Die byzantinische Politik und ihre Anhänger

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Die byzantinische Politik und ihre Anhänger
Das Bündnis zwischen den Byzantinern und den ungarischen Fürsten Arpad und Ku(r)san von 894 erwies sich als beständig von beiden Seiten, auch nachdem es Byzanz um 897/898 nicht gelungen war, die „Archonten“ der Türken (d. h. der Ungarn) zum militärischen Auftreten gegen die Petschenegen zu bewegen. Mit den Worten Kaiser Leos des Weisen (vor 912) bemühen sich die Türken, sich „jetzt nicht als unsere Nachbarn und auch nicht als unsere Gegner“, sondern eher als Freunde (dem Kaiser gemäß – „Untertanen“) zu zeigen.* Das um 924/25 verkündete russisch-petschenegisch- ungarische Bündnis sollte sich ausdrücklich gegen den Erzfeind der Byzantiner, die Bulgaren richten, doch hatte es sich bis zu seiner Aktivierung – kaum ein Jahrzehnt später – gründlich gewandelt. Die Merseburger Niederlage 933 und das Ausbleiben des deutschen Tributs ließen die geldgierigen ungarischen Führer nach neuen Zielen suchen. Im April 934 griffen die verbündeten Ungarn und Petschenegen tatsächlich die Bulgaren über die Donau an, um dann überraschend – die byzantinischen Quellen betonen übereinstimmend, zum ersten Mal – sich gegen das Reich zu wenden. Sie stoßen bis Konstantinopel vor und lassen sich nur durch beachtliche Geldopfer zum Rückzug bewegen. Dieses Ereignis ist auch eine Grenzmarke im bulgarisch-petschenegischen Verhältnis, denn damals – oder nicht viel später-machten die Petschenegen der bulgarischen Herrschaft über das spätere Muntenien ein Ende und zerstörten die bulgarischen Grenzfestungen an den Ausgängen der Südkarpaten. 948 „erstreckt sich [das Petschenegenland] beginnend vom Unterlauf der Donau gegenüber von Dristra (Silistra)“,* wo sich eine Petschenegenprovinz namens Jazikapan nur „einen halben Tagesmarsch“ von Bulgarien entfernt befand.* Das petschenegisch-ungarische Bündnis blieb stabil, im 10. Jahrhundert wandten sich beide Völker nicht gegeneinander.
Taktika 18, 76. FBHH p. 23
DAI 42
DAI 37. FBHH p. 41
Im April 943 greifen die Ungarn erneut Byzanz an, und ihr Kriegszug endet mit einem – offensichtlich schwer erkauften – Frieden für 5 Jahre. Mit Ablauf des Friedensvertrages erscheint 948, diesmal um ihn zu erneuern, der dem Range nach dritte „arkhon“ Turkias, der Harka (karkha) namens Bulcsu, Sohn des Harka Kál(i) in Konstantinopel, und zwar in Begleitung von Arpads Urenkel, Tevel(i)s Sohn Termatz(u) (Tormás). Der Frieden wird erneuert, und Konstantin VII., Porphyrogennetos hebt Bulcsu höchstselbst aus der 120Taufe und entläßt ihn im Rang eines „Patrikios“ „als Herr vielen Geldes“ wieder in seine Heimat. „Nicht viel später kommt auch Gyula (Gülas), der ebenfalls ein Fürst der Türken war, in die Kaiserstadt, läßt sich taufen, und auch er wird der gleichen Wohltaten und Verehrung teilhaftig.“* Einerseits muß der Besuch des gyula nach 952 angesetzt werden, da er in dem im gleichen Jahre abgeschlossenen Werk von Konstantinos Porphyrogennetos noch nicht vorkommt, andererseits vor 955, da oannes Skylitzes Bulcsus (Bulosudis’) Tod 955 bereits erwähnt. Die zitierte Stelle von Skylitzes fährt fort: „Er [d. h. „Gyula“] nahm einen wegen seiner Frömmigkeit berühmten Mönch namens Hierotheos mit sich, den Theophylaktos [Patriarch von Konstantinopel 2. Febr. 933 – 27. Febr. 956] zum Bischof von Turkia weihte und der, dort angekommen, viele vom barbarischen Irrglauben zum Christentum hinführte. Gyula aber blieb bei seinem Glauben, er selbst fiel nie ins Gebiet der Römer ein und vergaß auch nicht die gefangenen Christen, löste sie aus, sorgte für sie und gab sie frei.