und die weitere Umgebung des Sees sowie über das Dorf und seine Flur. Mit Rieden entstand eine frühe Ausbausiedlung am Ende der Ölrainterrasse, zwischen dem Riederstein und dem Feldmoos, ein kleiner Weiler mit einem Großhof als Kern, ein Haupthof der Grafen in der Bregenzer Gegend rechts der Bregenzerach, die darum den Namen „Hofrieden” bekam (34).
(32) Über die ältere Topographie der Oberstadt (Altstadt) vgl. BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 49–54.
(33) Mitteilung von Herrn Baumeister Arno GASSER.
(34) BILGERI, Rieden und Vorkloster, in: Alemannia, Dornbirn 1937, S. 123.
Am allmählich seewärts rückenden Hafen entwickelte sich gleichzeitig mit dem Herrschaftszentrum eine wichtige Streusiedlung von Schiffleuten, vorerst die einzige der Bregenzer Bucht, die 1249 als „Stade” genannt wird (35). Diese Gegend, an der heutigen Anton-Schneider-Straße oberhalb der Kornmarktstraße und zwischen Leutbühel sowie Rathausstraße einerseits und bis jenseits der Brandgasse hinaus lokalisierbar, also in Hafennähe sowohl in der spätrömischen Zeit wie im Hochmittelalter, umfaßte nach dem montfortischen Einkünftebuch (Urbar) von 1379 sogenannte Fahrlehen, Erblehen mit der Verpflichtung, der Inhaber, den Grafen und die Seinen jederzeit auf dem Bodensee zu führen, „doch nicht in den Rhein unter Konstanz, noch in den Untersee”. Wer von diesen Lehenleuten damals die Fahrt verweigerte, hatte für die Bezahlung der nötigen Schiffleute aufzukommen. Nach dem Text des Urbars bestand in einer früheren Zeit vor 1379 eine geregelte Bregenzer Fähre, die von diesen Fahrlehensinhabern – offenbar im Turnus – betrieben wurde. Dieser Flurbereich mit seiner Einrichtung, der sich offenbar mit dem Rückgang des Sees bis an die Kornmarktstraße ausgeweitet hatte, ist sicher ein urtümlicher Zug im Siedlungsbild von Bregenz, des gräflichen Herrschaftszentrums am Bodensee, als der Verkehr sich von den zerstörten Straßen auf die Wasserwege verlagerte und der Bodensee inmitten der von den Grafen verwalteten Gaue lag. Der Bereich ist auffällig abgesondert von der Flur des Dorfes Bregenz; so hatte der Hof des Pfarrers, der als Ausstattung der Urpfarre ins 7. Jahrhundert zurückreichen muß, hier keinerlei Besitz (36). Wahrscheinlich gehörte auch das Haus des von Petershausen bei Konstanz abhängigen Klosters Andelsbuch in Bregenz in der Nähe des Sees um 1094, von dem der Chronist des Petershauser Klosters um 1150 berichtet (37), in den Bereich dieser Fahrlehen: Andelsbuch war die Gründung Graf Ulrichs von Bregenz, Petershausen die Gründung Graf Gebhards von Bregenz (gest. 995). Die den späteren Hafeneingang schützende Seeburg (”Seehus”) bestand sicher schon im 13. Jahrhundert, sie ist unbestimmten, doch gewiß hohen Alters (38).
(35) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 105.
(36) BILGERI, a. a. O., S. 48.
(37) „Et quoniam prior cella quandam casellam iuxta possederat, …” (Chronik d. Klosters Petershausen, hg. v. FEGER, wie Anm. 26, S. 148).
(38) Der Familienname „Sehuser” reicht ins 13. Jh. zurück, vgl. BILGERI, B. Geschichte der Stadt, 1980, S. 29, 604.
1079 erlebte Bregenz feindliche Zerstörung; auch der Burgflecken ging im Brande unter (39), entstand aber neu. Kurz darauf, um 1090, wurde aus der Katastrophe die Lehre gezogen und die weiteste Fernsicht bietende Höhenburg Bregenz auf dem Gebhardsberg (600m) errichtet (40). Die erste Erwähnung dieser von Dienstmannen besetzten Burg datiert erst vom Jahre 1209, indem urkundlich als Zeuge „Bilgerinus de castro Brigantino” auftritt (41). Die Verlegung des gräflichen Klosters Andelsbuch aus dem rauhen Bregenzerwald in die bisher mit Gebüsch bestandene Au von Bregenz 1094 eröffnete die Besiedlung des heutigen Ortsteiles Vorkloster (42). Vor dem nunmehrigen Kloster Bregenz oder Kloster St. Peter in der Au, später Mehrerau, dessen Unterkirche, nach dem Hirsauer Schema erbaut, heute noch erhalten ist (43), entwickelte sich ein lockeres Dorf, bestehend aus kleinen Einzelhöfen der Handwerker, Gewerbsleute und Dienstboten des Klosters; jenseits dieser Siedlung, am Rand der Bregenzer Flur, entstand isoliert der landwirtschaftliche Großbetrieb des Klosters, der Sennhof (= Vorklostergasse 47), inmitten der drei gewaltigen „Braiggen” (Holz-, See- und Ölbraigge), Äcker der Dreifelderwirtschaft (44); später diente er auch der Viehwirtschaft.
(39) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 25.
(40) Mitteilung Dr. BITSCHNAU.
(41) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 604.
(42) Darüber BILGERI, Rieden und Vorkloster, wie Anm. 34, S. 123–183.
(43) K. SPAHR, Die romanische Basilika der Mehrerau in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung, in: Das Münster 18, 1965, S. 1–9; VONBANK, Die archäologische Untersuchung der romanischen Basilika in B./Mehrerau, in: Das Münster 18, 1965, S. 9–24.
(44) BILGERI, Rieden und Vorkloster, wie Anm. 34, S. 142.
