Die Bauern

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Die Bauern
Später als in den übrigen ungarischen Gebieten, aber doch bis zum Ende des 15. Jahrhunderts war in Siebenbürgen die Schicht der bäuerlichen Untertanen im klassischen Wortsinne entstanden. Darüber hinaus zerfiel die Bauernschaft des entstehenden neuen Staates in mehrere, scharf zu unterscheidende Schichten und Gruppen. Von der unter siebenbürgische Herrschaft gelangten „cívis“ des Gebietes jenseits der Theiß war bereits die Rede; aber auch die Rechte der freien sächsischen Bauern und militärdienstpflichtigen Szekler unterschieden sich von denen der eigentlichen Untertanen der Grundherrschaften, die man traditionell in drei Kategorien einteilt: Hufenbauern, ganz oder teilweise von den Fronlasten Befreite (szabados) und Häusler.
277Unter den Hufenbauern waren stets auch die Unterschiedlichkeit des Kindersegens, die Bodenqualität, die persönliche Befähigung und manchmal auch das Glück differenzierende Faktoren. In den entwickelteren ungarischen Komitaten war schon im 15. Jahrhundert der Halbhufenbauer typisch – in den Dörfern Siebenbürgerns ist hingegen noch zur Mitte des 16. Jahrhunderts der Anteil der Vollhufenbesitzer sehr hoch. In der Herrschaft Neuschloß lag dieser bei 35 %, in der Gegend um Kővár bei 65 %, in der Herrschaft Erdeed im Partium bei 60–90 %. In erster Linie ist dies wohl auf die relativ geringe Bevölkerungsdichte zurückzuführen. Zugleich kann infolge der großen Bedeutung der Viehzucht (Schaf und Rind) die Klassifizierung der Untertanen nach Hufengröße nicht als oberster Maßstab der Bewirtschaftung gelten; über ihren Anteil am Viehbestand wissen wir fast überhaupt nichts.
Zu den teils oder ganz von den Fronlasten Befreiten gehörten die in den persönlichen Dienst des Grundherrn aufgestiegenen Untertanen, die Betreiber einiger wichtiger Berufe (Fischer, Metzger) und schließlich die Anführer der Dörfer oder einzelner Landbezirke (Dorfrichter, Schulzen, Vögte, Woiwoden, Knesen).
Die dritte Gruppe, der Kreis der Häusler, ist ebenfalls höchst unterschiedlich. In den meisten Herrschaften wurden ihnen die ohne Hufe wirtschaftenden Armen und die Neuankömmlinge zugerechnet. Aber als Häusler galten auch die Einwohner der Landstädte, welche vom Rinderhandel oder Weinbau lebten und deshalb auf Hufenbesitz verzichteten – diese gehörten jedoch eindeutig zu den Reichsten –, wie auch die von den Grundherrschaften oder Landstädten beschäftigten bäuerlichen Intellektuellen, die „litterati“.
Ebensowenig wie zwischen den Hufenbauern und von den Fronlasten Befreiten gab es eine vermögensmäßige Trennlinie zwischen Hufenbauern und Häuslern, ja man kann sagen, daß die Urbariallasten der Häusler im allgemeinen geringer waren. Ihre Dienstleistungen waren vertraglich geregelt, ihren Zehnten und die fälligen Geschenke lösten sie mit einer Gebühr nach Vereinbarung ab. Der relative Reichtum an Boden verzögerte nicht nur die Hufenzerstückelung, sondern auch den Prozeß, daß die Bauern zu Häuslern wurden: Gegenüber einem Anteil der Häusler an der Untertanen von damals 25 % im Habsburger-Ungarn schwankte dieser Anteil in Siebenbürgen einschließlich des schon weiter entwickelten Partiums zwischen 5 und 20%.
Die Lasten, welche den Bauern durch Staat und Grundherrn auferlegt wurden, waren ebenfalls sehr unterschiedlich.
Der Zins wurde für das Dorf insgesamt veranschlagt, wobei der Schulze dann die Verteilung auf die einzelnen Familien festlegte. Grundlage der Veranschlagung mag die Zahl der Hufen oder der Ochsenjoche gewesen sein, anderenorts wurde der Zins noch durch eine Direktbesteuerung seitens des Grundherrn erhöht. Dementsprechend unterschieden sich die Steuersummen je nach Gebiet. Gemeinsam war ihnen nur, daß sie im allgemeinen unter dem 1514 gesetzlich vorgeschriebenen einen Gulden pro Familie blieben. Anscheinend blieb auch die Inflation ohne Auswirkung: Der Zins des Marktfleckens Trestendorf betrug 1569 genauso ca. 1000 Gulden wie 1589, und die Zinseinnahmen der Herrschaft Appesdorf bewegten sich zwischen 1580 und 1599 bei 180 Gulden.
