Kulturpolitik, Intelligenz, Muttersprache

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Kulturpolitik, Intelligenz, Muttersprache
Die Blütezeit der siebenbürgischen Kulturgeschichte fiel gerade in dieses halbe Jahrhundert, als das Fürstentum drei Jahrzehnte lang zum Schauplatz von Kriegen und lokalen Kämpfen wurde und die Bevölkerung die schweren Erschütterungen erlebte, die Verwüstung und Verlust der Heimat bedeuteten. Siebenbürgen nimmt die neuen Strömungen des westeuropäischen Geisteslebens auf, es entstehen Werke von bleibendem Wert, die den Eigencharakter der siebenbürgischen Kultur für Jahrhunderte prägen.
Traditionsbewahrung und Erneuerungsgeist, gesellschaftspolitische Intention und historische Herausforderung sind die bestimmenden Elemente der kulturellen Entwicklung und deren hervorragendster Zeugnisse, die im Rahmen der staatlichen Kulturpolitik entstanden sind.
Ähnlich den herausragenden Politikern und Denkern seiner Zeit erkannte Michael Apafi die Bedeutung der Kultur für den Bestand und den Fortschritt seines Landes. Schon von seinen siebenbürgischen Zeitgenossen – dem Absolventen holländischer und englischer Universitäten, dem Theologen István F. Tolnai, und dem bedeutendsten ungarischen in Basel ausgebildeten Arzt und Physiker Ferenc Pápai Páriz – wurde Apafi als ein Fürst bezeichnet, der die Bildungsideen von Descartes verkörperte. Belesen in den Werken von Bacon, Macchiavelli, Grotius, Justus Lipsius und Coccejus hielt der Fürst die Entwicklung der Schulen und die Institutionalisierung der modernen Wissenschaft für eine der wichtigsten Aufgaben eines Herrschers. Als er die Herrschaft in Siebenbürgen antrat, lag der Palast in Weißenburg, die traditionelle Fürstenresidenz, in Trümmern. Solange der Wiederaufbau nur stockend voranging, errichtete er sich in Fogarasch seinen Fürstenhof. Er legte viel Wert auf Repräsentation. Am Hof herrschte ein strenges Zeremoniell, dessen Pracht noch durch die öffentlich präsentierten Ehrengaben ausländischer Herrscher gesteigert wurde. Ein sorgfältig angelegter Ziergarten verlieh der Residenz den würdigen Rahmen. Apafi war bestrebt, seinen Hof zum Zentrum einer Kultur zu machen, die dem westeuropäischen Vorbild nacheiferte und zugleich die spezifisch ungarische Eigenart und deren Werte zu bewahren suchte. Er umgab sich mit einer kleinen Gruppe von Absolventen westlicher Universitäten, die zumeist Descartes’ Lehren verkündeten. Zur Information seiner Anhänger faßte er Auslandsnachrichten regelmäßig in „Novellen“ – Nachrichtenbriefen – zusammen. Seine Religionspolitik 394war tolerant und sein Fürstenwort garantierte den Geist freier Lehre. Sein Hauptvorhaben, die Gründung einer modernen Universität in Siebenbürgen, ließ sich freilich nicht mehr verwirklichen, doch entwickelte sich das Groß-Enyeder Kollegium zum Hochschulniveau. In Fortsetzung der Bildungspolitik der großen siebenbürgischen Fürsten konnte er der Kultur seines Landes ein Fundament sichern, das von Dauer war.
Die Kulturpolitik der Habsburgerregierung in den 1690er Jahren widersprach den siebenbürgischen Traditionen völlig. Ihre Schulpolitik basierte auf einer von dynastischem Interesse und dem Willen zur Gründung eines Reichs mit einem Glauben durchdrungenen intoleranten Religionspolitik sowie dem hohe Ansprüche stellenden Jesuitenorden und mußte damit auf den heftigen Widerstand der siebenbürgischen Gesellschaft stoßen. Der Herrscherhof lag aber fern, seine Ausstrahlung blieb gering. Der General und der Statthaltereirat in Hermannstadt waren nicht mehr als ein Befehle erteilendes und Verordnungen übermittelndes Zentrum.
In dem freilich eingeschränkten Rahmen der herrschenden militärischen Verhältnisse waren Franz II. Rákóczi und der Kreis seiner Würdenträger mit allem Nachdruck darum bemüht, die kulturelle Bedeutung der Fürstenhöfe in Weißenburg, Neumarkt und Klausenburg in ihrer historischen Kontinuität zu bewahren. Mit seiner toleranten Schul- und Religionspolitik setzte Rákóczi die von Apafi begründete Entwicklung fort, ohne Kraft und Zeit zu haben, diese zur Reife zu bringen.
