Siedlungsgeschichtliche Lehren der ungarisch-slawischen Epoche bis zur großen Umgestaltung am Ende des 12. Jahrhunderts

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172Siedlungsgeschichtliche Lehren der ungarisch-slawischen Epoche bis zur großen Umgestaltung am Ende des 12. Jahrhunderts
Wie zufällig und unsystematisch die archäologischen Forschungen des vergangenen Jahrhunderts auch waren, ermöglichten sie doch einige unbestreitbare Feststellungen über siedlungsgeschichtliche Tatsachen.
Der vom Érgebiet bis zur unteren Donau verlaufende Ostrand der Großen Ungarischen Tiefebene mit den sich ihm anschließenden Tälern unterscheidet sich höchstens insofern von der ihm im Westen in ganzer Länge benachbarten Ebene, daß gerade in diesem Randgebiet die Zentren der ungarischen Ansiedlung und der frühen Staatsorganisation lagen, von Sathmarvár über Biharvár, Várad = Wardein, Zarándvár, Aradvár, Temeschwar bis Krassóvár und Orschowavár. Um diese Zentren herum kann mit einer noch dichteren und reicheren frühen ungarischen Besiedlung gerechnet werden als im Mittel- und Südabschnitt des Gebietes östlich der Theiß. Im Lichte der archäologischen Siedlungsgeschichte ist es also kein Zufall, daß die mit Gran und Stuhlweißenburg konkurrierenden politischen Zentren des frühen ungarischen Staates im 11. Jahrhundert um Maroschvar/Tschanad und Biharvár entstanden.
Anders sind die Verhältnisse im historischen Siebenbürgen zu werten. Zur Zeit der Landnahme läßt sich aus den Gräbern der militärischen Mittelschicht auf die strategische Besetzung des westlichen Teils der Siebenbürgischen Heide, der größeren Becken (z. B. Drei-Stühle-Becken) sowie beider Seiten des Miereschtals folgern. In der Mitte des 10. Jahrhunderts verschwindet mit dem Ende der Bedrohung durch Petschenegen und Bulgaren das früher tiefgestaffelte Verteidigungssystem, an dessen Stelle ringsherum Grenzödland und in der Westhälfte des Siebenbürgischen Hochlands dauerhafte Besetzung und Besiedlung treten. Ein ständiges ungarisches Siedlungsnetz entsteht zuerst um die Salzgruben an Mieresch und Aranyos, zweifellos mit Weißenburg als politisch-militärischem Zentrum. Aufgrund fehlender Forschungen wäre es vorerst schwer zu sagen, wo man außer Weißenburg und einigen kleineren Dörfern in den Tälern von Mieresch und den beiden Kokel mit größeren Ansiedlungen in der zweiten Hälfte oder im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts rechnen kann. Im Gebiet des Kleinen Samosch können 2–3 Dorfnamen nach Stammesnamen auf die Grenzwächter von Großfürst Geysa hinweisen.
Der Weg und die Schlagader der Staatsorganisation nach 1003 war auch im 11. Jahrhundert der Mieresch und sein Tal. Eine den Feldzug gegen Ajtony auslösende Ursache war die Verzollung der Salztransportschiffe auf dem Mieresch durch den Maroschvarer Fürsten. Dies ist der Hauptweg der aus Siebenbürgen nach Arad und Szegedin und später nur nach Szegedin gehenden Salztransporte noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Wie aus den bisherigen Ergebnissen der archäologischen Siedlungsgeschichte geschlossen werden kann, entstand erst gegen Mitte des 11. Jahrhunderts die Salzstraße zu Lande, vom in „Inner“-Szolnok neu errichteten Salzdorf über die bereits seit der Staatsgründung bekannte und benutzte (Vártelek!) Meszeschpforte bis nach Szolnok an der Theiß, die kaum zufällig Königsstraße (via regis) genannt wurde. Gemäß dem negativen Zeugnis der eine ungarische 173Besiedlung ausschließenden archäologischen Spuren kann das schwer begehbare Tal des vereinten Samosch von Desch bis Neustadt bis zum Ende des 11. Jahrhunderts keine große Rolle bei der Einwanderung und Niederlassung der Ungarn und der Verbindung beider Landesteile gespielt haben.
Das Fehlen archäologischer Funde und jeglicher Spuren menschlichen Lebens schließt natürlich ebenso aus, daß Nord- und Nordostsiebenbürgen in der Arpadenzeit eine dichte und womöglich eine andere als die slawische und ungarische Bevölkerung gehabt haben könnte. Den nordöstlichen Teil des Szilágy-Gebietes und von Marmarosch beschreiben die Urkunden des 12.–13. Jahrhunderts als riesiges königliches Waldgebiet. Von den nach moldauischen Chroniken des 17.–18. Jahrhunderts (Miron Costin, Dimitrie Cantemir) angeblichen Marmaroscher rumänischen „Ureinwohnern“ (die sich von Trajan bis zu Dragoş im 14. Jahrhundert versteckt hielten!), gibt es keine Spur.
Die siedlungsgeschichtliche Bedeutung der ebenfalls seit der Landnahme bekannten Straße Schnelle Kreisch–Königssteig–Kleiner Samosch war jedoch der Hauptschlagader im Miereschtal untergeordnet. Das läßt sich bis zum Ende der Arpadenzeit durch die Verbreitung und schwerpunktmäßige Verteilung der mit Tonkesseln charakterisierten Dörfer belegen.