“ Diese bedeutsame Nachricht wiederholt eine griechische Streitschrift des 12. Jahrhunderts und ergänzt sie (nur in einer handschriftlichen russischen Übersetzung aus dem 15. Jh. erhalten). Hauptaussage der Ergänzung ist folgende: „Und die griechischen hohen Geistlichen vermochten in ihrem Land [d. h. der Paenonen oder Mageren = Ungarn] noch nicht festen Fuß zu fassen und sie mit den Worten der Schrift gut zu lehren, als der eine der beiden Fürsten (knaza = harka und gyula), dessen Name Stephan war, im gnadenvollen Christenglauben starb, nachdem er viele gute und gottgefällige Taten verrichtete, und in Frieden in das himmlische Reich einging.“ Weiterhin erfährt man, daß für die Pannonier-Paeonen keine heiligen Bücher in ihrer Sprache geschrieben wurden, und das nutzten „die Lateiner mit ihrem gottlosen Glauben, […] indem sie sich aus Rom mit ihren Büchern und Schriften aufmachten“.* – Da die lateinische Mission erst im Herbst 972 einsetzte, muß dies alles vorher geschehen sein.
Ioannes Skylitzes 5. FBHH pp. 85–86
Nach einer alten Moskauer Ausgabe Faksimile-Textmitteilung bei G. FEHÉR, ArchÉrt 77, 1950, 45
Zum Verständnis obiger Texte muß man einerseits wissen, daß der ungarische Stämmebund damals von drei Würdenträgern geleitet wurde: dem bereits erwähnten kende (Sakralfürst), dem gyula (Heerfürst) und dem harka (oberster Richter?). Während die eine Würde bezeichnenden Namen Kende und Harka in Vergessenheit gerieten, wurde Gyula nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zum Personennamen und von den späteren Chronisten als solcher in die Vergangenheit transponiert. Die arabischen Quellen über die Ungarn vor der Landnahme und Konstantinos Porphyrogennetos über die Ungarn nach der Landnahme – durch seine ungarischen Gäste über den zweiten Würdenträger Turkias informiert – wußten aber noch, daß es sich beim dź.la bzw. jila (gülas) nicht um Namen, sondern um Würden handelte.
Ereignisgeschichtlich erneuerten sich seit April 959 die Angriffe der Ungarn auf Byzanz, und unter einem Heerführer namens Apor (Opour, seinen Namen und Quartier bewahrte vermutlich ein einstiges Dorf in einer Flur von Mindszent an der Theiß) drangen sie von neuem bis Konstantinopel vor. 961 verwüstet ein ungarisches Heer Thrakien und Makedonien, 968 treibt man nach einem Raubzug bis Konstantinopel und Thessalonike viele Gefangene 121nach Ungarn heim. Zwei Jahre später macht die 970 bei Arkadiupolis erlittene Niederlage der ungarisch-russisch-bulgarischen Verbündeten endgültig den ungarischen Streifzügen ein Ende.
Von wo die Streifzüge gegen Byzanz ausgingen und wohin man zurückkehrte, dafür gibt es nicht alltägliche Beweise. Der Strom byzantinischer Münzen nach Ungarn steigt in der gemeinsamen Herrschaftszeit Romanos’ I. und seiner Söhne (gegenüber den früheren Jahrzehnten mit insgesamt 15 Prägungen des 10. Jh., aber nur einem einzigen Goldsolidus) sprunghaft an. Die plötzliche Zunahme beginnt nach dem Jahr 934 (22 Münzen, davon 5 goldene). Den Gipfel bildet die kurze Periode von Konstantin VII. und Romanos II. (948–959), in völliger Übereinstimmung mit den historischen Ereignissen (28 Münzen, davon 24 goldene!). Das Fundmaterial verringert sich geringfügig zwischen 963–970 (16 Münzen, davon 8 Goldsolidi), doch nur scheinbar, da der verwunderte Ibráhim ibn Jakúb gerade 965 notiert, daß „türkische“ Händler aus Ungarn auf der Prager Messe mit Goldmünzen zahlten und zudem unter den genannten Kaisern und ihren Vorgängern – also zwischen 948 und 970 – der größte byzantinische Goldmünzenschatz auf ungarischem Gebiet aus dem 10. Jahrhundert gehortet wurde: die 210 (nach anderen Angaben 110) Solidi von Gálya im Banat. 970 reißt dann diese Münzfundkette ab.