Den entscheidenden Schritt in der Siedlungsgeschichte des Bregenzer Raumes machten die Grafen mit der Gründung der Stadt auf dem Hügel ihrer Burg. Die Zeit der Gründung ist zwar urkundlich nicht überliefert, fällt aber in die Jahre nach 1200 (45). Der neuen Siedlung wurde nahezu die gesamte Fläche der bisherigen Burgsiedlung gewidmet, mit Ausnahme der Burg selbst sowie des „Hofes” und Getreidespeichers. Das ergab annähernd ein Rechteck, das durch die gerade und breite „Vordere Gasse” vom Oberen zum Unteren Tor halbiert wurde; an dieser und einer schmäleren, ringsum nahe dem Terrassenrand herumführenden „Hinteren Gasse” wurden Hofstätten annähernd gleicher Größe von etwa zwei Ar aufgemessen, sodaß laut Angabe der späteren städtischen Steuerbücher etwa 57 Hofstätten entstanden. Dieser bedeutende Zuwachs an Bewohnern auf dem nun bis ins 19. Jahrhundert „Stadt” genannten Burghügel machte die Anlage einer neuen Wasserleitung vom Berg oberhalb des Stockach (= Bergisel) nötig. Neben dem neuen Brunnen am Unteren Tor entstanden Schlachthaus (Metzg) und Brotlaube, der Platz vor der Burg wurde zum Marktplatz. Die Ummauerung mit den beiden vorgegebenen Toren und dem talbachwärts gerichteten „Türlin” erfolgte erst nach einiger Zeit; anfangs genügte ein niedriger Wall, deshalb waren die Abhänge des Burghügels hinter den Häusern deren Zubehör. Später wurde die Stadtmauer am Oberen Tor durch einen Zwinger („Zwingolf”) verstärkt, dann auch am Unteren Tor durch einen zweiten Zwinger. Ein Großteil der Mauer und ein kleineres Stück des Wehrganges hat sich bis heute erhalten.
(45) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 33.
Durch die Stadtgründung erhielt der Graf nicht nur die stärkere Festung anstelle der alten Burg – spät noch betrachtete er die Stadt als Erweiterung seiner Burg und als seine Stadt – er gewann auch neue bedeutende Einnahmen und Rechte, wirtschaftlich am wichtigsten war die erreichte Förderung seines Weinbaues durch die vorgeschriebene Mistlieferung.
Mit der Gründung der Stadt begann aber auch die Entsiedlung des Dorfes Bregenz, dessen Bewohner zum Teil in die Stadt wanderten. Der bäuerliche Grundbesitz wurde überwiegend bürgerlich. Etwa ein halbes Dutzend kleiner Höfe blieb aber noch bis ins 15. Jahrhundert im Bereich des Dorfes bestehen und noch später hielt sich dort der Versammlungsplatz für die gräflichen Untertanen (46).
(46) BILGERI, a. a. O., S. 37.
Die neue Stadt lebte vorwiegend von Landwirtschaft und Weinbau; Gewerbe und Handel außer Weinhandel blieben weit zurück. Es gab eine lange Stagnation infolge der Lage im Marktbereich des übermächtigen Lindau, verschärft durch die ungünstige Lage des Marktplatzes auf steiler Höhe. Doch im späten 13. Jahrhundert erlebte die Stadt einen kleinen Aufschwung, der das erste Stück einer kleinen Vorstadt entstehen ließ: das Maurach entlang am Weg vom Unteren Stadttor zum See. Nach der späteren Tradition war es vorwiegend die Ansiedlung von Handwerkern, offenbar im Zusammenhang mit einem versuchten Aufschwung des Marktes. Das Gelände zwischen den beiden Bächen, dem Thal- und dem Weißenreutebach wurde nach dem Muster der „Stadt” in etwa dreißig gleich große Hofstätten geteilt; unbekannt wann, doch spätestens im 14. Jahrhundert, wurde dieser Bereich ummauert und am unteren Ende, am Leutbühel, mit einem Tor versehen (47). Teile der Mauer sind in Häusern sowie unterhalb der Oberstadt im Gelände verschüttet bis heute erhalten.
(47) Die Vermutung, das Maurach sei ein besonders altes Suburbium, nämlich die außerhalb der Burg liegende Handwerker- und Kaufmannssiedlung der Frühzeit, läßt sich nicht halten. Der Name Maurach ist kein Siedlungsname; die Gasse gehört seit je zur Vorstadt, ist – wie Stadt und Ried – verteilter gräflicher Boden. Es beherbergte im Gegensatz zur Stadt keine Grundbesitzer. Der Bedarf der Burg an Handwerkern war begrenzt und überdies in den Städten der Nachbarschaft noch besser zu decken.
Diese kleine Vorstadt wurde im 14. Jahrhundert, jedenfalls vor 1363 (48), erstmals erweitert und zwar wieder seewärts, im sogenannten Ried, auf unkultiviertem, feuchtem und durch die Bäche gefährdetem Schwemmland, das als Gemeinweide diente, zwischen dem Talbach und dem sogenannten Eegraben, bis zur heutigen, einem ehemaligen Seeufer entsprechenden Linie Kaspar-Hagen- und Schulgasse. Wiederum entstanden rund dreißig Hofstätten, vorwiegend besetzt von Arbeitern des damals aufblühenden Holzwerkes. Gleichzeitig entstanden die Werkstätten, Hütten auf Lagerplätzen dieser Rebstecken, Latten und ähnliche Waren erzeugenden Holzleute in langer Reihe am Ufer des Sees auf Gemeindeboden vom Hafen nordwärts bis zur Stadtgrenze am Tannenbach. Das Holzwerk wird 1338 anläßlich der montfortischen Teilung bereits als im Hinterbregenzerwald tätig erstmals genannt. Eine Urkunde von 1363 bezeugt seinen früheren Aufstieg, indem Holzleute bereits zu den Patriziern gehören. Andererseits kommt der Markt als Ursache des Siedlungswachstums nicht in Betracht, denn die erste Bregenzer Markturkunde von 1330 deutet auf weiteren Kampf mit der übermächtigen Konkurrenz von Lindau, dem die Bürgerschaft durch Verlegung des Markttages auf den Montag entgehen wollte. In dieser Zeit (1336) entstand mit Thalbach die erste bekannte Ordensniederlassung im nahen Stadtbereich durch Bregenzer Bürgerstöchter.
(48) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 90.
