192. GEISTIGE ELEPHANTIASIS

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192. GEISTIGE ELEPHANTIASIS
Der arme Turgenjew geht mir in letzterer Zeit öfter durch den Sinn; derselbe Turgenjew, der seinen eigenen, stummen, starken Glauben nicht anerkennen wollte, als er ihm in Paris von leichtfertigen Lippen entgegenlärmte. Es liegt ein seltsames, trauriges Fatum in diesem Fall und eine Wahrheit, die von Paris bis San Francisco und von San Francisco bis Moskau stets neu und ewig bleibt. Sie ist wertvoller als jener bekannte Satz des Anatole France, dass die Menschen keines einzigen Zeitalters sich über die Grossartigkeit der Dinge im klaren wären, die mit tausend- und zweitausendjähriger Wucht ringsum sie herabsausen. Turgenjew schrak davor zurück, woran er selbst nur im geheimen zu glauben wagte und er warf seinen Glauben fort, da er jetzt nicht mehr der seine, nicht mehr jungfräulich, da er jetzt überhaupt kein rechter Glaube mehr war, den ja immer nur ein einziger allein, für sich besitzen kann. Und dabei traten ihm keine prophetischen Menschen entgegen, sondern geschwätzige von der Manie der Höflichkeiten und der geistvollen Einfälle befallene Franzosen, die ihm mehr als einmal sagten und schrieben:
– Ah, Monsieur Turgenjew, Sie sind ein glücklicher Mensch, denn Ihr Land ist das schöne, das beneidenswerte Land künftiger Offenbarungen das Land der Kraft. Ihr Slaven, Ihr russischen Slaven, Ihr seid die Unverbrauchtheit, die jungfräuliche Inspiration, die neue, werdende Moral, Ihr seid die neue Kunst, der neue Humanismus.
Und der arme Turgenjew musste alles zuhören und glauben, was ihm liebenswürdige französische Leichtfertigkeit in ihrem wie zufälligen Erkennen der Dinge an den Kopf warf, wiewohl er innerlich nicht mehr daran glaubte, so wie er es von anderen hörte. Und doch war dies sein eigener, geheimgehaltener Glaube an das verabscheute und doch geliebte Russland, an jenes Russland, von dem Turgenjew nur im Spiegel der Seinestadt und seiner Träume zu Zeiten etwas erblickte. Die Töchter dieses Russlands waren zarte, weisse, rätselhafte, wunderbare Jungfrauen, die nie und nirgend gelebt hatten, seine Muschiks glichen etwa den ungarischen Bauern im „Falu rossza”. Und die modernsten, wie die edelsten Geister Paris’ ermunterten Turgenjew immer wieder. Er aber glaubte weder den modernen, noch denen, die mehr waren als modern, bloss weil sie seinen eigenen Glauben aus seinem Versteck gescheucht hatten.
Und wenngleich die seelenlosen Prophezeiungen, wie sie damals von blasierten französischen Lippen erklangen, auch nicht zur Wahrheit wurden – Turgenjew entweihtem Traum ward dennoch Erfüllung: Russlands intellektuelles Leben und seine Kultur gingen einem Aufschwung entgegen, der auch den armen Turgenjew verblüffen müsste, wenn er auferstünde.
*
Wir, die Söhne des kleinen Ungarn werden ähnlicher Aneiferung nirgend teilhaftig, weder in Paris, noch sonst irgendwo; wir müssen auch jenen Glauben aus eigenem beschaffen, den wir später selbst fortwerfen. Wir müssen ganz allein für jenes notwendigste, menschlichste Gericht unseres seelischen Menus, für jenes grüne, eisenhaltige Gemüse, das – Optimismus heisst, Sorge tragen. Wir müssen erst daran glauben, dass es Hoffnungs-Arkana gebe, müssen dann in Verzweiflung fallen und dann – im geheimen – doch wieder glauben.
Das jetzt so vielgeschmähte Wort vom „neuen Ungarn” – unsere ungläubige Frömmigkeit und Arznei –, es entsprang solch tragikomischem, seelischem Müssen. Mehr als je drückt, peinigt, tötet uns das immer stärker modernde alte Ungarn und es ist nicht verwunderlich, wenn die nicht allzu zahlreiche Elite dieses Landes mit der Skepsis Turgenjews einen Glauben sucht. Die ungarische Psyche ist lässiger, träger als die slavische und von ihren einstigen östlichen Streifungen hafte ihr immer noch etwas von jenem türkischen „Kejf”* an, das schlimmer ist, als das slavische „Kejf”.
„Kejf”: Der türkische Ausdruck für „dolce far niente.
Und doch, dieser ungläubige Glaube, der heimatsloser ist als jener Turgenjews es war er ist da; er ist nicht nur vorhanden, er wirbt heute bereits in Ungarn Krieg und Leben. Jeder, der da will, und auch der, der voll tobender Wut nicht will, sieht längst diese ganz beispiellos heftige Revolution der ungarischen Seele. Fast ist diese Heftigkeit schon katastrophal; mit einem bis zum Selbstmord gehenden Trotz wird jedem sozialen, ethnografischen und wirtschaftlichen Widerstand der Handschuh hingeworfen.
