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Beiderseits der Traisen liegt in dem vom Flusse gebildeten ebenen Steinfeld in einer Höhe von 271m über dem Meeresspiegel die Stadt St. Pölten. Die Altstadt mit den nach Norden und Süden anschließenden Teilen des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die eingemeindeten Orte Spratzern und St. Georgen im Süden, Viehofen sowie Unter- und Oberradlberg im Norden, liegen auf dem linksseitigen westlichen Ufer, die Orte Ochsenburg, Altmannsdorf, Harland, Stattersdorf, beide Wagram, Ratzersdorf und Pottenbrunn auf dem rechten und werden in die Traisen entwässert, während die eingemeindeten Orte Waitzendorf und Witzendorf zum Flußgebiet der Pielach, Ragelsdorf und Weitern zum Einzugsgebiet des Fladnitzbaches gehören. Im Osten zählen die beiden Dörfer Zwerndorf und Pengersdorf zum Einzugsgebiet der Perschling. Der gesamte Stadtbezirk mit einer Fläche von 107,27 qkm zeichnet sich durch geringe Höhenunterschiede aus, hat aber nach Norden soviel Gefälle, daß die Entsorgung problemlos vonstatten geht.
Die natürliche Begrenzung des geographischen Gebietes von St. Pölten bildet im Südosten die Hügelkette der Flyschzone, die als Ausläufer des Wienerwaldes anzusehen ist, im Osten der Schildberg, im Nordosten der Grasberg bei Wasserburg und Ossarn, im Nordwesten der Dunkelsteinerwald als letzter Ausläufer der böhmischen Masse. Nach Westen hin ist die Stadt offen, denn im niederösterreichischen Voralpengebiet reiht sich ein Tal an das andere, die Wasserscheiden haben im Alpenvorland aber nur geringe Höhenunterschiede.
Geologisch ist das Alpenvorland aus Schlier aufgebaut, der einem tertiären Molassemeer entstammt und stellenweise über 260m mächtig ist. Als das Alpenvorland austrocknete, nagte die Urtraisen in der Rißeiszeit ein tiefes und breites Sohlental in den Schlieruntergrund, auf dem gewaltige Sand- und Schottermassen abgelagert wurden. Die älteren Eiszeitschotter lagern östlich der Traisen zwischen Ochsenburg und Pottenbrunn, während jüngere Schichten die Hochterrasse im Westen bilden, wo sie meist von Lehm überdeckt sind. Auf dem jüngsten Schotter, der in der letzten Eiszeit aufgeschütteten Niederterrasse, steht die Stadt (1). Durch diese Talgestaltung ist ihre Lage als langgezogene Bandstadt vorgezeichnet, während sie sich beiderseits des Flusses kaum zwei Kilometer nach Westen und Osten ausdehnt. Der westliche Rand der Hochterrasse ist teilweise besiedelt, im Norden durch die Stadtteile Eisberg und Kupferbrunn, während der übrige Teil seit hundert Jahren zum Schutz gegen die West- und Südwestwinde bepflanzt ist. Daran schließt sich fruchtbares Ackerland. Die östliche Hochterrasse wird überwiegend landwirtschaftlich genutzt.
(1) Die zahlreichen geologischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte im Raume St. P. sind nicht zusammengefaßt und meist nur in unveröffentlichten Berichten niedergelegt. Es gibt auch noch keine Neuauflage des Blattes St. P. der geologischen Karte Österreichs.
Der St. Pöltner Raum wird vorwiegend von der Traisen entwässert, die in den nördlichen Voralpen am Traisenberg entspringt und auch die Gölsen aufnimmt. Während ihr Einzugsgebiet im gebirgigen Teil 900 qkm umfaßt, hat sie im Alpenvorland kaum mehr Zuflüsse. Im Stadtgebiet von St. Pölten münden nur mehr der Harlanderbach und der Nadelbach ein. Die anderen kleinen Quellen, die entlang der westlichen Hochterrasse entspringen, werden in das Kanalnetz der Stadt aufgenommen. St. Pölten besitzt einen bedeutenden Grundwasserstrom aus dem Ötscherland, der im Gebiet von Pottenbrunn fast an die Oberfläche tritt. Dadurch ist eine ausreichende Wasserversorgung möglich, deren Hauptbrunnen derzeit im Gebiet von Harland und Brunn liegen. Die im Jahre 1927 erbaute Wasserleitung stützte sich ursprünglich auf Brunnen südlich von Spratzern. Im Gebiet von Pottenbrunn werden bedeutende Grundwassermengen zur Versorgung des westlichen Wienerwaldgebietes entnommen. Durch Schotteraushübe sind im Raum Ratzersdorf-Viehofen beiderseits der Traisen große Grundwasserseen entstanden. Durch das im Gebirge liegende Einzugsgebiet hat die Traisen eine relativ konstante Wasserführung, die im Stadtgebiet in zwei Mühlbächen, die bis zur Traisenmündung führen, genützt wird. Der Traisenfluß selbst ist dadurch infolge der starken Versickerung nach den Entnahmen im Brunnenfeld wasserarm. Die Kanalisierung ist weit fortgeschritten, es besteht ein Traisensammelkanal vom Ort Traisen bis zur Donaumündung mit einer Kläranlage östlich von Traismauer. Der Traisenfluß ist seit dem Jahre 1909 im Stadtgebiet von St. Pölten reguliert. Diese ursprünglich vom Nö. Landesausschuß durchgeführte Arbeit steht unter Aufsicht des Traisenwasserverbandes. Reguliert ist auch der Fladnitzbach, für den ebenfalls ein Abwasserverband besteht.
Der geographischen Lage entsprechend besaß St. Pölten immer eine günstige Straßenlage. Der Hauptstraßenzug führte schon zur Römerzeit von Westen durch das Alpenvorland nach Osten, verließ bei Melk die Donau und erreichte sie wieder im Gebiet von Tulln. In der Tabula Peutingeriana ist aber nur eine Straße über Traismauer eingezeichnet. Diese West-Ost-Straße wurde seit der Karolingerzeit wieder aktiviert, wie das Itinerar verschiedener Könige und Kaiser des Mittelalters zeigt. Erst später wurde die Straße über Sieghartskirchen und den Riederberg in das Wiental geführt. Sie wurde später als Poststraße und zu einer großen Kommerzialstraße ausgebaut. Eine dritte Straße führte über Böheimkirchen und Neulengbach nach Osten. Ihrem Verlauf folgte weitgehend die seit 1959 vollendete Westautobahn ebenso wie die in den Jahren 1856–1858 erbaute Westbahn. Die Nordsüdverbindung ist an Bedeutung wesentlich geringer als die Westoststraße, obwohl anzunehmen ist, daß schon in spätrömischer Zeit ein Übergang über die Donau sowie über die Pässe in das steirische Mürztal bestand.
Das Gebiet der unteren Traisen ist seit der Steinzeit Siedlungsgebiet. War dies schon durch Bodenfunde früherer Jahrzehnte bekannt, ist es durch den Bau der Schnellstraße S33 in den Jahren 1969 bis 1983 noch deutlicher dokumentiert worden. Anreiz für diese Besiedlung in Ur- und Frühzeit waren gute Lebensmöglichkeiten für Mensch und Tier. In der breiten, im Westen und Osten von sanften Höhen umgrenzten Tallandschaft waren Wasser, Schutzflächen und fruchtbare Böden in großem Maße vorhanden. Die Besiedlung des engeren Stadtgebietes von St. Pölten läßt sich ins mittlere Neolithikum (4. Jahrtausend v. Chr.) zurückführen (2). Auf der Terrasse des linken Traisenufers wurden bei der sogenannten Galgenleiten, wo der Nadelbach ins Traisental eintritt, Siedlungsplätze von Menschen der bemaltkeramischen Kultur gefunden: Wohngruben mit Vorratsgefäßen, Schüsseln, Teller und Löffel, Idolplastiken, steinernes Werkzeug.
(2) J. W. NEUGEBAUER, Führer durch die Schausammlungen des Historischen Museums der Stadt St. P, 1976, S. 9 ff. – DERS., in: Kat. Neue archäologische Funde im Traisental, St. P., Stadtmuseum, 1983, S. 6 ff.
Eine Siedlung aus dem älteren Abschnitt der jüngeren Steinzeit, dem 5. Jahrtausend v. Chr., wurde bei Pottenbrunn mit Gegenständen der Notenkopfkeramik, Pfostenspuren und 160 Gräbern mit einer Anzahl von datierten Funden entdeckt. Eine weitere neolithische Siedlung wurde in Oberndorf im Gebiet von Herzogenburg im Traisental ausgegraben. Dort fand man auch ein Brandgrab der klassischen Stufe der Glockenbecherkultur aus der Endzeit des Neolithikums. Aus der früheren Bronzezeit stammen Gräber und Pfostensetzungen aus der Gegend von Unterradlberg. Eine Siedlung aus der frühesten Bronzezeit nach dem Typus Gollensdorf (1800 v. Chr.) konnte im Gebiet von Ratzersdorf/Pottenbrunn nachgewiesen werden, wo auch ein Friedhof der Frühbronzezeit der Unterwölblinger Gruppe aus der Zeit 1700–1600 bestand. Er umfaßte 73 Hockerbestattungen aus etwa hundert Jahren. Besonders reiche Funde aus der Hallstattperiode stammen wieder aus dem Gebiet von Ratzersdorf/Pottenbrunn und der Galgenleiten. Aus der Latenezeit, der letzten vorrömischen Periode (200 v. Chr.), wurden das Grab eines Schmiedes mit Werkzeugbeigaben in St. Georgen am Steinfeld und eine bedeutende Nekropole der Frühlatènekultur in Ratzersdorf ausgegraben.
Der keltische Name des Flusses Tragisa ist auf einem römerzeitlichen Gedenkstein, der in einem Haus in St. Pölten eingemauert war, überliefert und bedeutet „der schnell Laufende”. Zur Römerzeit entwickelte sich im Gebiet des heutigen Stadtbereiches die Siedlung Aelium Cetium, die im 2. nachchristlichen Jahrhundert unter den Kaisern Hadrian (117–138) oder Antoninus Pius (138–161) den Stadtrang erhielt. Ein aus dem 3. Jahrhundert stammender Meilenstein in Nitzing bei Tulln machte diese Identifizierung wahrscheinlich, bevor im Zuge der Domrestaurierung von 1949 Funde die Existenz und annähernde Ausdehnung der Stadt nachwiesen (3). Römische Werkstätten wurden auch unter dem jetzigen Rathaus gefunden. Die Bedeutung von Aelium Cetium läßt sich aus Inschriften auf Grabsteinen in Karlstetten, St. Leonhard am Forst, Wels, Obergrafendorf und St. Pölten erkennen. Aus den überlieferten Zeugnissen sind die beiden Stadtrichter (Duumviri), der Gemeinderat, verschiedene städtische Priesterschaften und eine Handwerkerinnung zu ermitteln.
(3) G. WINKLER, Cetium, in: PAULY-WISSOWA, Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften, Suppl. XIV, 1974, Sp. 90 ff. – H. UBL, Die Antike im Bereich des nachmaligen Stiftes St. P., in: H. FASCHING, Dom und Stift St. P. und ihre Kunstschätze, 1985, S. 11 ff. – B. SARIA, Eine antike Bachregulierung in Cetium, St. P., in: Jahreshefte d. österr. arch. Institutes 41, 1954, S. 90 ff. – DERS., Ausgrabungen in St. P., in: UH 22, 1951, S. 108 ff.
