VIII. IN VERTEIDIGUNG EUROPAS MILITÄRKARTOGRAPHIE AUF DEM UNGARISCHEN KRIEGSSCHAUPLAZT DES HABSBURGERREICHES GEGEN DIE OSMANEN IM…

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132VIII. IN VERTEIDIGUNG EUROPAS
MILITÄRKARTOGRAPHIE AUF DEM UNGARISCHEN KRIEGSSCHAUPLAZT DES HABSBURGERREICHES GEGEN DIE OSMANEN IM 16. UND 17. JAHRHUNDERT
(Zusammenfassung)
Das 16. und 17. Jahrhundert brachte wegen dem Vormarsch der Osmanen in der Geschichte Ungarns und Mitteleuropas grundlegende Veränderungen. Das ungarische Königreich verwandelte sich nach der Schlacht bei Mohács 1526 allmählich in eine Schutzzone, anders formuliert in einen Pufferstaat der österreichischen Erbländer und des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Auf seinem Gebiet schützte ein neues Grenzverteidigunssystem, das vom 1556 aufgestellten Wiener Hofkriegsrat in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts errichtet wurde, die Länder und die Provinzen des Habsburgerreiches gegen die Osmanen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, war eine enge Zusammenarbeit zwischen dem ungarischen Kriegsschauplatz und dem Reich nötig. Die österreichischen Erbländer und das Reich trugen nämlich im Interesse ihres eigenen Schutzes mit jährlich bewilligten, sehr großen Summen zur Finanzierung der ihnen nächstliegenden ungarischen Schutzzonen bei. Ohne diese Türkenhilfe hätte der Hofkriegsrat das Grenzfestungssystem nicht organisieren und funktionstüchtig erhalten können.
Zur Organisierung der einzelnen Einheiten des Grenzverteidigungssystems, d. h. zu jener der sogenannten Grenzoberhauptmannschaften (Grenzgeneralate), und zu ihrer mehrmaligen Modernisierung im 16. und 17. Jahrhundert benötigte der Hofkriegsrat verschiedene militärische Karten. Neben den materiellen Problemen galt um die Mitte des 16. Jahrhunderts der Mangel an Ortskenntnissen in Ungarn als die größte Schwierigkeit für die Wiener Kriegsführung beim Zustandebringen des neuen Verteidigungssystems. Man mußte nämlich die neuen Grenzgürtel in Ungarn, Kroatien und Slawonien so ausbauen, daß sie die günstigen geographischen Gegebenheiten, vor allem das reiche Wassernetz, die Moraste und die Gebirge bestmöglich ausnützten. Die türkischen Streifzüge konnten nämlich nur durch ein geschlossenes, scharf kontrollierbares Verteidigungssystem aufgehalten werden.
Die ungarische und österreichische Kartographie war bisher der Meinung, daß Karten mit neuen Informationen über Ungarn im 16. und 17. Jahrhundert wegen dem Vormarsch der Osmanen nicht angefertigt wurden, sondern daß 133bloß die alten gedruckten Mappen neu bearbeitet worden seien. Die Ergebnisse des vorliegenden Bandes beweisen aber eindeutig, daß diese Behauptung völlig unbegründet ist. Im Auftrag des Hofkriegsrates zeichnete man zahlreiche Militärkarten über das Festungsnetz, obwohl wir über sie bis heute so gut wie keine Informationen besaßen. Diese Karten wurden aber ähnlich den anderen Teilen Europas auch in Ungarn nicht von Militärkartographen verfertigt. Die Militärkartographie war zu dieser Zeit noch keine selbständige Wissenschaft, sie wurde es erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach der rund einhundertjährigen Entwicklung des stehenden Heeres. Deswegen wurden die Karten über die ungarischen Grenzburgstreifen von den die Gegend gut kennenden Hauptmännern der Festungen, den dort Großgrundherrschaften besitzenden Adeligen und vor allem von italienischen, deutschen und französischen Festungsbaumeistern, seit dem 17. Jahrhundert von Militäringenieuren gemacht. Diese Karten zeichnete man fast ausschließlich nur aufgrund persönlicher Erfahrungen auf dem Kriegsschauplatz und bei den Grenzvisitationen, in deren Verlauf die einzelnen Zonen des Festungssystems vermessen wurden.
