EINFÜHRUNG

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19EINFÜHRUNG
Nach der Eroberung Ofens im Jahre 1541 zerfiel Ungarn innerhalb von zwei Jahrzehnten in drei Teile. Über die Zone des westlichen und nördlichen Landesteiles erstreckte sich in Halbmondform das Königreich Ungarn, seit der Schlacht bei Mohács (1526) Teil des Habsburgerreiches. Seine östliche und südliche Grenze deckte sich mit dem wichtigsten europäischen Landfrontabschnitt des Osmanischen Reiches, seine Könige, die Habsburger, waren die Hauptgegner der Osmanen in Europa. In der östlichen Landeshälfte verselbständigte sich das Fürstentum Siebenbürgen, der freieste Vasallenstaat des Osmanischen Reiches nördlich der Donau und des Schwarzen Meeres. Zwischen diese beiden Landesteile schob sich wie ein Keil der dritte, die militärisch besetzte Provinz des Osmanischen Reiches.
Im 16. und 17. Jahrhundert wurde die innere Situation Ungarns von zwei Hauptfaktoren bestimmt: vom Zustand des Zerteiltseins und vom ständigen Krieg, der selbst in den offiziellen Friedensperioden höchstens abflaute, aber nie ganz aufhörte. Auch die Verhältnisse des von den Türken besetzten Gebietes standen stark unter dem Einfluß dieser beiden Faktoren, so stark, daß es zu einer speziellen Situation im europäischen Teil des Osmanischen Reiches kam.
In der ungarischen Provinz konnten die Türken den Bestand ihrer Macht bei weitem nicht in dem Maße festigen, wie es ihnen südlich der Donau-Drau-Linie gelungen war. In den Ländern des Balkans nahm durch Ansiedlung und Islamisierung ihr Anteil an der Bevölkerung immer mehr zu, Produktion und Wirtschaft dieser Länder schlossen sie organisch der gesamtreichischen Wirtschaft an, breite Massen der Bevölkerung zwangen sie zum Heeresdienst, und überall setzten sie ihre Verwaltung und das islamische Recht als alleinherrschende Normen durch. Der ständige Kriegszustand in Ungarn machte das alles unmöglich. Bis nach Ungarn kamen die Siedler nicht, und in den Jahrhunderten des Kampfes zwischen Reformation und Gegenreformation blieb dem Islam keine Möglichkeit zur Bekehrung: Christen und Moslems lebten als unpersöhnliche Feinde nebeneinander. Nur besteuern konnten die Türken die Produktion, sie zu organisieren, gelang ihnen nicht, auch ließ sich die unzuverlässige Bevölkerung lediglich zum Festungsbau verwenden, im Heer eignete sie sich nicht einmal zu Hilfsdiensten. Einen Großteil ihrer Energie mußten die Türken für die ständigen Kriegereien verwenden, mit der Durchsetzung ihrer Verwaltung und ihres Rechtssystems beschäftigten sie sich weniger.
Der geteilte Zustand des Landes hatte – inmitten der Kriege – auch schwerere Folgen. Zum Schutz der österreichischen Länder waren die Habsburgerkönige des zu 20sammengeschmolzenen ungarischen Königreiches gezwungen, die gesamte Last des ungarischen Kriegsschauplatzes auf sich zu nehmen, und damit übernahmen sie auch den Schutz der Interessen der auf türkischem Gebiet lebenden Bevölkerung gegenüber Konstantinopel. Sowohl die Habsburgerkönige als auch die aus dem türkischen Gebiet geflüchteten ungarischen Adligen betrachteten die Türkenherrschaft als vorübergehenden Zustand und hielten an ihren Besitzrechten im verlorengegangenen Landesteil fest. Das Militär der ungarischen Festungen versah nicht nur seine eigentlichen militärischen Aufgaben, sondern wurde auch einer auf den ersten Blick abstoßend erscheinenden, in Wirklichkeit sehr realen historischen Mission gerecht: Es drang immerzu in das türkische Gebiet ein, jagte die einzeln oder in kleineren Gruppen umherziehenden Türken, trieb von den Untergebenen des Sultans mit Gewalt den ungarischen Grundherren und dem Staat zustehende Steuern ein, und es raubte die Städte und Dörfer aus, wo in seinen Augen keine Ungarn lebten, sondern Untergebene des Sultans. Das ungarische Militär trug viel dazu bei, daß die Türken ihre Macht in dieser Provinz nicht konsolidieren konnten.