Im heutigen Stadtbild ist die Römersiedlung teilweise noch erkennbar, denn der südwestliche Verlauf der Grenzgasse entsprach der spätantiken Ummauerung. Die Römersiedlung der Spätzeit dürfte nach Norden bis zur Parkpromenade, nach Westen bis zur Grenzgasse, nach Osten bis zum linken Traisenarm (jetzt Mühlbach) gereicht haben. Im Süden bildete ein Bach die Grenze. Der römische Friedhof befand sich an der Straße nach Lauriacum im Westen. Diese Römerstraße führte entlang den Randhöhen des Dunkelsteinerwaldes bis Melk, Marterl an der Stelle einstiger Meilensteine sowie die Steinbrücke bei Lanzing dokumentieren sie noch. Über die Geschichte der Römerstadt ist wenig bekannt, auch die Zeit ihrer Zerstörung nicht. Es ist aber sicher, daß eine Siedlung von der Antike bis ins Mittelalter im Bereich der Grenzgasse bestand. Ein Beweis dafür ist auch, daß im Jahre 1209 St. Pölten „in pago Ceciensi”, also im Gau Cetium lag (4).
(4) R. BÜTTNER, Aelium Cetium, Das Fortleben seines Namens im Mittelalter, in: Jahreshefte d. österr. arch. Institutes 40, 1953, Beibl. Sp. 185 ff. – A. KLAAR, Der Stadtgrundriß von St. P., in: UH 17, 1946, S. 118 ff.
Aus der Völkerwanderungszeit ist wenig bekannt, die Orts- und Flußnamen des Umlandes sind teils bayerisch, teils slawisch. Bayerische Ortsnamen sind in größerer Zahl am Südostabfall des Dunkelsteinerwaldes massiert, wo das Stift Kremsmünster um 777 Besitz erhielt, slawische Flußnamen finden sich im Südosten und Südwesten. Eine archäologisch ergrabene Slawensiedlung bestand bis zum Ende des 10. Jahrhunderts auf der Hochterrasse östlich von Pottenbrunn, um 985 siedelten Slawen in Böheimkirchen (5). Im 7. Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts errichteten unter fränkischer Oberhoheit stehende Bayern einen Stützpunkt. Die Brüder Adalbert und Ottokar, Herzöge von Burgund und Altbayern, vertrieben die Awaren, und Adalbert gründete ein Kloster, dem er Reliquien des seligen Märtyrers Hippolytus verehrte. Demnach wäre St. Pölten noch vor der Zeit Karls des Großen als ältestes Kloster östlich der Enns errichtet worden. Als Platz wurde der südliche Teil der Römerstadt unmittelbar neben der Nachfolgesiedlung gewählt. Östlich davon entstand eine befestigte Anlage, in der 799 Bischof Waltrich von Passau dem Grafen Gerold die Martinskirche von Linz übergab. Der Ort, in dem zu dieser Zeit auch eine Synode abgehalten wurde, hieß Treisma. Aus der Karolingerzeit sind die urkundlichen Nachrichten spärlich, doch dürfte unter dem Passauer Bischof Hartwig (840–866) das Kloster von Treisma in den Besitz des Hochstiftes Passau übergegangen sein, denn dieses hatte seit der frühen Karolingerzeit hier Besitz. Dieses „Territorium episcopatus Pataviensis ecclesiae” zu Treisma wird in den Jahren 823 und 828 bezeugt. Als im 9. Jahrhundert der Slawenbischof Wiching auf dem Berg Tabor bei Nitra in der Slowakei ein Benediktinerkloster gründete, wurde es von St. Pölten besiedelt. Auch Pöltenberg bei Znaim dürfte eine St. Pöltner Gründung des 9. Jahrhunderts sein. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde das Traisental wieder Grenzgebiet gegen das Großmährische Reich, von einem Edlen Heimo wurde im Grunzwitigau, wahrscheinlich auf der Traunleiten am Rande des jetzigen Stadtgebietes, eine Burg errichtet.
(5) M. HEUWIESER, Die Traditionen des Hochstiftes Passau. (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 6, 1930) Nr. 46. – H. FRIESINGER, Frühmittelalterliche Körpergräber aus Pottenbrunn, in: Archaeologia Austriaca 51, 1972.
Am 22. Juli 976, einen Tag nach der Nennung eines Babenbergers als Markgrafen der Mark Ostarrichi, erhielt das Bistum Passau von Kaiser Otto II. St. Florian, Kremsmünster und „Treisma beim Kloster des Hl. Hippolyth gelegen” bestätigt. Um 985, als der Bayernherzog Heinrich IV. Recht sprach über das Gebiet östlich von St. Pölten bis zum Wienerwald, wurde die „civitas Treisma” neuerlich in passauischem Besitz erwähnt. Das Benediktinerkloster wurde im 11. Jahrhundert durch die Passauer Bischöfe Beringer und Eigilbert, die im Totenbuch des Stiftes als neue Gründer bezeichnet werden, weil sie auch eine frühromanische Kirche bauten, vorerst in ein Kanonikerstift umgewandelt. Sie übergaben dem Kloster den Ort Treisma und beschränkten den Besitz des Bistums auf den als Fronhof bezeichneten Burgplatz, zu dessen Versorgung eine Dorfsiedlung mit etwa 30 Bauern im Gebiet der jetzigen Linzer Straße/Prandtauerstraße angelegt wurde. In das Urbar des Hochstiftes aus dem 13. Jahrhundert wurden diese, als Schüssellehen zu Küchendiensten und zur Lieferung von Öl und Holz verpflichtet, eingetragen (6).
(6) A. MAIDHOF, Passauer Urbare, Bd. I: Hochstift, 1933, S. 160 ff. – F. SCHRAGL, Geschichte des Stiftes St. P., in: FASCHING (wie Anm. 3), S. 16 ff.
Das Kanonikerstift verschaffte seinem Ortsteil zur Zeit Heinrichs III. um 1050 das Marktrecht, übte von der Klosterkirche aus das Pfarrecht aus, besaß das Begräbnisrecht auf dem vor der Kirche liegenden Friedhof und ließ neue Ortsteile, die Domgasse, die Klostergasse, die Herrengasse und die Kremser Gasse anlegen. St. Pölten dürfte 1058 schon das Marktrecht besessen haben, obwohl der Begriff „forum” in eine Urkunde Heinrichs IV. aus diesem Jahre nur eingefügt worden ist. Marktplatz war der Herrenplatz mit dem anschließenden, nach Osten hin reichenden, heute durch einen Häuserblock verbauten Platz. Um das Jahr 1050 wurde auch ein Neubau der Stiftskirche fertig und durch den Passauer Bischof Eigilbert geweiht. Die Apsis der Rosenkranzkapelle dürfte noch aus dieser Periode stammen. Während des Investiturstreites wandelte Bischof Altmann von Passau nach 1081 das Kanonikerstift St. Pölten unter dramatischen Umständen in ein reguliertes Augustinerchorherrenstift um.
Um 1100 ließ der Bischof von Passau auch eine ihm allein untertane Siedlung erbauen, deren Hauptstraße die Wiener Straße war, von der nach Süden Rippenstraßen abzweigen, wie die Lederergasse, die Alumnatsgasse, die Kugelgasse, die Schreinergasse (7). Zwischen diesem Straßenzug und der alten Dorfsiedlung im Westen wurden an der Stelle, wo der Weg aus Krems auf die Westoststraße traf, der jetzige Riemerplatz angelegt, um den sich Kaufleute ansiedelten. Der erste bedeutende Kaufmann St. Pöltens wird 1146 erwähnt, als er dem Kloster Heiligenkreuz 90 Mark Silber schenkte (8). Vertreter des Bischofs von Passau war ein Amtmann, mit dem das Kloster um 1125 wegen des Marktrechtes und zwei Drittel der Einkünfte daraus in Streit geriet. Der Propst übte auch die Gerichtsbarkeit aus, während dem Vertreter des Bischofs nur die Ahndung von Diebstahl und Frevel über seine Leute zustand. Der Bischof baute in den folgenden Jahrzehnten seine Stadtherrschaft aus; 1150 wurde die Vogtei über das Kloster dem Markgrafen Heinrich II. von seinem Bruder Bischof Konrad übertragen. Konrad verlieh am 3. Mai 1159 den Bürgern von St. Pölten ein Privileg, das als ältestes erhaltenes Stadtrecht Österreichs gilt (9). Des Bischofs Bürger in St. Pölten durften nicht mehr durch Feuer- und Wasserprobe, sondern nur mehr mittels Zeugenbeweises überführt werden, bei Klagen gegen Bürger durften Auswärtige nicht als Zeugen zugelassen werden. Damit war St. Pölten zu einer bischöflichen passauischen Stadt geworden, neben der dem Chorherrenstift seine Machtstellung verblieb.
(7) G. SEEBACH, Die mittelalterliche Nachfolgesiedlung der Römerstadt Aelium Cetium, in: Mitteilungsblatt d. Kulturamtes St. P. 24, 1975, S. 47 ff. – K. HELLEINER, Pfarre, Markt und Stadtherrschaft in St. P. Zur Kritik des Heinrichdiploms von 1058, in: MlÖG. Erg. Bd. 16, 1939, S. 89 ff.; KLAAR (wie Anm. 4). – DERS., Studien zum Plan der St. P.er Altstadt, in: Mitteilungsblatt d. Kulturamtes St. P. 19, 1970.
(8) GUTKAS, Ein St. P.er Kaufmann finanzierte den Kreuzzug des Markgrafen Heinrich II. im Jahre 1147, in: Mitteilungen d. Kulturamtes St. P., 1954, S. 36.
(9) HELLEINER, Österreichs ältestes Stadtrechtsprivileg, in: Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung. FS. der Stadt St. P., 1959, S. 49 ff.
Zu dieser Zeit wurde neben der Klosterkirche, der das Pfarrecht zustand, eine neue, 1133 der hl. Maria geweihte Kirche, die auf dem Domplatz stand, als „Leutkirche” errichtet. Auch die angebaute Klosterkirche wurde 1150 von Bischof Konrad von Passau geweiht. Davon ist die Westfassade der heutigen Domkirche noch vorhanden. Vor dem Jahre 1179 wurde ein romanischer Karner auf dem Domplatz erbaut, der bis 1786 im oberen Teil eine Andreaskapelle, im Untergeschoß zeitweise eine Leonhardskapelle beherbergte. Das Chorherrenstift konnte ebenfalls ausgebaut werden, als der Bischof zur Erweiterung einen Teil des Fronhofes zur Verfügung stellte (10).
(10) C. B. WÜHR, Archäologische Ausgrabungen im Kreuzgang, in: FASCHING (wie Anm. 3) S. 71 ff. – FASCHING, Domkirche St. P., Entdeckungen aus Romanik und Gotik in den letzten Jahren, in: Hippolytus N. F. 4, 1983, S. 5 ff. – M. SCHWARZ, Die Architektur der mittelalterlichen Klosteranlage, in: FASCHING (wie Anm. 3), S. 50 ff.