Nach der verheerenden Belagerung im Kampf mit dem Bund ob dem See 1407–1408, der die Vorstadt und auch das Maurach zum Opfer fielen, machte die Stadt nicht nur die Verluste in wenigen Jahren wett, sondern wuchs nochmals bedeutend, zwar etwas gehemmt durch eine zweite Zerstörung der Vorstadt durch die Appenzeller (1445). Das geschah vor allem seewärts, unterhalb des gräflich besiedelten Riedes, also jenseits der Kaspar-Hagen- und Schulgasse, wo die nun politisch erstarkte Stadtgemeinde Land an Siedler verteilte (49). Auch im Bereich der Insel (= Inselstraße) und des Grabens (= Rathausstraße), zeitweise auch am heutigen Kornmarkt setzte sie diese Tätigkeit durch lange Jahre fort. 1446 entstand damit im Zusammenhang die Seekapelle, die Kapelle der Holzleute, bald das religiöse Zentrum der Unterstadt. In der gleichen Zeit begann die Verdichtung im Bereich des einstigen „Stade”, also an der alten, noch 1380 so genannten Landstraße (= Anton-Schneider-Straße), und noch dichter am heutigen Kornmarkt, entlang der nun seewärts gerückten neueren Landstraße zur Klause. Dort sah sich der einst wegen Feuersgefahr weit abseits erbaute Kalkofen nun inmitten der Siedlung. Gleichzeitig, jedenfalls vor 1480, wurde das Vordere und Hintere Eichholz zwischen der Brand- und der Eichholzgasse besiedelt, großteils alter Lehenbesitz des Klosters Mehrerau.
(49) BILGERI, a. a. O., S. 122.
Ein Hauptgebiet der gewerblichen Siedlung in diesem ganzen Zeitraum war die Gegend am Weiher, dem dortigen „Gießen”, an dem sich Müller, Gerber und Waffenschmiede betätigten. Die Stadt lenkte als Besitzerin dieser Gewässer ihre Niederlassung. 1473 errichtete so ein Waffenschmied mit Einwilligung der Stadt seine Schleife an Stelle einer Gerberei und 1476 erklären die Sprecher der Stadt, diese habe den Weiher mit Wasserleitung und Schleifen länger genutzt, als jemand zurückdenken könne.
Die bedeutendste Siedlungserweiterung dieser Epoche war aber die am Weg zur Bregenzerach, ins Oberland und in den Bregenzerwald ziemlich rasch zusammenwachsende, 1463 erstmals so genannte Kirchgasse. Der Höhepunkt dieses Vorganges war um 1469, als ein politischer Kampf mit Lindau die bisherige Marktherrschaft dieser Stadt unterbrach und die Bildung eines zweiten, besser gelegenen Marktes am Leutbühel, dem unteren Ende der Kirch- wie der Maurachgasse gelang. Die Verbauung der Kirchgasse hatte bereits vor 1484 die obere Stadtgrenze am Thalbach stark überschritten. In diesem Jahre gelang der Stadt dort eine Erweiterung bis zum Thalbachgässele, bis zur Wolfeggasse und von dort seewärts. Die Kirchgasse und der Leutbühel wurden Sammelpunkte des Handels, Verkehrsgewerbes und des damit verbundenen Handwerks. Am Leutbühel entstand das Schmalzhaus, unweit davon am Graben (= Rathaus) ein erstes Kornhaus. Die bisherige Vormacht der Patrizier in der Altstadt (= Oberstadt) war damit erschüttert; seither war dieses neue Zentrum der Vorstadt der Altstadt auch politisch ebenbürtig. Die Herren der Altstadt kämpften jedoch zäh und mit Opfern um ihren Einfluß beim gemeinen Volke. So gab gerade der gehobene Anspruch der aufstrebenden Stadtgemeinde auf soziale Einrichtungen nach dem Beispiel renommierter Nachbarstädte Gelegenheit sich hervorzutun. 1491 stifteten zwei Häupter der Patrizier unter dem Beifall von Stadtammann und Rat sowie der Herrschaftsbeamten in der Unterstadt an der Stelle des heutigen Rathauses ein sogenanntes Seelhaus (50), um arme, kranke Leute und Pilger zu beherbergen und zu verpflegen. Es war das erste Spital in der Stadt, denn das Sondersiechenhaus an der Siechensteig, das zu unbestimmter Zeit, schon vor 1338 für die ansteckend Kranken gegründet worden war, lag weit jenseits der Stadtgrenze. Immerhin behauptete sich die Altstadt gegenüber solchen Fortschritten der Vorstadt noch einige Zeit: das erste Rathaus wurde 1511 noch in der durch Mauern gesicherten Altstadt errichtet.
(50) Urkunde vom 7. Februar 1491, Stadtarchiv B.
Das 16. Jahrhundert brachte der Stadt, die in einen schweren Wirtschaftskampf mit dem aufstrebenden Landvolk geraten war, kein nennenswertes Wachstum. Nur vereinzelte Anwesen entstanden außerhalb der Stadtgrenze an den Wegen der Ölrainterrasse oder in dem zum Weiler anwachsenden Steinenbach (erste Anfänge im 14. Jh.). Die Stadt kämpfte um den Markt, um den Holzhandel sowie um die Erweiterung ihres Gebietes bis zu den natürlichen Grenzen an der Klause und Bregenzerach, dies vorerst ohne Erfolg. Die Regierung schätzte Bregenz hoch, aber nur als Festung für ihre imperialen Pläne. Sie verbesserte die Befestigungen, das Seehaus am erneuerten Hafen, richtete in der Oberstadt ein Zeughaus ein, unterstützte den Bau eines ständischen Getreidemagazines. Dagegen baute die Stadt ein neues Schmalzhaus im Maurach, ein neues Kornhaus am See, ein Weberhaus in der Altstadt an Stelle des dortigen Bades. Durchschlagende Erfolge blieben aus. Dennoch vollzog sich damals im späteren Abschnitt ein für die Besiedlung bedeutsamer Vorgang. Der Dreifelderbetrieb mit gemeinsamer Viehweide auf Feldboden ging unter. Das Bestreben der wohlhabenden Grundbesitzer, meist einflußreicher Gewerbsleute, war seit geraumer Zeit auf freie Wirtschaft in geschlossenen Gütern gerichtet, sie erreichten die Abschaffung der Feldweide trotz Widerstandes der armen, auf die Weide angewiesenen Viehhalter. Damit war in der bisherigen Ackerflur eine Besiedlung rechtlich wenigstens möglich geworden. Sie setzte dort wegen fehlendem Bevölkerungsdruck aber nur sehr zögernd ein. Es kam vorerst zu bewußtem Zusammenkaufen und -tauschen größerer Grundkomplexe in der Hand von etwa sechzig Grundbesitzern, die nun nach Belieben auf dem Ölrain Acker-, Obst- oder Weinbau und besonders Viehwirtschaft hinter lebenden Zäunen betrieben und dort öfters auch Stadel erbauten. Das Bild dieser Umwälzung ist noch in der Katasterkarte des 19. Jahrhunderts ersichtlich.
