Die Schulen

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Die Schulen
Die größte Veränderung im Schulwesen zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist die Vervielfachung des Anteils der Leibeigenen unter den Schülern, die auch den Zeitgenossen auffiel. János Apáczai Csere, der vorzügliche Lehrer und große Schulexperte um die Mitte des Jahrhunderts, meinte, die vielen Leibeigenenkinder verdrängten die Adligen bereits aus den Schulen, und gab als Grund an, sie flüchteten vor der Leibeigenschaft und der Armut. Das mochte wohl auch stimmen, denn in Siebenbürgen garantierte altes Gewohnheitsrecht und dann ein von Bethlen sanktioniertes Gesetz den Leibeigenen die Freiheit des Lernens. Die Grundherren durften sie daran nicht hindern, so daß der schwere und doch für jeden gangbare Weg des gesellschaftlichen Aufstiegs das Lernen war und blieb.
Der Einstieg wurde durch ein relativ dichtes Netz von Schulen erleichtert. Nicht in gleichmäßiger Verteilung, aber überall in Siebenbürgen gab es Schulen, die meisten bei den Sachsen, wo 1660 außer 239 Geistlichen 224 Rektoren registriert wurden, so daß praktisch jede Gemeinde einen eigenen Lehrer hatte. Über eine solche Versorgung verfügten in den Gebieten 345ungarischer Muttersprache sonst nur die Szekler. Beeinträchtigt wird das Gesamtbild vom Schulwesen nur durch die unerhörte Rückständigkeit der rumänisch besiedelten Gebiete. Auch wenn vermutlich einzelne Klöster ebenfalls Unterricht erteilten, gab es nur zwei offizielle rumänischsprachige Schulen, und die dritte gründete Georg I. Rákóczis Witwe Zsuzsanna Lórántffy 1657 in Fogarasch.
Die Schulorganisation selbst änderte sich im 17. Jahrhundert in zwei Punkten. Man begann Mädchenschulen zu gründen, ein enormer Fortschritt, weil sich damit einer in der Kultur bisher völlig vernachlässigten Gruppe die Möglichkeit des Lernens bot. Die zweite wichtige Änderung bestand in der Einführung einer Hochschule in das bisher mit dem Gymnasium abschließenden Schulsystem. Dies geschah 1622, im europäischen Vergleich sehr spät, doch kam die Weißenburger Akademie immerhin zustande und blieb bestehen, anders als Stephan Báthorys nur einige Jahre existierende Klausenburger Hochschule im 16. Jahrhundert. Die mit den Lehrstühlen Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft ihre Lehrtätigkeit aufnehmende Weißenburger Akademie sollte Bethlens Absicht nach Georg I. Rákóczi zu einer echten Universität ausbauen, wozu es aber nicht gekommen war. Trotzdem erhielten dort zahlreiche Studenten die Möglichkeit zum geistigen und gesellschaftlichen Aufstieg.
Auch bei den Sachsen entstand die Idee einer Hochschulgründung. 1647 verhandelte darüber ihre kirchliche Synodalversammlung und 1653 die Versammlung der Nation. Im Falle einer Unterstützung seitens der fürstlichen Schulpolitik wäre es wohl schon im 17. Jahrhundert zur Gründung einer evangelischen Hochschule gekommen und die Besten hätten nicht weiter im Ausland ihre Studien beenden müssen. So aber blieben an den ausländischen Universitäten weiterhin die Sachsen in der Mehrzahl: 55 % der ca. 4500 im Ausland studierenden Siebenbürger im 16. und 17. Jahrhundert stammten aus den fünf größten sächsischen Städten, während alle übrigen aus insgesamt 56 Ortschaften kamen.
Der häufige Besuch ausländischer Universitäten war ein Kennzeichen des gesamten Unterrichtswesens in Ungarn und war wohl auf das Fehlen heimischer Universitäten zurückzuführen. Darüber hinaus artikulierte sich darin aber auch der Wunsch nach höherer Bildung. Infolge des Verfalls der mittelalterlichen Universitäten und der Dreiteilung des Landes hat für Ungarn auch die Gefahr bestanden, den Anschluß an die europäische Kultur zu verlieren. Diese Gefahr aber konnte vermieden werden. Eigenartigerweise nahm der Universitätsbesuch nicht einmal während der Kriege ab. Im 16. Jahrhundert z. B. besuchten ferne Universitäten die meisten in den Jahren 1521–1530, und diesen Rekord übersteigt nur die Zahl von 304 an fremden Universitäten eingeschriebenen Hörern im Jahrzehnt nach 1630.
