Die archäologischen Zeugnisse aus der Gründungszeit des Königreiches

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Die archäologischen Zeugnisse aus der Gründungszeit des Königreiches
Während man Siedlungen des 10. Jahrhunderts – mit Ausnahme Weißenburgs und vielleicht Biharvárs – bisher weder in der östlichen Tiefebene noch in Siebenbürgen kennt, knüpft sich das Leben seit Beginn des 1 L Jahrhunderts an bekannte, auch heute noch mit ihrem Namen existierende Burgen und Siedlungen.
Bemerkenswerte Denkmäler der neuen Epoche sind die Holzerdeburgen, jene großangelegten Verteidigungswerke, die Anonymus um 1200 selbstverständlich für die Zentren aller Macht hielt. Zum Teil hätten sie schon vor 155Ankunft der Ungarn bestanden und seien von ihnen belagert und eingenommen worden (z. B. Sathmarvár, Biharvár, Alpárvár, Gyaluvár), zum anderen Teil, schreibt er ausdrücklich, hätten sie die Fürsten der landnehmenden Ungarn erbauen lassen (z. B. Szabolcsvár, Csongrádvár). Wir wissen heute, daß bei Anonymus nicht irgendein Prinzip problematisch ist (damals bildete die Burg wirklich ein unentbehrliches Machtelement des „modernen“ Staates), sondern sein einfallsreicher Erzählstil. Eine ganze Reihe ungarischer Burgen des 10.–11. Jahrhunderts hatte tatsächlich Vorgänger. Einzelne waren urzeitliche (bronze-, eisenzeitliche) Erdschanzen unterschiedlichen Ausmaßes, im allgemeinen an geographisch-strategisch wichtigen Punkten; andere, und das ist die Ausnahme, wurden auch auf den verfallenden Steinmauern römischer Städte errichtet. Die Burgen der der Landnahme unmittelbar voraufgehenden Mächte übernahmen die Ungarn nur selten und bauten sie wieder auf (Bresalauspurc = Preßburg, Mosapurc = Zalavár – diese erst am Ende des i i. Jh., Belgrad = Weißenburg, die bulgarische Erdburg Černigrad = Csongrad). Nur die letzte von ihnen kommt bei Anonymus vor, allerdings bei den von den Ungarn neuerrichteten Burgen. In Alpárvár, Zemplénvár und Titelvár wurden die Burgen der Arpadenzeit im 11. Jahrhundert oder noch später unmittelbar auf urzeitliche Fundamente gebaut – nicht eine stand im 9. Jahrhundert als Burg, dabei hätten sie doch die Zentren der Anonymusschen Lokalgewaltigen sein sollen. Im Falle von Szabolcsvár, Abaújvár, Patavár, Alt-Aradvár, Alt-Kolozsvár/Klausenburg, Alt-Tordavár/Thorenburg (Várfalva/Burgdorf), Dobokavár, Sárvár/Schart und einer Reihe anderer Burgen belegten auch moderne Grabungen, daß die Holzerdeburgen ohne Vorgänger an der Wende vom 10. zum 11. oder im 11. Jahrhundert erbaut wurden.
Vor wenigen Jahrzehnten konnten sich nicht einmal die ungarischen Historiker vorstellen, daß die „nomadischen“ oder „halbnomadischen“ Ungarn Burgen gebaut hätten – die aus den schriftlichen Quellen bekannten Burgen der Burggespanorganisation des 11.–13. Jahrhunderts waren archäologisch unerforscht, niemand hatte auch nur annähernde Vorstellungen von ihrer Ausdehnung und Struktur. So „vermachte“ die damalige historische Auffassung, Anonymus folgend, die als unbedeutend betrachteten Burgen leichthin der lokalen Bevölkerung.
Heute ist auch der Geschichtswissenschaft klar, daß eine Machtstruktur, besonders ein mittelalterlicher Staat, ohne Burgen unvorstellbar ist. Folglich setzte ein moderner (teurer und mühsamer) Kampf um die Burgen ein. Man sucht außerhalb der heutigen Grenzen Ungarns – vom jeweiligen Land abhängig – die slawisch-blakisch-bulgarisch-„römischen“ (fränkischen) Burgen des Anonymus. Nicht zuletzt ist dieser „nationalstaatlichen Archäologie“ die Konjunktur der Burggrabungen zu verdanken, zugleich aber auch ihre Verzerrung, gehen doch die Datierungen nicht von den wirklichen Schichten, von den archäologischen Funden in den Schichten aus, sondern von Anonymus: Die Datierung der Funde und Bauobjekte werden seinen „Angaben“ angepaßt. In Siebenbürgen inspirierte die Anonymus-Figur des blakischen Fürsten „Gelu“ die Erforschung Dobokavárs, Alt-Klausenburgs und der Burg Gyaluvár/Julmarkt und am Mieresch der Anonymussche Fürst Glad die der Burg Alt-Arad. Aber leider bedingte diese Konzeption auch, die Ergebnisse zu verändern. Denn die Ausgrabungen (zudem noch einige andere) erbrachten nicht nur keine Funde aus dem 9., sondern auch kaum aus dem 10. Jahrhundert. Der Ausbau der Burgen ist auf die Zeit der ungarischen 156Staatsgründung zu datieren, und das noch heute vorhandene bischöfliche Schloß aus dem 15.–17. Jahrhundert in Julmarkt entstand direkt auf der römischen Trümmerschicht aus dem 3. Jahrhundert und noch nicht einmal auf dem Gelände des römischen Lastrum.
