6. Südsiebenbürgen unter bulgarischer Herrschaft (827–895)

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6. Südsiebenbürgen unter bulgarischer Herrschaft (827–895)
Die infolge des Feldzuges Karls des Großen von 791 ausgebrochenen innerawarischen Machtkämpfe hatten wahrscheinlich auch die Awaren in Siebenbürgen dezimiert. Den Kämpfen von 795 fielen sowohl der Herrscher der zentralen Gebiete, der Kagan, und der wahrscheinlich über Nord- und Ostawarien befehlende Jugurrus (juγrus) zum Opfer. Da die Franken nicht einmal die Theiß überquerten, hätten die Awaren im Osten ihre Herrschaft erhalten können, wenn sie nicht 802/03 der die Franken an Gefährlichkeit weit übertreffende Feind, nämlich der bulgarische Khan Krum, angegriffen hätte. Während die in der „Karolingerverehrung“ befangene westliche Geschichtsschreibung nicht zur Kenntnis nimmt, daß das Awarenreich durch den Bulgarenangriff zerstört wurde, sind die ungarischen und besonders die bulgarischen Historiker mehrheitlich der Ansicht, daß Ostawarien bereits 804 dem Bulgarenreich eingegliedert worden sei. Dem aber widerspricht gründlich, daß die Karolingischen Annalen 818 bis 824 berichten, die vor den Bulgaren fliehenden, die Freundschaft der Karolinger suchenden Slawen – die früher am Fluß Timok lebenden Timočanen und die abtrünnigen 103„predannici“ Abodriten – seien vor ihren einstigen Herren nach „Dacia“ nördlich der Donau geflohen.* Da die Franken diese Slawen unterstützten und die Schirmherrschaft über sie behalten wollten, begannen die Bulgaren im Jahre 827 eine allgemeine Offensive gegen das fränkische Grenzgebiet zwischen Drau und Save. In dem jahrelangen Krieg eroberten sie das heutige Syrmien und Ostslawonien. In einer Inschrift des Khans Omurtag (814–831) ist ein in der Theiß ertrunkener bulgarischer tarkan (Würdenträger) angeführt. Dies und der bulgaroslawische Name der Holzerdeburg Csongrád/Černigrad an der mittleren Theiß deuten darauf, daß die Bulgaren diesmal, vor dem Friedensschluß von 832, tatsächlich beträchtliche Gebiete besetzt hatten. Eine geographische Beschreibung aus der Mitte des 9. Jahrhunderts erwähnt die östlichen Abodriten („Osterabtrezi“)* Daziens als bulgarische Untertanen, und Annalen von 863 und 883 berichten, daß das Heer der mit dem ostfränkischen Reich verbündeten Bulgaren das am Westufer der Gran liegende Morawia angegriffen habe. Nach den Angaben des Persers Dschajhani um 870 lag zwischen den Bulgaren (W.n.n.d.r) und Mähren (M.r.da) eine Entfernung von 10 Tagesreisen.* Siebenbürgen wird nur in den letzten Jahren der bulgarischen Herrschaft in einer Notiz erwähnt: 892 ersuchte der Gesandte des ostfränkischen Königs Arnulf den Bulgaren-Khan Laodimir (Wladimir), „den Mährern nicht den Salzeinkauf zu gestatten“.* Rückwirkend erfährt man aus dieser entscheidenden Nachricht, daß die Bulgaren sich einen Teil der Salzbergwerke Südsiebenbürgens angeeignet hatten (Salzburg, Maroschujvar und Grubendorf) und mit dem von ihren Untertanen abgebauten Salz Handel trieben. Obwohl sich die ungarischen Chroniken nicht mehr an die Bulgarenherrschaft über Siebenbürgen erinnern, sondern nur an die über das Theißgebiet, lassen der Salzabbau und -transport keinen Zweifel, daß ein bedeutender Teil des Miereschtales tatsächlich unter bulgarische Herrschaft gelangt war.*
Annalen Regni Francorum ad a. 818 – Timociani … qui nuper a Bulgariorúm societate descriverant et nostros fines se contulerant.
ad a. 819 – legati … Timocianorum … populum, qui dimissa Bulgariorum societate.
ad a. 824 – Abodriti qui vulgo Praedenecenti vocatur et contermini Bulgaris Daciam Danubio adiacentem incolunt.
Geographus Bavarus, Descriptio pagorum Slavonum p. 2
D<s>z.</s>aih<s>a-</s>n<s>i-</s> = Gardizi. G. III. 1006
Annales Fuldenses ad a. 892 – ne coemptio salis finde Maravanis daretur
Unhaltbar sind jene Meditationen, die durch die „Deutung“ späterer Ortsnamen aus dem 11. bis 12. Jahrhundert (z. B. Slankamen) dort Salzbergwerke finden wollen, wo keine sind und auch nie Salz war.