Dem Kloster gehörten die meisten Dörfer der Umgebung wie Witzendorf, Waitzendorf im Westen, Altmannsdorf und Wagram östlich der Traisen. Das Bistum Passau besaß hingegen in seiner Hofmark St. Pölten die Orte Hafing, Gerersdorf, Getzersdorf und Wernersdorf sowie östlich der Traisen Harland und Stattersdorf. Passauisches Lehen war auch die Feste Viehofen, die 1130 erstmals genannt wird. Zu deren kleiner Grundherrschaft gehörten die Orte Viehofen, Weitern und Ragelsdorf. Zentrum eines Rittergutes war das Schloß Ochsenburg im Süden, dem Ganzendorf und das Einzelhofgebiet am Ostufer der Traisen gehörten. Westlich der Traisen bestand der feste Hof der Harder im Steinfeld, ein Rittersitz, der später auch in den Besitz des Chorherrenstiftes St. Pölten überging, doch waren beide Kleinburgen von Lehensträgern der Altenburger im Traisental erbaut worden. Am bedeutendsten war die Burg Radiberg, die über dem Ort Unterradiberg vom hochfreien Grafengeschlecht der Formbach-Ratelnberger erbaut worden war. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts saßen aber nur mehr Burgvögte in Radiberg. Ein anderes hochfreies Geschlecht, dessen Angehörige mehrmals „Poto” hießen, gründete in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Pottenbrunn. Die Ritter, denen die Burg samt Kirchensiedlung St. Ulrich zustand, waren Ministeriale des österreichischen Herzogs. Eine ähnliche Ritterburg, das benachbarte Wasserburg, gehörte zwischen 1185 und 1270 dem Geschlecht der Wasserberger. Den Charakter des Traisentales und des St. Pöltner Raumes prägten im 12. Jahrhundert aber nicht nur die Stadtsiedlung, die Burgen und Dörfer, sondern auch Mühlen rechts und links der Traisen, die an den zu Mühlbächen ausgebauten Seitenarmen des Flusses entstanden waren.
Seit etwa 1190 ist in St. Pölten ein Stadtrichter bezeugt, der im Auftrage des Bischofs Recht sprach und der Bürgergemeinde vorstand. St. Pölten war damit eine Stadt im rechtlichen Sinne des Wortes und nach wirtschaftlicher Bedeutung. Davon zeugen der „Pöltinger Metzen” als Lokalmaß, Tuchmacher, die das „Pöltinger Tuch” auf dem Wiener Markt vertrieben, und verschiedene Händler.
In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfolgte eine Erweiterung der Stadt. Im Nordwesten wurde ein neuer Häuserblock um den großen rechteckigen Rathausplatz angelegt und mit der übrigen Stadt verbunden. Dieser hat an den Ecken im rechten Winkel einmündende Straßen, die Marktgasse als Verbindungsstraße zum älteren Teil zweigt in der Mitte ab. Dieses Gebiet wurde später Marktviertel genannt, weil seit dem 14. Jahrhundert dort ein Jahrmarkt um den Hippolyttag im August abgehalten wurde. Ein Brunnen in der Südostecke und ein Pranger in der Platzmitte waren Zeichen der Marktherrschaft, die bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts dem Propst des Chorherrenstiftes zustand. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts sind noch Reste in Althäusern zu erkennen, etwa im Erdgeschoß des Rathauses, wo sich das tiefere Niveau ebenso wie im Halbkeller der ehemaligen Stadtschule, Rathausplatz 6, feststellen läßt. Auch das Haus an der Ecke zur Heßstraße, in Urbaren des 14. Jahrhunderts „Hohes Haus” genannt, wies alte Teile auf, dort fand man eine Sparbüchse mit mehr als 1400 Münzen, meist österreichischem und steirischem Gepräge, aus der Zeit vor 1250 (11). Weiters gab es auf der südöstlichen Ecke des Rathausplatzes ein um 1250 im Auftrag des Bischofs von Passau durch Ortolf von Topel errichtetes festes Haus, eine kleine Stadtburg, während eine zweite dieser Art an der Ecke des Herrenplatzes stand. Auch im Süden wurde eine neue Häuserzeile um die Mitte des 13. Jahrhunderts angelegt. St. Pölten ist ab 1247 vom Bischof von Passau befestigt worden, dieses Befestigungsrecht wurde 1253 von Ottokar von Böhmen und 1277 von Rudolf von Habsburg bestätigt. Die Stadt mußte 1267 einen großen Brand überstehen, der das Kloster mit der Kirche zerstörte. Deren Neubau war schon 1228 abgeschlossen worden, nun mußte die Kirche, eine dreischiffige querschifflose Säulenbasilika, unter Verwendung der erhalten gebliebenen Teile wieder aufgebaut werden. Mittelschiff und Seitenschiffe wurden in gotischer Art mit Spitzbogen gewölbt.
(11) F. DWORSCHAK, Der Münzfund in St. P., in: Mitteilungsblatt d. Numismatischen Gesellschaft in Wien XV, 1923.
Innerhalb des Mauerringes hatte sich das städtische Gemeinwesen weiter entwickelt. Zu dem vom Stadtherrn eingesetzten Richter gesellten sich 1260 erstmals als Geschworene bezeugte Vertreter der Bürgerschaft. Wenig später, um 1290, ist das Stadtsiegel in Abbildung und 1299 im Original überliefert: Ein aufrecht stehender Wolf hält ein Pedum in der Tatze, die Umschrift lautet: „Sigillum civium de sancto Yppolito”. Seit 1277 stand dem Bischof laut königlichem Privileg auf den Gütern der Passauer Kirche in St. Pölten, Mautern und anderen Orten die Blutgerichtsbarkeit zu. Mit der Ausübung des Blutbannes wurde der Stadtrichter betraut. Zur gleichen Zeit sind die ersten Zechen genannt, die Ledererordnung von St. Pölten aus dem Jahre 1260 ist eines der frühesten Beispiele für den Zusammenschluß der Handwerker des gleichen Berufes in einer Stadt. Am Ende des 13. Jahrhunderts wird der deutsche Name St. lppoliten und St. Pölten üblich, nachdem die lateinische Form bei Weglassen des ursprünglichen Namens Treisma schon im 11. Jahrhundert vorgekommen war.
Bauwerke des späteren Mittelalters, vorwiegend der Gotik, sind im Stadtbild St. Pöltens relativ selten und verstecken sich meist hinter barocken Fassaden und späteren Umbauten. Sichtbare Bauwerke der Spätgotik sind der um 1400 entstandene Haupt- und südliche Nebenchor der Pfarrkirche in Pottenbrunn, der Chor der 1455 gegründeten Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters (jetzt Hauskapelle der Philosophisch-theologischen Hochschule) und Teile der Kirche von St. Georgen. St. Pölten galt um 1300 als bischöflich-passauische Stadt, doch waren die Herrschaftsrechte zwischen Bistum und Kloster geteilt. Im Jahre 1349 begann wegen der Auslegung des 1338 neu gefaßten Marktrechtes ein Streit, in dem es vorwiegend um das Marktrecht auf dem Breiten Markt ging. Um derartige Konflikte künftig zu vermeiden, wurde im Jahre 1365 eine Regelung ausgehandelt, die zwei Jahre später rechtskräftig wurde: Die gesamte Stadt mit Ausnahme des Teiles um das Kloster (begrenzt von Grenzgasse, Domplatz, Wiener Straße und Stadtmauer) bekam der Bischof, dem auch das Marktrecht und alle Gerichtsabgaben zufielen. Dem Chorherrenstift blieben die niedere Gerichtsbarkeit und die eigenständige Verwaltung seines Bezirkes, den man nun Klosterviertel nannte.
Das Bistum Passau verlor bald seine Rechte in St. Pölten wieder. Nach einer Doppelwahl 1387 übergab der österreichische Kandidat Georg von Hohenlohe die Stadt mit dem Gericht Friedrich V. von Wallsee-Enns. Zwar konnte Bischof Georg St. Pölten bald wieder zurückkaufen und darin residieren, als sich ihm Passau verschloß, doch wurde 1394 die Stadt neuerlich den Wallseern zu Enns verpfändet und erst 1427 wieder eingelöst. Nachdem 1435 der Passauer Bischof dem Reinprecht IV. von Wallsee St. Pölten neuerlich verkauft hatte, kam es in Teilkäufen 1461 und 1465 wieder an ihn zurück (12). Im Jahre 1481, als in Passau wieder eine Doppelwahl stattfand und sich St. Pölten dem Bischof Friedrich Mauerkircher anschloß, der Kaiser und Papst gegen sich hatte, verpfändete dieser die niederösterreichischen Besitzungen, darunter St. Pölten, um 10.000 ungarische Gulden dem König Matthias Corvinus. Dieser benützte die Stadt als militärischen Stützpunkt bei der folgenden Eroberung des Landes Niederösterreich. In seiner Hand blieb sie bis zum Jahre 1490 und erhielt von ihm ein Brückenmautprivileg, das bis zum Jahre 1888 eine Säule des Stadthaushaltes bildete, sowie einen Wappenbrief. In diesem wurde das Siegel des 13. Jahrhunderts wiederholt, der weiße Wolf mit dem Pedum in der Tatze steht im blauen Feld (13).
(12) GUTKAS, St. P. und die Herren von Wallsee, in: Kulturberichte aus NÖ., 1954, S. 17 f.
(13) DERS., Matthias Corvinus, Maximilian und die Passauer Besitzungen in Österreich, in: Jb. f. LKNÖ 38, 1970, S. 283 ff.
Während der Kämpfe zwischen Kaiserlichen und ungarischen Söldnern dürfte die Burg Radiberg zerstört worden sein, nur die Kapelle blieb erhalten. Nach dem Tode des Königs Matthias Corvinus im Jahre 1490 besetzte der Habsburger Maximilian St. Pölten und lehnte eine Auslösung durch den Bischof von Passau ab. Somit war die Stadt landesfürstlich geworden, behielt aber eine besondere Stellung und wurde nicht Mitglied der mitleidenden Städte und Märkte.
Während des 15. Jahrhunderts hatte sich St. Pölten gut entwickelt, es lebte vorwiegend von Handwerk und Handel, doch war die Bedeutung der Märkte nicht sehr groß. Die täglichen Märkte fanden auf dem Herrenplatz statt, Fleischbänke, Brottische und Fischtische gab es auch im östlichen Teil des Herrenplatzes, der „Chram” auf dem „Freithof” und auf dem Breiten Markt in Arkaden oder Buden. Bedeutender für das Wirtschaftsleben waren die wöchentlichen Viehmärkte und Körnermärkte. Die Jahrmärkte brachten die Stadt in Verbindung zur großen Welt. Der älteste aus dem Kirchweihfest hervorgegangene Jahrmarkt fand am Feste des hl. Hippolyt im August mit je zwei Wochen Freiung vorher und nachher statt. Seit 1451 besaß die Stadt einen zweiten Jahrmarkt in der Fastenzeit. Diese Jahrmärkte waren für den Handel mit langfristigen Investitionsgütern wie Kleidern, Tuchen oder Geschirr gedacht, sie erreichten aber nicht die Bedeutung der Messen von Krems oder Linz.
