Bevölkerung und Gesellschaft

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Bevölkerung und Gesellschaft
Die Eingliederung ins Habsburgerreich brachte Siebenbürgen einen anderthalb Jahrhunderte andauernden Frieden, während die benachbarten rumänischen Fürstentümer zum Schauplatz ständiger russisch-türkischer (und manchmal auch österreichischer) Kriege, militärischer Aufmärsche und Besetzungen wurden, von 1689 bis 1867 insgesamt 136 Jahre lang. Aus der Pax Habsburgica ergaben sich grundlegende Veränderungen in den Bevölkerungsverhältnissen nicht nur für Siebenbürgen, sondern auch für sein Umfeld. Früher begonnene Migrationsprozesse konnten sich ausbreiten – soweit solche mangels Quellen rekonstruiert werden können.
409Die Zahl der Einwohner Siebenbürgens um 1710 kann auf 800 000–860 000 geschätzt werden; diese Zahl erhöhte sich – aufgrund der Angaben der Volkszählungen – bis in die 70er Jahre auf 1 500 000 und bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf 2 Millionen. Der durchschnittliche Bevölkerungszuwachs lag im 18. Jahrhundert bei 0,6–0,7 % pro Jahr, zwischen 1786 und 1850 fiel er dagegen auf 0,45 % zurück, während er zwischen 1820 und 1840, nach der großen Hungersnot von 1817, rund 1 % betrug. Höheres und geringeres Wachstum mag es auch im 18. Jahrhundert gegeben haben: durch Epidemien, Hungersnöte und – besonders am Anfang des Jahrhunderts – rege Wanderungsprozesse. Die Pestseuche von 1717–1720 raffte fast 20 % der Bevölkerung dahin. Solche Seuchen ließen eine Unmenge von Bauernhufen verödet zurück und verursachten eine starke innere Migration. Den Grund für den bisher nie erlebten Aufschwung der Binnenwanderung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildete die Anziehungskraft der von den Türken befreiten (stark verödeten) Gebiete im Herzen Ungarns.
Die Großgrundbesitzer in der Großen Ungarischen Tiefebene lockten mit beträchtlichen Erleichterungen (Fron- und Steuerbefreiung für mehrere Jahre) auch Bauern aus Siebenbürgen auf ihre weitgehend verödeten Güter. Vermutlich hunderttausende Leibeigene und Häusler verließen die mageren oder schwer bebaubaren Böden Siebenbürgens und machten sich auch wegen schwerer Fron und hohen Steuern gerne auf den Weg ins gelobte Land. Machmal siedelten selbst die siebenbürgischen Grundbesitzer ihre Leibeigenen auf ihre Güter in Ungarn um. „Viele Dörfer blieben meist stark verödet zurück“ – klagten die siebenbürgischen Behörden des öfteren. Der Kaiser verordnete erfolglos die Umkehr der nach Ungarn abgewanderten Bauern: „die großen öden Gebiete“ – teilte die siebenbürgische Verwaltungsbehörde der Kanzlei mit -„verschlingen die von hier wegziehenden Leute, so daß wir nicht einmal ihre Spuren finden können“.* Klagen dieser Art wiederholten sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts unaufhörlich.
