Verfall der königlichen Komitate

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Verfall der königlichen Komitate
Die Institution der königlichen Komitate in Ungarn begann bereits an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert zu verfallen. Königshof und Gespane begnügten sich nicht mehr mit den primitiven Produkten der Dienstdörfer, weil sie sich aus der ausländischen Einfuhr wie auch von den französischen und deutschen angesiedelten Stadtbürgern Handwerksartikel von besserer Qualität besorgen konnten. Dazu brauchten sie aber Geld, weshalb sie begannen, die ausschließlich Produktsteuer zahlenden Sklavenwirtschaften auf den weltlichen und kirchlichen Gütern gegen Geldrente zahlende freie Siedlungsbauern auszutauschen. Die hohen Würdenträger des Landes und ihre Familien verlangten nach dem Muster der westeuropäischen Grundherren Güter im Eigenbesitz statt der Sklavenwirtschaften mit ihrem geringen Ertrag und den Einkünften, die ihnen ihr Amt in der königlichen Burgenorganisation einbrachte. Aber auch das in den königlichen, kirchlichen und Grundherrengütern teils wie Sklaven arbeitende, im Prinzip aber auch im freien Stand zur erblichen Dienstbarkeit verpflichtete Gemeinvolk strebte nach den Privilegien der aus dem Westen gekommenen Siedler. Die Möglichkeit dafür war auch geboten durch Übernahme der besseren Bodenbearbeitungsverfahren (Beetpflug, Mehrfeldersystem, vierfacher statt zweifacher Körnerertrag) und die wachsende Zahl von Märkten. Anfang des 13. Jahrhunderts kam es in den westlichen Landesteilen bereits zu Bauernbewegungen gegen die Fronlasten.
Die königlichen Einkünfte bestanden schon am Ende des 12. Jahrhunderts nur noch zu einem Viertel aus den Naturalleistungen der Komitate und der Rest aus der Geldsteuer ausländischer Ansiedler, dem Ertrag aus der Münzprägung sowie dem königlichen Monopol des Salz- und Edelmetallbergbaus. Unter solchen Umständen überließ der König die bis dahin überwiegend im Burgensystem konzentrierten Arbeitskräfte und Ländereien den sich nach eigenen Gütern sehnenden vornehmen Familien. Doch verletzte die Schenkung von Burggütern die Interessen der auf ihnen lebenden königlichen Soldaten mit freiem Kleinbesitz (sog. servientes) und der Burgoffiziere (sog. Burgjobagionen), weil sie nun aus dem freieren Zustand der königlichen Oberhoheit in die Botmäßigkeit der Grundherren gerieten. Einen Ausweg aus dieser allgemeinen Krise bot allein der Übergang zum sog. Zensussystem des westeuropäischen Feudalismus, also zu einem Zustand, in dem der Bauer auf dem Grundherrenbesitz frei umherziehen und selbständig wirtschaften konnte sowie frei von Fron nur Natural- und Geldsteuer zahlte. Diese Umstellung geschah in Ungarn im Laufe des 13. Jahrhunderts. 1298 wurde durch Gesetz den Bauern die Freizügigkeit gewährt, die nun den Namen „jobbágy“ (lat. iobagio) tragen, wie vorher nur die als Freie in Dienst tretenden Leute. Noch früher, 1267, wurde der Adelstitel der Servienten mit freiem Grundbesitz und der Burgjobagionen anerkannt, der bisher nur den von nun an Barone genannten Würdenträgern am königlichen Hof zustand. Gleichzeitig damit., wurde das Adelskomitat geschaffen, in dessen Gericht 197neben dem vom König aus der Reihe der Barone ernannten Gespan von den Adligen gewählte Stuhlrichter Recht sprachen.
Adelskomitat und Adelsrechte entstanden in Siebenbürgen erst später und in anderer Form. Die Gründe dafür liegen in dem langsameren, noch in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts andauernden Verfall der königlichen Burgenorganisation in Siebenbürgen, womit sich der Aufstieg der Burgjobagionen in den Adel verzögerte; vorwiegend aber in dem drückenden Gewicht der Woiwodenmacht. Seit Beginn des 13. Jahrhunderts nahm der Weißenburger Gespan den Titel Woiwode an und ernannte selbst die Gespane der übrigen fünf siebenbürgischen Komitate (Doboka, Kolozs, Torda, Küküllő und Hunyad) aus der Schar seiner persönlichen Anhänger. Demgegenüber wurden die Gespane der Komitate außerhalb Siebenbürgens auch weiterhin direkt vom König aus der Reihe der Barone ernannt. Von 1263 bis 1441 wurde auch die Gespanschaft des von Nordsiebenbürgen bis zur Theiß reichenden Komitats Szolnok dem Woiwoden unterstellt, so daß dieser außer den autonomen Distrikten der Szekler, Sachsen und Rumänen alle Verwaltungs-, Gerichts- und Heerführerfunktionen in Siebenbürgen versah. Die Woiwoden genossen die Einkünfte der ihnen vorbehaltenen Burgdomänen, aber nicht sie, sondern königliche Beamte verwalteten die dem König zukommenden Steuern, Zölle und Bergwerkseinkünfte. Sie bemühten sich zwar auch um königliche Schenkungsgüter, da aber die Könige sie oft auswechselten und immer aus vornehmen Familien außerhalb Siebenbürgens auswählten, wurden nur wenige von ihnen zu siebenbürgischen Großgrundbesitzern.