Für die bulgarische Herrschaft über Siebenbürgen liegen ausnahmsweise gute archäologische Beweise vor. Links des Mieresch, nahe Tartaria, gegenüber von Karna/Stumpach, fanden sich in Skelettgräbern Gefäße, deren Material, Form, Technik und Verzierung nicht an frühere oder gleichaltrige siebenbürgische Töpferprodukte erinnern, aber bis in die geringsten Details mit der damaligen Keramik Bulgariens südlich der unteren Donau identisch sind. In Karlsburg und in seiner Umgebung (Kudschir, Partosch, Birnbaum, Mühlbach und Sebesdorf) wurden Skelette mit Gefäßen vom Typ „Karna“, mit Perlen, Messern, heidnischen Fleischspeiseresten und in Birnbaum mit Frauenohrringen gefunden. Auch im Umkreis von Maroschujvar und Grubendorf stieß man auf Gräberfelder einer ihre Toten in der Erde beisetzenden Gruppe, die zum Teil Gefäßbeigaben vom Typ „Karna“ 104(Magyarszentbenedek) und zum Teil Frauenschmuck ähnlich dem von Birnbaum enthielten, der neu und ohne Vorläufer in Siebenbürgen ist (Csombord). Die bulgarische Forschung hat recht schnell festgestellt, daß Analogien zu den Schmuckgegenständen von Csombord und Birnbaum nur in den Gräberfeldern des 9. bis 10. Jahrhunderts in Bulgarien vorkommen, man bewertete also Csombord – ähnlich Karna/Stumpach – als Hinterlassenschaft bulgarischer Siedler.
Die siebenbürgisch-ungarischen Forscher, welche das Gräberfeld von Csombord freilegten und veröffentlichten, waren der Meinung, da Schmuck ähnlichen Charakters (Ohrringe und Ohrgehänge) bisher nur aus mährischen Gräberfeldern veröffentlicht worden war, hier auf ein historisches Kuriosum gestoßen zu sein: auf Gräber mährischer Siedler, die sich in Siebenbürgen mit Salzabbau und -transport befaßten. Hinsichtlich Csombord teilten die rumänischen und sächsischen Forscher diese Ansicht, getäuscht auch durch das einfache eiserne Sporenpaar aus Tartaria, das sie für ein absolutes Merkmal des mährischen Ethnikums des 9. Jahrhunderts hielten, obwohl doch die karolingischen Sporen und ihre Nachahmungen im 8. bis 9. Jahrhundert in den östlichen Grenzgebieten des Karolingisch-Ostfränkischen Reiches überall verbreitet waren (z. B. massenhaft in Dalmatien) und auch in das Land der Donaubulgaren, sogar im 10. Jahrhundert zu den Ungarn gelangten.
Bei den neuesten Grabungen zwischen den Mauern des römischen Apulum stieß man teils im Humus oberhalb der römischen Zerstörungsschicht aus dem 3. Jahrhundert, teils oberhalb der gepidischen Siedlungsüberreste aus dem 6. Jahrhundert auf bedeutende Siedlungsreste aus dem 9. Jahrhundert, auf zahlreiche halb in die Erde eingetiefte Hütten, in denen in großer Zahl Gefäßscherben vom Typ „Karna“ mit tief eingeglätteter Verzierung zum Vorschein kamen. Das zur Siedlung gehörende Gräberfeld fand man nordwestlich der Burg (Veterinärmedizinische Klinik und Ambulanzstation an der Zalatnaer Straße), mit Skelettbestattungen und zum „Karna“-Typ gehörenden Gefäßbeigaben – darunter Amphoren-Flaschen und Töpfe mit Bodenstempeln – sowie einigen bulgaroslawischen Urnengräbern. Aus sicheren Quellen ist bekannt, daß das antike Singidunum seiner weißen römisch-byzantinischen Mauern wegen von den Bulgaren bereits im 9. Jahrhundert Weißenburg/Belgrad genannt wurde. Diese Bezeichnung traf auch für Apulum zu. Den bulgarischen Namen Belgrad übersetzten die Ungarn im 10. Jahrhundert, und nachdem der zweitmächtigste Herrscher über die Ungarn, der gyula, sich in ihren Mauern niederließ, erhielt die Weiße Burg des gyula den Namen Gyula-Fehérvár. Dieser Name blieb bis heute erhalten, obwohl Stephan I. 1003 die Macht des gyula endgültig beseitigte. Die sich im 12. Jahrhundert ansiedelnden Sachsen übersetzten den ungarischen Namen (Weyssenpurg), während der von den Siebenbürger Slawen beibehaltene Name Bellegrad bis in die jüngste Vergangenheit als rumänische Übernahme erhalten blieb (Bălgrad).*
Die neueste rumänische Geschichtswissenschaft weiß im übrigen nichts von der bulgarischen Herrschaft in Siebenbürgen – nicht einmal in der Walachei! –, während die Archäologie die Hinterlassenschaft der Bulgarenherrschaft, die sie neuestens nicht mehr für bulgarisch hält, hinter dem an den Namen neolithischer Kulturen erinnernden Begriff „Dridu-Kultur“ verbirgt.