Das Ergebnis: wahrhaftige Doppelherrschaft von Türken und Ungarn im türkischen Gebiet. Neben dem Sultan, den türkischen Behörden, Soldaten und Gutsbesitzern nahmen auch alle interessierten Vertreter des Königreiches Ungarn, sich einmischend, Einfluß auf das Leben im türkischen Landesteil. Ununterbrochen trieben sie grundherrliche und staatliche Steuern ein; der Palatin (der höchste Würdenträger nach dem König) stand fortwährend in Unterhandlungen mit den Paschas von Ofen und den Gesandten Konstantinopels und wollte Schutz für die Bewohner des türkischen Gebietes erwirken; die Komitate (die ungarischen Verwaltungsdistrikte und gleichzeitig Verwaltungsapparate des Adels) und die ungarischen Gutsbezitzer überschütteten die Siedler des türkischen Gebietes mit Unmengen von Vorschriften und Anweisungen. Kraft des ungarischen Militärs waren sie auch in der Lage, die Einhaltung der Anweisungen zu verlangen, im anderen Falle sprachen sie strenge Bestrafungen aus.
Wie kam nun die allgemeine Situation im Alltag der einzelnen Siedlungen zur Geltung?
Da bei der Anwesenheit der Osmanen in Ungarn das militärische Element dominierte, wurde auch die Besiedelung der Eroberer dadurch bestimmt. Sie besetzten, von der Burg mit mehreren tausend Soldaten bis zum kleinsten Wachtturm, nahezu hundert befestigte Stellen in ihrem Landesteil. Türkische Behörden und türkische Zivilbevölkerung gab es, abhängig von den territorialen Veränderungen, in fünfzig bis sechzig solchen Orten. Dazu gehörten jede vilayet- und jede liva- sowie einige nahiye-Zentren. Im 16. Jahrhundert gab es noch in vier vorwiegend oder ausschließlich von Ungarn bewohnten Städten einen türkischen Richter, einen kadi, der alleiniger Vertreter der Besatzermacht war. Im 17. Jahrhundert, nachdem der Krieg zur Jahrhundertwende (1593–1606) die allgemeine Sicherheit völlig zerrüttet hatte, ließ man jedoch keine Ämter mehr ohne den Schutz einer türkischen Garnison. Von dieser Zeit an hielten sich die Verwaltungsorgane und die Zivilbevölkerung, geschützt durch Militär, zurückgezogen in befestigten Zentren auf. Städte oder Dörfer mit muselmanischchristlich gemischter Bevölkerung ohne Garnison kannte man in Ungarn nicht.
Neben den fünfzig bis sechzig türkischen Zentren gab es mehrere tausend Siedlungen, 21in denen nicht einmal die niedrigsten türkischen Beamten wohnten und zu denen die Eroberer aus der Entfernung Kontakt hielten. In Ungarn fanden die Osmanen eine entwickeltere städtische und dörfische Selbstverwaltung vor als auf dem Balkan, die unterste Stufe ihrer Verwaltung stützte sich auf diese örtlichen Magistrate. Anfangs sahen die Türken nur eine ausübende Rolle für sie vor. Der Kampf der Siedlungen um Unabhängigkeit und die wachsende Gleichgütigkeit der türkischen Zivilverwaltung verschafften diesen örtlichen Magistraten jedoch tatsächliche Autonomie.
An der Spitze der Siedlungen stand der Schultheiß, der jährlich gewählt wurde. In kleineren Dörfern lag die Führung allein in seiner Hand. In größeren Städten standen dem Stadtrichter weitere Richter, Schöffen und Notare zur Seite.