Gemessen an den Nachbarländern war Siebenbürgens Intelligenz ihrer Zahl nach groß, aber nicht groß genug und außerordentlich differenziert. Der Unterschied zwischen der schöpferischen Elite und den verschiedenen Gruppen der ihr zuarbeitenden Lehrer, Schreiber, Maler, Beamten, Hof- und Militärmusiker war erheblich. Neben der kirchlichen erstarkte die weltliche Intelligenz, die in dieser Zeit bereits alle großen Werke der Literatur geschaffen hat. Denn ein Arzt, Physiker oder Drucker schuf profiliertere geistige Werke als der an der Spitze der Gesellschaftshierarchie stehende Hofprediger oder der ungarische, sächsische und dann infolge der Kirchenunion auch der rumänische Klerus. Gemessen an der Landesbevölkerung war die Zahl der Universitätsabsolventen ebenfalls hoch, ethnisch gesehen hatten die Ungarn und Sachsen ein starkes Übergewicht.
In Apafis und Rákóczis Staat war das Ungarische die Sprache der Politik, doch richteten sich die Verordnungen an die Sachsen und Rumänen auch in deren Muttersprache. Apafi legte so großes Gewicht auf die muttersprachliche Bildung, daß er auf Bitte des rumänischen niederen Klerus den Serben Sava-Branković als griechisch-orthodoxen Bischof ablöste, weil dieser sich seinem Befehl, die Glaubenslehren den Gläubigen rumänisch zu verkünden, widersetzte. Die Habsburgerregierung wiederum wandte sich zumeist auf deutsch und manchmal auch auf Latein an die Bevölkerung. Rabutin sprach nur französisch, und die deutschen Kameralbeamten und Truppenoffiziere konnten sich mit den Sachsen, die ihren eigenen Dialekt sprachen, nur schwer verständigen.
Unter den Fürsten war Siebenbürgen ein sprachlich gesehen liberales Land. Mit seiner außenpolitischen Orientierung und seiner an westlichen Universitäten ausgebildeten Intelligenz zog es auch in den relativ ruhigen Jahrzehnten viele Ausländer an. Die Wissenschaftssprache war überwiegend noch das Lateinische und infolge der Studienaufenthalte im Ausland fallweise 395das Deutsche, Holländische, Französische und in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts das Englische. Gleichzeitig wird das Verlangen nach einer ungarischsprachigen Wissenschaft mit solchem Nachdruck formuliert, daß es selbst bis ins Zeitalter der Aufklärung zeitgemäß geblieben ist. In der Diplomatie begann Französisch das Latein zu verdrängen, während die rumänischen Woiwoden mit Apafi oftmals ungarisch korrespondierten. Die türkischen Befehle trafen meist in ungarischer Übersetzung ein, die von türkischen Schreibern in Ofen, Temeschwar und hauptsächlich Konstantinopel angefertigt wurde, doch hielten sich die Fürsten auch immer türkische Schreiber.
In dieser Periode mit besonders vielen Sprachmedien läßt sich eine Hochblüte der Muttersprachenbildung beobachten. Die in den folgenden Jahrzehnten erneuerte und aufgefrischte ungarische Sprache Siebenbürgens erweitert sich dem neuen Bildungsanspruch folgend um die Begrifflichkeit des öffentlichen Lebens, der Staatstheorie, der gesellschaftlichen Verantwortung, der Geschichte, des Denkens und der Wissenschaft sowie der gewerblichen Wirtschaft und des Handels. Es entsteht die einfache Umgangssprache und die gehobene Bildungssprache zur Artikulation der komplizierten Empfindungs- und Gedankenwelt des Individuums. Der berühmte Drucker Miklós Misztótfalusi Kis vereinheitlicht die ungarische Rechtschreibung und druckt in verbesserter Neuausgabe die als Massenlektüre vorgesehene ungarische Bibel. Die Intention der Sprachbildung prägt auch die sächsische Kultur im Rahmen der Schule, Kirche, der Wissenschaft und des städtischen Lebens, gefördert noch durch den hier zuerst Wurzel fassenden Pietismus. Die rumänische Sprachentwicklung wurde durch Apafis Schulpolitik stark gefördert, während die Kirchenunion ihrerseits die Sprachkultur der rumänischen Geistlichkeit begünstigte. Das erste rumänisch-lateinische Wörterverzeichnis entstand in Siebenbürgen.
Die vielsprachigen Bewohner Siebenbürgens hatten im täglichen Umgang miteinander keine Verständnisschwierigkeiten. Die aktuellen Tendenzen zur Spracherneuerung innerhalb der muttersprachlichen Kultur wiesen in Richtung eines mehrsprachigen, aber in seiner Terminologie einheitlichen Landes, ihr Wert für die europäische Kultur der Zukunft kann aber erst auf dem heutigen Kenntnisstand vom seither eingetretenen Verlust einer derartigen Vielsprachigkeit gebührend eingeschätzt werden. Siebenbürgen hätte sich zur Schweiz der östlichen Randgebiete Mitteleuropas entwickeln können, wenn das Land nicht gezwungen worden wäre, andere, seinen spezifischen Traditionen weniger entsprechende Wege einzuschlagen.

 

 

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