OL Erdélyi Udvari Kancellária Levéltára, Acta generalia 1712: 80, 137
Der Prozeß ging aber nicht nur in diese eine Richtung. Es gab auch eine Auswanderung nach der Walachei und der Moldau, aber in noch viel geringerem Maße, obwohl die Anziehungskraft der Gebiete jenseits der Karpaten ebenfalls groß gewesen sein mochte. (Die Bevölkerungsdichte der Walachei war selbst in den 1810er Jahren etwas geringer als die in Siebenbürgen 100 Jahre davor mit 13–14 Einwohnern pro qkm.) Die wesentlich niedrigeren Getreidepreise boten einen Anreiz, und die Grundbesitzer – denen daraus sicher keine Nachteile entstanden – versprachen auch dort Erleichterungen. Dennoch werden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehr Einwanderer aus den Gebieten jenseits der Karpaten nach Siebenbürgen gekommen sein. Ein italienischer Augenzeuge der walachischen Zustände am Jahrhundertbeginn berichtete: „[…] die dauernden Unterdrückungen brachten den Bewohnern solches Elend, daß viele in ihrer Hoffnungslosigkeit ihre Wohnungen verließen und jenseits der Donau in der Türkei oder in Siebenbürgen Zuflucht fanden, wo ihre Zahl größer ist als in der Walachei“.* In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts galt die Auswanderung über die Karpaten bereits als „morbus transylvanicus“. Aber nachdem die Notzeiten in Siebenbürgen überstanden waren, kehrte der größte Teil der 410Auswanderer zurück, vor allem wegen der durch Kriege verursachten Unbilden und der schwereren Steuerlasten; diese konnten nicht immer dadurch kompensiert werden, daß die rumänischen Grundbesitzer – wie die siebenbürgischen – die Fron vergeblich zu erhöhen suchten. Diese Bestrebungen scheiterten am Widerstand der Bauern, deren wichtigstes Mittel gerade die Migration war, und auch an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, die stark von denen in Siebenbürgen abwichen. So kam es, daß das Schicksal der walachischen Bauern besonders den Wiener Behörden beunruhigend besser erschien. Sie hatten nicht nur viel weniger Frondiensttage als die siebenbürgischen zu leisten, sondern die Verhältnisse in der Walachei boten scheinbar auch eine ungebundenere Lebensweise. Während in Siebenbürgen die Mehrfelderwirtschaft üblich war und zum Ende des 18. Jahrhunderts hin die Feldgemeinschaft aufgelöst wurde, man also jene Gemeinschaftsfelder aufteilte, an denen die Mitglieder der Dorfgemeinschaft durch das Los beteiligt worden waren, herrschte in den Fürstentümern noch die Brachwechselwirtschaft, bei der jedermann nach Gefallen Flächen unter den Pflug nahm und folglich die Viehhaltung eine größere Rolle als in Siebenbürgen spielte. Hirse und seit Beginn des 18. Jahrhunderts der die Hirse verdrängende Mais ermöglichten als Sommergetreide eine mobilere Lebensweise als der arbeitsintensivere Weizen- und Roggenanbau; und wie in Deutschland die Kartoffel, so sicherte in Südosteuropa und Siebenbürgen der Mais auch das Bevölkerungswachstum.
A.-M. DEI. CHIARO FIORENTINO, Revoluţiile Valahiei (Walachische Revolutionen). Iaşi 1929, 6.
Die Wiener Hofkammer berichtete 1776 dem Kaiser mit Mißbilligung, die siebenbürgischen Behörden ließen zu viele Flüchtlinge aus der Walachei ins Land, „denn diese Leuten stehen mit den siebenbürgischen wallachischen Insassen in Anverwandtschaft und Blutverbindlichkeit, sie haben mit denen Siebenbürger Wallachischen Insassen durchgängig eine nähere Bekanntschaft gemacht, welche ebenfalls die Beredung der diesseitigen Unterthanen zur Emigration nach sich ziehen und hierzu die wechselseitige nähere Bekanntschaft viele Vortheile anbiethen dürfte, es werden wenig diesseitige Wallachen seyn, welche in ihrem Leben wenigstens nicht einmal in die Moldau oder Wallachey hinübergehen“.