Die geistige Kultur

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Die geistige Kultur
Nach der Katastrophe an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert erholte sich in Siebenbürgen das geistige Leben am schnellsten. Das erste ungarische Buch nach dem Krieg erschien 1610 in Klausenburg, ein moralisierendes Lehrgedicht; das erste fremdsprachige war eine lateinische Poetik aus der Hermannstädter Druckerei von 1611. Doch bedeutete die rasche Regeneration keine Kontinuität, denn der am Ende des vorigen Jahrhunderts noch so rege siebenbürgische Esprit hatte einem von den Stürmen des Lebens abgewandten und sich mit der Freude am Denken tröstenden Neostoizismus Platz gemacht.
Dieser Wandel erklärt sich durch die allgemeine Lage Siebenbürgens. Die politischen Versuche zur Jahrhundertwende hatten gezeigt, daß sich das Land auch weiterhin zwischen zwei Großmächten zu behaupten hatte; daran ließ sich nichts ändern. Die Kirchen beendeten schließlich nach vielem vergeblichen Streit ihre Feindseligkeiten, und jede beschäftigte sich mit ihren eigenen Angelegenheiten.
Aus dem Prozeß der geistigen Regeneration ging allmählich eine spezifische weltliche Bildung hervor. Dies zeigen auch die Angaben über den Buchdruck bis 1630. Von den 18 ungarischsprachigen Druckwerken zwischen 1611 und 1630 waren 10 nichttheologischer Art. Danach kehrte sich das Verhältnis um: Zwischen 1631 und 1650 beschäftigten sich 62,5 % der Werke mit Theologie oder waren für kirchliche Zwecke bestimmt. Diese Statistik zeigt aber nur die Oberfläche; inhaltlich konnten auch die eher kirchlichen Bücher weltliche, ja sogar naturwissenschaftliche Kenntnisse vermitteln. Denn die Predigten handelten oft von Krankheiten und die Einleitungen zu theologischen Arbeiten von den Geheimnissen der Natur. Okkulte Naturerklärungen finden sich ebenso wie moderne naturwissenschaftliche Kenntnisse. Die höchstgebildete Intelligenz wirkte zwar nicht auf dem Gebiet der Wissenschaften, sondern in den Kirchen, sie vermochte aber ihre weltliche Bildung sogar von der Kirchenkanzel herab weiterzugeben.
Neben dem Einzug der Säkularisierungstendenzen in die Kirchen ist für die sich entfaltende siebenbürgische Kultur des 17. Jahrhunderts der Anstieg in der Zahl der Druckwerke charakteristisch, wobei in den weltlich geprägten Werken neue Inhalte auftauchten. Anfänglich wurden die immer häufiger erscheinenden neuen Bücher überwiegend in der Weißenburger fürstlichen Druckerei hergestellt, die von Gabriel Bethlen gegründet worden war und in 350den 1630er Jahren aufblühte. Georg I. Rákóczi ließ in der Walachei kyrillische Schrifttypen besorgen, und seit 1639 gab die fürstliche Druckerei eine große Zahl von rumänischsprachigen Werken heraus. Bei der Verbreitung der ungarischen Bildung spielte der 1640 von Ábrahám Szenci Kertész gegründete Wardeiner Buchverlag eine wichtige Rolle, der nicht auf ideologische Überlegungen zurückging, so daß in ihm die einzige jesuitische Ausgabe dieser Zeit in Siebenbürgen erscheinen konnte und zugleich auch die Arbeiten von Comenius und die reformierten Kirchengesetze. Von 1640 bis zum Fall Wardeins 1660 erschienen 113 Druckwerke, 70 davon in ungarischer Sprache.
Mit der Zahl der Bücher entfaltete sich auch ihr neuer Inhalt. Die Erzählungen vergangener Geschehnisse verschwinden, statt dessen berichten die Bücher über die Taten der regierenden Fürsten, vorrangig über die Kriegserfolge von Georg I. Rákóczi. Neu sind ferner die ausgesprochen wissenschaftlichen Arbeiten, vor allem die sprachwissenschaftlichen, die Wörterbücher und dann ein Buch über die Übersetzungstheorie; ebenso erscheint eine kleine Grammatik von István Geleji Katona.