Im gleichen Zeitraum kam es in Bregenz als Folge der weitgespannten habsburgischen Politik um diesen Vorposten, Aufenthalt hoher Militärs und Sammelplatz für viele Offiziere, zur Niederlassung eines Militäradels, der sich in und um die Stadt mehrere standesgemäße Ansitze erbaute. So um 1550 am See in Vorkloster die Familie von Schnabel den Adelssitz Schönenbach, später Schnabelburg genannt; Babenwohl entstand unterhalb des Gebhardsberges, der Ansitz Lösler oberhalb der Oberstadt, der Ansitz Schedler am Fuße des Thalbachberges. Das wellensteinische Haus im obersten Maurach wurde 1982 ausgegraben. Mit dem standesgemäßen Bauen im Zusammenhang steht die Tatsache, daß sich jetzt der Steinbau an verschiedenen Punkten – durch Bauuntersuchungen in der Oberstadt und im Maurach nachweisbar – stärker durchsetzte; das Übergewicht der alten Holzbauten blieb aber unerschüttert.
Das gesteigerte Selbstbewußtsein der Bürgerschaft zeigte sich erfolgreich, als die Stadt 1599 die Zustimmung der Regierung in Innsbruck durchsetzte und anstelle des niedrigen Turmes über der St. Martinskapelle in der Oberstadt bis 1602 den mächtigen Stadtturm drei Stockwerke hoch als Wachtturm errichtete. Der alte Turm am Oberen Tor verlor die Hochwacht, die Bürgerschaft triumphierte symbolisch über die Herrschaft. Ein Baumeister aus dem fernen Misox in Graubünden wurde geholt, der hier die erste Barockkuppel am Bodensee schuf (51).
(51) O. SANDNER, B. und Umgebung, 1960, S. 19.
Die große Stadterweiterung gelang ebenfalls 1602, sie dehnte das Stadtgebiet im Norden vom Eichholzbach bis zum Inneren Tannenbach, im Süden von der Wolfeggasse bis zur Siechensteig, nahezu die ganze Ölrainterrasse war gewonnen, 71 Feuerstätten kamen an die Stadt, davon 55 bereits im Besitz der Bürger. Das bedeutete jedoch keine wesentliche Stärkung der Siedlungstätigkeit der Bürger für das kommende Jahrhundert. Der um 1650 gegründete Kornmarkt wurde zwar damals und erst recht im 18. Jahrhundert zur wichtigsten Antriebskraft der Wirtschaft, aber nur an Stelle von Holzwerk und Weinbau und bei gleichzeitigem Aufkommen der ländlichen Umgebung, war daher – abgesehen von einzelnen Bauten wie des Lagerhauses („Gredhauses”) an Stelle des späteren Rathauses, weniger Gasthöfe – fast ohne Einfluß auf den Umfang der Siedlung. Die Stadt besaß 1511 etwa 256, 1660 etwa 243 und 1712 279 Häuser. Wohl aber vollendete sich die Schwerpunktverschiebung von der alten Stadt in die Vorstadt am See. Die Metzg kam 1614 von der Altstadt an die Kirchstraße, von dort an den See. Das Schützenhaus kam von Miltenberg 1614 ebenfalls an den See, an das untere Ende der Riedgasse (Kaiserstraße). 1647–48 wurde die Altstadt im Schwedenkrieg in ihrem Hausbestand auf die Dauer schwer geschädigt. Das Zentrum der Verwaltung, die Stadtkanzlei, wanderte von dort herab in das untere Maurach (Haus Zollershausen) und um 1720 weiter an den Graben in das dortige Lagerhaus (heute Rathaus).
Wichtig war, daß sich im 17. Jahrhundert durch Ansammlung von Kapital die Vorherrschaft weniger Familien, voran der von Deuring, vollendete. Die Folgen zeigten sich auffällig auch im Stadtbild. Es kam zu vielfacher Ballung des Hausbesitzes, zum Neubau großer stattlicher Häuser in den besten Lagen. Den Gipfel erreichten die von Deuring, die im Lauf der Zeit in der Oberstadt nicht weniger als zehn Häuser, fast den ganzen Südwesten, erwarben und dort ab 1660 das „Deuringschloß” errichteten, das bis heute das Stadtbild der Oberstadt beherrscht. Eine kleinere Ballung gelang den von Deuring auch in der Unterstadt, in der Deuringstraße. Privates und städtisches Prestige zeigte sich in Bauten wie dem imposanten Haus des Stadtammanns Bildstein in der Kirchstraße, dem schönen Fachwerkbau in der Oberstadt im Stadtbesitz, aber auch in kirchlichen Bauten dieser Zeit, so im Kapuzinerkloster 1636, der Friedhofskapelle 1664, dem vornehmen Turmabschluß der Pfarrkirche 1672, dem Neubau des Klosters Thalbach 1674 und in der erneuerten Seekapelle 1696. Der Rat der Stadt hatte damals bestimmte Vorstellungen von einer Bauordnung, gerichtet auf die Wiederherstellung des alten malerischen Stadtbildes (Laubenhäuser und Brunnen) (52). Das Interesse für die Schaffung sanitärer Einrichtungen lebte fort, stand aber unter dem Unstern kriegerischer Verhältnisse. Das Spital am Graben, das sogenannte Seelhaus (heute Rathaus), ging in den Dreißigerjahren durch Brand zugrunde, es entstand ein neues, am See in der mittleren Insel, dann in der Oberstadt im ehemaligen Fluchthaus des Klosters Waldsee und schließlich kam es 1683 zum Bau des ersten Spitals „Zum hl. Geist” durch die Stadt am See in der Insel, auf dem Platz von sieben zusammengekauften Häusern und Hofstätten.