Die Fundstellen der byzantinischen Münzen aus der Periode 934–969/70 hauptsächlich der Goldmünzen, liegen mit Ausnahme eines einzigen Solidus aus Syrmien ausschließlich an und östlich der Theiß, von Tokaj bis hinunter nach Orschowa. Innerhalb dieses Gebietes liegen die Gräber mit Beigaben von echten und falschen Goldmünzen (10 + 2 Grabfunde) und die Gräber mit Silbermünzen (4 Grabfunde) im Gebiet von Berettyó und Kreisch bis an die untere Donau. Das Verbreitungsgebiet byzantinischer Münzen ist mit dem identisch, in welchem aus landnahmezeitlichen ungarischen Gräbern byzantinische sog. Löwenschnallen (von 6 Fundstellen gehören 5 hierher), goldene und silberne Ohrgehänge und ein Schwert bekannt sind – das letzte aus Kunágota kam kaum zufällig zusammen mit einer größeren Menge byzantinischer Silbermünzen zum Vorschein. Im Karpatenbecken rechtsseitig der Donau fehlen mit Ausnahme Syrmiens die damaligen byzantinischen Gold- und Silbermünzen und Schmuckstücke. Ihr völliges Fehlen in Siebenbürgen ist um so auffälliger, da man dort bereits im 16. Jahrhundert begann, antike Münzen zu sammeln, und in den letzten Jahrzehnten die byzantinischen Münzen aus öffentlichen und Privatsammlungen veröffentlicht und seither auch mit staatlicher Unterstützung erforscht werden, als „Beweise“ für die niemals unterbrochene Anwesenheit von Byzanz bei der „autochthonen rumänischen“ Bevölkerung.
An den Kriegszügen gegen Byzanz nahmen also die ungarischen Krieger aus dem Theiß-Gebiet bis zur unteren Donau teil, was nicht bedeutet, daß die Friedenstribute und die Geschenke für den Harka und den Großfürsten nicht auch in andere Zentren gelangten. Spuren davon blieben dort aber nicht, nur in den Gräbern von Kriegern des Theißgebietes. Da die Bewaffneten ihre Beute hierher brachten, schleppten sie wohl auch die Gefangenen hierher, die der gyula 959–969 auslöste.
Dies alles läßt darauf schließen, daß der Landesteil des „patrikios und gyula“ Stephanos vermutlich das Gebiet östlich der Theiß zwischen Kreisch und Mieresch war, dessen Hauptquartiersbezeichnung die heutige Stadt 122Gyula (erste Erwähnung: Julamonostora) überliefert. Da Bischof Hierotheos im Land des Gyula missionierte, mag sein Sitz, wenn er überhaupt einen besaß, ebenfalls der Hof des Gyula in der östlichen Tiefebene gewesen sein.*
Es läßt sich schwer vorstellen, daß sein Sitz das als bulgarisches Grenzgebiet geltende Sirmium (Szávaszentdemeter/Sremska Mitrovica) gewesen sein soll, wo Sermon (Mačwanska Mitrovica) am jenseitigen Ufer der Save damals schon ein bulgarisch-serbischer Bischofssitz war, dessen auf den Trümmern einer altchristlichen Basilika errichteter Dom auch seit Mitte des 10. Jahrhunderts nachgewiesen ist (D. MINIĆ, Le site d’habitation médiéval de Mačvanska Mitrovica. Sirmium XI. Beograd 1980, vgl. dazu noch über die dortigen frühmittelalterlichen Friedhöfe: Sirmium XII. Beograd 1980). Im übrigen kam das letztere Sirmion Sermon tot8 unter byzantinische Herrschaft, und nicht das ungarische Syrmien, wie ein großer Teil der Fachliteratur annimmt. Noch weniger vorstellbar ist ein Bischofssitz im fernen Weißenburg/Gyula-Fehérvár vor 970, weil dieses in den 950er Jahren noch nicht der Sitz der gyula sein konnte.
