Freie Fürstenwahl und der Staatsstreich von Gabriel Báthory

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Freie Fürstenwahl und der Staatsstreich von Gabriel Báthory
Die deutlichste Lehre aus dem Fünfzehnjährigen Krieg war, daß vorerst keine der beiden an Ungarn interessierten Großmächte stärker war als die andere. Diese Erkenntnis beeinflußte für Jahrzehnte die ungarische Politik sehr stark. Als unmittelbare Folge der Lage konnten die internen Angelegenheiten Siebenbürgens eine Zeitlang praktisch ohne äußere Einflüsse geregelt werden. So sehr also das Fürstentum durch demographische und wirtschaftliche Verluste angeschlagen war – niemals war sein politischer Spielraum so groß gewesen.
Nach Stephan Bocskais Tod setzte ein fieberhafter Wettkampf um die Fürstenwürde ein. Von den zahlreichen Konkurrenten hatten zwei die besten Aussichten, gewählt zu werden. Einer von diesen war Bálint Homonnai Drugeth, den noch Stephan Bocskai zur Nachfolge ausersehen hatte; der andere Gabriel (Gábor) Báthory, ein Verwandter der Fürsten Báthory. 305Anfangs waren ihre Chancen ungefähr gleich groß; gewisse Überlegungen sprachen für wie gegen beide. Jeder von ihnen war jung, von vornehmer Abkunft, guter Soldat und eine bekannte Persönlichkeit. Beide hatten zuvor auch an den Kämpfen Stephan Bocskais teilgenommen.
Gegen sie sprach in den Augen der siebenbürgischen Stände freilich gerade das, worauf sie sich beriefen, nämlich das Prinzip der freien Fürstenwahl, das von beiden in Frage gestellt wurde. Bálint Homonnais Wahl hätte den Vollzug der Willenserklärung Bocskais bedeutet, mit einem Báthory wiederum drohte die erbliche Herrschaft seiner Familie. Bei Homonnai kam noch die von außen kommende Unterstützung hinzu, die ihm vom Sultan gewährt wurde, der ihn bereits offiziell als Nachfolger Bocskais anerkannt hatte. Gerade deshalb stellte sich schließlich die Mehrheit der siebenbürgischen Politiker gegen ihn. Nach dem Fünfzehnjährigen Krieg, in dem sie – wie sie ganz richtig fühlten – nur der Spielball äußerer Mächte gewesen waren, gedachten sie, endlich selbst über das Fürstentum zu entscheiden.
Aus diesen Gründen wollten die siebenbürgischen Stände Sigismund (Zsigmond) Rákóczi zum Fürsten wählen, der seit 1605 im Auftrage Stephan Bocskais als Gubernator amtierte. Die Zeitgenossen hielten ihn nicht für einen besonders befähigten Staatsmann, aber auf seine Weise mag er sehr tüchtig gewesen sein. Gehörte er doch zu den wenigen, die unter Ausnutzung aller sich an der Wende vom 16. und 17. Jahrhundert anbietenden Möglichkeiten vom einfachen Adligen in die Reihen der Aristokratie aufgestiegen waren. Als er seinerzeit siebenbürgischer Gubernator geworden war, siedelte er mit seiner reichen Ehefrau und seinen zwei halbwüchsigen Söhnen aus dem königlichen Landesteil, aus Felsővadász, ins Fürstentum um. Sofort nach seiner Ankunft konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die beiden rumänischen Woiwodschaften und die Kammergüter. Als er die Todesnachricht Stephan Bocskais erhielt, war er gerade mit der Wiederbelebung des Außenhandels und der Revision des Staatshaushalts beschäftigt. Damit war er sozusagen der naturgegebene Thronanwärter.
Sachlich betrachtet war Rákóczi Homonnai und Báthory gegenüber im Nachteil, da er sich keinerlei Unterstützung von außen erhoffen konnte – ein Mangel jedoch, der ihn für die siebenbürgischen Stände gerade attraktiv machte. Dies ermöglichte ihm, als eigener Anwärter der Stände aufzutreten. Für ihn sprach außerdem der Vorteil, daß er sich in Siebenbürgen aufhielt, während seine Gegner ihre Bewerbung außerhalb des Landes organisierten.
Der Landtag wollte die Wahl erst nach Bocskais Beerdigung abhalten. Niemand rechnete mit Überraschungen, so daß man ehrlich erstaunt war, als von Erzherzog Matthias eine briefliche Aufforderung an die Stände des Fürstentums eintraf, mit der Wahl solange zu warten, bis Kaiser Rudolf – im Sinne des Wiener Friedens – das Nötige veranlaßt habe. Im Frieden von 1606 verwies jedoch keine der Bestimmungen auf solche Rechte. So ging also aus Erzherzog Matthias’ Brief ganz klar hervor, daß Rudolfs Regierung die Angelegenheit der Sonderstellung Siebenbürgens nicht mit dem Friedensvertrag von 1606 als abgeschlossen betrachtete.