* Der soziale Kampf der Bauern, ihr Überlebensinstinkt und ihr Streben nach einer freieren Lebensweise bildeten den Grund für diese, die Karpaten durchdringende ethnische Osmose, an der auch die Ungarn – vor allem aus dem Szeklerland – beteiligt waren. Wie die in dem Thema besser bewanderte rumänische Geschichtsschreibung betont, war die rumänische Bevölkerung beweglicher, da sie ärmer war und sie die „Anpassung“ an ihr hartes Los dazu brachte, den Wanderstab zu ergreifen, während die Ungarn dazu eher aus Empörung getrieben wurden. Als zur Zeit der Hungersnot in den 1780er Jahren viele in die Fürstentümer abwanderten – aus denen sie den Berichten der Komitate nach später zurückkehrten –, meldete ein österreichischer Lagebericht, der zweite Grund für die „Verödung“ Siebenbürgens neben der brutalen Behandlung der Bauern durch den Adel „ist die Abneigung des Adels gegen den Siebenbürgisch-Hungarischen Unterthan. Sie entspringet aus der Widersinnigkeit, weil er die Lasten der Dienstbarkeit nicht so bereitwillig wie der Wallach mit gebeugten Schultern traget“. Deshalb wanderten die ungarischen Grunduntertanen nach Ungarn oder in die Moldau ab. „Man kann in vielen Dorfschaften, die vor 40 und 50 411Jahren durchaus mit hungarischen Unterthanen besetzt waren, die Probe gegenwärtig in dem finden, daß nun schon die Hälfte der Inwohner aus Wallachen bestehen.“ Also „es ist nicht zu zweifeln, daß ein halbes Jahrhundert mittels derzeitigen Benehmungen der Unterthansstand dieser Nation ganz vertilgen dürfte, wo nicht in kurzem die Domenien verhalten werden, jene Dorfschaften, die vor 50 und mehr Jahren mit Hungarn besetzet waren, eben successive wie die Walachen eingesiedelt worden, gelegentlich wiederum mit Hungarn zu besetzen […]“.*Infolge der Migrationen in unterschiedliche Richtungen veränderten sich allmählich die ethnischen Verhältnisse der einzelnen Gebiete. Wie schon erwähnt, schrieb der moldauische Fürst Vasile Lupu im 17. Jahrhundert – die große Zahl der Rumänen betonend – noch darüber, daß mehr als ein Drittel der Bevölkerung Siebenbürgens rumänisch sei. Eine Schätzung des Verwaltungsgerichtes von 1712/13 gab folgende Anteile an: Rumänen 34 %, Ungarn 47 %, Sachsen 19 %; allerdings wird dabei die Anzahl aller Familien unwahrscheinlich niedrig, auf etwa 80 000 geschätzt. Es erhebt sich die Frage, inwiefern die bemerkenswerte Zunahme der Rumänen in gewissen Regionen der äußeren oder inneren Migration zuzuschreiben ist, z. B. im Sachsenland, aus dem wir die zuverlässigsten Angaben haben. Kirchlichen Konskriptionen zufolge übersteigt nämlich die Zuwachsrate der Rumänen den Landesdurchschnitt bei weitem (zwischen 1750 und 1761 2,7 % zwischen 1733 und 1761 fast 2 %).
Wien, Hofkammerarchiv, Siebenbürgen, r. N. 256. 5 . Juni 1776.
Wien HHStA Ungarn specialia. Transylvanica separata, fase. 362.
Tabelle 2. Die Bevölkerung im Großfürstentum Siebenbürgen nach ihrer ethnischen und Nationalitätenverteilung aufgrund zeitgenössischer konfessioneller Konskriptionen, Schätzungen und der Volkszählung von 1850/51
Jahr
Rumänen
Ungarn
Deutsche
Zigeuner
Juden
Sonstige
Insgesamt
Gesamtbevölkerung
%
1766*
Aus diesem Jahr liegen zwei Datenserien vor
58,9
27,5
13,6
100,0
953 886
 
52,0
41,0
6,5
0,5
100,01
1 453 742
1773
63,5
24,2
12,3
100,01
1 066 017
1786
30,5
49,7
18,2
0,7
0,2
0,7
100,01
1 664 545
1794
50,0
33,0*
3–4% davon Sachsen bzw. Deutsche
12,5*
3–4% davon Ungarn
4,3
0,1
0,1
100,01
1 458 559
1844
60,1
28,6
10,0
0,8
0,2
0,3
100,02
2 143 310
1850/51
59,5
25,9
9,4
3,8
0,8
0,6
100,02
2 062 379
 
Die absolute Mehrheit der Bevölkerung Siebenbürgens bestand zu dieser Zeit schon aus Rumänen: ihr Anteil wird auf 50-60 % geschätzt. Soweit sich mit Daten belegen läßt, überstieg der Bevölkerungszuwachs der Rumänen den Landesdurchschnitt seit den 1820er Jahren nicht mehr. Da es danach im historischen Siebenbürgen lange Zeit keine Umsiedlungen mehr gab, die das Zusammenleben der Völker gestört hätten, blieben die ethnischen Verhältnisse ziemlich unverändert: Der Anteil der Rumänen war sowohl 1850 wie auch 1930 57,2 %, der der Ungarn erhöhte sich von 26,8 auf 29,1 %, während der der Sachsen bzw. Deutschen von 10,5 auf 8,3 % zurückging.
