Die östliche Tiefebene bis zum letzten Drittel des 12. Jahrhunderts

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Die östliche Tiefebene bis zum letzten Drittel des 12. Jahrhunderts
Wie im 10. Jahrhundert ist auch in dieser Periode die Geschichte der östlichen Tiefebene (des neuzeitlichen Partium Regni Hungariae und des Banats) von der Siebenbürgens zu unterscheiden. Die Zentren dieses Gebietes, Biharvár und Csanádvár, spielten im Leben Ungarns eine bedeutende, den beiden königlichen Hauptstädten Gran und Stuhlweißenburg unmittelbar nachgeordnete Rolle, wenn sie nicht gelegentlich diese sogar noch übertrafen.
Von der zweiten Hälfte der 1020er Jahre an macht König Stephan das großräumige Land Bihar zum Herzogtum (ducatus) des Thronfolgers, seines einzigen noch lebenden Sohnes Emerich (Imre, Heinricus, Emericus). 1030 wird der Rang des Gebietes durch die Gründung des Bistums Bihar auf dem früheren Territorium des Bischofs von Eger/Erlau und die gleichzeitige Gründung des Bistums Mieresch im früheren Bereich des Bischofs von Kalocsa weiter erhöht. Herzog Emerich stirbt am 2. September 1031 auf einer Wildschweinjagd im Berettyótal, am vermutlichen Schauplatz des Unglücks wird am Ende des 11. Jahrhunderts ein Kloster gegründet (Hegyköz-Szent Imre, heute: rum. Sîntimreu, „Monostor“-Flur).
Das noch lange „Mierescher“ genannte Bistum Tschanad (Moresenae aecclesia) leitet seit 1030 (Annales Posoniensis) der große Missionsheilige der ungarischen Kirche, der Venezianer Gerardus/Gerhardt (Gellért), der nach 139König Stephans Tod zum personifizierten lebenden Gewissen des christlichen Königtums wird, zumindest laut der Chronica Hungarorum. Ihn vermochte selbst das Blutbad König Samuel Abas 1044 bei Tschanad nicht einzuschüchtern, und am Ostersonntag (22. April) weigerte er sich, dem König aus Anlaß des Festes im Dom die Krone aufzusetzen. 1046 kamen in Csanádvár die Gegner der zweiten Herrschaft Peter Orseolos zusammen und suchten von dort aus mit Gerhardts Unterstützung den Thronanwärter des Arpadenhauses, Herzog Andreas, auf, um ihn zur Heimkehr zu bewegen. In Csanádvár gründete und errichtete Gerhardt mit den von König Stephan erhaltenen Iooo Mark Silber den bischöflichen St. Georgsdom (seit 1290 Ruhestätte König Ladislaus’ IV.) und mit ebenfalls 500 Mark Gold und Silber von Stephan das Kloster der hl. Jungfrau Maria, in dem er das erste in Ungarn entstandene theologische Werk verfaßte, die „Deliberatio supra hymnum trium puerorum“. Nach seinem Martyrium (24. Sept. 1046) wurde er bereits 1053 nach Tschanad überführt und im Kloster der hl. Jungfrau Maria beigesetzt, indem man den Stein, durch den er sein Martyrium erlitt, auf den Sarkophag legte. Seine sterblichen Überreste wurden hier auf päpstliche Anweisung am 25. Juli 1083 in Anwesenheit König Ladislaus’ (László) I. und Herzog Lamperts gehoben und die Heiligsprechung des ersten ungarischen Märtyrerbischofs vollzogen.
Stürmischer gestaltete sich das Leben in Biharvár. Zwischen 1048 und 1050 erneuerte König Andreas (András) I. den Dukatus, anfangs mit seinem zum Thronfolger ernannten jüngeren Bruder Herzog Bela an der Spitze, mit dem Recht auf selbständige Münzprägung. Mit der Streitmacht des Dukatus stürzte Bela 1060 die Herrschaft Andreas’ I. und seines Sohnes Salomon, dennoch mußte nach Belas I. Tod auch König Salomon (Salamon) nach seiner Machtergreifung das herzogliche Gebiet Belas Sohn Geysa (1064–1074 – auf seinen herzoglichen Münzen: Magnus dux) übergeben. In diesen Jahrzehnten war Biharvár so etwas wie eine zweite Hauptstadt Ungarns. Nicht zufällig besetzten den Biharer Bischofsstuhl so herausragende Persönlichkeiten wie der 1046 mit Bischof Gerhards zusammen den Märtyrertod gestorbene, seinem Namen nach Italiener Baduil (Budli/Buldi, Budlu) sowie sein Nachfolger, der Lothringer (aus Namur) Leodvin (vor 1061: Lieduinus episcopus Bichariensis), der spätere Erlauer Bischof. In der Umgebung von Biharvár entstanden mehrere herzogliche curtis (Herrensitz, Pfalz). 1073 erhoben sich in Bihar Geysa und Ladislaus gegen König Salomon, von hier aus ging Ladislaus ins Ausland, um Hilfe zu erbitten, während Geysa am 26. Februar 1074 mit dem „Biharer Heer“ eine Niederlage erlitt, woraufhin aber dasselbe Heer kaum zwei Wochen später, am 14. März, unter Herzog Ladislaus’ Führung bei Mogyoród diese Scharte gründlich auswetzte. Nachdem Geysa (Géza) I. zur Herrschaft kam, wird Herzog Ladislaus (László) der neue Dux (1075–1077).