Dieser Beeinflussungsversuch brachte die siebenbürgische Politik so richtig in Schwung: Der Landtag wählte am 9. Februar 1607 Sigismund Rákóczi zum Fürsten und schuf damit vollendete Tatsachen. Scheinbar war damit der Vertrag von 1606 seinem Wortlaut nach erfüllt und die erste selbständige Aktion Siebenbürgens gelungen. Zwar reagierte man auf die Wahl Rákóczis 306außerhalb des Fürstentums mit gewaltiger Aufregung, doch erhob niemand echte Bedenken.
Von den zwei Großmächten war es Konstantinopel, das die größere Brüskierung unbestraft ließ. Als Rákóczi gewählt wurde, stand ein türkischer Bote nämlich schon an der Grenze, um Homonnai das Adhname des Sultans und die Fürsteninsignien zu überbringen. Rákóczi soll ihn aber bestochen haben. Der neue Fürst mußte auf jeden Fall mit der türkischen Rache rechnen. Deshalb bot er dem Großwesir Murad Pascha in einem Brief für seine Anerkennung als Fürst die zwei Burgen Lippa und Jenő an, die im Verlaufe des Fünfzehnjährigen Krieges an Siebenbürgen gefallen waren. In einer überraschenden Reaktion der Pforte lehnte Murad aber das Angebot der Burgen ab und gab Rákóczi nur zu verstehen, es stehe ihm frei, alles zu tun, außer einen Krieg anzuzetteln.
Diese Absicht, einen Krieg zu verhindern, bildete das Hauptmotiv auch für die Politik im königlichen Ungarn. Vor Rákóczis Wahl hatten die Politiker und Räte des Hofes zuerst Homonnai und dann Báthory unterstützt, eine Militäraktion wegen Sigismund Rákóczis Erhebung zum Fürsten unterblieb aber. Der Hof versuchte mittels Verhandlungen und der durch sie erzwungenen Abdankung des neuen Fürsten, die siebenbürgische Lage den eigenen Überlegungen entsprechend zu ordnen.
Anfänglich wiesen Sigismund Rákóczi und die Mehrzahl der siebenbürgischen Politiker jede Verhandlung zurück, wurden dann aber von der Absicht, den Frieden zu sichern, zu solchen gezwungen. Den Zwang verkörperten die Haiducken, denn nachdem sie den gesamten Fünfzehnjährigen Krieg hindurch gekämpft hatten, waren sie nach Stephan Bocskais Tod der Aufmerksamkeit der Politiker völlig entgangen. Ihre Unzufriedenheit begleitete wie ein Donnergrollen als Vorbote eines nahenden Gewitters die Geschehnisse ab 1606. Das an allen Gliedern vor einem neuerlichen Krieg zitternde Land tat dennoch keine energischen Schritte zu ihrer Beruhigung. Dabei wäre gar nicht viel erforderlich gewesen: Man hätte ihnen nur ihre 45 000 Gulden Sold auszahlen müssen. Es gab aber in diesem armseligen Jahr 1607 in Siebenbürgen wie in Ungarn praktisch kein Bargeld.
Aus der schwelenden Unruhe machte im Herbst 1607 der Haiduckengeneral András Nagy eine Bewegung. Seine Boten suchten den Ofner Pascha Ali auf und teilten ihm mit, solange die Durchführung des Wiener Friedens nicht geschehe, seien die Haiducken nicht bereit, die Waffen abzulegen. Schon vorher, irgendwann im Dezember 1607, war sogar der Gedanke aufgekommen, in der Person Bálint Homonnais einen Nationalkönig zu wählen. Der junge Magnat hatte damals aber von seinen vergeblichen Anstrengungen um die siebenbürgische Fürstenwürde schon genug und ließ sich vor den Haiduckengesandten verleugnen. Die Haiducken beruhigten sich jedoch nicht. Mit ihren unklaren Zielen waren sie so etwas wie eine auf dem Boden herumliegende Waffe, die im Grunde genommen jedem zur Verfügung stand.
Gabriel Báthory erkannte schließlich diese Möglichkeit. Im Stile machiavellistischer Machtpolitik verhandelte er das gesamte Jahr 1607 hindurch darüber, wie das Land vor ihnen zu schützen wäre, um dann im Februar 1608 eine Bündnisurkunde mit den Haiducken zu unterzeichnen, in der ihre Befehlshaber András Nagy und János Elek sich verpflichteten, ihr Schicksal an Gabriel Báthory zu binden und ihn als siebenbürgischen Fürsten einzusetzen. Dieser wiederum versprach, die kalvinistische Konfession zu 307fördern und András Nagy zum zweiten Mann im Fürstentum zu machen. Der Haiduckenprediger Máté Foktüi sollte Besitztümer erhalten und in den Fürstenrat aufgenommen werden. Schließlich sollte Gabriel Báthory für die Ansiedlung der Haiducken zwischen Wardein, Ecsed und Kálló sorgen.
Zwischen dem mit den Haiducken geschlossenen Bündnis und seiner Wahl lag nur mehr ein kurzer Weg. Am 5. Februar 1608 wurde die Bündnisurkunde unterzeichnet und schon am 7. März war Gabriel Báthory Fürst von Siebenbürgen, ohne daß ein Flintenschuß gefallen wäre. Báthory hatte mit der einzigen bewaffneten Macht des Landes hinter sich verhandelt; vor eben dieser Macht zitternd, ergaben sich ihm die Siebenbürger – Sigismund Rákóczi dankte ab.

 

 

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