Die wichtigste Aufgabe der Magistrate, also der Schultheißen- und Stadtrichterämter, bestand in der Wirtschaftslenkung der Siedlungen. In den Dörfern ging ihre Arbeit kaum über die Einhebung der Steuern hinaus, in den Städten bedeutete ihre Tätigkeit jedoch die Führung des „Haushaltes” der Gemeinschaft. Zahlte ein Ort seine Steuern als Gesamtbetrag – und das war in den Städten, die has-Güter des Sultans waren, so üblich –, so bestand die Aufgabe darin, aus dem Gesamtbetrag die Summe für jeden einzelnen Steuerzahler zu errechnen und sie von ihm einzukassieren. Die Stadtleitung stellte die Beschäftigten an (Pfarrer, Lehrer, Hirten, Köchinnen, Tagelöhner usw.) und kümmerte sich um ihre Versorgung; sie führte die „Betriebe” der Stadt (Weideplätze, Mühlen, Metzgereien, Wirtshäuser, Brennereien, Küchen usw.); sie besorgte Käufe, Verkäufe und Anleihen der Gemeinschaft, kontrollierte die Zünfte und Märkte, trug Sorge für gemeinschaftliche Bauvorhaben u.a. Sie trieb die zu allem nötigen Gelder auf, führte Rechnungsbücher über die Einnahmen und Ausgaben der Stadt und rechnete bei Ablauf des einjahrigen Mandates ab.
Im Verlaufe der Erfüllung dieser Wirtschaftsfunktionen versah der Magistrat bereits auch gewisse Aufgaben zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, letztere gingen jedoch weit über die wirtschaftliche Sphäre hinaus. Die Aufrechterhaltung der Ordnung übertrugen die Türken in vollem Umfange den Führern der Siedlungen, derart, daß diese selbst bestraft wurden, wenn sie nachlässig oder ungeschickt vorgegangen waren (z. B. wenn ihnen ein Schuldiger entkam).1 Im 17. Jahrhundert, als die allgemeine Sicherheit arg aus den Fugen geraten war, übertrug man ihnen auch die Leitung des Selbstschutzes der Einwohner, wobei für den Fall der Vernachlässigung ebenfalls Strafen angedroht wurden.
1 Siehe Nr. 91.
Die Rechtsprechung über aufgeklärte Straftaten und festgesetzte Schuldige überließen aber die Türken keineswegs so einfach den Magistraten, denn hier ging es bereits um einträgliche Gerichtseinkünfte. Die Siedlungen kämpften jedoch um das Recht der Gerichtsbarkeit. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bildete sich überall in den von Ungarn bewohnten Städten des türkischen Gebiets eine Art Arbeitsteilung zwischen türkischen und ungarischen Richtern heraus. Die kleineren Vergehen wurden von den ungarischen Richtern bestraft, und sie kassierten dabei für die Stadt das Strafgeld ein. Sie klärten auch die schwereren Vergehen auf (Diebstahl, Schlägerei, Unzucht usw.), doch sie nahmen die Schuldigen nur in Verwahrung, bis die voyvodas und die 22subasis eintrafen, die jährlich drei- bis viermal kamen. Ihre Rechtsprechung bestand dann darin, daß sie dem Schuldigen, entsprechend seines Vermögens, die höchstmögliche Strafgeldsumme auferlegten. Der Ausspruch und die Vollstreckung eines Todesurteils war wieder Sache der Magistrate, mit der nicht unwichtigen Bedingung, daß das Recht zur Urteilsvollstreckung in jedem Falle – und im Laufe der Zeit für immer höhere Beiträge – bei dem zuständigen türkischen Zentrum erkauft werden mußte.2 Das Wesen der Arbeitsteilung steht außer Zweifel: Die türkischen Organe überließen den ungarischen Stadtleitungen das Recht der Strafverfolgung, der Urteilssprechung und der Urteilsvollstreckung, doch die Einnahmen der Rechtsprechung behielten sie für sich selbst.
2 Siehe Nr. 37–38., 47–48., 73., 82–84., 130 u. 136.
Neben all diesen Aufgaben in einem rücksichtslosen System weitreichender Doppelherrschaft versahen die ungarischen Siedlungsvorsteher nicht selten auch lebensgefährliche Aufgaben: Sie versuchten, die verschiedensten Interessen ihres Wohnortes gegen die – türkische und ungarische – Macht zu vertreten. Ihr Verhältnis zu den türkischen Mächtigen, die ihren Sitz weit entfernt hatten, läßt sich als relativ friedlich bezeichnen, denn für Flehen oder gutes Geld gaben die Türken zur Milderung der Klagen leicht einen Schutzbrief von zweifelhaftem Wert. Doch gegenüber den nahesitzenden türkischen Behörden, die durch unmittelbare materielle Interessen zur Peinigung der Siedlungen angetrieben wurden, blieben sie oft schutzlos. Schließlich waren sie den plündernden türkischen und ungarischen Soldaten völlig ausgesetzt.