Als im Herbst 1060 bei der Machtübernahme Belas I. oder 1061 während des Stuhlweißenburger Heidenaufstands Stephans I. sterbliche Überreste gehoben (Translatio S. Stephani regis, 11. Okt.) und in Stuhlweißenburg unter einer gewaltigen Steinplatte beerdigt wurden, gelangte seine mumifizierte rechte Hand samt Arm nach Bihar. Der Dieb verbarg sie hier in einem kleinen Holzkloster bis ins dritte Jahr nach der Erhebung anläßlich seiner Kanonisierung am 20. August 1083, als dieser Fall ans Licht kam. König Ladislaus I. und Herzog Almos errichteten an diesem Ort für die 140Heilige Rechte (Sanctissima Dextera, im alten Ungarisch: Szent Job) ein Kloster (heute: rum. Sîniob), in dem sie als nationale Reliquie bis 1433 aufbewahrt wurde. Zwar entzog König Koloman (Kálmán) dem Kloster die Privilegien von Herzog Almos – darunter auch den Salzzoll von Szalacs – und seine Besitztümer, doch erhielt es letztere von Geysa (Géza) 11. zurück, und später wurde der als Glaubwürdiger Ort fungierende Konvent großzügig entschädigt. Die sich über das ganze Land erstreckenden Besitztümer der später auch Berettyómonostor genannten Abtei lagen mit wenigen Ausnahmen (z. B. Siri bei Világosvár) im heutigen Ungarn, weshalb aus den in ihren Diensten stehenden 90 Familien mit 16 Berufen keinerlei wirtschaftliche Folgerungen für das hier interessierende Gebiet gezogen werden dürfen.
Nach der Gründung Wardeins schuf Ladislaus I. hier zuerst eine Propstei und ein Kollegiatkapitel und überführte dann auch das Bistum Bihar in die neuerbaute Burg. Erster Wardeiner Bischof wurde sein Vetter und Nachfolger Koloman (Kálmán, zwischen 1093–1095). Der letzte Dux von Bihar war Almos (Ende 1095 – Ende 1106), Kolomans jüngerer Bruder, der frühere König des durch Ladislaus I. eroberten Kroatien (1091–1095), doch ohne Münzprägungsrecht. Almos gründet in Siebenbürgen das Benediktinerkloster von Meszes (vor dem oder im Jahre 1106) und schenkt der nach seiner Wallfahrt nach Jerusalem gegründeten Propstei von Dömös (1108), ca. 100 Güter im Land, darunter etliche im hier behandelten Gebiet zwischen Weißer und Schwarzer Kreisch und auch mehrere Dörfer am Mieresch. Mit seinem Herzogtum läßt sich die Überführung der Überreste Ladislaus’ I. von Somogyvár nach Wardein (1098?) in Verbindung bringen, mit der unübersehbaren Folge, daß einige Jahrzehnte später Wardein nach Stuhlweißenburg zum wichtigsten religiösen und geistigen Zentrum des mittelalterlichen Königreichs Ungarn wird. Nach der Heiligsprechung Ladislaus’ I. in Wardein (1192) wird die Umgebung seines Grabes zum Beerdigungsplatz der Könige und Königinnen. (Als erster erhält hier sein Grab – vorübergehend – Andreas [András] II., dann Königin Beatrix von Luxemburg, Königin Maria von Anjou, König und Kaiser Sigismund von Luxemburg.) Am Nordufer der Schnellen Kreisch, am Előhegy = Promontorium Waradiense, gründete Stephan (István) II. für Mönche aus Prémontré – noch im Jahrzehnt der Ordensgründung (1120) – Ungarns erste Prämonstratenserabtei, das Mutterkloster der ungarischen Prämonstratenser, in dem 1131 der König bestattet wurde. Da am Grab des hl. Ladislaus gerade in seiner Regierungszeit die ersten Wunder geschahen, ist nicht auszuschließen, daß seine Gebeine später in den Wardeiner Dom überführt wurden. Der Südrand unseres Gebietes wurde im übrigen in der Herrschaftszeit Stephans II. vom Krieg gestreift: Kaiser Ioannes Komnenos II. von Byzanz hatte bei Haramvár (Banatska Palanka, Neu-Palank) die Donau überquert und ein ungarisches Heer bis an den Krassó-Fluß verfolgt – ansonsten erschöpfte sich dieser seltsame Krieg im gegenseitigen Zerstören der Burgen und Verschleppen ihrer Hausteine (1127/1129).*
Ioannes Kinnamos 1. FBHH pp. 196–198 und Chronica Hungarorum 156. SRH I. pp. 441–442