Der erste Woiwode mit siebenbürgischem Grundbesitz zu Beginn des 13. Jahrhunderts war der westungarische Gyula Kán; er erhielt einige Dörfer, verlor sie aber mit seinem Weggang wieder, und erst 1268 erlangte ein Nachkomme von ihm, ebenfalls zusammen mit dem Woiwodenamt, einen Teil von ihnen zurück. Noch vor ihnen, am Ende des 12. Jahrhunderts, erhielten die Vorfahren der Familie Wass eine Besitzschenkung. Ein größeres, aber unbewohntes Gebiet am Oberlauf des Mieresch erhielt der Nordungar Michael (Mihály) Kácsik während seiner Woiwodenschaft (1209–1212), zusammen mit seinem Bruder Banus Simon. Weil letzterer sich empörte, wurden ihnen die Güter entzogen und 1228 Dénes Tomaj von Losonc übergeben, der später ebenfalls Woiwode und der Ahnherr der reichsten, später in die drei Zweige Losonci, Bánffy und Dezsőfi geteilten Familie wurde. Smaragd Zsámboki vermochte in seiner kurzen Woiwodenschaft (1206/07) nur einige Dörfer im Komitat Hunyad zu erwerben, die ein in Siebenbürgen angesiedelter Zweig seiner Familie mit wenig Grundbesitz, Barcsai, erbte. In der Nachbarschaft der Tomaj-Besitzungen bekam schon vor 1228 ein Glied der Familie Kökényes-Radnót die ausgedehnte Herrschaft um Tekendorf, doch starben seine Nachkommen bis zum Jahrhundertende aus. Grundbesitz im Norden, am Großen Samosch, hatte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts das Geschlecht Becse-Gergely-ebenfalls nicht siebenbürgischer Herkunft – erhalten, von dem die bis in die Neuzeit hinein führenden Familien Bethlen, Apafi und Somkereki Erdélyi abstammten.
Von diesem aus mehreren Dörfern bestehenden, aber einen zusammenhängenden Block in peripherer Lage am Fuße der Gebirge bildenden Großgrundbesitz gut zu unterscheiden waren die beidseitig des Kleinen Samosch und in der Siebenbürgischen Heide weit entfernt voneinander, verstreut liegenden Besitzungen von 2–10 Dörfern je eines in mehrere Familien geteilten 198Geschlechtes. Diese Geschlechter nannten sich nach einem am Ende des 12. Jahrhunderts im ganzen Land verbreiteten Brauch nach ihrem als Erstbesitzer bezeichneten frühesten bekannten Vorfahren (de genere X). Fünf solche Geschlechter sind in Siebenbürgen schon aus Quellen vom Anfang des 13. Jahrhunderts bekannt. Anonymus erwähnt als Landnehmer des 10. Jahrhunderts das auch später im Komitat Doboka ansässige Geschlecht Zsombor (und dessen Dorf Esküllő) sowie das Geschlecht Agmánd im Komitat Inner-Szolnok. Im Wardeiner Gottesurteilverzeichnis, das sich auf die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts bezieht, finden sich das in den Komitaten Kolozs und Torda beheimatete Geschlecht Kalocsa (auch Szil und dann Tyukod genannt) sowie die Miglieder des nach seinem ersten bekannten Vorfahren Mikola benannten Geschlechtes. Auch für das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit dem Patronat über das Kloster Almás ausgestattete und sich später im Komitat Bihar ausbreitende Geschlecht Borsa lassen sich ähnliche Besitzverhältnisse nachweisen. Diese erwähnten fünf Geschlechter aus den vier nordsiebenbürgischen Komitaten tauchen außerhalb Siebenbürgens nur im benachbarten Komitat Bihar auf, und dort auch erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts – sie sind also als Erstlandnehmer zu bezeichnen, als Geschlechter, die seit der ungarischen Landnahme ständig in Siebenbürgen ansässig waren. Von allen fünf Geschlechtern stammen zahlreiche Familien ab, die zum großen Teil bis in die Neuzeit existierten und stets den Kern des ungarischen Adels Siebenbürgens darstellten.