Grundlage der städtischen Verfassung des Spätmittelalters war das Stadtrecht des Passauer Bischofs Albrecht (von Sachsen-Wittenberg) von 1338. Neben dem Stadtrichter gab es zwölf Geschworene oder Räte, zu denen sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ein 24 Männer zählender „äußerer Rat” gesellte, dessen Mitglieder Genannte hießen. Die Stadt zählte etwa 250 bis 270, das Klosterviertel etwa 50 Häuser. Das Bürgerrecht war mit dem Hausbesitz verbunden, so daß etwa die gleiche Zahl von Personen, also weniger als 300, die Geschicke des Ortes bestimmten. Die Einwohnerzahl war etwa sechs- bis zehnmal so hoch, denn das spätmittelalterliche St. Pölten hatte wohl 2.500 Einwohner, das Klosterviertel etwa 500 Einwohner. Im Spätmittelalter waren auch eine Reihe von Zünften tätig, deren Namen und Rechte in das Stadtbuch eingetragen wurden. Es gab auch bescheidene Einrichtungen der Kranken- und Armenpflege. Um 1140 ist ein vom Kloster erhaltenes St. -Gilgen-Hospital entstanden und 1440 entschloß sich die Bürgergemeinde, ein Bürgerspital zu errichten, das bis 1460 im Ledererviertel erbaut wurde. Im Jahr 1539 übernahm die Stadt das Klosterspital als Bürgerspital. Seit dem 13. Jahrhundert bestand auf dem heutigen Europaplatz vor der damaligen Stadt ein Haus zur Absonderung der Leprakranken, das um 1500 in ein allgemeines Armen- und Siechenhaus umgewandelt wurde, in dem Kranke und alte Menschen Unterkunft und letzte Zufluchtstätte fanden (14). Das Augustinerchorherrenstift war im Spätmittelalter kulturell aktiv, wie Bauten, Skulpturen, Handschriften und Gemälde bezeugen. Auch bescheidene wissenschaftliche Bedeutung erlangte es. Zwischen 1375 und 1450 besuchten 40 St. Pöltner die Universität Wien, und einer von ihnen, Johannes Solber, Magister der freien Künste und Doktor der Medizin, war im Wintersemester des Jahres 1400 Rektor.
(14) HELLEINER, Zur Geschichte der Kranken- und Armenpflege in St. P., in: FS. 40 Jahre Krankenhaus St. P., 1935.
Das mittelalterliche Stadtbild von St. Pölten wurde am 29. Juni 1474 durch einen großen Brand stark verändert. Er äscherte einen erheblichen Teil der Stadt ein, auch Teile des Chorherrenstiftes wurden in Mitleidenschaft gezogen. Nur die Lederergasse und das Franziskanerkloster blieben unversehrt. Nach einem weiteren Brand, der 1512 von venezianischen Söldnern gelegt wurde, trug man den zweiten Turm der Stiftskirche ab. St. Pölten hatte im Jahre 1455 auch ein Franziskanerkloster bei der Maximiliankapelle in der unteren Landstraße erhalten, für das bis gegen 1500 eine große gotische Kirche erbaut wurde.
Nachdem Maximilian I. 1494 endgültig die Rückgabe der Pfandschaft St. Pölten an das Bistum Passau abgelehnt hatte, wurde die Stadt eine landesfürstliche genannt. Zum Ausdruck kam dies symbolisch im neuen Wappen, das König Ferdinand I. im Jahre 1538 der Stadt verlieh. Der gespaltene Schild hat auf der linken Hälfte den umgekehrten österreichischen Bindenschild, auf der rechten im blauen Feld den aufrecht stehenden passauischen Wolf, der aber kein Pedum in den Tatzen hält. Es ist das bis heute gültige St. Pöltner Stadtwappen (15). Der Übergang in landesfürstlichen Besitz brachte St. Pölten nach der Niederwerfung der ständischen Opposition in Niederösterreich im Jahre 1522 auch eine Normierung seines bisherigen Stadtrechtes. Burgfried und Marktrechte sowie das Brückenmautprivileg von 1488 wurden bestätigt und sogar erweitert, die Alten des Rates, wie man den Stadtrat nannte, sollten alle zwei Jahre aus der Bürgerschaft 32 Genannte oder äußere Räte wählen. Dieser äußere Rat hatte wieder im Laufe von zwei Jahren vier der 12 inneren Räte und alljährlich einen Stadtrichter zu bestellen. Im Türkenjahr 1529 wurde die Stadt nicht bedroht, die Frauenkirche beim Siechenhaus brannte ab und wurde nicht mehr erneuert.
(15) GUTKAS, Wappen, Fahne und Siegel der Stadt St. P., in: Monatsblatt Adler, Bd. 74, 1956, S. 58 ff.
Im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts wurden in St. Pölten erste Anzeichen des Protestantismus erkennbar, 1522 wurde ein Bürger vom Rat wegen evangelischer Reden bestraft. Das Chorherrenstift war aber noch eine feste Stütze der katholischen Religion, bis es um 1544 nur mehr schwach besetzt und bald nicht mehr in der Lage war, für die Frauenkirche einen Prediger zu stellen, das Franziskanerkloster scheint um 1570 völlig leer gestanden zu sein. Daher ging die Kanzel der Leutkirche um 1550 an evangelisch predigende Geistliche über, wodurch sich auch die Evangelisierung der Gemeinde vollzog. Adelige der Umgebung wie die Jörger auf Zagging, die Grabner auf Pottenbrunn und die Kirchberger auf Viehofen förderten die Verbreitung des evangelischen Glaubens. Die Evangelischen bedienten sich der bisherigen Pfarrorganisation, die Prediger blieben meist nur kurze Zeit, so daß die evangelischen Bürger den Gottesdienst in evangelischen „Gäukirchen” in Viehofen, Obergrafendorf oder Pyhra besuchten. Im Jahre 1563 wurde ein evangelischer Bürger Stadtrichter, für ein Jahrzehnt blieb die Führung der Stadt in den Händen der Evangelischen, zu denen sich die überwiegende Mehrheit der Bürger bekannte (16).
(16) A. SCHEIBLIN, Reformation und Gegenreformation in St. P, in: Jb. Ges. Gesch. Prot. 62, 1941, S. 5 ff., und 67, 1951, S. 67 ff.
Da die Städte von der Religionskonzession Maximilians II. von 1568 ausgenommen waren, setzte nach 1571 die Gegenreformation ein. Propst Georg Huber vom Chorherrenstift ließ im Jahre 1573 die Kirche sperren. Als die Bürger unter Führung des Stadtrichters die Türen aufbrachen, wurde der Prädikant vom Kaiser der Stadt verwiesen, der Richter seiner Ämter entsetzt und verhaftet. Im Jahre 1578 mußten sich 13 Bürger für die Haltung der Stadt verantworten. Später mußten die St. Pöltner einen katholischen Stadtschreiber anstellen und durften neue Bürger nur mit Zustimmung der Regierung aufnehmen. Zwar konnte 1589 nochmals eine radikale evangelische Gruppe die Mehrheit im Rat erlangen, doch schritt die Regierung immer härter ein, bis ab 1603 die Stadtvertretung ihrem Willen entsprach.
Während des 16. Jahrhunderts entwickelte St. Pöltens Stadtverwaltung eine bedeutende Aktivität im autonomen Bereich. Im Jahre 1503 wurde das passauische Amtshaus von den Bürgern erworben und zum Rathaus umgestaltet. In den folgenden Jahrzehnten wurde es vergrößert, mit einer einheitlichen Fassade versehen und in den Jahren 1571 bis 1591 auch ein Turm erbaut (17). Ein Erweiterungsbau für das bürgerliche Zeughaus und den Getreidekasten wurde im Hof errichtet. Als Symbol der Stadt wurde 1579 ein Stadtrichterschwert in Auftrag gegeben und zu dessen Ausschmückung Modelle Augsburger und Nürnberger Silberschmiede verwendet. Die Übernahme des Spitals vom Chorherrenstift im Jahre 1539 als Bürgerspital und die Führung einer deutschen Schule seit 1540 gehen ebenfalls in diese Richtung.
(17) HELLEINER, Zur Geschichte des St. P.er Rathauses, in: UH 7, 1934, S. 257 ff.
Wirtschaftliche Beteiligungen der Gemeinde wurden häufiger. Im Jahre 1582 erwarb die Stadt eine Mühle als Walkmühle für die Tuchmacher und eine zweite als Pulverstampfe. Sie betrieb in den Jahren 1579/88 eine Papiermühle und beteiligte sich am Ausbau eines Bergwerkes des Stiftes Lilienfeld. Im Jahre 1579 übernahm sie auch den Ziegelofen in Eigenregie und kaufte 1593 ein Bräuhaus. Seit der Mitte des Jahrhunderts waren die wichtigsten Straßen gepflastert (18). Große Bautätigkeit herrschte auch in den Schlössern der Umgebung. So wurde die Burg Pottenbrunn durch Sebastian Grabner, der 1505 in die Familie der Pottenbrunner eingeheiratet hatte, und seinen Sohn Georg erweitert und zum wohnlichen Renaissanceschloß umgestaltet. Die Fassade wurde nach italienischer Art gegliedert, unter dem Dach wurde über flachen Mauerbögen eine offene Galerie mit Steingeländer und Flachbogenarkaden errichtet. Auch die Ochsenburg dürfte umgebaut worden sein, nachdem sie 1530 vom Chorherrenstift St. Pölten an die Ritterfamilie Lassberger verkauft worden war. Wolfgang Hacker gestaltete nach 1535 den Hof in Hart zu einem Edelmannssitz um.
(18) BÜTTNER, Stadteigene Gewerbebetriebe vorwiegend des 16. Jhdts. in NÖ, in: Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung. FS. der Stadt St. P., 1959.
Am Schluß des 16. Jahrhunderts war St. Pölten Schauplatz des Endes des zweiten niederösterreichischen Bauernkrieges, der im westlichen Mostviertel ausgebrochen war. Die Bauernhaufen operierten ohne strategische Zielvorstellungen, versuchten, mit Kaiser Rudolf II. zu verhandeln, und waren bereit, mit ihnen weniger feindlich gesinnten Ständen einen Ausgleich zu finden. Diese ließen aber Söldner anwerben und am 4. April 1597 das bei Wilhelmsburg gesammelte und gegen St. Pölten gezogene Bauernheer zersprengen. Die nach Wilhelmsburg zurückgefluteten Bauernhaufen lieferten Rädelsführer aus und erschossen ihren Hauptmann Christian Haller. Einige Anführer nahmen sich selbst das Leben, andere Bauernführer wurden von den Siegern in ihren Heimatdörfern grausam bestraft (19).
(19) H. FEIGL, Der nö. Bauernaufstand 1566/97 (Militärhistorische Schriftenreihe 22, 1972).
In der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges zündete im Jahre 1621 eine Abteilung Söldner vor den Mauern stehende Scheunen an, das Feuer griff auf die Stadt über und richtete gewaltigen Schaden an. Am Beginn des Dreißigjährigen Krieges war in St. Pölten zur Bekämpfung der damals herrschenden Inflation eine kaiserliche Münzstätte eingerichtet worden. In dieser wurden durch drei Jahre Taler, Halbtaler und Kleinmünzen von verschiedenen Münzmeistern geprägt. Vom Krieg blieb die Stadt verschont, wenn auch im Jahre 1646 von den 252 Häusern 31 öde oder unbestiftet und schließlich bei Kriegsende 54 Häuser ohne bürgerlichen Besitzer waren. Man hatte seit 1630 immer wieder Soldaten ins Quartier nehmen und Verwundete pflegen müssen.