970 gelangt Kaiser Ioannes Tzimiskes auf seiner Verfolgung der petschenegisch-bulgarischen Truppen zum ersten Mal seit 300 Jahren an der Spitze byzantinischer Truppen an die untere Donau, wo er Ende Juli 971 mit dem Zentrum Dorostolon (Silistra) ein byzantinisches Thema (Provinz) einrichtet. Mit diesem Ereignis läßt sich der unerwartete Zug seines potentiellen ungarischen Verbündeten, des Gyula-Stephanos, nach Osten – nach Siebenbürgen – in Verbindung bringen. Da die vernichteten muntenischen Petschenegen im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts aus der Geschichte vorübergehend verschwinden, wurde der Gyula in Südsiebenbürgen quasi zum Nachbarn der Byzantiner an der unteren Donau. Die ungarischen Urgesta erzählen das Ereignis in den üblichen Mantel der Legende gekleidet. Der große und gewaltige Fürst Gyula (Gula dux magnus et potens) stieß bei der Jagd „in Erdeel“ auf die Burg Alba (Civitatem Albam), die einst die Römer errichtet hatten. Der Wahrheitskern der Jagdlegende besteht nur darin, daß die Gyulas die römische Stadt tatsächlich nicht seit der Landnahme bewohnten, sondern erst später von Ungarn dorthin umsiedelten. Hierotheos wird damals wohl nicht mehr gelebt haben, wahrscheinlich ist sein Nachfolger* dem Gyula gefolgt, wenn er überhaupt einen Nachfolger in seinem Bistum hatte; diese Möglichkeit wird freilich von der griechischen Streitschrift aus dem 12. Jahrhundert schwach angedeutet. Wie es sich auch verhalten haben mag, mit der byzantinischen Nachbarschaft des siebenbürgischen Hofes war es bald vorbei. Die 971 vorübergehend am Tiefpunkt angelangten, nach Mazedonien verdrängten Bulgaren, deren im Westen Hilfe suchenden Gesandten gemeinsam mit der Gesandtschaft von Großfürst Geysa 973 vor Otto I. in Quedlinburg erschienen, raffen sich vermutlich mit Geysas Unterstützung bald wieder auf und vertreiben 976 die Byzantiner erneut für ein Vierteljahrhundert von der unteren Donau. Dies wird der fromme Stephanos wohl kaum noch erlebt haben, andererseits unterstützen die Quellen auch seinen viel früher, 956, erfolgten Tod nicht. Spätestens in den 970er Jahren löste den bejahrten Gyula, den Zeitgenossen der Großfürsten Fajsz und Taksony, der „zweite“ Gyula, der Zeitgenosse Geysas, ab. Dessen Tochter war Sarolt, Großfürst Geysas Frau, die Mutter König Stephans (István) des Heiligen.
„Antonios bischöflicher proedros Turkias“, Inschrift eines Bleisiegels von einem unbekannten Fundort und datiert in das ti. Jahrhundert, und „Theophylaktos Bischof der Türken“ (episkopos) auf einem ähnlichen anderen. FBHH p. 253. – Es ist zu bezweifein, daß sie sich auf die Ungarn beziehen, warscheinlicher ist es, an die kirchlichen Oberhäupter der Türken am Wardar („Vardarioten“) zu denken.
123Die zweifellos politisch motivierte Heirat brauchte der Gyula, um die Gunst des Großfürsten zu gewinnen. Sarolt wurde in der zweiten Hälfte der 950er Jahre im Gebiet östlich der Theiß geboren, und obwohl Hierotheos sie offenbar auf Anweisung ihres frommen Großvaters taufte, erhielt sie dennoch einen türkischen Namen von chazarisch/kabarischem Typus: Šar-aldy = Weißer Marder oder Šarylty = Weißheit – die spätere slawische Übersetzung des Namens Bele-knegini hat die gleiche Bedeutung: Weiße Fürstin/Herrin. (Der Name ihrer angeblichen Schwester, der früher als „Frau von Doboka“ in die Geschichte Siebenbürgens eingegangenen „Caroldu“, ist eine Erfindung von Anonymus, genauer einer seiner Lesefehler.* Wie er aus dem ungarischen Namen Kalan einen bulgarischen Fürstennamen machte, Calan - Chalan - Salan, schuf er ebenso die Variante Carold - Charold Sarolt(d). Da Sarolt aber ein bekannter, in anderen Quellen im allgemeinen mit S beginnender Name war, wurde aus „Caroldu“ – in Ermangelung einer besseren Lösung – „jüngere Schwester“.)