Der Ursprung des frühen ungarischen Burgenbaues ist noch ungeklärt. Die ungarischen Burgen sind nur in gewissen Konstruktionseigenheiten mit den Holzerdeburgen in Mittel- und Osteuropa aus dem 10.–13. Jahrhundert verwandt, ihren Ausmaßen und ihrer Funktion nach waren sie ganz anders. In ihrem funktionalen Aspekt gehen sie vermutlich auf chazarische Vorbilder zurück, was aber die künftige Forschung erst noch nachweisen muß. Es handelt sich um ausgedehnte, in hohe Erdschanzen eingebettete Balkenburgen mit Kassettenkonstruktion (Beispiele aus dem heutigen Ungarn: Hontvár, Sopronvár = Ödenburg, Mosonvár = Wieselburg, Abaújvár, Szabolcsvár, Borsodván usw.), die im ausgetrockneten Zustand erheblich brandanfällig wurden und bei einer Belagerung oder durch Zufall leicht niederbrannten; aufgrund des dabei rotgebrannten Wallkerns wurden sie häufig (irrtümlich) „gebrannte Burg“ oder „Scherbenburg“ genannt. Bei ihrer Wiedererrichtung war man aus Konstruktionsgründen gezwungen, die Erdwälle zu erhöhen, bei manchen Burgen sogar zweimal. Dies half ihnen jedoch nicht viel – die Mongolen nahmen die belagerten russischen, polnischen und ungarischen Holzerdeburgen ein, und zu diesem Zeitpunkt wurden viele von ihren Bewohnern endgültig verlassen. Nur jene waren nicht brandanfällig, die statt hölzerner mit steinernen Mauern umgeben wurden (z. B. Dobokavár, Biharvár). Bis zum 13. Jahrhundert war dieser Burgtyp jedenfalls schon veraltet.
Von den ca. 40–50 frühen Gespansburgen stehen nur wenige auf römischen Vorgängern: Sopronvár/Ödenburg (Scarabantia), Győrvár/Raab (Arrabona), slaw. Visegrád an der Donau und die Weißenburg der Gyulas (Apulum), die beiden ersteren auf verfallenen römischen Mauern. Beispiellos und alleinstehend im Karpatenbecken ist Weißenburg, das gemäß seinen ältesten Militärplänen (1687, 1711) bis zum 18. Jahrhundert den regelmäßigen quadratischen Grundriß von 474 – 474 m, zwei Ecktürme und die Achse der römischen Hauptstraße (cardo) mit an beiden Enden auf römischen Fundamenten erbauten Toren samt Tortürmen des römischen Legionslagers bewahrte. Die schon 1547 als römisch bezeichneten, in Resten bis heute vorhandenen Mauern verdanken ihre Erhaltung vermutlich ihrer ausnehmend hohen Bauqualität sowie dem Umstand, daß die römische Stadt auf dem rechten hohen Miereschufer am Fuß der Berge mit der Auflassung der römerzeitlichen Gold- und Eisenbergwerke im Siebenbürgischen Erzgebirge uninteressant wurde, und zwar bis zur Eroberung durch die Donaubulgaren. Von den übrigen römischen Kastellen Daziens mit ähnlichen Ausmaßen und Grundriß (Ulpia Traiana, Potaissa, Napoca, Porolissum) wurden drei keine Zentren, ihr Platz blieb bis heute unbebaut, obwohl oberhalb von Neu-Thorenburg bis in die Neuzeit die Mauern Potaissas und einer seiner reliefverzierten großen Tortürme standen. – Im Mittelalter wußte man nicht einmal, daß sie römischen Ursprungs seien, die deutschen Einwohner Alt-Thorenburgs nannten sie die „Saxoniaburg“, der Humanist Bonfini vermutet in ihnen dann als erster – irrtümlich – das römische „Salinum = Salzstadt“. Bei Klausenburg läßt sich nur eine nachträgliche Verwendung der Nord- und Westmauerreste Napocas vermuten, seine mittelalterliche Stadtstruktur erbte – 157außer dem Decumanus, der Linienführung der zum Samosch parallel verlaufenden Hauptstraße – nichts von der römischen Stadt.