Am Ende des Dreißigjährigen Krieges war trotz der allgemein herrschenden Not in St. Pölten eine bedeutende Bautätigkeit zu verzeichnen. Schon 1643 wurde der Bau des Franziskanerklosters in der Wiener Straße begonnen und konnte innerhalb von sechs Jahren dank der Unterstützung des Stiftes Lilienfeld und des St. Pöltner Chorherrenstiftes durch die Baumeister Dominik Canaval und Johann Kipferling abgeschlossen werden. Auch das Chorherrenstift konnte unter Propst Johann Fünfleutner (1636–1661) das mittelalterliche Klostergebäude abreißen und neu aufbauen lassen. Die Bauten um Kreuzgang, Binderhof und Brunnenhof entstanden damals und wurden 1650 fertiggestellt. Auch die Kirche wurde neu ausgemalt, architektonisch aber wenig verändert. Angeschafft wurde auch das Hochaltarbild Maria Himmelfahrt. Propst Fünfleutner ließ auch eine Ansicht des Stiftes malen, auf der man die neuen Anlagen, aber auch noch die alte Leutkirche mit dem romanischen Karner und der Leonhard- und Andreaskapelle sehen kann. Diese Kirche war aber für die Chorherren ein Stein des Anstoßes, weil sich mit ihr die protestantische Tradition der Bürger verband. Nachdem sie 1667 neuerlich abgebrannt war, ließ sie Propst Christoph Müller von Prankenheim im Jahre 1689 abtragen, um mit dem Material den Domturm zu erhöhen. Die Gottesdienste der Pfarre wurden schon seit den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts in der Domkirche abgehalten.
Die Herrschaft Pottenbrunn wurde nach der Auswanderung des Friedrich Christoph Grabner im Jahre 1619 von seiner Mutter Margarete ihrem Verwandten Hans Jörger übertragen. Nach der Konfiszierung des Jörgerschen Besitzes konnte Pottenbrunn von Hans Max Jörger eingelöst werden. Dieser lebte als evangelischer Landadeliger in Pottenbrunn, seine Nachfolger ließen vor 1672 das neue Schloß erbauen und beide Bauwerke mit einem Wassergraben umgeben. Auch bei anderen Schlössern und Edelsitzen rund um die Stadt waren Besitzerwechsel erfolgt. In Viehofen ist nicht ganz klar, wer Bauherr des neu gestalteten Schlosses war, in Ochsenburg, beim Teufelhof und beim Schwaighof wurde das Chorherrenstift am Ende des 17. Jahrhunderts Eigentümer und Bauherr.
St. Pölten blieb im Pestjahr 1679 von der Epidemie weitgehend verschont, hatte hingegen in diesen Jahren unter Bränden zu leiden. Im Jahre 1657 hatte ein Großbrand 30 Häuser des Klosterviertels vernichtet, und im Herbst 1669 fielen dem Feuer 33 Objekte zum Opfer. Den Tiefpunkt erlebte die Stadt aber am 11. Juni 1677, als wieder ein Feuer ausbrach, dem 139 Häuser, unter ihnen auch das Rathaus, zum Opfer fielen. Wie Stadt und Kloster vorher ausgesehen haben, ist auf drei Stichen erkennbar. Einen gestaltete Matthäus Merian im Jahre 1649, zwei lieferte im Jahre 1672 Matthäus Vischer. Auf den Ansichten ist die Stadt von Westen zu sehen. Zu dieser Zeit lag vor der Stadt bereits eine Schießstätte. Denn der bedeutendste Verein dieser Zeit war die Schützengesellschaft, die 1540 zum erstenmal genannt wird und lange Zeit ihre Schießstätte innerhalb der Stadtmauern hatte. Seit 1617 lag diese aber vor dem Wiener Tor und wurde 1696 dort neu errichtet, wo jetzt die Stadtsäle stehen. Neben der Schützengesellschaft entwickelte sich zur Verteidigung der Stadt ein nach den vier Vierteln gegliedertes Bürgerkorps.
Immer häufiger kauften Adelige bürgerliche Häuser und richteten sich Zweitwohnsitze ein. Zwar mußten die neuen Besitzer aufgrund der Stadtordnung von 1549 und 1650 sich zum Bezahlen der bürgerlichen Steuerlasten verpflichten, doch gab es mancherlei Beschwerden (20). Zwistigkeiten waren auch zwischen den beiden Herrschaften, dem Magistrat und dem Chorherrenstift nicht selten. Nach 1670 waren unter den Pröpsten Patricius Zeller und Christoph Müller von Prankenheim Konflikte ausgebrochen, die erst 1697 endeten, als zwischen der Stadt und dem Chorherrenstift die Jurisdiktionsgrenzen innerhalb der Stadt neu gekennzeichnet wurden.
(20) V. LUTZ, Stadt und Herrschaft St. P. 1491–1785 (Veröffentlichungen d. Kulturamtes St. P., 1975).
Im Stadtbereich hat das Türkenjahr 1683 wenige Veränderungen hinterlassen. Zwar verbrannten die Tataren das Siechenhaus vor dem Linzer Tor und den Schwaighof im Süden, auf die Stadt wagten sie aber keinen Angriff. Die Reiterscharen sammelten in einem Lager auf dem Steinfeld Beute und Gefangene, bis sie anfangs August abziehen mußten, als die kaiserlichen Truppen das westliche Niederösterreich zu beherrschen begannen. In der von Flüchtlingen überfüllten Stadt starben viele Menschen, in die Totenbücher wurden 495 Personen eingetragen. Nach Abwendung der Türkengefahr stiftete die Bürgerschaft ein Votivbild in die Wallfahrtskirche auf dem Sonntagberg, das siebzig Jahre später durch ein heute noch bestehendes ersetzt wurde (21).
(21) HERRMANN, Geschichte der landesfürstlichen Stadt St. P., Bd. I, 1917, S. 605. – Katalog Staat und Kirche in Österreich. Von der Antike bis Joseph II., 1985, Nr. 13.5
Der Sieg auf dem Kahlenberg und die Beendigung der Türkennot lösten eine große Bautätigkeit aus. In St. Pölten lebte seit dem Jahre 1692 der aus Stanz bei Landeck in Tirol zugewanderte Jakob Prandtauer, der zuerst als Bildhauer auf Schloß Thalheim gearbeitet hatte und sich im Klosterviertel als Maurermeister niederließ. Der Propst des Augustinerchorherrenstiftes gab ihm den Auftrag zum Aufbau des Domturmes, zur Umgestaltung des Schlosses Ochsenburg und zur Errichtung des Schwaighofes südlich der Stadt. Er entwarf aber auch Brücken über die Nebenflüsse der Donau für die niederösterreichischen Stände. Zu Prandtauers Auftraggebern gehörten die Stifte Herzogenburg, Melk, Seitenstetten, Kremsmünster, St. Florian und schließlich wieder das Chorherrenstift St. Pölten. Prandtauer wollte dem frühbarocken Klostergebäude ein zweites Obergeschoß aufsetzen, die Domkirche sollte mit einer monumentalen Schaufassade versehen werden. Von diesen Plänen konnte 1722 nur die Umgestaltung der Kirche begonnen und im Inneren vollendet werden, denn eine finanzielle Katastrophe beendete die Arbeiten. Propst Michael Führer hatte 378.000 Gulden Schulden gemacht, wurde deshalb beim kaiserlichen Hof verklagt und im Jahre 1739 abgesetzt (22). Man konnte mit Mühe die aufgelaufenen Kosten begleichen, nur in der Kirche wurden die Arbeiten abgeschlossen, wobei neben dem Architekturmaler Antonio Tassi, Daniel Gran und Friedrich Gedon Deckenfresken und Gemälde schufen, während den plastischen Schmuck Friedrich Schletterer und Peter Widerin herstellten. Prandtauer hat auch den Bau von Kirche und Kloster der Karmeliterinnen baulich überwacht, die Pläne wurden von einem Facharchitekten des Ordens hergestellt. Sein Nachfolger Josef Munggenast baute ebenso in St. Pölten wie seine Söhne Franz und Matthias sowie der aus dem Waldviertel zugewanderte Josef Wissgrill. Neben diesen schufen aber auch weniger bekannte Maurermeister und Poliere städtische Bauten. Träger dieser Bautätigkeit waren neben der Kirche vorwiegend Adelige. Im Jahre 1706 erhielten die Englischen Fräulein trotz des Widerstandes der Bürger von Kaiser Joseph I. die Bewilligung zur Niederlassung und errichteten ein neues Haus in der Linzer Straße. Die Fürstin Maria Antonia Montecuccoli ließ auf dem Rathausplatz ein Stadtpalais erbauen und finanzierte die Errichtung des Karmeliterinnenklosters. Neben dem an der Stelle von sechs Bürgerhäusern und einer Brandstätte in den Jahren 1706 bis 1725 erbauten Frauenkloster in der heutigen Prandtauerstraße konnte der Karmeliterorden seit 1757 einen Konvent am Nordrand des Rathausplatzes errichten, für den bis 1779 ein Klostergebäude samt Kirche gebaut wurde (23).
(22) FASCHING, Auseinandersetzung zwischen Konvent und Propst im Stift St. P. 1722, in: Hippolytus N. F. 6, 1984, S. 3 ff.
(23) H. WAGNER (Hg.), Barockstadt St. P., 1947. – J. KRONBICHLER, Friedrich Gedons Arbeiten im Dom von St. P., in: Hippolytus N. F. 4, 1983, S. 38 ff. – DERS, Die künstlerische Ausstattung von Dom und Stift, in: FASCHING (wie Anm. 3), S. 97 ff. – E. KNAB, Daniel Gran, 1977.
Seit dem Türkenjahr 1683 wurde St. Pölten wieder im Jahre 1741 durch eine feindliche Invasion bedroht, als im Sommer Franzosen und Bayern unter dem Kommando des Kurfürsten Karl Albert bis zur Traisen vorrückten, die Stadt 16 Tage lang besetzt hielten und hohe Kontributionen forderten. Vor ihrem Abzug brannten sie die erst zehn Jahre zuvor erbaute Holzbrücke über die Traisen ab. Die Stadt entwickelte sich ansonst wenig. Zwar konnte man seit 1703 einen Getreidewochenmarkt abhalten, und 1753 wurde das Kreisamt für das Viertel ob dem Wienerwald errichtet. Im Jahre 1747 wurde die Stadtverwaltung von der Landesregierung überprüft und so reformiert, wie sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbleiben sollte. In diesen Jahren versuchte man vergeblich, das Schulwesen zu verbessern. Die Englischen Fräulein hielten vor allem Unterricht für adelige Mädchen, deshalb bewilligte die Bürgerschaft im Jahre 1745 die Ansiedlung der Piaristen. Als diese 1776 nach Krems übersiedelten, wurde die dortige Hauptschule nach St. Pölten verlegt und durch einen Lokalschulfonds erhalten. Sie wurde im Haus Nr. 6 des Breiten Marktes untergebracht. Das wissenschaftliche Leben konzentrierte sich um das Chorherrenstift, das im Bibliothekar Raimund Duellius (1693–1769) einen gelehrten Mann besaß, der bedeutende Werke schuf. Zur gleichen Zeit war der Chorherr Aquilin Hacker Pfarrer in Obergrafendorf und schrieb einige Bände Manuskripte zeitgeschichtlichen Inhalts.