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts beschleunigte sich die gesellschaftliche Umgestaltung nicht nur, sie dehnte sich auch in Siebenbürgen auf immer breitere Volksschichten aus. Die alten Komitatsburgen (Desch, Doboka, Klausenburg, Thorenburg, Weißenburg, Kokelburg und eventuell auch Hunyad) fielen dem Mongolensturm zum Opfer. Zwar reorganisierte König Bela IV. das Burgensystem, indem er neue Elemente unter die Burgleute aufnahm, doch hatten die Burgen selbst ihre militärische Bedeutung verloren. Ihre Verteidigungsfunktion übernahmen die auf königliche Initiative hin errichteten Gebirgsburgen, deren Burgvögte die Verwaltung leiteten. Das Amt des Komitatsgespans wurde üblicherweise mit der Funktion des Vogtes einer solchen neuen Gebirgsburg verbunden. Die alten Zentren Desch, Klausenburg, Weißenburg und Thorenburg wurden neu durch Ansiedlung von königlichen Bauern und Händlern (hospites) errichtet und waren bereits ausschließlich auf ihre wirtschaftliche Funktion konzentriert sowie mit den Rechten der freien Richterwahl, der Marktabhaltung und des zollfreien Handels ausgestattet. Teils waren sie Ungarn, teils deutsche „Gäste“ und frühere Burgleute mit ähnlichen Rechten, und aus ihrer Verschmelzung (cives et hospites) entstand die ungarische Stadtbürgerschaft Siebenbürgens. Weißenburg und Klausenburg schenkte der König im 13. Jahrhundert dem siebenbürgischen Bischof. Während letzteres 1316 zur königlichen Freistadt wurde, blieb Weißenburg bischöflich, was seine Stadtentwicklung in vieler Hinsicht behinderte. Die Burg Doboka erhielt ein kürzlich nach Siebenbürgen umgesiedelter Zweig des Geschlechtes Kökényes-Radnót aus Ungarn geschenkt, die Burg selbst verlor jede Bedeutung, und die dazugehörige Siedlung blieb als einfaches Dorf, als Herrschaftszentrum der Güter der Familie Dobokai erhalten. Kokelburg und Hunyadvár behielten aufgrund ihrer exponierten Lage ihre militärische Funktion, wurden später aber gleichfalls vom König als Schenkung verliehen. Die zu den 199Burgen gehörenden Dörfer kamen eines nach dem anderen in Privathand, bis sich der Königsbesitz schließlich auf die Gebirgsgegenden um die neuen Burgen – auch das noch ein gewaltiges Gebiet – beschränkte.
Das Innere des Siebenbürgischen Hochlandes und sogar einzelne Teile des Gebirges gingen in den Besitz teils örtlicher Adliger, teils neu hinzugekommener Familien über. Von dem westungarischen Geschlecht Szalók stammte die an der Kokel mit Besitz ausgestattete Familie Kendi, die später in Siebenbürgen eine große Rolle spielen sollte. Von dem ebenfalls nicht siebenbürgischen Geschlecht Ákos hatten der Zweig Thoroczkai im Komitat Torda und die Zweige Illyei und Folti nördlich des Mieresch im Komitat Hunyad ihre Besitzungen. Ganz in der Nähe letzterer, linksseits des Mieresch erhielt das später in viele kleinadlige Familien zerfallende westungarische Geschlecht Hermány Besitzungen. Die Familie Lackfi aus dem Geschlecht Hermány gehörte im 14. Jahrhundert zu den vornehmsten Familien des Landes. Sechs von ihnen, Vater, Söhne und Enkel, lenkten als Woiwoden oder Szekler Gespane zwischen 1328 und 1376 die Geschicke Siebenbürgens. Von den alten Familien gewannen die Bánffys von Losonc erheblich an Bedeutung, da sie als Schenkungen von Ladislaus (László) IV. und Andreas III. einen großen Teil der nördlichen Gebirgsgegend im Komitat Inner-Szolnok, die Domänen Csicsó und Laposch erhielten. Das westungarische Geschlecht Csák bekam im Komitat Doboka die Domäne Bruck, die aber Ende des 14.Jahrhunderts gleichfalls auf die Bánffys überging, die damals auch die Sebesvárer Güter im Komitat Kolozs und die Újvárer Güter im Komitat Küküllő als Schenkung erwarben. Damit standen sie an der Spitze der Aristokratie Siebenbürgens und spielten, obwohl sie im Laufe des 15. Jahrhunderts auch viel an Ansehen und Vermögen verloren, bis in die jüngste Zeit stets eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben Siebenbürgens.

 

 

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