Ähnlich vielschichtig war das System der Naturalabgaben (munera): Roggen wurde überall und Weizen an den meisten Orten gefordert, Geflügel, 278Schweine, Schafe, Eier, Honig, Gemüse, Obst und Brennholz örtlich verschieden. Bis zum Ende des Jahrhunderts ist bei den Lasten eine langsam ansteigende Tendenz zu verzeichnen.
Weniger den örtlichen Gewohnheiten war die Abgabe des Neuntels (nona) unterworfen. Der siebenbürgische Landtag von 1549 bestätigte das Neuntel-Gesetz von 1514, das damals neu eingeführt wurde, dessen ungeachtet läßt sich seine Anwendung bis zur Jahrhundertmitte nur in den Komitaten des Partiums beobachten, und auch dort nicht in der Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen 1/10 Goldguldens. Später wurde dann seine Eintreibung verschärft. In der Herrschaft Gyula stieg der Wert des Neuntels von 4–500 Gulden in den Jahren 1526/1527 auf ca. 2000 Gulden im Jahre 1562.
Der Zehnte behielt bis zum Beginn der 1540er Jahre seine ursprüngliche Funktion als kirchliches Einkommen. Er wurde von fast allen Produkten erhoben, ob dies nun Getreide, Obst, Wein oder Schweine waren. Spätere Veränderungen waren von den politischen Verhältnissen abhängig. Zuerst wurde das Einkommen des 1542 vakant gewordenen Bistums Weißenburg und seit 1556 auch das des Bistums Wardein den Staatseinnahmen zugeschlagen. (Die Reformation spielt dabei eine nur sekundäre Rolle.) Der Zehnte wurde auch weiterhin in Pacht gegeben, zumeist an die jeweiligen Grundherren selbst.
Auch die Praxis der Fronarbeit war nicht einheitlich und konnte dies gar nicht sein. Die siebenbürgischen Stände vertraten den uralten Standpunkt, dem zufolge das Verhältnis von Herr und Bauer ausschließlich von ihnen selbst abhing.
Darauf bestanden sie so nachdrücklich, daß sie kein Gesetz zur Regelung der Fronarbeit zuließen und sich genausowenig auf das Gesetz von 1514 über den wöchentlich einen vorgeschriebenen Tag der Fronarbeit für den Grundherrn beriefen. Auf den Gütern bemaß man zum Teil die Belastung nach Familien, anderswo nach Pflügen bzw. Jochtieren, und diese Forderungen begannen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts anzuwachsen. In der Herrschaft Fogarasch – dort bestand die Fronarbeit 1508 außer der zweitägigen Heumahd nur noch im Transport von zwei Fuhren Holz – wurde 1570 zusätzlich noch eine dreitägige Erntearbeit eingefordert; 1596 lehnten sich die Untertanen bereits gegen die umfangreiche Fron für den Grundherren auf. Aus den Landstädten des Szilágy-Gebietes im Besitz der Drágffys, aus Csehi wurde 1556 nur von der Fuhrfron nach Erdeed und Kővár berichtet, aber der neue Grundherr György Báthory verlangte bereits erheblichen Pflug- und Erntefrondienst und schaffte, um stärkeren Druck auszuüben, die eigenen Pflüge seines Meierhofes ab. In einer anderen Herrschaft Báthorys, dem ebenfalls von den Drágffys ererbten Bildegg, wurden im Sinne des neuen Systems alle Arbeiten der Gutswirtschaft des Grundherrn als Frondienst durchgeführt und selbst in die früher in Lohnarbeit gegebenen Weingärten Fronarbeiter beordert – darüber hinaus war die Zwangsarbeit nicht mehr zeitlich begrenzt: Jeder hatte seiner „Fähigkeit entsprechend“ (pro facultate) Arbeiten zu verrichten.