Die ungarischen schriftlichen Quellen aus dem 12. und vom Anfang des 13. Jahrhunderts schreiben s (š), cs (č) und k, seltener auch h mit ch, vgl. Chimon = Simon, Choraa = Soma, Chanad = Csanád, Chatar = Csatár, Chemey = Kemej, Chemen = Kemény, Chupa = Kupa (vgl. K. FEHÉRTÓI, Árpádkori kisszemélynévtár [Kleines arpadenzeitliches Personennamenverzeichnis], Bp. 1983, und andere Angaben). Diese Laute am Wortanfang wechselten in den Dialekten der damaligen Zeit wohl tatsächlich, wie dies der erwähnte Name Chalan = Kalán, Salán, Csalán zeigt.
Zur tatsächlichen Heirat kam es in den 970er Jahren. Wenn Vajk-Stephan wirklich 977 (neuesten Forschungen zufolge sicher nach 975) geboren wurde, dann gerade in einer bedrängten Lage Gyulas, weil eben 976 die Bulgaren ihm seine direkten Verbindungen zu Byzanz abschnitten. Sarolt war bereits aus Siebenbürgen nach Gran gelangt, was vielleicht ihr in der Nähe Schäßburgs am Ufer der Großen Kokel gelegenes früheres Besitztum, das Dorf Sarold bezeugen mag. Während von den Dörfern Décse in Siebenbürgen Magyardécse im Salzgebiet des Samosch Stephans Vater Geysa gehören konnte (1269: Dycha), ist der Hafen Marosdécse (1355 Deyche) für das Thorenburger Salz eher mit Herzog/König Geysa I. zu verbinden.* Mehr wissen wir über die Herrschaft von Sarolts Vater Gyula nicht, nur läßt sich vermuten, daß er um einen fürstlichen Ausbau des Weißenburger Hofes bemüht war: vermutlich zu seiner Zeit entstand die Hofkapelle, eine Rotunde, und im Kokeltal wurde das Grenzödland nach Osten verschoben, über Schäßburg hinaus.
Auf seinen Münzen: Geuca, in einer Urkunde: Geiss, auf der byzantinischen Inschrift der Krone: Geovitza(s), sprich Gyejcsa-Gyevicsa, woraus sich das härtere Décse-Devicse entwickelte. Die Festlegung der zeitlichen Abfolge der Ortsnamen Győ, Décs, Décse, Décsa erschwert, daß seit Beginn des 13. Jahrhunderts auch Grundherren Namen wie Gywche/Gecha/ Geysa trugen.
Sarolts mit großer Wahrscheinlichkeit jüngerer Bruder – starben doch seine Söhne Boja und Bonyha im Mannesalter eines gewaltsamen Todes während der zweiten Verschwörung gegen König Peter 1046 – mag an der Wende zu den 980er Jahren die Würde des „dritten“ siebenbürgischen Gyula angenommen haben, wie sich der Schreiber der Urgesta noch sehr wohl erinnerte. Sein Zeitgenosse, der zur Jahrtausendwende unerhört energische byzantinische Kaiser Basileos II. – der spätere Bulgaroktonos = Bulgarentöter – beginnt wenig später, 985, seinen 40jährigen ununterbrochenen und erfolgreichen Kampf zur Wiederherstellung der früheren Größe des Byzantinischen Reiches. Seine europäischen Kriegszüge begannen als Angriffe auf Bulgarien. 124Der „dritte“ Gyula mochte also – nicht einmal unbegründet – wieder mit direkter Unterstützung durch Byzanz rechnen und mußte vorerst nicht einmal die Rache der Arpaden fürchten. In den 990er Jahren herrschte nämlich statt des alten Großfürsten Geysa die ältere Schwester des Gyula, Sarolt, über das Land: „totum regnum manu tenuit“ (Bruno von Querfurt, Vita S. Adalberti)*. Doch Geysas Tod, Stephans Thronbesteigung und die Niederschlagung des Thronprätendenten Koppány 997 klangen wie Alarmglocken über der Herrschaft Prokujs = Sohn des Prok („Überrest“, Nachfolger?, Abkömmling?, wie ihn die Slawen nannten). Ein Viertel des gevierteilten Koppány-Körpers in „Siebenbürgen“ erhielt offensichtlich das Weißenburg des Gyula, was sich vielfältig erklären läßt, nur nicht als freundliche Geste.