In der ersten Phalanx dieser heiligen und seltsamen Revolution stehen natürlich die Literatur, die „schöne Literatur” ganz besonders, die Künste und ganz voran die Lyrik. Diese Erscheinung ist es, die dem Kampfe ihren besonderen, vorhin kurz umrissenen Charakter gibt. Überall, wo es noch keine tiefe, wurzelfeste, intellektuelle Kultur gibt, wo aber der Wunsch, die fieberhafte Sehnsucht nach solcher vorhanden ist, wo die starren Bas teien uralter Institutionen spöttisch auf die Anstürmenden herabgähnen, dort spielt die Lyrik eine unbändige Rolle.
Vorläufig gibt es weder Sieger noch Besiegte und in beiden Lagern verbergen die Verwundeten ihre Wunden. Doch eines ist nicht fortzuleugnen: die mächtige Unruhe. Und ebenso unleugbar ist es, dass die von Paris, Berlin ein wenig auch von Wien erzogenen und ermunterten ungarischen Intellektuels ein wenig übertrieben. Alle wir ungarischen Neuerer übertrieben die schöne Sünde und wir alle sind schuldig. Doch unsere Sünde war nicht nur schön, sie war auch segenvoll.
*
Man könnte die ganz unproportionierte seelische Gährung im heutigen Ungarn mit dem unersättlichen Kulturdurst seiner Jugend, der von Skepsis durchsetzten grossen Gläubigkeit geistige Elephantiasis benennen. Alles ist gegen uns: was irgend eine Institution heisst, wer immer eine Notabilität ist, jedes auf Traditionen ruhende Machtinteresse, jede amtliche Persönlichkeit, alles und alle nehmen eine andere Richtung als die verbitterten, kampffrohen Jungen des neuen Ungarn, seine Schriftsteller, Poeten, Künstler, Soziologen und seine sporadischen bürgerlichen Revolutionäre. Jene Probleme, die der glücklichere Westen längst für sich löste, und jene, mit denen man auch dort jetzt erst zu ringen beginnt ballen sich hier in einem mächtigen Tohuwabohu zusammen. Und hinter diesem theatralisch anmutenden, doch blutigen Kampfe sitzen in geruhsamer Sicherheit die glücklichen Professoren, deren Gehirn nicht einmal von gestern oder vorgestern, sondern fast schon prähistorisch ist.
Wäre man nicht mit seiner ganzen Seele, seiner Person so stark beteiligt – es wäre amüsant, diese Komödie von weitem, als fremder Spektator zu betrachten. Über den Wassern aber schwebt – um in der Sprache der Bibel zu reden – die nicht mehr patriarchalische, sondern asiatisch zu nennende Kulturscheu. Und man darf sich bei der verhängnisvollen politischen und sozialen Konstruktion Ungarns nicht darüber wundern, wenn sich seine Verteidigungstruppen aus so sehr verschiedenartigen Helden rekrutieren. Pseudonationale Wissenschaft, akademischer Starrsinn, Anekdotenliteratur, Csárdáspoesie, Feudalismus, Geldsackhochmut, Literatur- und Pressegeschäfte, Christen, Juden, Heiden – alle gehen sie auf das junge Ungarn los. Ihre Kerntruppen sind die unglücklichen kulturlosen, verdummten Millionen, ihre Kraft die Hunderttausende, von der Macht abhängigen Halbintelligenzen.
Im Komitat Bihar, dessen Hauptstadt Nagyvárad ist, leben viele tausende erwachsener Menschen, die den Wert der kursierenden Geldmünzen nicht kennen. Und dasselbe Land besitzt Roland Eötvöse, Julius Piklers und eine junge Garde, die selbst den Kulturresultaten der fortgeschrittensten Länder geringschätzig gegenübersteht.
*
All dies vermag der Verfasser dieser Zeilen ruhig und ein wenig reumütig niederzuschreiben; sein Name ist, ganz gegen seinen Wunsch, bei einigen Truppen des offensiven Lagers zur Kampfdevise geworden. Dieser grosse und so ungewollte Ruhm hat ihm weit mehr Hass als Anerkennung gezeitigt und dies allein versöhnt ihn und gibt ihm die Kraft der Unparteilichkeit. So vermag er festzustellen, dass dieses »Vielwollen«, diese mit der ursprünglichen Natur des Ungarn im Widerspruch stehende Revolution der Geister nicht normal ist. Sie ist auch dann geistige Elephantiasis, wenn sich hier Turgenjews Fall wiederholen sollte. Eitel, empfindlich und mit vom Opiate der Verzweiflung geschwächter Sehkraft sehen wir vor Bäumen den Wald nicht.
Wir haben keine eigene Wahrheit, sondern nur jene unserer Situation. Einer Situation, die die Bewohner des Landes an der mittleren Donau allen Prüfungen guter und schlechter Strömungen am härtesten aussetzt. Hier in Ungarn haben tausendjährige und noch heute schillernde, noch heute herrschende Sünden das Anbrechen westeuropäischen Kulturlebens vereitelt. Ein unverdient oft genannter Kämpfer des hoffnungslosen Kampfes gibt dies zu – indem er sich mit diesem Geständnis den neuen Herrenlaunen des starken Feindes ausliefert. Ich wollte, ich täuschte mich nur halb so sehr, als Turgenjew, der das nicht glauben wollte, was doch sein innerer Glaube war.
Paris, Ende März
Pester Loyd, 1909. április 11.
Endre Ady

 

 

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