105Abb. 6. Donaubulgarische silberne Ohrgehänge aus dem Friedhof von Csombord
Die Gräberfelder der Bevölkerung von Karna/Stumpach und Csombord unterscheiden sich ganz und gar von den zeitgenössischen Brandgräberfeldern der Slawen in Siebenbürgen, von den Skelettgräbern der vorhergehenden awarischen Periode und den ungarischen Gräberfeldern aus dem 10. Jahrhundert. Sie sind selbst in bulgarischer Beziehung eigentümlich, denn die Gräberfelder Bulgariens sind im 9. bis 10. Jahrhundert zum überwiegenden Teil birituellen Charakters, die Toten in ihnen gehören oft den mit Pferd, Speisebeigaben und reicher Bekleidung bestattenden Bulgartürken (Protobulgaren) an, vermischt mit den Urnen der ihre Toten verbrennenden Slawen. 106Karna/Stumpach, Karlsburg und Csombord sowie die anderen mit ihnen verwandten Gräberfelder Siebenbürgens sind mit den wenigen protobulgarischen Gräberfeldern (zumindest dem heutigen Stand der Forschung entsprechend) Bulgariens identisch. In Kenntnis der Reichspolitik des Bulgaren-Khanats ist es logisch, daß über der fremden slawischen Bevölkerung Siebenbürgens nicht Bulgaroslawen, sondern die alle Eroberungen ausführende Kriegerschicht der Bulgarotürken standen.
Diese wahrscheinlich zahlenmäßig kleine Erobererschicht lebte in Siebenbürgen ziemlich isoliert. An ihren materiellen Gütern – ihren Siedlungen und Gräbern – lassen sich nur geringe Spuren von einem Einfluß seitens der ihnen unterworfenen lokalen Slawen feststellen. Ihr Nachschub an Gebrauchsgegenständen kam – wie das in der bisher bekannten nördlichsten Bulgarensiedlung, in Marosnagylak, gefundene gelbe Flaschengefäß vom Typ südliche untere Donau auch beweist – offensichtlich von dort, wohin sie überwiegend das abgebaute Salz lieferte: aus dem Mutterland.
Die Hauptverkehrsstraße aus dem zu beiden Seiten der unteren Donau durch Ziegel- und Steinfestungen gut geschützten bulgarischen Mutterland führte über die römische Militärstraße am Alt nach Südsiebenbürgen. Zu ihrer Sicherung mochten einige römische Kastelle wiederhergestellt worden sein, wie auch die Festung von Apulum-Belgrad ihre Herrschaft über Südsiebenbürgen gewährleistete. Eine zweite Straße über den Bodsauer Paß wurde von der Festung Constantia an der unteren Donau in Richtung Norden im Gebiet des heutigen Bukarest, Ploeşti-Bucov und Slon-Prahova zuerst durch Holzerdeburgen, später durch Festungen mit Backsteinmauern gesichert. Eine Straße führte auch aus dem Donauknie in der Dobruscha über die Festung des heutigen Focşani und den Ojtozpaß zu den an Černavoda (Schwarzwasser)-Alt-Großer Kokel lebenden Slawen Siebenbürgens, was auch durch ein in Kézdipolyán gefundenes intaktes bulgarotürkisches und ein „Karna“-Gefäß von Kreutz-Melegvölgy bewiesen wird.
Heute sind auch schon aus dem Orschowaer Donauabschnitt und aus dem Banat, entlang der Theiß bis nach Szentes, also der nördlichen Bastion der bulgarischen Herrschaft, als die das Gebiet um Csongrád gelten kann, bulgarische archäologische Funde bekannt.
Die kleine bulgarische Herrenschicht und die einzige bulgarische Festung in Siebenbürgen, das am rechten Miereschufer liegende Belgrad, vermochten, isoliert vom Mutterland, den 895 eingedrungenen Ungarn keinen Widerstand zu leisten. Ihre Häuser gingen in Flammen auf, und die lokale Hinterlassenschaft ihrer Herrschaft wurde in den ungarischen Traditionen Siebenbürgens nicht bewahrt. Das Volk des Gräberfeldes von Csombord unterwarf sich – wie es scheint – und lebte im 10. Jahrhundert noch eine gewisse Zeit am gleichen Ort weiter.

 

 

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