Die relative Autonomie der Siedlungen hatte, uns nutzbringend, zur Folge, daß sie Aktenmaterial hervorbrachte. Die Dokumente einer Stadt, worin nur türkische Behörden Routinearbeit verrichteten, verschmolzen mit dem Papier-Meer der türkischen Bürokratie; die kanunnames oder die tahrir-defter sind für die Ermessung von Produktion und Bevölkerung von unschätzbarem Wert, doch sie eignen sich nicht, um die wirklichen Lasten, die tägliche bittere Not der Steuerzahlung zu rekonstruieren. Die leitenden Körperschaften der autonomen Städte aber besorgten und fertigten für ihre Städte Schrifstücke an, die an Ort und Stelle blieben und denen der Ablauf des täglichen Lebens zu entnehmen ist.
Es sind die ungarischen Städte, deren als ideal zu bezeichnender Quellenbestand verschiedenartiges, vergleichbares Aktenmaterial enthält. Sie kommen in der tahrirdeftern vor, so läßt sich ihre Bevölkerung abschätzen. Es blieben auch die türkischen Schriftstücke erhalten, die in verschiedenen türkischen Ämtern als Antwort auf die Bitten oder Klagen einer Stadt ausgestellt wurden. Dieses Material läßt bereits tief in die Wirklichkeit des Alltags blicken. Es blieben uns die ungarischsprachigen Protokollbücher der Stadtleitung erhalten, in denen alle internen Angelegenheiten angeführt sind, die vor den Stadtrat gebracht wurden, ebenso die Rechnungsbücher, in die man selbst die geringsten Einnahmen und Ausgaben der Stadt eintrug. Und wo die Jahrhunderte günstig verliefen, stoßen wir auch in den Registraturen ungarischer Komitatsbehörden oder ungarischer Adelsfamilien auf Aufzeichnungen über die Angelegenheiten einer Siedlung.
23Die Stadt Jászberény, deren türkisches Schriftenmaterial dieser Band enthält, nahm als Zentrum der jazygischen Siedlungen eine besondere Stellung unter den ungarischen Städten des türkischen Gebietes ein.
Die Jazygen siedelten sich zusammen mit den Kumanen im 13. Jahrhundert in Ungarn an. Ihr Ansiedlungsgebiet lag zwischen Szolnok und Hatvan, an den Ufern der in die Theiß mündenden Flüsse Zagyva und Tarna, und es bestand in der Mitte des 16. Jahrhunderts aus dreizehn Siedlungen. Im Mittelalter sicherten Gesetze die kollektive Freiheit der Jazygen, und obgleich diese Freiheit bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts Beeinträchtigungen erlitten hatte, erfuhr die Gemeinschaft der Jazygen auch zu Anfang der Türkenzeit eine besondere Behandlung. Sie galten als unmittelbare Untergebene des Königs, ihre Steuern entrichteten sie in festgelegten Geldsummen und Getreidemengen, und nur ihre gewählten Hauptleute und ihr Richter, der Palatin konnte Recht über sie sprechen.
Bei den türkischen Behörden, die sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts einrichteten, fanden diese Vorrechte weitestgehende Berücksichtigung. Die jazygischen Siedlungen wurden zu has-Gütern des Sultans erklärt. Das in den 1550er Jahren angefertigte tahrir defter des livas Hatvan registrierte lediglich die Einwohner der jazygischen Siedlungen, führte aber weder die Anzahl der hanes noch ihre Steuern an. Stattdessen legt es nach der Aufzählung der dreizehn Orte zusammenfassend fest: „Die Stadt Jászberény und ihre zwölf Dörfer entrichteten früher, zur Zeit der Könige, keinen Zehnt und keine cizye. Dieweil sie jährlich einen festgelegten Betrag von 600 filori [ungarische Goldgulden] – der filori berechnet im Werte von 50 akce – und 2000 kile Weizen sowie 2000 kile Gerste abzugeben pflegten, wurde es auch im neuen Sultans-defter so eingetragen.”3
3 Lajos FEKETE: A hatvani szandzsák 1550. évi adóösszeírása (Die Steuerkonskription des liva-s Hatvan aus dem Jähre 1550). Jászberény 1968. S. 79.