Da diese Karten ausgesprochen militärischen Zwecken dienten, fielen ihre Informationen unter Geheimhaltung. In erster Linie kann man dadurch erklären, daß sie bis auf eine zwölfseitige Manuskriptgrenzkarte des deutschen Ingenieurs Martin Stier aus dem Jahre 1661 nie publiziert wurden. Infolge dessen konnten sie natürlich die gedruckten Karten der Zeit kaum beeinflussen. Die nunmehr bearbeiteten, die einzelnen Gürtel der Grenzburgen darstellenden Mappen sind also als Manuskripte in Kartensammlungen und besonders unter den Akten verschiedener Archive auf uns gekommen. In bezug auf das Genre können wir sie als eine spezifische Gruppe der Grenzkarten betrachten. Die Erklärung dafür ist, daß es im 16. und 17. Jahrhundert zwischen dem Habsburgerreich und den von den Osmanen eroberten Territorien in Ungarn keine feste Grenze im modernen Sinne des Wortes gab. Die Grenze war ein ziemlich breiter Streifen, der sich besonders im 16. Jahrhundert entsprechend den militärischen Kräfteverhältnissen ständig veränderte und von der Festungslinie der christlichen Seite bestimmt wurde. Die erwähnten Karten stellen also keine konkrete Grenzlinie dar, sondern das System der die Grenze repräsentierenden Festungen. Deshalb ist es richtiger, diese Mappen Grenzfestungslinienkarten zu nennen.
Die Grenzfestungslinienkarten wurden immer für ein bestimmtes militärisches Ziel verwendet. Sie konnten der Information der Mitglieder des Wiener Hofkriegsrates dienen, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts in den ungarischen Verhältnissen noch ziemlich unerfahren waren. Ein gutes Beispiel dafür ist die bisher früheste erhaltene Grenzfestungslinienkarte aus dem 16. Jahrhundert, die 134circa 1563 vom ungarischen Großgrundbesitzer Johann Choron von Devecser verfertigt wurde (s. Beilage I). Diese Karte stellte die Raaberische Grenze dar, die die Kaiserstadt Wien verteidigte. Trotz ihres skizzenhaften und oberflächlichen Charakters ist sie ziemlich genau. Ähnlichen Zielen dienten die vier Grenzfestungslinienkarten des italienischen Festungsbaumeisters Nicolo Angielini in einer bereits schöneren Bearbeitung (s. als Beispiel Beilage II, die Karte der kroatisch–slawonischen Burgen). Sie wurden zwischen 1564 und 1566 verfertigt, meistens auch aufgrund der Erfahrungen auf dem Kriegsschauplatz und einiger Grenzbereitungen. Ein ähnliches Ziel hatte Georg Zrínyi 1582 mit seiner Kartenskizze über die Wachthäuser des rechten Murufers (s. Beilage IV), die der Bittschrift um die Versorgung dieser Häuser mit vom König besoldeten Soldaten beigelegt wurde. Am Ende erwähnen wir noch die schön ausgearbeiteten Karten des deutschen Militäringenieurs Martin Stier aus dem Jahre 1657 über die steirischen Grenzstädte und über die ungarischen, kroatischen und slawonischen Grenzfestungen zur Informierung der Wiener Kriegsführung (s. z. B. Beilage VII und VIII). Zu ihrer Zusammenstellung leitete man auch Grenzbesichtigungen ein.
Die Militärkarten der Zeit konnten, neben der Information der Kriegsführung, noch zu vielen anderen Zwecken bestellt werden. Grenzfestungslinienkarten wurden zur Informierung der in der Finanzierung der ungarischen Grenzverteidigung eine bestimmende Rolle spielenden Stände des Heiligen Römischen Reiches für die Reichstage verfertigt. Sie dienten natürlich dem Zweck, die Stände zu bedeutender finanzieller und militärischer Hilfe zu veranlassen. Letzen Endes kamen Grenzfestungslinienkarten auch zur Um- und Neuorganisierung der Türkenabwehr zustande. Wegen dem Vormarsch der Osmanen mußte nämlich der Wiener Hofkriegsrat mehrmals neue Grenzgeneralate einrichten. Vor ihrer Aufstellung verhandelte man sehr lange, und es wurden unterschiedliche Projekte ausgearbeitet. Nach dem Fall des nördlich der Drau liegenden Kanischa 1600 z. B. war es nötig, eine neue Schutzzone auszubauen, d. h. die verlorenen Grenzburgen zu ersetzen. Zu ihrer Organisierung benötigte man auch Karten, von denen eine erhalten geblieben ist (s. Beilage VI). Die Karte verfertigte man für das Projekt von Franz Batthyány, dem bedeutendsten Großgrundbesitzer Transdanubiens.