Was die Richtung der Studentenwanderung betrifft, so änderte sich schon um die Jahrhundertwende die Wahl der Universitäten. Unter den reformierten Fürsten, also seit Stephan Bocskai, lagen die katholischen Universitäten für lange Zeit abseits der Reiseroute der Siebenbürger, und erst seit der Mitte des Jahrhunderts ging man wieder nach Padua, wo man die beste medizinische Ausbildung erhielt. Deutschlands Verwüstungen durch den Dreißigjährigen Krieg lenkten die Studenten dann nach England und Holland, so daß Siebenbürgen von der großen Zerstörung Mitteleuropas profitierte, indem seine Studenten nach Holland und England kamen, als dort der Geist am 346lebendigsten sprudelte. Mit etwas Übertreibung läßt sich gar behaupten, daß die wissenschaftliche Revolution in England, am Londoner Gresham College, auch einen siebenbürgischen Teilnehmer hatte. Zumindest wirkte im damaligen Zentrum englischer Wissenschaft bis 1646 János Bánffyhunyadi als anerkannter Chemiker.
Viel überraschender als sein Fall ist jedoch die Tatsache, daß einzelne hervorragende Persönlichkeiten jenes komplizierte Ideensystem, das man üblicherweise mit dem einfachen Begriff „Puritanismus“ bezeichnet, fast vollständig mit heimbrachten. Sie verkündeten ebenso die moderne Beziehung zwischen Individuum und Kirche, wie sie sich der Sache der öffentlichen Bildung annahmen oder die Elemente der kartesianischen neuen Metaphysik lehrten. Am bekanntesten wurden Pál Medgyesi, János Tolnai Dali und János Apáczai Csere, bzw. sie waren die ersten, in deren Tätigkeit sich in der Mitte des Jahrhunderts der ungarische Puritanismus konzentrierte. Mit grober Vereinfachung läßt sich sagen, daß sich Medgyesi vor allem mit dem kirchlichen Leben, Apáczai Csere mit der Erneuerung der Wissenschaft und Tolnai Dali mit den Schulen beschäftigte. Nach ihnen und mit ihnen gemeinsam waren weniger bedeutende Persönlichkeiten tätig, und zwar über Siebenbürgen hinaus vor allem in Ostungarn. Später dann trugen – immer wieder verstärkt durch neue ausländische Einflüsse – viele in ihren Spuren die puritanischen Ideen weiter.
Überraschend ist daran besonders, daß für den Puritanismus, den doch die Probleme der modernsten Gesellschaften im damaligen Europa herausforderten, gerade einzelne Siebenbürger sensibel waren. Doch singulär ist dies keinesfalls; schon vorher und auch später erreichten Ungarn bzw. Siebenbürgen die modernen Ideenströmungen jeder Periode. Unterschiedlich waren allein die Umstände ihrer Aufnahme oder Zurückweisung. Der Puritanismus löste außerordentlich extreme Stellungnahmen aus. Selbst die Fürstenfamilie war geteilter Meinung: Georg I. Rákóczis Frau Zsuzsanna Lórántffy und ihr jüngerer Sohn, Zsigmond, standen auf Seiten der Puritaner, während die beiden Georg Rákóczi sie verfolgten. In breiten Gesellschaftskreisen, in den Kirchengemeinden und Schulen kam es zu stürmischen Auseinandersetzungen, weil Intoleranz auf Intoleranz stieß. Die Verfechter des Puritanismus – als hätten sie vergessen, daß sie nicht in England oder Holland lebten – wollten alle ihre Ideen sofort verwirklicht sehen, während die Wortführer ihrer Gegner in ihrer geistigen Eifersucht jeden puritanischen Gedanken von vornherein ablehnten. Beide Seiten hätten mit weiserer Zurückhaltung viel Sturm und Unruhe vermeiden können.

 

 

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