Auch später behielten die Türken diese Art der Besteuerung der Jazygen bei selbst als – laut der Schriftstücke – die tatsächliche Zehntberechnung an Getreide und Schafen hinzukam. Neben der Tradition der besonderen Besteuerung berücksichtigten die Türken auch andere Freiheiten der Jazygen. In seinem Erlaß aus dem Jahre 1637 (siehe Nr. 35) schreibt der pascha von Ofen: „Die reayas Jazygiens ... sind des gegnerischen Ungarns freie korona-reayas [im Text steht das ungarische Wort „korona” = Krone], die den ungarischen Königen wie üblich ihre Steuern, dem islamischen Reich aber ihre cizye entrichten. Sodann gibt es keine Angelegenheit, die den Eingriff irgendeiner Seite nötig machen würde.” Die Türken nahmen zur Kenntnis, daß der Palatin von Zeit zu Zeit in seinem Einflußbereicht Entscheidungen traf und sich bei den türkischen Organen für die Angelegenheiten der Jazygen verwendete. Sie akzeptierten auch, daß die Obersten von Jászberény in Vertretung von ganz Jazygien mit den türkischen Behörden in Verbindung standen.
Das bereits erwähnte tahrir defter registrierte 454 steuerzahlende Familienoberhäupter in Jászberény (nach der üblichen Korrektur mit 20% und der Multiplikation mit fünf ergibt das 2700 bis 2800 Einwohner). Die Siedlung war eher ein großgewordenes, hauptsächlich von der Landwirtschaft lebendes Dorf als eine Stadt im westeuropäischen Sinne.
24Die Türken betrachteten und bezeichneten den Ort jedenfalls als Stadt und machten ihn für einige Jahrzehnte zum befestigten Standort. Im Jahre 1568 erreichteten sie ganz in der Nähe eine Palisadenburg, um die klaffende Lücke in der Festungskette zwischen Szolnok und Hatvan zu schließen. In der neuen, Canfeda genannten Burg wurden 392 Leute als Garnison stationiert, dazu kamen einige türkische Ämter, an deren Spitze ein Kadi stand. Nach der Eroberung von Erlau im Jahre 1596 verlor Canfeda seine strategische Bedeutung, und als die Palisadenburg im Jahre 1620 abbrannte, hielten die Türken es nicht für lohnenswert, sie wieder aufzubauen. Mit der Garnison verschwanden auch der kadi und die anderen türkischen Beamten. In der Stadt selbst lebten auch zu Zeiten der Burg keine Türken, ihre Angelegenheiten erledigten sie in der liva-Zentrum Hatvan, an höhere Foren wandte man sich zunächst in Ofen, später in Erlau, dem vilayet- Zentrum. In den Stürmen des Krieges von 1593–1606 wurde die Stadt vorübergehend zerstört, die Bewohner flüchteten. Jahrelang war Jászberény unbewohnt.
Die ungarischsprachigen Schriftstücke der Stadtleitung gingen leider verloren, so können uns bei der Rekonstruktion des städtischen Lebens nur die hier zur Veröffentlichung gelangenden türkischen Schriftstücke helfen. Auch das türkische Material ist nicht vollständig. Die Schriftstücke weisen auf Vorhergegangenes hin, das im erhaltengebliebenen Material nicht mehr zu finden ist. Aber auch unvollständig hat es Wert, denn es gibt uns ein Bild von der Beziehung einer relativ selbständigen Stadt zu den türkischen Behörden. Freilich kommt es fort und fort auf die neuralgischen Punkte dieser Beziehung zurück, doch das ist natürlich: Wenn alles in bester Ordnung verlief, stellte niemand ein Schriftstück darüber aus.
Schauen wir uns das Material an, gewinnen wir den Eindruck, daß sich hinter dem sehr milden Wort „Beziehung” anderthalb Jahrhunderte Streit verbirgt, in dem die Stadt immer unterlag. Es stimmt tatsächlich, daß sowohl hier als auch in den anderen ungarischen Städten des türkischen Gebiets ständig Rechtsverletzungen an der Tagesordnung waren, die auch durch die Anordnungen des Sultans nicht gemildert werden konnten: Die Steuer- und Fronforderungen gingen über das gesetzlich bestimmte Maß hinaus; auch im Falle eines natürlichen Todes wurte Blutgeld verlangt; gewaltsam teilte und beschlagnahmte man das Erbe Verstorbener.4 Doch aus dem ungarischen Schriftenmaterial anderer Städte geht hervor, daß sich auch in den nie zur Ruhe kommenden Fragen eine Art modus vivendi herausbildete.