G III. 2203–2204
Den raschen und unverhofften Sturz des Gyula verursachte der neue Angriff Kaiser Basileios’ II. 1001 auf Bulgarien. Dieser eroberte 1002 Vidin und stellte südlich der unteren Donau das byzantinische Thema Thrakien wieder her. Man durfte nicht abwarten, bis dem auch von seinen griechischen Priestern beeinflußten machthungrigen Gyula der Kaiser aus nächster Nähe die Hand reichte.
Die Hildesheimer und Altaicher Annalen teilen für das Jahr 1003 bündig mit: „Der ungarische König Stephan zog mit seinem Heer gegen seinen mütterlichen Onkel König Gyula,* nahm diesen mit seiner Frau und zwei Söhnen gefangen und trieb dessen Land (regnum) mit Gewalt zum Christentum.“ – In dieser Nachricht ist keine Rede von bewaffnetem Widerstand, von Zusammenstößen – zumal nicht von einem „rumänisch- ungarischen Krieg“ –, und auch die Folgen lassen eine solche Schlußfolgerung nicht zu.
super avunculum suum, regem Iulum. G. I. 41, P. 339 und I. 92. p. 205
Siebenbürgens über ein Vierteljahrhundert dauernde labile „Sondergeschichte“ ging damit zu Ende. Den Gyula mit seinen Königsallüren nahm Stephan nicht in Haft-was sich als Fehler herausstellte: Der Gyula floh einige Jahre später aus Gran und schloß sich Stephans Feind, dem polnischen König Boleslaw Chrobry (dem Tapferen) (992–1025) an, seine Frau ließ der großherzige Stephan ohne Lösegeld frei. Wie sehr Herr (senior) „Prokuj“ sein verlorenes „Königreich“ betrauerte, beweist nichts besser, als daß er gegen Stephan und sein Land die Waffen erhob. Dieser mußte ihn aus der ihm von Boleslaw anvertrauten Grenzburg vertreiben. All das geschah vor 1018, dem Jahr, in dem Bischof Thietmar von Merseburg, der diese späten Nachrichten mitteilte, verstarb. Prokuj verlor sein Leben irgendwo auf polnischer Erde, seine Söhne Boja und Bonyha blieben Stephan und ihrem Volk treu.
Nach Siebenbürgens Neuorganisation und der Sicherung regelmäßiger königlicher Salztransporte von der Mieresch zur Theiß kam es zu einer sowohl von der ungarischen als auch der rumänischen Geschichtsforschung überbewerteten Aktion. Bisher ist der Zeitpunkt der Niederschlagung Ajtonys extrem umstritten (1003–1028), das genaue Jahr läßt sich vermutlich gar nicht mehr bestimmen. Zu Zeiten Großfürst Geysas und noch zu Beginn der Herrschaft Stephans entsprach das Mieresch-Temesch-Gebiet in allem den Verhältnissen in Ungarn (Gräberfelder landnehmender ungarischer Krieger, später die Schwerter der militia Geysas und Gräber mit Schwertbeigaben), 125während in der zweiten Hälfte von Stephans Herrschaft von Hodony bis hinunter nach Mehádia auch schon Gräber mit den Münzen des Königs erscheinen.