412Parallel zum Bevölkerungszuwachs nahm auch die Größe des Ackerlandes zu: Bis zu den 1820er Jahren wurde der größte Teil des bebaubaren Bodens unter den Pflug genommen. Es war eine typisch extensive Entwicklung, in deren Verlauf sich der Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Tätigkeit von der Viehzucht auf den Ackerbau verschob. Dadurch entstand bei dem gegebenen niedrigen Niveau der Produktivkräfte eine Übervölkerungskrise, aus der allein eine Veränderung der Produktionsweise herausführen konnte.
Die Gesellschaft Siebenbürgens schien zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein unruhiges, sich in fast all ihren Komponenten wandelndes Gebilde zu sein. Der Zusammenschluß mit dem Habsburgerreich brachte – wenn auch nicht in der Struktur der Gesellschaft, so doch in ihrer Zusammensetzung – wichtige Veränderungen mit sich. Die Habsburger verteilten als Belohnung aristokratische Titel, aber der Aufstieg der neuen Aristokratie verursachte keine nennenswerten Änderungen in den Machtverhältnissen. Im politischen Leben Siebenbürgens gaben im 18. Jahrhundert nicht die neuen Träger hoher Ämter oder die Militäraristokratie den Ton an, sondern die gleichen 6–7 Familien, die gegen Ende des Fürstentums bereits in den Magnatenstand aufgestiegen waren. Beinahe alle Gubernatoren, Kanzler und Träger der sonstigen Landesämter entstammten diesen Familien. Echte Homines novi waren je ein Sproß der sächsischen Familien Seeberg und Bruckenthal: Samuel Bruckenthal wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte zum Leiter des Guberniums. Man kann im 18.–19. Jahrhundert mit 50–60 hochadligen Geschlechtern in Siebenbürgen rechnen, und es gab etwa 4 000 mittel- und kleinadlige Familien, die von Steuern befreit waren.
Der mittlere Besitzadel vermochte sich durch seine Rolle im Munizipalwesen, in der miteinander verbundenen Justiz und Verwaltung der Komitate und Stühle, eine feste Stellung zu verschaffen. Die Zentralgewalt konzentrierte ihren Druck vor allem auf den die Lebensweise des freien Bauern führenden Kleinadel: Jeder, der weniger als drei Leibeigene oder Häusler hatte, war steuerpflichtig, das betraf 5–6 der Bevölkerung in den Komitaten und mehr als die Hälfte im Szeklerland. Ihrer politischen Rechte konnte man sie freilich nicht berauben, so blieben sie die gesellschaftliche Basis des Ständewesens, denn die ständische Freiheit hatte auch in dieser Form mehr Anziehungskraft als das Leben der sowohl dem Grundbesitzer als auch dem Staat ausgelieferten Bauern.
Paradoxerweise konnte sich die Staatsmacht am ehesten in den Gebieten ins gesellschaftliche Leben einmischen, in denen der Feudalismus nicht Fuß zu fassen vermocht hatte: auf dem Königsboden (Fundus Regius), d. h. im Sachsenland. In der Welt der Dorfgemeinschaft der freien Bauern im Sachsenland kam es häufig zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen den Sachsen, die sich Stammbewohner nannten und die Gemeindeverwaltung in Händen hatten, und den Rumänen, die als „Zugewanderte“ deklariert wurden; letztere mußten wegen der relativen Übervölkerungskrise Einschränkungen in der Bodennutzung hinnehmen. Die Gegensätze wurden manchmal so groß, daß man die Rumänen aus den Dörfern vertreiben wollte, was bloß durch Verbote der Zentralgewalt verhindert werden konnte. Dabei ist es kein Zufall, daß die kultiviertesten rumänischen Dörfer Siebenbürgens auf dem Königsboden zu finden sind. Das ist vor allem auf die freiere Lebenweise zurückführen, aber auch für die Warenproduktion waren dort die Voraussetzungen am günstigsten. In der Umgebung von Kronstadt und 413Hermannstadt entwickelten sich die transhumierenden Dörfer dynamisch, und das mit dem Kleinhandel verbundene halbnomadische Wanderhirtentum (Transhumanz) wurde dadurch verstärkt, daß die Weiden infolge der Ausbreitung des Ackerbaues kleiner wurden und sich der Bedarf des Gewerbes an Wolle erhöhte. Um 1750 wurden jährlich 20–25 % des steuerpflichtigen Schafbestandes (1 Million Schafe) auf Winterweiden an die untere Donau getrieben, hundert Jahre später manchmal die Hälfte des Bestandes von zwei Millionen Schafen. Darüber hinaus wurden derartige Möglichkeiten des Warenaustausches bloß in einigen an Ungarn angrenzenden Regionen realisiert. So z. B. im Komitat Zaránd, das Holzwaren in die Große Ungarische Tiefebene und ins Banat lieferte und wo – dem Generalkommandanten András Hadik nach, der Siebenbürgen im 18. Jahrhundert umfassend beschrieb – die kleinste Fläche Boden bebaut werde und es gelungen sei, dem ansonsten allgemeinen Elend Herr zu werden. Im Szeklerland machte sich der Fleiß durch die freibäuerliche Lebensweise bezahlt.