4 Die ungesetzlichen Steuer- und Fronauflagen siehe Nr. 6–7., 12., 22., 31., 50–53., 58., 60., 71., 78., 96–97., 101–102., 116., 124., 145 u. 147. Zum Blutgeld: Nr. 120–122. Zur vorschriftswidrigen Erbteilung: Nr. 3., 15., 27., 57., 59., 77., 98. 100 u. 123.
Und der Fakt, daß ein Problem immer wieder erneut in den Schriftstücken auftaucht, besagt nicht unbedingt, es müsse ungelöst geblieben sein. Wir dürfen nicht vergessen, daß die eigentümlichen ungarischen Verhältnisse zu Resultaten führten, die in anderen Teilen des Osmanischen Reiches unbekannt waren und deren Akzeptierung den oft wechselnden Würdenträgern immer wieder von neuem abgerungen werden mußte. So genügte es nicht, wenn das ungewöhnliche Recht der „ungläubigen reaya”, Diebe ungestraft gefangennehmen und hinrichteff zu dürfen, einmal bestätigt wurde, es mußte jedem Amt, unter Berufung auf die Vorgänger, wiederholt bewußt gemacht 25werden.5 Unser Material enthält – wie auch das türkische Schriftenmaterial aller anderen ungarischen Städte – eine Vielzahl solcher Schriftstücke.
5 Siehe Nr. 35., 37–41., 43., 46–48., 56., 69., 76., 90., 113., 128., 130 u. 132.
Sie sind im allgemeinen gut von jenen Fällen zu unterscheiden, die von der abnehmenden Wirksamkeit der türkischen Verwaltung im 17. Jahrhundert zeugen. Aus einem Großteil der Anordnungen des 17. Jahrhunderts spricht bereits gelangweilte Routine. Man nimmt die Klage zur Kenntnis und sendet sie, umgeformt zum Verbot, in die örtlichen Ämter zurück, die Mißbrauch getrieben hatten.
In den Schriftstücken stoßen wir auf zahlreiche ungarische Eigentümlichkeiten, die zum Großteil Folge der Doppelherrschaft waren. An erster Stelle sei das bereits erwähnte Recht zur Verfolgung von Dieben genannt. Es beruhte auf dem Einverständnis zweier Seiten: Von ungarischer Seite bedurfte es der Einwilligung des Palatins und der ungarischen Burghauptmänner, von türkischer Seite der der Ofener, Erlauer und Hatvaner Behörden. Abhängig vom Ergebnis der Verhandlungen und von den Launen der jeweiligen türkischen Behörde, bezog sich das Recht, je nachdem, nur auf ihr Unwesen treibende ungarische Soldaten oder auf jeden Dieb aus dem Königreich oder auf alle, Türken, Ungarn, Soldaten und Zivile gleichermaßen.
Eine örtliche Eigentümlichkeit bestand in der Existenz der gefangengenommenen Soldaten, die überall viel Sorgen verursachten. Das Gefangennehmen war ein beliebter und gewinnbringender Zeitvertreib der Soldaten türkischer wie ungarischer Festungen. Die Gefangenen handelten den Preis ihrer Freilassung aus, ließen Bürgen im Kerker zurück und gingen, ihr Auslösegeld zusammenzubetteln, in Städte und Dörfer. Im Interesse einer schnellen Befreiung raubten sie alles, was lohnenswert erschien, und keine Macht konnte ihrem Unwesen Einhalt gebieten.6
6 Allgemein zum Unwesen der Soldaten siehe Nr. 8–9., 11–14., 61., 69–70., 87., 92., 104–105., 116–119 u. 137. Betreffs der Gefangenen siehe Nr. 67., 70., 79., 92–93., 110., 140 u. 142.