(52) So verlangte er am 21. Juni 1666 (Schaffbuch Nr. 77, Stadtarchiv B.) in der Oberstadt für einen Neubau einen offenen Bogen, also ein Laubenhaus, wie bei den dortigen Nachbarhäusern.
Im 18. Jahrhundert setzte sich der Stillstand der Siedlung fort. Ohne merklichen Einfluß auf das Wachstum war die Errichtung der ersten Kaserne 1717, bezeichnend auf Kosten der öffentlichen Gesundheit, denn diese Seekaserne kam in das Spital in der Insel, ebenso wie das Spital in der Oberstadt sich in die Oberstadtkaserne verwandelte. Weder die Gründung der ersten Vorarlberger Textilfabrik in der Oberstadt 1765 noch der Bau moderner Landstraßen mit Bregenz im Mittelpunkt, besonders 1769–1771, hatte auf die Siedlungsentwicklung einen wesentlichen Einfluß, auch nicht der Handel mit Salz, der nun, vom Baumle in Lochau in die Stadt gelenkt, 1768 den mächtigen Bau des Salzstadels am Kornmarkt erhielt. 1763 hatte Bregenz 1.042, 1777: 1.080 Einwohner. Ein Wirtschaftsaufschwung scheint 1780 eingesetzt zu haben: 1780 besaß Bregenz 1.060, 1786: 1.628 Einwohner. Dabei verlor die Stadt 1782 die beiden Klöster St. Anna und Thalbach mit zusammen 50 Insassen zugunsten seiner Garnison.
1783 verlor Bregenz seine durch 1500 Jahre innegehabte Funktion als Festung (53). Die Stadtmauer um die Altstadt und die Werke an der Klause wurden wertlos. Seitdem begann man in der Altstadt die Häuser an die Mauer zu stellen und etwas später in dieser Fensteröffnungen anzubringen. Im frühen 19. Jahrhundert veränderte sich das Gesicht der Stadt erheblich, als der so bezeichnende lange Gürtel der Werkstätten am See mit dem Untergang des Holzwerkes verschwand. Die Blüte des Kornmarktes setzte sich fort, sie brachte den Bau zweier Kornhäuser (1813, 1838).
(53) Augspurgische Postzeitung 1783, Nr. 243.
Das Regime Metternichs unterhielt in drei alten und einer großen neuen Kaserne (1847) sowie zahlreichen Behelfskasernen eine überstarke Garnison, es gab eine seit Einführung des Kreisamtes 1786 wesentlich angewachsene Beamtenschaft, was drangvolle Wohnungsnot, aber keine merkliche Anregung der Bauwirtschaft bedeutete (1823: 377 Häuser, 1843: 390 Häuser). Den ungesunden Verhältnissen wirkte das von den Handwerkern 1822 gegründete Gesellenspital in der Oberstadt (Eponastraße 8) sowie das 1826 gegründete städtische Spital, ebenfalls in der Oberstadt (Martinsgasse 1), entgegen. Auch die Errichtung einiger Fabriken, zuerst in der Nachbarschaft der Stadt (Vorkloster), änderte wenig, am meisten noch die aus Pforzheim übertragene Goldindustrie (1839) mit Einwanderung wohlhabender Spezialisten und dem Bau von Goldfabriken. In der Hinteren Riedgasse (= Jahnstraße) zeigte sich damals eine erste Ausweitung des althergebrachten Siedlungsraumes und auf dem Ölrain setzte eine Streusiedlung von Landhäusern ein. Hier war die neue Landstraße 1850 (heute Arlbergstraße) zur Achbrücke, welche den steilen Abstieg der Kirchstraße vom Ölrain umging, wichtig für den Durchgangsverkehr, für die Besiedelung noch jahrzehntelang unbedeutend.
1853 hatte Bregenz 420 Häuser, 1864: 428 Häuser. Weitere Belebung kam 1854 für Rieden von der Rückkehr Mehreraus und der Gründung des Klosters Riedenburg, für Bregenz von der faktischen Stellung als Landeshauptstadt 1861 und von der Gründung der Seidenfabrik 1866. Vollends in die Neuzeit schritt die Stadt mit dem Bau der Vorarlberger Bahn und des Bahnhofs auf ehemaligem Seegrund (1872). Neue mit Häusern besetzte Gassen wie die Montfort- und die Bahnhofstraße wuchsen der Eisenbahn entgegen, auch die Römerstraße oder der einstige Gürtel der Werkhöfe wurde verbaut. Die Gründung eines modernen Spitals im Bregenzer Stadtteil Dorf (1878) geschah in Erwartung stürmischen Wachsens. Die Eröffnung der Arlbergbahn und Bodenseedampfschiffahrt 1884 bedeutete für Bregenz den entscheidenden Wendepunkt: Sie vollendete vom Rand her die Industrialisierung, entwickelte in Vorkloster eine Vorstadt und förderte die volle Wiederbesiedlung des Ölrains. 1880 hatte Bregenz 4.736, 1890: 6.739 Einwohner. Gleichzeitig mit dem Bahnanschluß an Österreich setzte die Ansiedlung von Industrien ein, weit überwiegend von ausländischen, deutschen und schweizerischen Firmen, die mit Zweigbetrieben die 1878 aufgerichtete Schutzzollmauer übersprangen; eine segensreiche Wiedergutmachung, denn der gleiche Bahnbau hatte den Kornmarkt, diese Säule der städtischen Wirtschaft, gestürzt. Den geeigneten Standort fanden die Betriebe allerdings weniger im Bereich der Stadt als in der Nachbarschaft, im zu Lochau gehörigen Tannenbach jenseits der nördlichen Stadtgrenze und ganz besonders im weiträumigen, siedlungsarmen Vorkloster. Hier entstanden 1885–1889 eine große Textil- und zwei bedeutende Nahrungsmittelfabriken, und diese Entwicklung setzte sich bis zur Jahrhundertwende intensiv auch in Rieden fort. Stürmisches Wachstum führte in Vorkloster zur Bildung einer Vorstadt mit der 1888 entstandenen Quellenstraße als Kern. Von der Quellenstraße zweigten fast gleichzeitig vier Seitengassen ab, die Sterngasse (heute Ilgagasse), Glasergasse (heute Merbodgasse), Flaschnergasse (heute Diedogasse) und die Hörburgergasse (heute Ramsperggasse), in einem Bereich, wo der Handelsmann Hörburger 1889 „seine Gründe zu zirka dreißig Bauplätzen ausmessen ließ und zwei Straßen anlegte” (54). Noch schien nicht entschieden, ob dieses üppige Wachsen jenseits der Stadtgrenze Bregenz nur wirtschaftlich oder auch politisch erweitern werde oder ob das starke Selbstbewußtsein der Bewohner Vorklosters zu städtischer Eigenständigkeit führen würde. Doch die Verbindung mit Bregenz wurde sehr rasch immer