Das Feudalsystem verhinderte, daß Groß- und Kleinbesitz trotz ihrer gegenseitigen Abhängigkeit einander bei der Entwicklung behilflich sein konnten. Das Verhältnis zwischen den Gutswirtschaften und den urbarialen Bauernhöfen war 1:2, die Besitzer der letzteren bildeten etwa die Hälfte der Bevölkerung. Die Grundherren belegten jede bäuerliche Tätigkeit mit einer Steuer, mit den Monopolen für den Verkauf von alkoholischen Getränken und das Mahlen von Getreide versuchten sie die Kaufkraft der Bauern so weit wie möglich abzuschöpfen. So durften nur die Grundherren im größten Teil des Jahres ein Wirtshaus betreiben, oder sie verpflichteten das Dorf, auch den Wein der Gutsherrschaft zu verkaufen. Charakteristisch für die siebenbürgisehe Rückständigkeit ist die in der Nähe von Klausenburg gelegene Herrschaft Bruck der Familie Bánffy, wo am Anfang des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der starken Getreidekonjunktur durch die Napoleonischen Kriege, mit dem Getränkeverkauf im Jahresdurchschnitt ein ebenso hohes Einkommen erreicht wurde wie mit dem Verkauf von Getreide, Heu und Vieh zusammen. Von einer echten Warenproduktion konnte hier kaum die Rede sein, der früheren Praxis entsprechend, lagerten die Grundbesitzer die Vorräte lange Zeit und verkauften oder liehen sie dann in Hungerszeiten ihren eigenen Bauern. Deren Warenproduktion wiederum ging häufig auch nicht über die Beschaffung der zur Steuerzahlung benötigten Beträge hinaus.
Das Netz der siebenbürgischen Städte war nicht genug entwickelt, um zur treibenden Kraft der Warenproduktion zu werden. Die Bevölkerung der Städte stieg auch langsamer an als die der Dörfer. Am Anfang des 18. Jahrhunderts war Kronstadt mit 16 600 Einwohnern die größte Stadt im historischen Ungarn, in den 1780er Jahren stand es mit 18 000 bloß an neunter Stelle, obwohl es in Siebenbürgen vor Klausenburg und Hermannstadt (je etwa 13 000–14 000 Einwohner) noch immer die größte Stadt blieb. Die Urbanisierung Siebenbürgens hing in erster Linie davon ab, in welchem Maße Siebenbürgen in die Arbeitsteilung innerhalb des Reiches bzw. zwischen Ost und West integriert werden konnte. Die in der zweiten Jahrhunderthälfte entstandene Agrarkonjunktur begünstigte vor allem das Agrarland Ungarn, es hielt Siebenbürgen vom Markt der österreichischen Erblande fern, während es andererseits die modernen agrartechnischen Verfahren nach Siebenbürgen vermittelte, deren über hundertjährige Anwendung 414bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die landwirtschaftliche Produktivität in einem Maße erhöhte, daß dadurch die moderne Urbanisierung ermöglicht wurde. Bis dahin wurde die Stadtentwicklung in den siebenbürgischen Komitaten entscheidend dadurch beeinflußt, daß ein Teil der adligen Grundbesitzer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die Städte zog: ihr Konsum kam dem städtischen Handwerk zugute, aber noch mehr dem Handel, da die wohlhabenden Adligen und Patrizier vor allem österreichische Waren kauften.