Die verworrene Situation brachte mehrere eigentümliche Gepflogenheiten hervor. So kamen z. B. ungeschriebene Gesetze über Viehraub zustande. Nur Soldaten durften ungestraft, kraft ihrer Waffen, Herden wegtreiben; die Geschädigten hatten nur dann ein Recht zum Protest, wenn der Diebstahl auf der eigenen Weidefläche geschehen war.7 Auch zu geschickter persönlicher Ausnutzung bot der verworrene Zustand Gelegenheit. So zog z. B. der emin von Hatvan Vorteil daraus, wenn er den Getreidezehnt, den er im Auftrag der Schatzkammer in Jászberény einhob, in der Stadt ließ und den Einwohnern befahl, ihn ins Königreich Ungarn zu bringen und dort für ihn abzusetzen.8
7 Siehe Nr. 111–114.
8 Siehe Nr. 31.
Wenn die Klagen über widerfahrenes Unrecht nirgends erhöhrt wurden, wandten sich die Einwohner des türkischen Gebietes früher oder später an das höchste Forum. Im 16. Jahrhundert konnte man nur in der Hauptstadt einen Sultanserlaß beschaffen, seit der Jahrhundertwende bekamen jedoch die Paschas von Ofen das Recht, im Namen des Sultans, versehen mit dem tugra, Anordnungen herauszugeben. Im 17. Jahrhundert bekamen die Einwohner, wenn sie den Weg nach Ofen nahmen, ebensowichtige 26– oder ebensonutzlose? – Schriftstücke, für die sie zuvor noch die gefährliche und kostenaufwendige Reise nach Konstantinopel auf sich nehmen mußten.
Die Erhebung des Amtes des beylerbeyis von Ofen zum höchsten Forum in der Provinz blieb nicht ohne Folgen. Die bereits über Ortskenntnis verfügenden Repräsentanten der unantastbaren Staatsmacht vertraten diese nicht nur gegenüber den reayas sondern auch gegenüber den Türken niedrigeren Ranges. Als z. B. Jászberény in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts neu besiedelt wurde, forderten die timar– Besitzer, von deren Gütern die Leute in die Stadt geflohen waren, einen Teil der Eingezogenen zurück. Diese Zwangsrücksiedlung wurde von den Paschas in Ofen durch mehrere Anordnungen verboten. Sich auf örtlichen Verhältnissen angepaßte, zweifelhafte Rechtsnormen berufend, förderten sie, zuungunsten der privaten Besitzer, die Neubesiedlung der Güter des Sultans.9
9 Siehe Nr. 19–20., 28., 33., 75–76.
Aber in den zuvor als ungelöste Probleme erwähnten Fällen (über die Vorschrift hinausgehende Steuer- und Fronauflagen, ungesetzliche Blutgeldforderungen, gewaltsame Beschlagnahmung von Erbe, Unwesen der Soltaden) vermochte selbst das befehlende Wort des Ofener Paschas keine Ordnung zu schaffen. Daher suchten die Einwohner von Jászberény – ähnlich wie die Magistrate anderer Städte – von Zeit zu Zeit bei noch ranghöheren Mächtigen Schutz zu erwirken. Im Jahre 1663 kamen Vertreter vieler Städte zu Ahmed Köprülü, als er mit seinem Heer auf dem Kriegszug nach Ungarn gelangte.10 Zusammengeschlossene Vertreter mehrerer Städte brachten 1668 dem Sultan Mehmed IV., als er nahe der Hauptstadt in Yenisehir fenar weilte, ihre Klagen vor. Die ihm abgerungenen Anordnungen beinhalten zusammengefaßt sämtliche ungelöst gebliebenen Probleme Jászberénys.11
10 Siche Nr. 96–98.
11 Siehe Nr. 116–125.
In der Fachliteratur der internationalen Turkologie wird die ungarische Provinz des Osmanischen Reiches – am Rande behandelt – als Fortsetzung der Balkanbesetzung betrachtet. Die eigentümlichen Züge der Einrichtung der Türken in Ungarn sind weniger bekannt. Daher unterstützte das Komitatsarchiv Szolnok – Aufbewahrungsort der Jászberényer türkischen Schriftstücke und Herausgeber dieses Bandes – den Vorschlag, der Ausgabe ein deutsches Vorwort und den Schriftstücken Regesten beizufügen. Wir wollen damit auch einen Teil der Schuld abbauen, die bei der Erforschung der Türkenherrschaft in Ungarn auf der ungarischen Turkologie lastet.
Obwohl eines der Kriterien guter Regesten darin besteht, sämtliche Angaben der Schriftstücke festzuhalten, wurde hier ein Großteil der für den nichtungarischsprachigen Leser unlesbaren und nichtssagenden ungarischen Namen bewußt weggelassen und nur das Wesentliche zusammengefaßt. Die im deutschen Text vorkommenden türkischen Wörter sind im Interesse einer Erleichterung des Drucks in ihrer heutigen türkischen orthographischen Form angeführt.

 

 

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