In den frühen ungarischen Geschichtsquellen hinterließ das Ereignis selbst keine Spuren, unter fast zehn Werken wird nur in der größeren Gerhardtslegende (Legenda maior S. Gerardi) und in den Gesta des Anonymus daran erinnert – mit erheblichen Abweichungen. Nach der Legende ließ sich der Großherr (princeps) Achtum/Ohtum (sein Name stammt von türkisch Altun = Gold, das im Ungarischen ebenso regelrecht zu Ajtony wurde wie Falis zu Fajsz) in Vidin nach griechischem Ritus taufen, gründete dann in griechischem (sprich: byzantinischem) Auftrag (aus … Gewalt) in Marosvár = Miereschburg ein dem Johannes dem Täufer geweihtes Kloster und holte sich dafür griechische Mönche samt Abt. Dies kann erst nach 1002 geschehen sein, nachdem im Herbst des Jahres Kaiser Basileos II. Vidin von den Bulgaren erobert und die Reichsgrenzen bis an die untere Donau, an die Grenze von Ajtonys Gebiet vorgeschoben hatte. Der mit den Byzantinern kokettierende Ajtony blieb jedoch in seinen Bräuchen ein Heide, er hatte „sieben Frauen“. Das ist zwar ein Märchenelement der Legende, doch waren es mit Sicherheit mehrere: nachdem er besiegt war, erhielt Comes Csanád die eine, eine andere Comes Becs (die einander bestätigenden Berichte sind dadurch absolut glaubwürdig). Auf Ajtonys Besitztümern weideten gewaltige Pferde- und Rinderherden, „jene nicht mitgerechnet, die von den Hirten in Ställen gehalten wurden“.* Letztere Nachricht wäre vor wenigen Jahren noch zu den als späte Legendenelemente rechnenden Meierhöfen und Herrenhäusern gezählt worden, bis heute haben die archäologischen Ausgrabungen aber immer mehr Beweise der ungarischen Stallviehhaltung im 10.–11. Jahrhundert freigelegt, und auch Bischof Gerhardt erwähnt in seiner „Deliberatio“ die bei den ungarischen Herren beliebten Pferdeställe. Ajtony hatte zahlreiche Truppen – mit aller Gewißheit vom Miles-Typ Geysas – und ein überspanntes Selbstbewußtstein. Dieser vollblütige, schwerreiche Prahlhans war vermutlich der königliche Gespan des nicht lange zuvor errichteten Miereschburg (urbs Morisena) gewesen, der in falscher Bewertung der Kräfteverhältnisse sich dem mächtigen Nachbarn im Süden angeschlossen hatte. Er vermochte seine Herrschaft auf die heidnischen Ungarn der Umgebung von Békésvár bis an die Kreisch auszudehnen und sich das ganze Banat zu unterwerfen. Damit begann er die Verbindung des königlichen Zentrums zu den kürzlich vereinnahmten Teilen Siebenbürgens zu gefährden. Mit seiner Impertinenz – er scheute sich nicht, den Zehnten von den königlichen Salzschiffen zu fordern –, seinem heidnischen Verhalten und in erster Linie seinem Kokettieren mit Byzanz mußte er naturgemäß Stephans Zorn erregen.
exceptis his, quos pastores in domibus sub custodia servabant_ Vita s. Gerardi 10, G III. 2424.
Stephan sandte seinen Verwandten, Dobokas Sohn Csanád (Chanad, Sunad), gegen ihn, nach einem (historisch nur bedingt glaubwürdigen) märchenhaften Einschub („Csanád-Sage“) der Gerhardtslegende gemeinsam mit dem sich am Königshof aufhaltenden Gyula. Glaubwürdiger scheint aber zu sein, daß an diesen nach den später hier errichteten Torwächterlöwen Oroszlános (oroszlán = Löwe) genannten Ort, wo Csanád seine Schlacht 126gegen Ajtonys Heer schlug und in Erinnerung daran dem hl. Georg dem Märtyrer ein Kloster (1247: Wruzlanmunustura) errichtete, später Bischof Gerhardt die griechischen Mönche von Miereschburg umsiedelte. Alles übrige – auch Ajtonys Ende, liegt im Dunkeln. Seine Nachkommen gleichen Namens hatten bis zum 15. Jahrhundert Besitztümer in den Komitaten Csanád, Krassó und Kolozs. Stephan war nicht rachsüchtig, er vernichtete Ajtonys Familie ebensowenig wie die Koppánys. (Vgl. die prinzipielle Verfügung Stephans in seinem Gesetzbuch II. 2.)