enger. Die Stadt begann Vorkloster mit ihren Grundkäufen, Unternehmen und ihren dort wohnenden Arbeitern zu durchdringen. Die aktive Propaganda für den Anschluß an Bregenz setzte sich schon 1892 durch. Die Stadt wuchs inzwischen auch im Norden, ebenfalls beiderseits der Grenze, wo vor allem durch die Arbeiterschaft der Schuh- und der Uhrenfabrik im Lochauer Tannenbach, jenseits auf Bregenzer Boden in der Verlängerung der Scheibengasse – nunmehr Belruptstraße – mit ihren Abzweigungen, in der Schiller-, Scheffel-, Angelika-Kaufmann-Straße meist nach den Plänen des Stadtrates ein neues Viertel entstand. Die Verwandlung in eine Industriestadt von den Grenzen her schien eingeleitet, wurde aber bei weitem nicht Wirklichkeit. Bregenz blieb ebensosehr wie bisher vorwiegend Beamtenstadt und sah seine Zukunft lieber als Ziel der Fremden und Verkehrszentrum. Die Errichtung der Seeanlagen zugunsten der Fremden jenseits der Bahn durch Auffüllen des Seegrundes war ein Anliegen der gesamten Bürgerschaft und wurde seit 1888 jahrzehntelang weiter betrieben. Dem Ausbau des Verkehrs diente vor allem die Bemühung um die Bregenzerwald-Schmalspurbahn, die 1902 eröffnet wurde. Ebenso hartnäckig verfolgte die Stadt den Straßenbau über Langen nach Weiler im Allgäu und sie leitete diesen 1899 mit der Herstellung der Joseph-Huter-Straße am Rand der Ölrainterrasse ein; 1903 wurde die Straße ins Allgäu eröffnet. Nur langsam schritt die Besiedlung der Ölrainterrasse weiter, teils wegen der höheren Grund- und Erschließungspreise, teils wegen der vom Stadtrat trotz Wohnungsnot allein zugelassenen villenartigen Verbauung. Erst 1905 entstand eine neue Straße (Metzgerbildstraße).
(54) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 534.
Das Wachstum der Stadt und seine Richtung wurden in den Bevölkerungszahlen sehr deutlich; nur am Anfang wirkte die verkehrsgeographische Umwälzung stoßartig auf das Stadtgebiet, dann ebbte der Zuwachs stark ab, weil der Hauptzuwachs Vorkloster und Rieden zufloß: Die Bevölkerung nahm ab 1880 von 4.736 bis 1890 auf 6.739 zu; 1900 waren es 7.594 und 1910: 7.910 Einwohner. In den zwanzig Jahren von 1890 bis 1910 wuchs die Stadtbevölkerung in ihrem Gemeindegebiet um 1.171, Rieden und Vorkloster dagegen um 2.320, also um das Doppelte.
Der rasche, in der Bürgerschaft stark empfundene Aufschwung, bewußt gelenkt vom Stadtrat, fand seinen Ausdruck in einigen imposanten öffentlichen Gebäuden, so im Post- und Telegraphengebäude (1895) in der Bezirkshauptmannschaft (1903), dem Landesmuseum (1903) und in der Herz-Jesu-Kirche (1905), außerdem in der fortschreitenden repräsentativen Fassadengestaltung der Innenstadt. Dazu kamen bedeutende Schulbauten, so das Gymnasium an der Gallusstraße (1913), die Volks- und Hauptschule an der Belruptstraße (1914).
Die Vereinigung mit der Gemeinde Rieden-Vorkloster – durch gemeinsames Wasser- und Gasleitungsnetz vorangetrieben – rückte sehr nahe, als die Parzelle Kennelbach sich 1910 durch Volksabstimmung für die Abtrennung von der Gemeinde aussprach, die am 1. Jänner 1912 verwirklicht wurde. Trotzdem kam der Zusammenschluß aus parteipolitischen Spekulationen vor dem Krieg nicht mehr zustande. Erst nach fünf Jahren härtester Kriegsnot, die mit gemeinsamer Lebensmittelversorgung beide Partner nochmals nähergebracht hatte, fiel die Entscheidung nach Abschluß des Vereinigungsvertrages durch Volksabstimmung am 4. Mai 1919. Die Vergrößerung der Stadt zum ersehnten Groß-Bregenz von 4,29 qkm um 5,90 qkm, also auf mehr als das Doppelte und das Anwachsen der Bevölkerungszahl auf 13.094 brachte die erwartete Wende in der Geschichte der Stadt. Ein Tauschabkommen mit der Gemeinde Hard 1925 sicherte der Stadt den Härder Bereich auf dem rechten Ufer der Bregenzerach. Die eine natürliche Grenze war damit gewonnen, die zweite an der Bregenzer Klause durch Einverleibung von Tannenbach zu erreichen scheiterte sofort am Widerstand Lochaus. Dennoch war der Gewinn die Grundlage für eine veränderte, wesentlich gestärkte verkehrsgeographische Stellung. Der lange schon geplante Brückenbau über die Bregenzerach nach Hard 1926 und die Herstellung der Rheinstraße zu dieser Brücke 1930 gaben der Stadt eine zweite Hauptachse des Überlandverkehrs ins Rheintal und in die Schweiz, eine neue bequeme Möglichkeit, die Stadt von dort aus mit Umgehung des hohen Ölrains zu erreichen, und zugleich eine beherrschende Mitte für die künftige Besiedlung der neuen Stadtteile. Gleicher Unternehmungsgeist hatte kurz vorher den Bau der für den Fremdenverkehr so wichtigen Pfänderbahn (1927) beflügelt. Für die aufstrebende, unentwegt wachsende Stadt wurde der Wohnbau zur dringendsten Aufgabe. Der weite Ölrain erhielt nun das Netz von einem Dutzend neuer Straßen, die in offener Bauweise mit Ein- und Zweifamilienhäusern sich säumten. Die Felder Vorklosters und Riedens füllten sich langsamer, wobei gegen zwanzig neue Straßen entstanden, überwiegend das Werk von Siedlungsgenossenschaften oder städtische Wohnbauten, vorherrschend in Form von Häuschen langgestreckter Stadtrandsiedlung, in Blöcken und seltener in Reihenhäusern. Die Wirtschaftskrise brachte den Wohnbau 1933 fast zum Erlöschen. Ein letzter großartiger Schulbau gelang 1937 mit der Bundesgewerbeschule. – In der Nazizeit war die gewaltsame Südtiroler Umsiedlungsaktion 1939/40 der stärkste Eingriff in die Besiedlung von Rieden-Vorkloster (55). Die Bauten in der Rheinstraße, in Schendlingen und in der Reutegasse, langgezogene Blöcke zusammengebauter Häuser in meist an Südtirol erinnerndem Stil umfaßten 155 Häuser mit 811 Wohnungen an sieben neuen Straßen.