Die strategische Verteidigung Siebenbürgens versahen bis ins letzte Drittel des 11. Jahrhunderts im Norden Dobokavár, im Osten Kokelburg und im Süden Hunyadvár. Eine geschlossenere, dichtere ungarische Besiedlung läßt sich um sie sowie um Alt-Klausenburg und Alt-Thorenburg beobachten, während Weißenburg seine Rolle als Zentrum stets behielt. Ein wichtiges Ergebnis der Archäologie ist es, die der ungarischen Landnahme voraufgehenden größeren slawischen Siedlungsblöcke ebendort nachgewiesen zu haben, wo die Sprachwissenschaft aufgrund der slawischen geographischen Namen die Existenz der Siebenbürger Slawen bis ins 11.–12. Jahrhundert wahrscheinlich gemacht hat.
Den Schutz des zentralen Gebietes sicherten seit dem letzten Drittel oder Ende des 11. Jahrhunderts die aus Ungarn in die späteren sächsischen Gebiete umgesiedelten Grenzwächterdörfer, die sich im Süden bis an den Alt um und hinter kleineren oder größeren Holzerdeburgen gruppierten. Unter Ladislaus I. und Koloman ist im auf diese Weise in Besitz genommenen gesamten Gebiet der Ausbau der dörflichen Kirchenorganisation zu beobachten. Auf römisch-katholische Kirchen und Kirchhöfe stößt man von nun an auch in früher unbewohnten, einstigen Waldgebieten, besonders in den Kokeltälern. Die Gespansburgen bildeten überall die Zentren des Christentums, so wissen wir z. B. im Gelände von Dobokavár von zwei, später mehrfach umgebauten frühen Steinkirchen.
Die Grenzwächterorganisation vom Ende des 11. Jahrhunderts begann man zur Zeit der ersten deutschen Ansiedlung, im mittleren Drittel des 12. Jahrhunderts, in das spätere Szeklerland zu verlegen, wo das Auftauchen neuer Siedlungen und Friedhöfe der Grenzwächterbevölkerung heute schon archäologisch belegt ist. Die Grenzwächter waren Ungarn mit im damaligen Land schon etwas veralteten altungarischen Traditionen, auf ihre Bedeutung verweist ihr Reichtum, der seinen Spuren nach an die Adelstracht dieser Epoche heranreicht.
Die siedlungsgeschichtliche Skizze der Archäologie stimmt mit dem Bild überein, das die jüngste Forschung in bezug auf die ungarische Besiedlung Siebenbürgens aufgrund der siebenbürgischen Dialekte zeichnete.
174Der ungarische Dialekt der Komitate Sathmar, Kraszna, Mittel-Szolnok, Ost-Bihar und West-Kolozs (Kalotaszeg) ist dem des Gebietes östlich der Theiß und an der oberen Theiß verwandt. Die ungarische Besiedlung dieses – großenteils außerhalb des historischen Siebenbürgen liegenden – Gebietes begann nach Zeugnis der archäologischen Siedlungsgeschichte an der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert, gleichfalls von Westen her.
Bei den Szeklern unterscheiden sich zumindest drei ausgeprägte Dialekte voneinander. Ihre altertümlichsten Sprachreste finden sich in Inner-Szolnok, Nord-Kolozs bzw. Ost-Fehér und West-Küküllő, sie scheinen die Reste der frühen, der Grenzwachen des 11. Jahrhunderts zu sein, die in der westlichen Hälfte des späteren Stuhls Oderhellen sind eindeutig Biharer Herkunft. Die drei großen Dialekte des späteren Szeklerlandes zeigen auffällige Beziehungen zu den nordöstlichen (Preßburger Gegend Stuhl Maros), südlichen (Süd-Baranya, Valkó Bihar Telegd, Oderhellen) und südwestlichen (Őrség Drei Stühle, Csík) Grenzlanddialekten, entstanden also im Laufe des 11.–12. Jahrhunderts aufgrund der Umsiedlung verschiedener „Grenzwachen“ nach Osten. Welche wohl die größte namensgebende Gruppe gewesen sein mag, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die eingesessene lokale Bevölkerung des gesamten Szeklerlandes war slawisch.
Der ungarische Dialekt des Siebenbürgischen Hochlandes hat einen ausgeprägten siebenbürgischen Charakter, er unterscheidet sich von allen ungarischen Dialekten. Dafür gibt es wohl kaum eine andere Erklärung, als die ursprüngliche Landnahme am Ende des 9. Jahrhunderts, deren früher Kern in dem mit den Grabfunden der landnehmenden Ungarn und den frühesten Erdburgen identischen Gebiet von Dobokavár über Klausenburg, Thorenburg, Kokelburg und Diemrich bis Hunyadvár zu finden ist. Von hier breitete sie sich seit dem 11./12. Jahrhundert auf die östliche Hälfte der Siebenbürgischen Heide und im Westen zum Oberlauf von Weißer und Schwarzer Kreisch aus. Dies ist ungefähr das Gebiet des neuerlich innerhalb des Bartókschen 4. siebenbürgischen – an sich schon selbständigen und archaischen – Volksmusikdialektes ausgegrenzten archaischen ungarischen Musikdialektes der Siebenbürgischen Heide, von Straßburg und Marosludas. All das belegt, daß eine bedeutende Gruppe von Ungarn sich seit 895 ständig in der westlichen Hälfte des Siebenbürgischen Hochlandes aufhielt. Aufgrund ihrer spezifischen geograpischen Lage unterscheidet sie sich insofern von dem großen Block der Ungarn – auch von den später in ihre heutigen Gebiete gesiedelten Szeklern! –, daß sie archaischere Züge bewahrt hat als alle anderen ungarischen Regionen.

 

 

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