Der Feldzug gegen Ajtony-eher eine Strafaktion-fiel zeitlich nicht mit der Gründung des Bistums Mieresch zusammen, da diese (gemeinsam mit der Errichtung des Bistums Bihar) ein Element der planmäßigen Kirchenorganisation war und 1030 erfolgte. – Andererseits erstreckte sich die Amtsgewalt des Bistums Kalocsa schon früher auf das Banat. Zum Kriegszug kam es einige Jahre vor 1015 oder spätestens 1018, da Stephan I. in diesen beiden Jahren, doch eher im ersteren, schon als Verbündeter Basileos’ II. an der endgültigen Zerstörung Bulgariens und der ersten oder zweiten Eroberung von Cesaria (der „Kaiserstadt“ = Ochrid) teilnahm.
Während die in Tschanad enstandene uralte Gerhardtslegende nichts von der Abstammung des machthungrigen Ajtony weiß, glaubt Anonymus zu wissen und wiederholt es dreimal wie ein Epitheton ornans, daß er ein Abkomme des „kumanischen“ Fürsten Glad aus der Landnahmeperiode war. Wie die Gerhardtslegende Ajtony, so bringt Anonymus Glad mit Vidin (Budyn) in Verbindung und entwickelt dies in seiner Weise weiter: er läßt ihn direkt von dort abstammen. Der Träger des vermutlich türkischen Namens Glad/Galad ist eine im 10. oder 11. Jahrhundert existierende Person, belegt von arpadenzeitlichen Dörfern namens Gilád/Galád im Banat – eben aus diesen Dorfnamen schuf Anonymus nach bewährter Manier den Gegner der landnehmenden Ungarn. Davon konnte er am Beginn des 13. Jahrhunderts natürlich keine Kenntnis mehr haben, daß die landnehmenden Ungarn in keinem einzigen Fall den Namen einer vor der Landnahme hier lebenden Person übernahmen. Außer dem Märchengespinst des Anonymus gibt es also keinen Beweis dafür, daß Glad der Ahn des 120 Jahre später lebenden Ajtony gewesen wäre, es ist aber nicht auszuschließen, daß er sein Vater oder Großvater war. Weiterhin lohnt sich zu erwähnen, daß Osvaldus de Lasko in seinem 1499 herausgegebenen Werk „Sermones“ Ajtony (Atthon) aufgrund einer unbekannten Quelle aus dem Nyír-Gebiet (in Nyr) stammen läßt. Auch der Herr über ein kabarisches oder ungarisches „Stammesland“ oder gar eine selbständige „rumänische Woiwodschaft“ konnte er nicht gewesen sein: Anonymus hält Glad ausdrücklich für einen cuman und spricht nur über Kumanen, die Glad von außen her unterstützten, sowie über Bulgaren und Blaken. Daß letztere nichts anderes als Anonymus’ Zeitgenossen sind, die Völker des mit kumanischer Hilfe 1186 entstandenen bulgaro-vlachischen Zarenreichs der Asseniden (Assens damaliger lateinischer Titel: rex Bulgarorum et Blachorum), muß wohl kaum bewiesen werden.
In den letzten Jahren ist es zur „Mode“ geworden, den Goldschatz von Nagyszentmiklós (Großsanktnikolaus) mit den Ungarn Gyulas oder Ajtonys (oder mit Glads Rumänen) in Verbindung zu bringen – unter anderem dazu offensichtlich auch durch die Nachbarschaft Csanádvárs mit Großsanktnikolaus bewogen. Awarische fürstliche Gefäße aus dem 7.–8. Jahrhundert lassen sich aber nicht mit Jahrhunderte späteren Personen oder Ereignissen 127verbinden, und seit ein genaues Pendant des Alphabets der nachträglich in die Gefäße eingekratzten Kerbschriften auf einem awarischen beinernen Nadelbehälter des 8. Jahrhunderts in Szarvas gefunden wurde, läßt sich seine Vergrabung nicht später als auf den Zusammenbruch des Awarenreiches datieren.

 

 

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