141Karte B. Die Besiedlung Siebenbürgens und der östlichen Tiefebene 1003–1172
1 = marchio-/comes-Burg, 2= Sitz eines dux, 3 = curtis eines Herzogs, 4 = Bistum, 5 = Abtei, 6 = Salzgrube im 11.–12. Jahrhundert, 7 = Burgen und Grenzburgen vom letzten Drittel des 11. Jahrhunderts bis Mitte des 12. Jahrhunderts, 8 = Dorf- und Grenzwächter-Siedlungsnamen mit Besenyő (B), Kölpény (K) oder Talmács (T), 9 = ungarische Dorfkirchen und Kirchhöfe des 11.–12. Jahrhunderts, 10 = in Urkunden bis zu den 1170er Jahren erwähnte Dörfer, 11 = Besitztümer von Adelsgeschlechtern im 11.–12. Jahrhundert, 12 = slawische Ortsnamen Daróc und Ardó, 13 = Münzen von Stephan I., Peter, Samuel und Andreas I., 14 = Münzen von Bela I., Salomon, Geysa I. und Ladislaus I., 15 = Münzen von Koloman, Stephan II. und Bela II., 16 = Münzen von Geysa II., Stephan III. und Bela III., 17 = Münzschatz: Peter, 18 = Münzschätze: Ladislaus I., 19 = Münzschätze: Bela II., 20 = Münzschätze: Bela III., 21 = Grenzwächterfriedhöfe seit der Zeit Geysas II., 22 = Grenzwächterdörfer seit der Zeit Geysas II., 23 = Grenzgespanschaften (Komitate) im 11–12. Jahrhundert – vergleichsweise Borsova
Die Ebene bei Aradvár wurde durch die allgemeine Versammlung von 1131 berüchtigt: Hier metzelten auf Befehl der Ehefrau Belas II., Königin Helene, die Anhänger der Almos-Partei 68 Herren der Koloman-Partei nieder. Aus ihrem eingezogenen Vermögen wurde – zur Versöhnung – an Ort und Stelle 142die St. Martinspropstei errichtet, die zu Stephans (István) III. Zeit (1162–1172) schon gestanden haben muß, da damals um sie herum schon beerdigt wurde. Ihre heutige imposante Ruine war die 1224 geweihte, umgebaute Kirche. Zu ihren 1177 aufgelisteten Schenkungen von Bela II. gehörten außer Dörfern in den Komitaten Arad, Zaránd, Bihar und Temesch auch Güter in Siebenbürgen: ein Besitz im Komitat Torda (von wo die Arader Schiffe der Propstei Salz transportierten) und das bereits erwähnte Dorf Frauenvolk/Asszonynépe.
Die Geschichte dieser Epoche schließt wiederum mit einem byzantinischen Krieg. Im Herbst 1150 zog Kaiser Manuel Komnenos I. an die untere Donau und sandte ein Heer „ins Land Temises“ (Banat), angeführt vom ungarischen Thronprätendenten Boris. Nach dem Heranrücken König Geysas (Géza) II. und seiner Truppen ergriffen jedoch die Angreifer, die gerade die reichen Oppida plünderten, nach übereinstimmender Behauptung von Ioannes Kinnamos* und dem sich gerade damals in Ungarn aufhaltenden Granadaer Abű Hamid al-Garnâtî schimpflich die Flucht.
Ioannes Kinnamos 11. FBHH pp. 208–209
Gleichsam als Epochenabschluß muß unbedingt noch die 1179 am linken Miereschufer von Bela I. gegründete Zisterzienserabtei von Egres (nach der 1142 in Cikádor gegründeten die zweite im damaligen Ungarn) erwähnt werden, die von aus Pontigny umgesiedelten Mönchen im französischen Stil erbaut und zum Mutterkloster der Zisterzienserabtei im siebenbürgischen Kerz (1202) wurde. 1233 wurde im Egreser Kloster Königin Jolanthe Capet-Courtenay und 1235 Andreas II. bestattet.

 

 

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