(55) P. MEUSBURGER, Die Umsiedlung der Südtiroler Optanten nach Vorarlberg und ihre Eingliederung in Siedlung und Wirtschaft, in: Volkstum zwischen Moldau, Etsch und Donau. (= Ethnos Bd. 10, 1971) S. 248–256.
Die Erweiterung der Stadt durch die Eingemeindung von Lochau, Eichenberg, Kennelbach und Fluh im Jahre 1938 war ein Phantom, das 1946 in der Abstimmung vom 8. Dezember wieder zerstob. Nur die Bergparzelle Fluh verzichtete auf ihre Selbständigkeit und entschied sich damals für den Weiterverbleib bei Bregenz, was eine Abstimmung der Stadtbewohner bestätigte.
Die Stadt trat bald nach 1945 – nach großen Kriegszerstörungen (72 Häuser) – nochmals in eine neue Wachstumsphase ein, die bis heute abgeschwächt andauert. Die Stadt hatte 1951: 20.277, 1971: 24.549, 1981: 26.438 Einwohner. Neue Industrien – bis 1960 acht Betriebe mit (1973) 1.685 Beschäftigten traten zu den 1.363 Beschäftigten der alten Betriebe (56). Sie erzeugten bedeutende Verdichtung in Rieden-Vorkloster, auf dem Ölrain und im Feldmoosgebiet. Weitere Förderung kam vom Fremdenverkehr, besonders angeregt von den 1946 begründeten Bregenzer Festspielen. Der zunehmende Bodenmangel führte seit den Sechzigerjahren zu starkem Hochhausbau, besonders in Vorkloster und Rieden. Traditionelle Quartiere wie das Weiherviertel oder das Dorf Rieden verschwanden. Aber die Zunahme der Arbeitsplätze schlug sich nicht mehr entsprechend in der Zunahme der Wohnbauten nieder, denn 44,7% der Arbeitsplätze – in der Industrie 48,1%, in Handel und Dienstleistungen 50,1% – gehörten auswärts Wohnenden (57). Die Enge zwischen Berg und See, die hohen Grundstückspreise und Lebenshaltungskosten, sowie andere Faktoren hemmten das Wachstum, das sich von Bregenz, dem Zentrum, deutlich auf die außerhalb liegenden Randgebiete einer größeren Wirtschaftslandschaft verlagert.
(56) A. RÖSER, B. als Industriestandort. Masch. phil. Hausarbeit, Innsbruck 1975, S. 38.
(57) RÖSER, a. a. O., S. 59.
Benedikt Bilgeri
Anmerkungen
(1) Zur Geologie: J. BLUMRICH, Der Pfänder, in: Jahresbericht d. Kommunal-Obergymnasiums B., 1904, S. III—XIV; DERS., Geologie d. Riedersteins und Oelrains in B., in: SchrrVGBodensee, 1921, S. 5–24; DERS., Die Feldmoosmulde in Rieden-B., in: Heimat, Dornbirn 1925, S. 46–48; DERS., Vorarlbergs Anteil am Bodenseeufer, in: Heimat, Dornbirn 1931, S. 37–44.
(2) S. JENNY, Die Münzfunde von Lauterach, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1881, S. 12; E. VONBANK, Vom ältesten Lauterach, in: Heimatbuch Lauterach, 1953, S. 7; DERS., Vor- und Frühgeschichte, in: K. ILG, Landes- und Volkskunde Bd. 2, 1968, S. 29; L. LEPUSCHITZ, Die Brücke über die B.er-Ach im Zuge der Reichsstraße B.-Arlberg, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1914, S. 3–9.
(3) B. BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, 1948, S. 21–23.
(4) A. HILD, Brigantium und seine Vorzeit, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1952, S. 28.
(5) HILD, a. a. O., S. 31.
(6) HILD, a. a. O., S. 30.
(7) HILD, a. a. O., S. 37.
(8) JENNY, Bauliche Überreste von Brigantium I, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1889, S. 10.
(9) JENNY, Bauliche Überreste von Brigantium II, in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1893, S. 4–5.
(10) BILGERI, Geschichte Vorarlbergs Bd. 1, 1971, S. 25.
(11) H. J. KELLNER, Die Zeit der römischen Herrschaft, in: Handbuch d. bayerischen Geschichte I, 1967, S. 50.
(12) K. SCHWERZENBACH, Geschichte der römischen Ausgrabungen in B., in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1906, S. 11; V. KLEINER, Fundbericht, in: Heimat, Dornbirn 1932, S. 151.
(13) Ammianus Marcellinus XV 4, 1–5 bei: E. HOWALD – E. MEYER, Die römische Schweiz, 1940, S. 142; Notitia dignitatum bei: HOWALD – MEYER, a. a. O., S. 132.
(14) E. STEIN, Die kaiserlichen Beamten und Truppenkörper, 1932, S. 83.
(15) R. KNUSSERT, Das römische Straßennetz im Allgäu, in: Westallgäuer Heimatblätter, 1965, Nr. 26, 27.
(16) VONBANK, Die römische Hafenmauer am B.er Leutbühl, in: Montfort, 1972, S. 256–259.
(17) Notitia dignitatum bei: HOWALD – MEYER (wie Anm. 13) S. 132.