Das politische und soziale Gefüge St. Pöltens wurde durch die Reformen Kaiser Josephs II. stärker verändert als das anderer Städte Österreichs (24). Die erste Klosteraufhebung des Jahres 1782 traf das Karmeliterinnenkloster, im folgenden Jahr auch den Karmeliterkonvent. Im Jahre 1784 hob der Kaiser das Augustinerchorherrenstift auf, um für den Bischof von Wiener Neustadt, der 1785 nach St. Pölten versetzt wurde, Platz zu schaffen. Damit wurde St. Pölten kirchlicher Vorort für die beiden westlichen Landesviertel Niederösterreichs.
(24) GUTKAS, Die Auswirkungen der josephinischen Reformen auf die Stadt St. P, in: Jb. f. LKNÖ N. F. 52, 1986, S. 84 ff. – G. WINNER, Die Klosteraufhebungen in Niederösterreich und Wien, 1967.
Zur Zeit Josephs II. erhielt St. Pölten seine erste Fabrik, eine Garnison, ein Gymnasium und eine neue Form der Gemeindeverwaltung. Die älteste Fabrik wurde 1786 von Christian Friedrich Reinke an der Stelle der Judenhofmühle und in Häusern innerhalb der Stadtmauer errichtet und verarbeitete Baumwollgarne, die von Heimarbeitern des Mühlviertels gesponnen worden waren, zu Tuchen. Später baute sie das Arbeiterwohnhaus „Neugebäude” östlich des Wiener Tores.
Im Jahre 1787 wurde das Regiment Pellegrini Nr. 49 in das leere Karmeliterinnenkloster eingewiesen. Das ehemalige Piaristenhaus in der Rathausgasse wurde ebenfalls Kaserne, die Barbarakapelle vor dem Linzer Tor Pulvermagazin, in der Mariazeller Straße wurde ein Militärfriedhof und im Siechenhaus ein Lazarett eingerichtet. – Ebenfalls 1787 wurde als Ersatz für die nach Krems abgewanderte Lateinschule der Piaristen das Melker Stiftsgymnasium nach St. Pölten verlegt und im Karmeliterkloster, das jetzt die Franziskaner bewohnten, untergebracht, doch wanderte es 1804 wieder nach Melk zurück.
Im Jahre 1785 beseitigte ein Hofdekret Josephs II. die alte Ratsverfassung und stellte an die Spitze der Stadt einen aus fünf Personen bestehenden Magistrat. Die Verwaltung leitete ein Bürgermeister, neben ihm gab es drei Magistratsräte und einen juristisch geprüften Syndikus. Diese Obrigkeit wurde bis 1806 durch einen zwanziggliedrigen Bürgerausschuß gewählt, dann von der Landesregierung ernannt.
Als 1797 die französischen Heere unter Napoleon Bonaparte in der Steiermark vordrangen, wurde ein allgemeines Aufgebot erlassen, für das sich 30 St. Pöltner freiwillig meldeten. Im Jahre 1800/01 kamen die Franzosen bis zur Erlauf, im November 1805 rückten Napoleons Truppen auf dem Weg nach Wien in St. Pölten ein und blieben bis 26. Jänner 1806. Im Mai 1809 kam Napoleon an der Spitze seiner Truppen neuerlich nach Österreich. Nun blieb die Besatzung über ein Jahr lang. Ein Lazarett wurde geschaffen, die Einquartierungen häuften sich, und eine Gendarmerieabteilung kontrollierte das Umland. Dreizehn Niederösterreichern wurde am 19. Juni 1809 im Rathaus wegen Aufruhrs gegen die Besatzungstruppen der Prozeß gemacht, vier Beschuldigte wurden hingerichtet.
St. Pölten als kleine Kreisstadt dieser Jahre schildert der erste St. Pöltner Stadtphysikus Dr. Franz Strohmayr in seinem 1813 erschienenen „Versuch einer physisch-medizinischen Topographie von der landesfürstlichen Kreisstadt St. Pölten in Niederösterreich”. Die Tore standen noch, Türme und die doppelte Ringmauer waren intakt, im Stadtgraben wurde Gemüse gezogen. Innerhalb der Stadt gab es stattliche Gebäude, der Friedhof war 1779 vor die Stadt verlegt worden. Die Mehrzahl der Bewohner waren Gewerbetreibende für den Lokalbedarf, die Landwirtschaft spielte eine bedeutende Rolle, neben der Zitz- und Kattunfabrik gab es einige Jahrzehnte auch eine Steingutfabrik. Andere kleine Fabriken standen in Stattersdorf und Wagram (Papier) sowie in Viehofen (Spiegel). Einige Adelige, Beamte und drei Doktoren der Medizin bildeten mit den Offizieren der Garnison und dem Klerus des Bistums die Spitze der sozialen Hierarchie. Schloß Pottenbrunn war ein Ziel von Sonntagsausflügen, seit Johann Anton Graf Pergen (1782–1816) den Schloßpark nach englischer Art hatte umgestalten lassen und ihn öffentlich zugänglich gemacht hatte. Nach 1833 wurde das Hauptschloß im romantischen Sinne umgebaut und mit einem zinnengekrönten Turmhelm versehen. Die anderen Schlösser des St. Pöltner Raumes hatten sich wenig verändert. Ochsenburg war nun Sommersitz des Bischofs. Franz Schubert weilte im Herbst 1821 als Gast des Bischofs Johann Dankesreither in St. Pölten und komponierte hier und in Ochsenburg die ersten beiden Akte der Oper „Alfonso und Estrella”. Seit 1815 bestand ein Musikverein, der einige Akademien durchführte, im Jahre 1837 wurde ein neuer Gesangs- und Musikverein gegründet, der bis zum heutigen Tag besteht. An der Stelle des ehemaligen militärischen Stockhauses auf dem Breiten Markt wurde 1820 ein Stadttheater errichtet. Zu dieser Zeit gab es eine Buchdruckerei, die Franz Lorenz in der Kremser Gasse im Jahre 1782 errichtet hatte. Dort erschien von Mai 1848 bis März 1849 die Wochenzeitung „Das Traisenblatt”, das über die Ereignisse des Revolutionsjahres berichtete (25).
(25) H. MAY, Das Jahr 1848 in St. P., masch. phil. Diss. Wien 1948.
Dauerndes Ergebnis des Jahres 1848 blieb die Bildung der Ortsgemeinde durch Zusammenlegung der ehemaligen Stadt mit dem Klosterviertel. Eine Gemeindevertretung wurde 1850 gewählt, verschiedene staatliche Ämter, welche Funktionen der aufgehobenen Grundherrschaften übernahmen, wurden errichtet: Bezirks- und Landesgericht, Steueramt und Bezirkshauptmannschaft. So wurde St. Pölten ein wichtiger Verwaltungsmittelpunkt Niederösterreichs und begann seinen Aufstieg zum zentralen Ort. Die Gemeinde erstreckte sich aber nur über die Katastralgemeinde St. Pölten. Rund um die Stadt wurden eine Reihe kleiner Ortsgemeinden gebildet: Pummersdorf, Spratzern, Stattersdorf, Viehofen, Mamau, Gerersdorf, St. Georgen, Pottenbrunn und Radiberg.
Im Jahre 1856 wurde mit dem Bau der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn begonnen, die in zwei Jahren fertiggestellt werden konnte. Am 20. Oktober 1858 fuhr der erste Zug in den Bahnhof ein. In den nächsten Jahrzehnten wurde St. Pölten ein Eisenbahnknotenpunkt. Neben der Bahn entstand ein Telegraph, die Post erhielt steigende Bedeutung. Die Gemeinde ließ den Stadtgraben parzellieren und die restlichen noch stehenden Tore abtragen. Eine Gasbeleuchtung, eine Kanalisation wurden errichtet, 1853 eine militärische Erziehungsanstalt (Unterrealschule), 1854 eine Sparkasse, 1856 ein Krankenhaus, 1863 eine Oberrealschule und 1878 ein Obergymnasium gegründet. In diesen Jahren entstanden neue Vereine, im Jahre 1863 ein Turnverein, aus dem 1867 die Freiwillige Feuerwehr hervorging, politische Vereine und Wochenzeitungen wurden gegründet. Dem Bau einer großen Volks- und Bürgerschule auf dem Schillerplatz 1875 folgte 1876 der des Landeslehrerseminares am Südende der Stadt. Zum Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs wurde im Jahre 1888 im Westen der Kaiserwald angepflanzt, Landwehrkasernen wurden gebaut, die Gebäude der Stadtsäle auf dem Gelände der alten Schießstätte errichtet und schließlich im Norden der Stadt im Jahre 1895 ein modernes Krankenhaus eröffnet.
Gleichzeitig wurde St. Pölten immer mehr Industriestadt (26). Die josephinische Manufaktur wurde im 19. Jahrhundert durch andere Betriebe abgelöst, schließlich entstand 1870 dort die Revolverfabrik und Weicheisengießerei des Leopold Gasser. An den Wehrbächen der Traisen wurden in Harland, Stattersdorf, Wagram und Viehofen Mühlen und Kleinbetriebe zu Fabriken, aus einer kleinen Börtelfabrik entstand die Schüllerfabrik, 1882 wurde die Kerzen- und Seifenerzeugung des Josef Benker in das Neugebäude verlegt. Die Trennung von Gewerbeausübung und Handel führte zur Gründung von Geschäftslokalen in den Hauptstraßen, zur Auflassung von Jahrmarkt und Pflastermaut. Die Entwicklung zum Wirtschaftszentrum brachte ein Ansteigen der Einwohnerzahl: Im Jahre 1869 betrug sie 7.768, im jetzigen Stadtgebiet lebten 13.500 Menschen. Bis zum Ende des Jahrhunderts war die Bevölkerung auf 14.535 (24.300) Menschen und bis 1910 auf 21.505 (35.000) angestiegen. Die Ursache des neuerlichen raschen Wachstums nach 1900 war die Gründung der Maschinenfabrik J. M. Voith, die Errichtung der Ersten Österreichischen Glanzstoff-Fabrik und der Bau einer Hauptwerkstätte der Staatsbahnen. Auch im Umland der Stadt wurden Betriebe in Harland, Stattersdorf, Wagram, Viehofen und Radiberg ausgebaut. Die damit verbundene Zuwanderung forderte einen verstärkten Wohnungsbau und die Errichtung neuer Kommunaleinrichtungen. Es wurden ein Verein zur Erbauung billigerer Wohnungen geschaffen, zwei neue Volksschulen im Norden 1905/06 und Süden 1909/10 gebaut, die Kanalisation erneuert. Auch die Sozialstruktur der Dörfer rund um die Stadt verschob sich. Bestanden schon vorher Schulen in Pottenbrunn, St. Georgen, Viehofen und Stattersdorf, so wurden nach dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 neue Volksschulen in Harland, Ratzersdorf und Radiberg gegründet und neue Schulbauten errichtet. St. Pölten war durch Lehrerbildungsanstalt, Gymnasium und Bürgerschule zentraler Standort des gehobenen Schulwesens geworden. Im Zuge dieser Wandlungen entstanden auch soziale und politische Probleme. Seit dem Jahre 1886 gab es in St. Pölten eine sozialistische Arbeiterbewegung, auch die politische Formierung des Kleinbürgertums und der Bauern erfolgte in den achtziger Jahren und fand bei Wahlen in die Gemeindevertretung bald ihren Niederschlag. Bei der Modernisierung und Organisation der niederösterreichischen Landwirtschaft hatte der St. Pöltner Raum großen Anteil. Hier entstand 1862 der erste Landwirtschaftliche Vorschußverein und 1899 eines der ersten Lagerhäuser Österreichs.