Die Kaufleute, deren Tätigkeit Siebenbürgen in die Arbeitsteilung zwischen Ost und West integrierte, waren vorwiegend Ansiedler aus dem Ausland, vor allem aus dem Türkischen Reich, die bereits von den siebenbürgischen Fürsten mit Privilegien ausgestattet worden waren. Die Armenier, die sich in den 1670er Jahren in Siebenbürgen niedergelassen hatten, durften bereits am Anfang des 18. Jahrhunderts zwei Städte gründen: Elisabethstadt und Neuschloß. An der Spitze der bis zum Dorfkrämer hinabreichenden Kaufmannshierarchie standen Händler, die aus der Moldau und – in geringerem Maße – aus Siebenbürgen Rinder erst in die Große Ungarische Tiefebene und nach deren Aufmästung weiter nach Wien trieben. Die armenischen Gerber beherrschten in Siebenbürgen den Markt der Lederzubereitung und der Herstellung roter Stiefel. Die Griechen – ein Sammelname für Mazedovlachen, Bulgaren, Albaner, Serben und die teils in gleicher Weise handeltreibenden siebenbürgischen Rumänen – schlugen eine Brücke zwischen der Wirtschaft des Türkischen Reiches und des Habsburgerreiches bzw. Mitteleuropas. Sie besorgten die Einfuhr der Rohstoffe aus dem Osmanenreich, vor allem die der Baumwolle aus Mazedonien, und transportierten im Gegenzug die Erzeugnisse des sächsischen, ungarischen und rumänischen Handwerks und Hausgewerbes über die Karpaten. In den 1770er Jahren gingen mehr als 60 % der Ausfuhr nach Ungarn, ein Drittel ins Osmanenreich und der Rest in die Erblande. Ins Türkische Reich wurden fast alle Arten Gebrauchsartikel geliefert, die die städtischen Mittelschichten und die wohlhabenden Bauern benötigen mochten, nach Ungarn vor allem Tuche, ebenfalls für die reicheren Bauern. Im gleichen Maße, wie sich die Verhältnisse in den rumänischen Fürstentümern stabilisierten und sich die Aufnahmefähigkeit ihrer Märkte erhöhte, erstarkte die siebenbürgische Industrie, deren Erzeugnisse seit den 1820er Jahren in zunehmendem Maße das mit der Wollkonjunktur bis zu den 1850er Jahren erstarkende rumänische Handelsbürgertum von Kronstadt vertrieb.
Für Siebenbürgen brachte die Integration ins Habsburgerreich vor allem Sicherheit. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, parallel zur Machtzunahme des Reiches, strebten die östlichen Kaufleute nach der österreichischen Staatsangehörigkeit. Die fortgeschritteneren Provinzen der Monarchie entwickelten sich ja auch schneller. Die Arbeitsteilung innerhalb des Reiches war eine Erbschaft der Vergangenheit, die aber die Führungskreise der Monarchie aufrechtzuerhalten gedachten; sie beriefen sich darauf, daß der ungarische Adel keine Steuer zahle. Sie wollten damit keineswegs die Industrialisierung Siebenbürgens verhindern. Denn als sie sahen, daß die Eisenherstellung in Siebenbürgen keine Konkurrenz für die steirische Industrie darstellte, wurde sie sehr wohl gefördert. Auch die hohen Schutzzölle auf die ausländischen Industrieprodukte, die sie vom Markt der Monarchie fernhielten, hatten keine nachteilige Wirkung. Für die langsamere 415Entwicklung war eher die periphere Lage verantwortlich. Zugleich ist es natürlich, daß die Zeitgenossen im Zeichen der Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit eine Wirtschaftspolitik forderten, die sich in den entwickelteren Provinzen schon bewährt hatte. Durch die wirtschaftlichen Interessen dem Ausland gegenüber entstand auf diese Weise innerhalb Siebenbürgens ein Zwang zur Zusammenarbeit ansonsten entgegengesetzt wirkender Kräfte. Die Absicht, die Rückständigkeit zu bekämpfen, setzte sich unvermeidlich auch in politische Bestrebungen um.

 

 

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