Demographische Prozesse

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Demographische Prozesse
Die Verhältnisse während der Blütezeit des Fürstentums sind nur vor dem Hintergrund der Verwüstungen des Fünfzehnjährigen Krieges zu verstehen. Damals, an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, wurde ganz Europa von einer Welle von Hungersnöten und Epidemien heimgesucht. Allenorts wurden ungewöhnliche Witterungserscheinungen beobachtet, zu denen in manchen Gegenden, so auch in Siebenbürgen, noch das Kriegselend hinzutrat. Entsetzten Berichten der Zeitgenossen nach soll es sogar zu Kannibalismus gekommen sein.
Das Ausmaß der Zerstörungen in Siebenbürgen läßt sich ziemlich schwer berechnen. Es war aber offensichtlich nicht überall gleich. Die Bewohner der Gebirgsgegenden oder schwer zugänglichen Ortschaften litten etwas weniger als die Einwohner der Siedlungen an den Heerstraßen. Auch die befestigten Städte boten gewissen Schutz. Unter Berücksichtigung solcher Gegebenheiten wirken Angaben wie die besonders erschütternd, daß in Hermannstadt und Kronstadt nur ein Viertel der Bürgerschaft übriggeblieben war oder daß in der Gerberzunft von Bistritz kaum 10% der Meister überlebt hatten. Selbst für die Komitate Inner-Szolnok und Doboka, wo es praktisch nicht zu Kriegshandlungen gekommen war, konnte nachgewiesen werden, daß die Verluste der in den Bergen lebenden Rumänen 45 %, die der ungarischen und sächsischen Dorfbewohner mehr als 80 %, betragen haben.
Keine dieser Zahlen darf verallgemeinert werden. Aufgrund von Steuerveranlagungen und verschiedentlich erhaltenen Angaben läßt sich dennoch folgern, daß die Naturkatastrophen und Kriege in Siebenbürgen zur Jahrhundertwende ungefähr die Hälfte der Bevölkerung vernichtet hatten. Vom Wirtschaftsvermögen und den Gerätschaften war etwa ein Zehntel übriggeblieben.
Der Gesundungs- und Wiederaufbauprozeß nach dieser gewaltigen Zerstörung kann unter mehreren Aspekten untersucht werden. So ist es wahrscheinlich, daß sich die Einwohnerzahl bis zu den 50er Jahren des 17. Jahrhunderts wieder dem Stand vom Ende des 16. Jahrhunderts näherte. Von einer Regeneration oder zumindest von einer Wiederherstellung demographischer Gleichgewichtsverhältnisse zeugt in erster Linie ein gewisser Wandel der Denkweise. Seit den 1620er Jahren läßt sich beobachten, daß sich die Haltung der Stände gegenüber der Bauernflucht ändert. Bis dahin war das Hauptthema ihrer Landtagsforderungen die Rückführung der geflohenen 303Bauern gewesen; seit 1628 wird dies auffallend selten vorgebracht. Ebenso verweist auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts die Tatsache, daß in den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts den Neuansiedlern von den Landtagen häufig eine sechsjährige Steuerfreiheit gewährt wurde, später solche Verfügungen jedoch seltener werden. Es scheint, die Grundherrschaften waren gegen Ende der 20er Jahre wieder funktionsfähig geworden, auch wenn die Zahl ihrer Untertanen den Stand der Vorkriegszeit gewiß noch nicht wieder erreicht hatte. Dasselbe gilt im großen und ganzen auch für die Verhältnisse in den Städten, obwohl wir mit Sicherheit wissen, daß viele Häuser auch bei den Sachsen noch in den 50er Jahren leer standen. Die Wirtschaft hatten sie allerdings wieder in Ordnung gebracht: Ende der 20er Jahre, als der Verlust des Geldwerts in Siebenbürgen am größten war, vermochten sie die in wertloser Münze eingegangene Steuer in Gold umzuwechseln.
Die wichtigste Rolle beim gesellschaftlichen Wiederaufbau spielten demographische Faktoren. Erstens führte die Kriegskatastrophe zu einer auch andernorts in ähnlicher Lage zu beobachtenden Reaktion: Die Geburtenzahlen gingen plötzlich in die Höhe. Dies wird in vielfachen Zusammenhängen spürbar, ist relativ klar allerdings nur an Hand genealogischer Aufzeichnungen bei den vornehmen Familien festzustellen. In der zur Jahrhundertwende oder zu Beginn des neuen Jahrhunderts geborenen Generation sind auffallend viele Nachkommen nachweisbar. Von Lázár Apor z.B., der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte, sind 10 Kinder aufgeführt, aber später wissen wir nur von 2 Enkeln und 3 Urenkeln; im 16. Jahrhundert waren die Apors mit 2–3 Kindern vertreten. In der Familie Haller ist im allgemeinen von nicht mehr als 3 Kindern die Rede, aber dann wird am Anfang des 17. Jahrhunderts Pál Haller geboren, dessen drei Ehefrauen ihm nachweislich 9 Nachkommen schenkten. Nach mehrmals 1 bzw. 2 Kindern in der Familie Mikó erscheinen im 17. Jahrhundert 4 bzw. 5 Nachkommen.