In den Burgen und Siedlungen Siebenbürgens sind die frühesten von der ungarischen Besiedlung zeugenden Funde aus der Landnahme- und Staatsgründungszeit Töpfe vom östlichen (Saltowo-) Typ und Herkunft mit kanneliertem Zylinderhals (Doboka, Weißenburg, Alt-Klausenburg, Betelsdorf, Mühlendorf, Unterwintz bzw. Csanádvár, Biharvár und Vártelek in der Nähe des Meszesch), frühe Tonkessel sowie spät landnahmezeitliche Metallgegenstände. Auf den Friedhöfen, die in und neben den Burgen errichtet wurden, herrschten anfangs die im 10. Jahrhundert heimisch gewordenen ungarischen Riten und Trachten. Erstere wiesen zuerst keineswegs ausgesprochen christliche Züge auf, höchstens in Gestalt der nach Osten ausgerichteten Totenbestattung. In der Tracht finden sich unverändert oder mit periodenbedingten Abwandlungen die als Zopfschmuck dienenden Haarreifen, die Fingerringe, Hals- und Armbänder, die zweiteiligen Anhänger und Dolmanknöpfe von Menschen, die nicht selten eine damals als spezifisch östlich-ungarisch betrachtete Heiltechnik, die gegen Krankheiten vorgenommene Schädelöffnung (Schein- oder echte Trepanation), mit ihren landnehmenden Vorfahren verband.
Die Friedhöfe vom Ende des 10. oder aus dem 11. Jahrhundert sind nach heutiger Auffassung Friedhöfe einer halb heidnischen, halb christlichen Bevölkerung, aber nur in bezug auf ihren Charakter. Denn die größere Gerhardtslegende verrät, daß die Friedhöfe all jener Gemeinschaften, die am Kirchenbau teilnahmen – laut Stephans Gesetz II. 1 mußten zehn Dörfer eine Kirche bauen –, von dorthin gesandten Geistlichen geweiht wurden, man also ihrer vorläufigen Benutzung zustimmte. Deshalb lassen sich überall im Land die nach der Staatsgründung eingerichteten „heidnischen“ Gemeinvolkfriedhöfe finden (z. B. Diemrich, Várfalva/Burgdorf, beide bis Ladislaus I.).
Eine erhebliche Veränderung tritt damit ein, daß die Friedhöfe und Gräber vom 11. Jahrhundert an gut datierbar werden: Auch in den versteckten Winkeln Siebenbürgens und des Banats verbreiten sich die Totenmünzen. Zahlreich finden sich bereits die Münzen Stephans I., dann fortlaufend die der ungarischen Könige, bruchlos bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, der Zeit Belas III., wie in allen Gebieten der Arpadenmonarchie. Vom 12. Jahrhundert an wird die Tracht zwar ärmlicher, aber einheitlicher, neben den kleinen und großen Haarreifen und den Fingerringen verbreiten sich in der Frauentracht metallene Schleiernadeln (Weißenburg, Csitfalva, Neumarkt).
Im frühen Abschnitt der Staatsgründung, den 66 Jahren der Herrschaft Fürst Geysas und Stephans I., erscheint in Siebenbürgen, der östlichen Tiefebene und im Banat die Schicht des durchwegs aus dem früheren bewaffneten Gefolge nach westlichem Muster geschaffenen miles, ebenso wie in anderen Gegenden des damaligen Landes. In den Gräbern dieser Periode (Diemrich) und den frühen Burgen bzw. Siedlungen fand man zweischneidige „Karolinger“-Schwerter (Desch, Doboka, Arn, Biharvár usw.) – verhältnismäßig nicht weniger als anderswo –, seit dem 11. Jahrhundert oft auch die auf neue „ritterliche“ Kampfesweise hindeutenden bronzenen oder eisernen Sporen. Gleichzeitig vereinheitlicht sich in der Arpadenmonarchie eines der wichtigsten Geräte des Alltags: der Tontopf – so sehr, daß es im 11–13. Jahrhundert zwischen der Töpferei z. B. im siebenbürgischen Weißenburg und im pannonischen Stuhlweißenburg keinen nennenswerten Unterschied 158gibt. An beiden Orten herrschen die aus dem Osten mitgebrachten, mit dichter horizontaler Linienführung (scheibengedrehten Spirallinien) verzierten, auf der Handscheibe gedrehten Töpfe (vom „Saltowo-Typ“), Flaschengefäße und Tonkessel vor. Die im 10. Jahrhundert bemerkbaren vorlandnahmezeitlichen Töpfertraditionen werden verdrängt oder verschwinden, und die heutige Archäologie versucht auch in Siebenbürgen nur mittels Benennungen (Dridu-Kultur und Csüged/Ciugud-Keramik) ihr „Weiterleben“ nachzuweisen, in Wahrheit zu ersetzen.

 

 

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