(26) BÜTTNER, St. P. als Standort industrieller und großgewerblicher Produktion seit 1850. (Veröffentlichungen d. Kulturamtes St. P., 1972).
Während des Ersten Weltkrieges war St. Pölten ein wichtiger Ausbildungsplatz, von dem Hesser, Kopaljäger, Landwehrsoldaten und der Landsturm ins Feld zogen, die hier Ersatztruppenteile hatten (27). Neben dem Truppenspital entstanden Baracken eines Reservelazarettes. Die Industrien wurden für den Kriegsbedarf herangezogen. Nach Ausbruch des Krieges mit Italien wurde 1915 die Torpedofabrik Whitehead aus Rijeka nach St. Pölten verlegt, in Spratzern wurde ein Barackenlager zur Unterbringung von Kriegsgefangenen erbaut – der Russenfriedhof bei St. Georgen erinnert noch daran. Im Süden schloß sich an dieses Lager eine Werkstätte für Geschützprotzen und Munitionswagen an, die dem Wiener Arsenal unterstand. Gleich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als die Sozialdemokraten die Führung der Gemeindegeschäfte von den Liberalen übernahmen, wurden eine Fülle neuer Projekte begonnen, um die Stadt in sozialer Hinsicht den Zeiterfordernissen anzupassen. Man gründete 1922 eine Wohnbaugenossenschaft, errichtete 1927 eine Wasserleitung mit einem Brunnenfeld im Steinfeld südlich von Spratzern, baute das Krankenhaus aus und machte die Straßen staubfrei. Es gab aber zu wenig Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung, zu der auch ausgewiesene Eisenbahnarbeiter aus Gmünd kamen. Für die Zuwanderer wurden die Baracken des Reservelazaretts und des Kriegsgefangenenlagers Spratzern als Wohnungen verwendet, am Stadtrand entstanden Notsiedlungen, doch wurde auch der Bau neuer Wohnungen begonnen. Neben der Gemeinde errichtete die Wohnungsgenossenschaft Wohnhäuser und Siedlungen im Süden und in Wagram. Die Bevölkerung betrug im Jahre 1923: 31.567, im Jahre 1934: 36.247, im jetzigen Stadtgebiet lebten 40.871 bzw. 44.433 Menschen. Die Eingemeindung des Jahres 1922 hatte 5.000 Bewohner der Orte Spratzern mit Teufelhof im Süden, Viehofen im Norden und Wagram am Ostufer der Traisen betroffen, die in den Stadtbereich einbezogen wurden. Die Stadt erhielt mit Landesgesetz vom 22. Februar 1922 ein eigenes Statut. Eine weitere Vergrößerung des Stadtbereiches erfolgte am 15. Mai 1939, als im Norden Radiberg und Ratzersdorf, im Osten Stattersdorf und einige Ortschaften der Gemeinde Pyhra mit Harland als Zentrum und einige weitere Ortschaften im Süden mit insgesamt 3.353 Bewohnern eingemeindet wurden. Der Stadtbezirk wuchs auf 70 qkm, die Einwohnerzahl stieg einschließlich Militär auf 44.000.
(27) Katalog der Ausstellung 200 Jahre Garnison St. P., 25 Jahre österr. Bundesheer, Hist. Museum St. P., 1982.
Die Betriebe zwischen St. Georgen und Spratzern wurden 1922 von den österreichischen Bundesbahnen übernommen, die Whitehead-Werke konnten keine Friedensproduktion finden und wurden eingestellt, andere Neugründungen wie eine Zündholzfabrik Orion in Wagram waren kurzlebig. Mit der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 kam das Ende anderer bedeutender Betriebe wie der Viehofener Spitzenfabrik, der Papierfabrik Elbemühl in Wagram, der Gasser-Werke; die Glanzstoff-Fabrik stand einige Jahre still, die Voith-Werke und die Eisenbahnwerkstätte reduzierten das Personal.
Zwischen 1934 und 1938 wurde die Stadtentwicklung weiterhin durch die hohe Arbeitslosigkeit beeinflußt. Die Wohnungsgenossenschaft baute Siedlungshäuser für Arbeitslose in Wagram, die Gemeinde übergab 1938 die Polizei dem Bund. Wenige Tage später veränderte der Anschluß die politische Situation völlig, auch der personelle Wechsel war beträchtlich. Seit dem 1. Oktober 1938 wurde St. Pölten nach der deutschen Gemeindeordnung von einem Oberbürgermeister autoritär verwaltet. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges konnte durch gezielte Bauvorhaben, wie die Errichtung einer Trasse für die Autobahn und große Wohnbauten sowie Ausbau und Produktionssteigerung der Betriebe die Arbeitslosigkeit weitgehend abgebaut werden.
St. Pölten war seit 150 Jahren Standort einer Garnison gewesen, und Teile des Infanterieregiments Nr. 49 waren bis 1918 in der Stadt stationiert. Nach 1880 kam es zur Errichtung von Landwehrkasernen, die auch nach dem Ersten Weltkrieg teilweise vom Bundesheer genützt wurden. Auch die Militärunterrealschule stand nach 1918 als Kaserne zur Verfügung. Die Deutsche Wehrmacht errichtete zusätzlich ein Barackenlager in Spratzern, sodaß St. Pölten während des Zweiten Weltkrieges eine große Garnison beherbergte. Diese Anlagen wurden nach 1945 auch von der russischen Besatzungsmacht benützt und dienen seit 1957 dem Österreichischen Bundesheer.
Von den direkten Einflüssen des Zweiten Weltkrieges blieb St. Pölten lange verschont. Am 22. Juni 1944 fielen erstmals Bomben auf die Stadt, die bis Kriegsende noch neun Angriffe erleben mußte, wobei die großen Bombardierungen Ende März und anfangs April 1945 schwere Gebäudeschäden, insbesondere im Gebiet um den Bahnhof, und Verluste unter der Zivilbevölkerung verursachten. Bei den letzten Bombenangriffen waren auch die Hauptschule und die ehemalige Militärunterrealschule zerstört worden. Nachdem sich in der ersten Aprilhälfte 1945 der Krieg von Südosten her der Stadt genähert hatte, wurde St. Pölten am 15. April von russischen Truppen erobert, die Front verlief bis Kriegsende westlich der Stadt bis zum Rand des Dunkelsteinerwaldes. In dieser Zeit sind in St. Pölten 591 Zivilpersonen, davon 139 Ortsfremde, gefallen. Von den zurückgehenden deutschen Truppen wurden die Brücken mit Ausnahme der Bundesstraßenbrücke über die Traisen gesprengt. Am Kriegsende gab es Schäden an 1.692 Gebäuden, 39% des gesamten Hausbestandes, von denen 71 total zerstört waren und 366 schwere Beschädigungen erlitten hatten, waren betroffen (28).
(28) GUTKAS, St. P. 1945–1955, in: Pioniere des Fortschrittes, FS. d. österr. Städtebundes, 1955.
Von der russischen Stadtkommandantur wurde am Tag der Besetzung ein Bürgermeister bestellt, die ersten Wahlen in den Gemeinderat fanden aber erst 1950 statt. St. Pölten war bis 1955 ein Schwerpunkt der russischen Besatzung mit einer Kommandantur und einer starken Garnison, für die alle Kasernen, das Spratzerner Lager, das Truppenspital, auch das Kreisgerichtsgebäude, die Stadtsäle und das ehemalige Schülerheim (Kommandantur) sowie Teile des Altersheimes und zahlreiche Wohnungen beansprucht wurden. Auch die Voith-Werke und die Glanzstoff-Fabrik wurden unter russische Verwaltung (USIA) gestellt. Unter diesen Voraussetzungen vollzog sich der Aufbau der Stadt in den ersten Jahren nur langsam und nahm erst nach 1950 größere Ausmaße an. St. Pölten hat aber keine Bevölkerungseinbußen erlitten, da keine Fabrik zerstört war und die Facharbeiter in der Stadt blieben. Im Jahre 1955 wurde durch Ausgemeindungen verschiedener Orte im Süden und der Gemeinde Ratzersdorf das Stadtgebiet auf 37 qkm verkleinert, die Einwohnerzahl sank um 2.500 Personen, stieg aber bis 1961 wieder auf 40.112 an.
Nachdem am 13. September 1955 der letzte russische Besatzungssoldat St. Pölten verlassen hatte, begann eine Entwicklung, die zuerst als Wiederaufbau, dann als Ausgestaltung der Stadt bezeichnet werden kann. Ein einschneidendes Ereignis war die Gebietsreform des Jahres 1972, die zu einer wesentlichen Vergrößerung des Stadtgebietes führte, da nun die Gemeinden Pottenbrunn, Ratzersdorf, St. Georgen und Gerersdorf mit 6.844 Bewohnern St. Pölten angeschlossen wurden. Schon 1969 waren Ragelsdorf und Teile von Mamau (Witzendorf, Waitzendorf) mit 600 Einwohnern zu St. Pölten gekommen. Gerersdorf wurde aber 1982 wieder ausgemeindet, sodaß das Stadtgebiet am 1. Jänner 1987 107,29 qkm hat. Die Einwohnerzahl stieg durch diese Eingemeindungen auf über 50.000. Davon lebten 1972: 43.700 im bisherigen Stadtgebiet und 6.844 in den eingemeindeten Orten.
Die Arbeitsbevölkerung betrug 1981: 26.758 Personen, davon waren 12.338 Einpendler, denen 3.766 Auspendler (die Hälfte nach Wien) gegenüberstanden. Die wirtschaftliche Situation war durch die Auflösung verschiedener Fabriken wie der Seifenfabrik Benker, der Schüller-Fabrik 1984 und zuletzt eines Teiles der Harlander-Fabrik 1986, gekennzeichnet. St. Pölten verlor als Industriestandort an Bedeutung, da nur wenige Neugründungen, wie das Spanplattenwerk und die Brauerei Egger in Radiberg zu verzeichnen waren. Hingegen hat es sich zu einem Ort des Dienstleistungsbereiches und des Handels entwickelt, als Zentren mehrerer Handelsketten in St. Pölten errichtet wurden. Die Verkehrssituation der Stadt wurde wesentlich verbessert, da die Westbahn leistungsfähiger gestaltet und der Taktverkehr auf dieser Strecke mit Wien und Linz aufgenommen wurde und seit 1959 die Westautobahn im Raum St. Pölten fertig wurde. Auch mit der 1983 fertiggestellten Schnellstraße S33 wurde eine autobahnähnliche Verbindung nach Krems hergestellt. Darüber hinaus wurde das Bundesstraßen- und Lokalstraßennetz wesentlich verbessert und mit einem Autobusnetz von Bahn und Post ausgestaltet. Starke Veränderungen erfolgten auch im Schulwesen. Nicht nur Neubauten für Pflichtschulen entstanden, nach 1945 die Hauptschulen im Zentrum, in Wagram, Viehofen, Pottenbrunn und St. Georgen, sondern auch mehrere höhere und mittlere Lehranstalten wurden gegründet. Mit einer 1946 entstandenen Höheren Technischen Lehr- und Versuchsanstalt, einer 1962 geschaffenen Handelsakademie, einer 1974 gegründeten Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe wurden neue höhere Schulen geschaffen, die auch Neubauten erhielten. Die Lehrerbildung endete im Jahre 1963, seither wird die frühere Lehrerbildungsanstalt für ein musisch-pädagogisches Realgymnasium und seit 1978 als Oberstufenrealgymnasium verwendet. Auf dem Gelände wurde für die 1970 geschaffene Lehranstalt für Kindergärtnerinnen und für die 1966–1986 bestehende Schule für Arbeitslehrerinnen ein Schulgebäude mit einer Dreifachhalle errichtet.