Das starke sprachwissenschaftliche Interesse erfaßte sogar die Fürstenfamilie. Noch als Thronfolger neben seinem Bruder Zsigmond stellte Georg II. Rákóczi mit János Erdőbányai ein Wörterbuch zusammen. Die Zahl der ausgesprochen sprachwissenschaftlichen Arbeiten spiegelt aber das in den 1640er Jahren gestiegene Interesse an den Fragen der Sprache gar nicht wider. Damals entstand eine erste Welle der ungarischen Spracherneuerung, deren Zentrum Siebenbürgen war, wenn sich ihre Debatten auch über ganz Ungarn erstreckten. Es war ein Kampf der Vertreter der etymologischen, also der nur von Gebildeten zu erlernenden, mit den Verfechtern einer einfachen, durch bloßen Sprachgebrauch erlernbaren phonetischen Rechtschreibung. Erstere vertrat Bischof István Geleji Katona, letztere Pál Medgyesi, Hofprediger Georg I. Rákóczis. Beide Standpunkte stimmte später, bereits gegen Ende des Jahrhunderts, der in Holland ausgebildete Drucker Miklós Tótfalusi Kis aufeinander ab.
Auch die Siebenbürger Rumänen begannen sich zu jener Zeit um ihre Muttersprache zu kümmern. Nur waren ihre Probleme schwieriger als die der Ungarn. Ganz klar sprach dies der rumänische Bischof von Weißenburg, Stefan Simion aus, als er beklagte, es sei unmöglich, eine für alle Rumänen verständliche Bibelübersetzung zu schaffen, da sie nicht einheitlich sprächen. Dabei dachte er offensichtlich nicht nur an die Siebenbürger, sondern bezog sich auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch der in den verschiedensten Ländern lebenden Rumänen. Diese Abweichungen hätte vielleicht die sowohl in den rumänischen Woiwodschaften als auch im Fürstentum Siebenbürgen bestehende griechisch-orthodoxe Kirche aufheben können. Sie aber blieb beim Gebrauch des Altslawischen im Interesse der Bewahrung der Universalität der griechischen Orthodoxie. Muttersprachliche Bestrebungen wurden einstweilen nicht gefördert.
So war es in Siebenbürgen dazu gekommen, daß der so vielversprechende Aufschwung der rumänischen Sprache in der orthodoxen Kirche im 16. Jahrhundert schon um 1580 zum Stocken kam. Seither blieb die Muttersprache auf die reformierten Rumänen beschränkt. Auch das erste vollständige rumänische Neue Testament gab die Weißenburger fürstliche Druckerei 1648 für die reformierten Rumänen heraus. Dieses für die Entwicklung der 351rumänischen Literatursprache so wichtige Werk schufen ein näher nicht bekannter Priester Sylvester und Ştefan Simion.
Die Verflechtung der rumänischen Muttersprachenbestrebungen mit der reformierten Kirche in Siebenbürgen hatte eigentümliche Folgen. Sie führte zu einem zweifachen Widerspruch: einmal im Verhältnis zwischen siebenbürgisch-rumänischer Geistlichkeit und Muttersprachenkultur, indem erstere an der Orthodoxie festhielt, zum anderen in der Beziehung zur Muttersprachenbildung in Siebenbürgen bzw. in den Woiwodschaften. Dort nämlich begann sich gerade zur Mitte des Jahrhunderts die Muttersprache im Druck zu verbreiten. Da dies aber innerhalb der Orthodoxie geschah, verstärkte diese ihre Polemik gegen Siebenbürgen ganz erheblich.
Die Sachsen dagegen hatten mit ihrer Muttersprachenbildung keine Probleme, vor allem wohl, weil die Güter der seit der Reformation immer einheitlicher werdenden deutschen Kultur stets auch zu ihnen gelangten. Eine gewisse Sonderstellung bewahrten sie sich jedoch: die literarischen deutschen Texte lasen sie in den Schulen in den verschiedenen sächsischen Dialekten. Ihr sprachwissenschaftliches Interesse zeigte sich eher darin, daß sie nach der lokalen Vorgeschichte ihrer eigenen Sprache suchten. Sie beschäftigten sich mit Etymologien über die getisch-gotisch-siebenbürgisch-sächsische Kontinuität.
Bezeichnend für die kulturgeschichtliche Periode seit den 1630er Jahren war neben dem Interesse am Sprachgebrauch die Aufmerksamkeit für Geschichte und Medizin. Das einzige erschienene ungarische Mathematikbuch taugte dagegen nur zur Lösung einfacher Rechenaufgaben. Die Historiographie und die praktizierte Medizin gingen aber auch nicht viel über die Alltagsansprüche hinaus. Erstere leistete großes bei der Erforschung der polnischen Katastrophe von 1657, und die ärztlichen Bücher behandelten die Seuchen, die das ganze Land heimsuchten.

 

 

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