Bis zur Jahrhundertwende wurde diese „der Fähigkeit entsprechende“ und damit praktisch unbegrenzte Arbeit für den Grundherrn im gesamten Fürstentum allgemein. Nun wird nicht mehr die Arbeitszeit, sondern die zu leistende Arbeit fixiert. In einzelnen Herrschaften kommt es gar zum bindenden Dienst an jedem dritten Tag, zur doppelten Überbietung der 279eintägigen Fronvorschrift, die Werbőczy 1514 noch als phantastische Übertreibung erschienen war. Inzwischen war den Untertanen noch eine weitere Arbeitsverpflichtung auferlegt worden. Die Grenzen des neuen Staates mußten aufgrund der ständigen Kriege befestigt werden, und zur Errichtung dieser Befestigungen (und Paläste) wurden viele Hände benötigt. Daher wurde der Burgdienst eingeführt und sehr bald zu einer gleichfalls unbegrenzten Verpflichtung wie die traditionelle Fronarbeit.
Der Verlust des Rechtsschutzes (Freizügigkeit, Regelung der Lasten) und die zunehmenden Belastungen führten nur deshalb nicht zur allgemeinen Verarmung, weil Siebenbürgen von schwer kontrollierbaren Gebirgsgrenzen umschlossen war und darüber hinaus auch über gewisse Reserven an Grund und Boden verfügte, weshalb selbst die offene Gewalt gewisse Möglichkeiten des Selbstschutzes nicht beseitigen konnte. Dazu gehörten die Flucht der Bauern, der Kauf und der Verkauf von bäuerlichem Grund ohne Genehmigung des Grundherrn und schließlich der freie Handel mit Rodungsböden. Solche Möglichkeiten halfen den Bauern, die parallel zu den Lasten der Grundherren ebenfalls angewachsenen staatlichen Steuerlasten zu tragen.
Am einheitlichen System der normalen staatlichen Steuer wurden nur allmählich Veränderungen vorgenommen. 1543 war eine solche von Bauern mit einem Vermögen von 3 Gulden und seit 1552 von 6 Gulden zu zahlen, bis zur Jahrhundertwende „nach Pforten“ (porta, Hufe), was damals nicht mehr Bauernhufe bedeutete, sondern eine rein theoretische Berechnungseinheit war. Basis der Veranlagung war höchstwahrscheinlich ein Jochtier: Der Preis für ein Paar Ochsen betrug 6 Gulden. Die Steuer selbst wurde bis zu den 1540er Jahren mit 1 Gulden pro Pforte und Jahr bestimmt, 1545 nur mit 60 Denaren, nach 1550 wieder mit 1 Gulden und schließlich nach 1556 mit ca. 2 Gulden. Aber schon in den 1540er Jahren verlangte der Staat unabhängig davon gesonderte Abgaben für die Unterhaltung der Grenzburgen, für die Deckung der Türkensteuer, für den Burgenbau und allgemein für Subsidium („Kriegsunterstützung“); der Gesamtwert dieser Abgaben überstieg sehr bald 3 Gulden pro Pforte.
Die ganze Periode hindurch blieb außerdem die teilweise (jede 8.–16. Familie betreffende) Kriegsdienstpflicht erhalten. Stephan Báthory gab diesen „Hufensoldaten“ 1575 einen stabilen Rahmen in Gestalt jährlich zweimaliger Musterungen (Heerschau). Auch die uralte Institution des Landsturms war erhalten geblieben, verschwand dann aber in den sechziger Jahren, die Landtage „vergaßen“ sie und belebten sie auch im 1593 beginnenden Fünfzehnjährigen Krieg nicht wieder.
Die moderne Kriegsführung verlangte in erster Linie eine ausgebildete und ständig in Bereitschaft stehende Armee. Aus den „Hufensoldaten“ entwickelt sich deshalb bald eine Schicht von Freien neuen Typs (die „Darabonten“ = Trabanten), die durch die Fürstenmacht stufenweise von den Grundherrendiensten entbunden wurde. Sie stellte eine billige und beliebig einsetzbare Truppe dar, und da sie weder an die Bauern noch an den Adel gebunden war, nahmen die Fürsten ihre Dienste auch gern in Anspruch.
In der zweiten Jahrhunderthälfte hatten sich im allgemeinen die Lebensbedingungen der Bauern verschlechtert. Für den einfachen siebenbürgischen Bauern, der sich schon bisher kaum in den Kreislauf von Warenproduktion und Warenwirtschaft einzuschalten vermochte, wurden die Chancen dazu immer geringer. Die große ungarische Katastrophe des 16. Jahrhunderts und 280die Geburt des neuen Staates erlebte er als passiver Zuschauer oder gar als leidendes Subjekt. Der Bauer wurde nicht zu einem politischen Faktor, ja selbst die „cívis“ des Gebietes jenseits der Theiß konnten nicht einen solchen Rang erreichen.

 

 

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