Diese Beispiele bezeugen gut, daß die Grenzfestungslinienkarten im 16. und 17. Jahrhundert auf die militärischen und politischen Entscheidungen einen sehr starken Einfluß ausübten. Sie konnten
– in der Frage der Grenzverteidigung den Hofkriegsrat informieren,
– für die Versammlungen des Heiligen Römischen Reiches als informative Hilfsmittel verfertigt werden oder
135– sogar die Verteidigungskonzeption der Wiener Kriegsführung beeinflussen.
Das alles bedeutet nichts anderes als den Anfang der grundlegenden Methoden und Mechanismen der Militärkartographie schon im 16. und 17. Jahrhundert auf den ungarischen Grenzgebieten gegen die Osmanen. Dieser Prozeß erreichte dann nach der Aufstellung des stehenden Heeres während des großen Türkenkrieges am Ende des 17. Jahrhunderts (1683–1699) jenes Niveau, von dem ein gerader Weg zur selbständigen Disziplin der Militärkartographie führte.
Die Grenzfestungslinienkarten hatten sogar eine so große Bedeutung, daß die Spione der Zeit sie zu erwerben trachteten. Eine solche Karte gelangte 1580 auf diplomatischem Weg nach Wien (s. Beilage III). Die osmanische Kriegsführung in Ungarn ließ nämlich in diesem Jahr eine Karte über die Grenzburgen um Kanischa verfertigen, und sie schickte ein Exemplar in den Hof des Sultans nach Istanbul. Hier ließ der ständige Botschafter Kaiser Rudolfs II. die von Ofen gekommene Karte mit einem im Dienst der Osmanen stehenden Dolmetscher wahrscheinlich italienischer Abstammung – natürlich gegen eine entsprechende materielle Belohnung – kopieren, und er schickte die Kopie zur Kenntnisnahme nach Wien. Die mit italienischen Aufschriften verfertigte Kartenkopie beweist, daß die Osmanen das Festungssystem des Gegners ziemlich genau kannten.
Am Ende wird noch kurz eine Grenzfestungslinienkarte behandelt, die in Facsimile erschienen ist und sehr gut in die Reihe der Militärkarten des 16. und 17. Jahrhunderts paßt. Die Karte wurde von dem italienischen Festungsbaumeister Giovanni Jacobo Gasparini sehr wahrscheinlich zu Beginn des Jahres 1594 angefertigt. Sie stellt das Grenzburgensystem in Ungarn nördlich und nordöstlich der Drau dar. Die Ausführung ist in vielen Elementen ziemlich einfach, manchmal sogar oberflächlich, die Informationen sind aber in manchen Fällen erstaunlich genau. Gasparini nahm in seine Karte auch solche Festungen und kleine Wachthäuser auf, die in den vorangehenden Jahren gebaut, bald darauf aber vernichtet worden waren. Die ungefähr im Maßstab 1:720 000 dimensionierte Karte wurde natürlich ebenfalls nach den persönlichen Erfahrungen auf dem Kriegsschauplatz und bei den Grenzvisitationen gezeichnet.
Die Karte von Gasparini ist außerdem noch in einem besonderen Punkt für die ungarisch–österreichische und europäische Kartographiegeschichte wichtig und interessant. Der italienische Festungsbaumeister stellte nämlich das Grenzverteidigungssystem gegen die Osmanen abweichend von den gedruckten und den Manuskipt gebliebenen Karten über das zeitgenössische Ungarn nicht in nördlicher, sondern in östlicher Richtung, d. h. also von Wien aus betrachtet, dar. Gasparini verfertigte so 1594 für den Wiener Hofkriegsrat eine solche Karte, 136mit deren Hilfe die Ratsherren – sozusagen diese auf den Tisch legend – über die ihre Provinzen schützende ungarische Grenzverteidigung zuverlässige Informationen bekommen konnten. Diese Karte zeigte nämlich aus dem Gesichtspunkt Europas und durch die Brille der Wiener Kriegsführung das ungarische Defensionssystem, das zwei Jahrhunderte lang die Rolle des propugnaculum Christianitatis spielte.

 

 

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