Wesentliche kulturelle Faktoren waren auch die Neugestaltung des Stadttheaters, die Gründung einer städtischen Musikschule 1961, die regelmäßige Veranstaltung von Konzerten des NÖ. Tonkünstlerorchesters seit 1951, die Einführung von St. Pöltner Kultur- und Festwochen seit 1961.
Das schon seit dem Jahre 1856 bestehende allgemeine öffentliche Krankenhaus hat seinen Standort im Jahre 1895 erhalten. Seit 1962 bis 1975 erfolgte eine großzügige bauliche Ausgestaltung dieser Anstalt zu einem NÖ. Schwerpunktkrankenhaus mit Schulen für Krankenschwestern und Diätassistenten. Auch die Versorgung alter Menschen wurde durch die Errichtung eines Seniorenwohnheimes 1977 anstelle des früheren Bürgerspitals wesentlich verbessert. Kommunale Einrichtungen wie ein Fernheizwerk, eine gute Wasserleitung und eine zentrale Entsorgung des Traisentales wurden neu geschaffen oder erweitert.
St. Pölten wurde auch ein bedeutendes Zentrum der Bundes- und Landesverwaltung. Der Magistrat der Stadt mit seinen Einrichtungen wurde mit 2.500 Beschäftigten zum größten Arbeitgeber der Stadt. Zusammen mit allen anderen Dienststellen stehen derzeit 4.000 Personen im öffentlichen Dienst, wobei das 1969 nach St. Pölten verlagerte Militärkommando für Niederösterreich größte Bundesdienststelle ist. Zentraleinrichtungen unterhalten die NÖ. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, die von St. Pölten aus 500.000 Versicherte mit 250.000 Angehörigen betreut. Zur Assanierung des Stadtzentrums wurden Initiativen gesetzt. So wurde der bisher für Notwohnungen genützte Karmeliterhof instandgesetzt und vorwiegend für Kultureinrichtungen verwendet, ebenso die im Jahre 1938 weitgehend zerstörte Synagoge in den Jahren 1980–1984 revitalisiert. Neben dem 1976 eröffneten Stadtmuseum entstand 1984 auch ein neues Diözesanmuseum, und im Schloß Pottenbrunn ist seit 1970 ein Österreichisches Zinnfigurenmuseum untergebracht. St. Pölten hat im Jahre 1961 als eine der ersten Städte Österreichs eine Fußgängerzone geschaffen und sich seither bemüht, das Bild der vorwiegend in der Barockzeit und im 19. Jahrhundert gestalteten Altstadt zu verschönern und zu verbessern (29).
(29) E. SEGER, St. P., Struktur einer Viertelshauptstadt, in: Geogr. Jahresbericht aus Österreich XXXII, 1968. – E. KLEE-R. BÜTTNER, St. P. als Industriestandort (Wiener geogr. Schriften 8, 1959). – S. NASKO, St. Per Stadtreport 1970–1980, 1980.
Die historische Entwicklung St. Pöltens gelangte am 10. Juli 1986 an eine Wende, als der NÖ. Landtag beschloß, die Stadt zur niederösterreichischen Landeshauptstadt zu erheben. Diese Funktion wird das Stadtbild im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte stark verändern.
Karl Gutkas
Anmerkungen
Zusammenfassende Darstellungen der Stadtgeschichte sind A. HERRMANN, Geschichte der Stadt St. P., 2 Bde., 1917/30. – K. GUTKAS, Werden und Wesen der Stadt St. P., 5. Aufl., 1985, mit ausführlicher Bibliographie zuletzt in 4. Aufl. 1980.
(1) Die zahlreichen geologischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte im Raume St. P. sind nicht zusammengefaßt und meist nur in unveröffentlichten Berichten niedergelegt. Es gibt auch noch keine Neuauflage des Blattes St. P. der geologischen Karte Österreichs.
(2) J. W. NEUGEBAUER, Führer durch die Schausammlungen des Historischen Museums der Stadt St. P, 1976, S. 9 ff. – DERS., in: Kat. Neue archäologische Funde im Traisental, St. P., Stadtmuseum, 1983, S. 6 ff.
(3) G. WINKLER, Cetium, in: PAULY-WISSOWA, Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften, Suppl. XIV, 1974, Sp. 90 ff. – H. UBL, Die Antike im Bereich des nachmaligen Stiftes St. P., in: H. FASCHING, Dom und Stift St. P. und ihre Kunstschätze, 1985, S. 11 ff. – B. SARIA, Eine antike Bachregulierung in Cetium, St. P., in: Jahreshefte d. österr. arch. Institutes 41, 1954, S. 90 ff. – DERS., Ausgrabungen in St. P., in: UH 22, 1951, S. 108 ff.
(4) R. BÜTTNER, Aelium Cetium, Das Fortleben seines Namens im Mittelalter, in: Jahreshefte d. österr. arch. Institutes 40, 1953, Beibl. Sp. 185 ff. – A. KLAAR, Der Stadtgrundriß von St. P., in: UH 17, 1946, S. 118 ff.
(5) M. HEUWIESER, Die Traditionen des Hochstiftes Passau. (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 6, 1930) Nr. 46. – H. FRIESINGER, Frühmittelalterliche Körpergräber aus Pottenbrunn, in: Archaeologia Austriaca 51, 1972.
(6) A. MAIDHOF, Passauer Urbare, Bd. I: Hochstift, 1933, S. 160 ff. – F. SCHRAGL, Geschichte des Stiftes St. P., in: FASCHING (wie Anm. 3), S. 16 ff.
(7) G. SEEBACH, Die mittelalterliche Nachfolgesiedlung der Römerstadt Aelium Cetium, in: Mitteilungsblatt d. Kulturamtes St. P. 24, 1975, S. 47 ff. – K. HELLEINER, Pfarre, Markt und Stadtherrschaft in St. P. Zur Kritik des Heinrichdiploms von 1058, in: MlÖG. Erg. Bd. 16, 1939, S. 89 ff.; KLAAR (wie Anm. 4). – DERS., Studien zum Plan der St. P.er Altstadt, in: Mitteilungsblatt d. Kulturamtes St. P. 19, 1970.
(8) GUTKAS, Ein St. P.er Kaufmann finanzierte den Kreuzzug des Markgrafen Heinrich II. im Jahre 1147, in: Mitteilungen d. Kulturamtes St. P., 1954, S. 36.
(9) HELLEINER, Österreichs ältestes Stadtrechtsprivileg, in: Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung. FS. der Stadt St. P., 1959, S. 49 ff.
(10) C. B. WÜHR, Archäologische Ausgrabungen im Kreuzgang, in: FASCHING (wie Anm. 3) S. 71 ff. – FASCHING, Domkirche St. P., Entdeckungen aus Romanik und Gotik in den letzten Jahren, in: Hippolytus N. F. 4, 1983, S. 5 ff. – M. SCHWARZ, Die Architektur der mittelalterlichen Klosteranlage, in: FASCHING (wie Anm. 3), S. 50 ff.
(11) F. DWORSCHAK, Der Münzfund in St. P., in: Mitteilungsblatt d. Numismatischen Gesellschaft in Wien XV, 1923.
(12) GUTKAS, St. P. und die Herren von Wallsee, in: Kulturberichte aus NÖ., 1954, S. 17 f.
(13) DERS., Matthias Corvinus, Maximilian und die Passauer Besitzungen in Österreich, in: Jb. f. LKNÖ 38, 1970, S. 283 ff.
(14) HELLEINER, Zur Geschichte der Kranken- und Armenpflege in St. P., in: FS. 40 Jahre Krankenhaus St. P., 1935.
(15) GUTKAS, Wappen, Fahne und Siegel der Stadt St. P., in: Monatsblatt Adler, Bd. 74, 1956, S. 58 ff.
(16) A. SCHEIBLIN, Reformation und Gegenreformation in St. P, in: Jb. Ges. Gesch. Prot. 62, 1941, S. 5 ff., und 67, 1951, S. 67 ff.
(17) HELLEINER, Zur Geschichte des St. P.er Rathauses, in: UH 7, 1934, S. 257 ff.
(18) BÜTTNER, Stadteigene Gewerbebetriebe vorwiegend des 16. Jhdts. in NÖ, in: Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung. FS. der Stadt St. P., 1959.
(19) H. FEIGL, Der nö. Bauernaufstand 1566/97 (Militärhistorische Schriftenreihe 22, 1972).
(20) V. LUTZ, Stadt und Herrschaft St. P. 1491–1785 (Veröffentlichungen d. Kulturamtes St. P., 1975).
(21) HERRMANN, Geschichte der landesfürstlichen Stadt St. P., Bd. I, 1917, S. 605. – Katalog Staat und Kirche in Österreich. Von der Antike bis Joseph II., 1985, Nr. 13.5
(22) FASCHING, Auseinandersetzung zwischen Konvent und Propst im Stift St. P. 1722, in: Hippolytus N. F. 6, 1984, S. 3 ff.
(23) H. WAGNER (Hg.), Barockstadt St. P., 1947. – J. KRONBICHLER, Friedrich Gedons Arbeiten im Dom von St. P., in: Hippolytus N. F. 4, 1983, S. 38 ff. – DERS, Die künstlerische Ausstattung von Dom und Stift, in: FASCHING (wie Anm. 3), S. 97 ff. – E. KNAB, Daniel Gran, 1977.
(24) GUTKAS, Die Auswirkungen der josephinischen Reformen auf die Stadt St. P, in: Jb. f. LKNÖ N. F. 52, 1986, S. 84 ff. – G. WINNER, Die Klosteraufhebungen in Niederösterreich und Wien, 1967.
(25) H. MAY, Das Jahr 1848 in St. P., masch. phil. Diss. Wien 1948.
(26) BÜTTNER, St. P. als Standort industrieller und großgewerblicher Produktion seit 1850. (Veröffentlichungen d. Kulturamtes St. P., 1972).
(27) Katalog der Ausstellung 200 Jahre Garnison St. P., 25 Jahre österr. Bundesheer, Hist. Museum St. P., 1982.
(28) GUTKAS, St. P. 1945–1955, in: Pioniere des Fortschrittes, FS. d. österr. Städtebundes, 1955.
(29) E. SEGER, St. P., Struktur einer Viertelshauptstadt, in: Geogr. Jahresbericht aus Österreich XXXII, 1968. – E. KLEE-R. BÜTTNER, St. P. als Industriestandort (Wiener geogr. Schriften 8, 1959). – S. NASKO, St. Per Stadtreport 1970–1980, 1980.

 

 

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