Diese genealogischen Angaben sagen selbstverständlich nichts Genaues über die Geburtenzahlen aus, werden vermutlich doch meist nur die Familienmitglieder genannt, die das Erwachsenenalter erreichten. Da aber die Unsicherheit in den Angaben gewiß nicht beabsichtigt ist, kann – wenn auch nicht auf die genaue Zahl der Nachkommen – doch auf die ungefähre Größe der Familien geschlossen werden. Die relativ zahlreichen Familienmitglieder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lassen darauf schließen, daß auf die Katastrophe eine demographische Explosion folgte. Über ihren Verlauf wissen wir jedoch so gut wie nichts. Es gibt in Siebenbürgen nicht einmal Hinweise darauf, ob sich das Heiratsalter verringerte oder es sich eventuell um eine positive Geburtenregelung handelte. Möglicherweise geschah gar nichts anderes, als daß man in der Erschütterung über die Entvölkerung sorgsamer auf die Kinder achtete, weil der Wert des Lebens gewachsen war.
Der andere für den Regenerationsprozeß vorteilhafte Faktor war, daß der Bevölkerungsexplosion keine Periode verminderten Bevölkerungswachstums folgte, wie das in einem großen Teil Europas im 17. Jahrhundert zu beobachten ist. In zwei Gebieten läßt sich diese Erscheinung genau untersuchen. So lag in Julmarkt zwischen 1640 und 1666 das Verhältnis der Gesamtzahl aller Familienväter zu der Zahl der Söhne im Jahresdurchschnitt über 1, was bedeutet, daß die Mitgliederzahl der Familien gewiß über 4 betrug. Die Zahl der Mädchen kennen wir nur aus einem Jahr, 1638, und aus 304vier Ortschaften: Dort betrug die durchschnittliche Mitgliederzahl der Familien 3,8; 4,4; 3,7; 4,3. Noch positiver ist das Bild aus dem Gebiet Fogarasch. Dort ist zwischen 1632 und 1640 sogar eine Zunahme bei der Familiengröße zu bemerken: Die auf die Gesamtzahl der Familienväter bezogene Durchschnittszahl der Söhne betrug 1632 1,07; 1637 1,3 und 1640 1,4. Die Dynamik in den Familien läßt sich hier ebensowenig wie in der Herrschaft Julmarkt untersuchen, daß aber der Bevölkerungszuwachs im Gebiet Fogarasch, bei noch größeren Familien als in Julmarkt, steigende Tendenz aufweist, ist deutlich.
Die demographische Explosion am Beginn des Jahrhunderts, der steigende bzw. gleichbleibend hohe Bevölkerungszuwachs, läßt sich wahrscheinlich nicht für alle Gebiete und alle Gesellschaftsschichten Siebenbürgens nachweisen. Bei den Sachsen ist nur eine sehr langsame Bevölkerungszunahme anzunehmen. Dennoch waren dies die wichtigsten der Faktoren, die aus der Periode der Vernichtung herausführten. Sie waren nicht einmal darauf ohne Einfluß, daß sich nach der Jahrhundertwende die Zahl der Siebenbürger Rumänen – in selbst für die Zeitgenossen auffälligem Maße – erhöhte. Zwar wurde die Zunahme vor allem durch die verschieden geartete Zuwanderung verursacht, aber auch durch die demographischen Gewohnheiten der Rumänen beeinflußt. Es handelte sich dabei um zwei Wanderungsprozesse. Einerseits ließen sich Hirtengruppen aus den Gebirgen in den vom Krieg zerstörten Dörfern nieder, andererseits wanderten aus den rumänischen Woiwodschaften auch dort vom Ackerbau lebende Bauern ein. Von einer organisierten Ansiedlung wissen wir nichts. Schließlich trugen die demographischen Gewohnheiten dadurch zur Zunahme der Rumänen bei, daß bei ihnen im 17. Jahrhundert, anders als später, die Zuwachsrate höher war als bei den Ungarn, wie dies die obigen Zahlen von Julmarkt bzw. Fogarasch beweisen. In Julmarkt lebten nämlich Ungarn und um Fogarasch Rumänen. Dieser Unterschied in den demographischen Gewohnheiten beider Völker beeinflußte die Verschiebung der ethnischen Anteile zugunsten der Rumänen.

 

 

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