(18) Jonas, Vita Columbani, in: MG. SS. rer. Germ, in usum schol., 1905, S. 211.
(19) H. LIEB – R. WÜTHRICH, Lexicon Topographicum der römischen und frühmittelalterlichen Schweiz Bd. 1, 1967, Artikel „Brigantium”.
(20) Urkunde vom 15. Mai 802, Stiftsarchiv St. Gallen, ediert im Urkundenbuch der Abtei St. Gallen I, hg. von H. WARTMANN, 1863, S. 154 Nr. 164.
(21) Walahfrid, Vita Galli, in: MG. SS rer. Merov. IV, hg. v. B. KRUSCH, 1902, S. 288.
(22) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 1.
(23) Wetti, Vita Galli, in: MG. SS rer. Merov. IV, hg. v. KRUSCH, 1902, S. 260.
(24) Walahfrid, Vita Galli, in: MG. SS rer. Merov. IV (wie Anm. 21), S. 282.
(25) Vita Sancti Magni (Stiftsbibliothek St. Gallen).
(26) Die Chronik des Klosters Petershausen, hg. v. O. FEGER. (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 3, 1956, 2. Aufl. 1978) S. 40.
(27) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 44.
(28) BILGERI, a. a. O., S. 41.
(29) VONBANK, Quellen zur Ur- und Frühgeschichte Vorarlbergs, in: Montfort, 1955, S. 129.
(30) VONBANK, Die römische Hafenmauer (wie Anm. 16) S. 256–259.
(31) Nach R. EGGER und HILD an der Stelle der Gärtnerei des ehemaligen St. Gallusstiftes an der Fluher Straße, s. HILD, Ein Alemannengrab in der Stadtpfarrkirche in B., in: Jahrbuch d. Vorarlbg. Museumsv., 1940, S. 25. Die öfters, aber ohne triftige Beweisführung vertretene Meinung, die Aureliakirche sei an Stelle der späteren Pfarrkirche St. Gallus zu suchen, ist abzulehnen. Nach Walahfrid (Vita Galli, wie Anm. 21, S. 289), der sich an die älteste Tradition aus dem frühen 8. Jh. hält, erbauten die Mönche ihre Hütten um die Aureliakirche („circa Oratorium mansiunculas sibi fecerunt”). Das waren etwa zwölf Leute, die nach Walahfrid in den folgenden drei Jahren einen Garten anlegten, Bäume pflanzten und Vieh hielten. Dies war am Ort der Pfarrkirche inmitten des Dorfes nicht möglich, wohl aber am St. Gallenstein, am Rande der B.er Flur. Die überlieferte Störung des B.er Vogelfanges durch die Glocke in der Kirche ist bei der St.-Gallus-Pfarrkirche schwer denkbar, denn dieser Vogelfang wurde sicher nicht bei den Häusern und Hofstätten, sondern im Gebüsch am Rande der Flur betrieben.
(32) Über die ältere Topographie der Oberstadt (Altstadt) vgl. BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 49–54.
(33) Mitteilung von Herrn Baumeister Arno GASSER.
(34) BILGERI, Rieden und Vorkloster, in: Alemannia, Dornbirn 1937, S. 123.
(35) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 105.
(36) BILGERI, a. a. O., S. 48.
(37) „Et quoniam prior cella quandam casellam iuxta possederat, …” (Chronik d. Klosters Petershausen, hg. v. FEGER, wie Anm. 26, S. 148).
(38) Der Familienname „Sehuser” reicht ins 13. Jh. zurück, vgl. BILGERI, B. Geschichte der Stadt, 1980, S. 29, 604.
(39) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 25.
(40) Mitteilung Dr. BITSCHNAU.
(41) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 604.
(42) Darüber BILGERI, Rieden und Vorkloster, wie Anm. 34, S. 123–183.
(43) K. SPAHR, Die romanische Basilika der Mehrerau in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung, in: Das Münster 18, 1965, S. 1–9; VONBANK, Die archäologische Untersuchung der romanischen Basilika in B./Mehrerau, in: Das Münster 18, 1965, S. 9–24.
(44) BILGERI, Rieden und Vorkloster, wie Anm. 34, S. 142.
(45) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 33.
(46) BILGERI, a. a. O., S. 37.
(47) Die Vermutung, das Maurach sei ein besonders altes Suburbium, nämlich die außerhalb der Burg liegende Handwerker- und Kaufmannssiedlung der Frühzeit, läßt sich nicht halten. Der Name Maurach ist kein Siedlungsname; die Gasse gehört seit je zur Vorstadt, ist – wie Stadt und Ried – verteilter gräflicher Boden. Es beherbergte im Gegensatz zur Stadt keine Grundbesitzer. Der Bedarf der Burg an Handwerkern war begrenzt und überdies in den Städten der Nachbarschaft noch besser zu decken.
(48) BILGERI, B. Eine siedlungsgeschichtliche Untersuchung, S. 90.
(49) BILGERI, a. a. O., S. 122.
(50) Urkunde vom 7. Februar 1491, Stadtarchiv B.
(51) O. SANDNER, B. und Umgebung, 1960, S. 19.
(52) So verlangte er am 21. Juni 1666 (Schaffbuch Nr. 77, Stadtarchiv B.) in der Oberstadt für einen Neubau einen offenen Bogen, also ein Laubenhaus, wie bei den dortigen Nachbarhäusern.
(53) Augspurgische Postzeitung 1783, Nr. 243.
(54) BILGERI, B. Geschichte der Stadt, S. 534.
(55) P. MEUSBURGER, Die Umsiedlung der Südtiroler Optanten nach Vorarlberg und ihre Eingliederung in Siedlung und Wirtschaft, in: Volkstum zwischen Moldau, Etsch und Donau. (= Ethnos Bd. 10, 1971) S. 248–256.
(56) A. RÖSER, B. als Industriestandort. Masch. phil. Hausarbeit, Innsbruck 1975, S. 38.
(57) RÖSER, a. a. O., S. 59.

 

 

Arcanum Newspapers
Arcanum Newspapers

See what the newspapers have said about this subject in the last 250 years!

Show me

Arcanum logo

Arcanum is an online publisher that creates massive structured databases of digitized cultural contents.

The Company Contact Press room

Languages