Die Nationalitätenpolitik der ungarischen Liberalen

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Die Nationalitätenpolitik der ungarischen Liberalen
Die 30er Jahre schlossen auch im ungarischen Reichstag mit einem Kompromiß zwischen Hof und Opposition, der die unüberbrückbaren Gegensätze eine Zeitlang überdeckte. Die österreichische Staatsführung hatte den bürokratischen Absolutismus und den Reichszentralismus nicht aufgegeben, sie machte höchstens vorläufige Zugeständnisse in Richtung einer Duldung einzelner Elemente der Ständeverfassung. Darum bemüht, den Rahmen des bürgerlichen Nationalstaats auszuweiten, begann die ungarische Nationalbewegung die Liberalisierung des Reiches und dessen Umgestaltung zu einem Staatsverband voranzutreiben, in dem sie durch die Union Ungarns mit Siebenbürgen ihre eigene Lage zu stabilisieren suchte. Denn für das Ungartum ging eine lähmende Wirkung von dem Bewußtsein aus, als Ethnikum isoliert zu werden. Herders Prophezeiung vom Untergang des ungarischen Volkes stand den ungarischen Liberalen als ständige Mahnung vor Augen, und sie trugen selbst noch einiges dazu bei, den Einfluß dieser Voraussage zu steigern, indem sie von 4 statt den tatsächlichen S Millionen Ungarn und von 10 statt den 11–12 Millionen Gesamtbevölkerung in den Ländern der ungarischen Krone sprachen. (Die überwiegende Mehrheit der Ungarn wohnte in den zentralen, sich dynamisch entwickelnden Gebieten des Karpatenbeckens und ca. 10–12 % in Siebenbürgen mit einem Anteil von 27–30 % an der dortigen Gesamtbevölkerung.)
Die Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn hing eng mit der Umgestaltung der Reichsstruktur zusammen und bestimmte weitgehend den Charakter der Verbürgerlichung Siebenbürgens. Ungarn war bei der Auflösung der feudalen Institutionen und der Gestaltung bürgerlicher Rechtsverhältnisse weiter fortgeschritten, die Gesetze sicherten den Bauern vorteilhaftere Existenzmöglichkeiten, und auch die Warenproduktion entwickelte sich rascher aufgrund besserer Marktbedingungen.
Die Vereinigung setzte eine Liberalisierung Siebenbürgens, eine Regelung der Bauernfrage und schließlich die Eingliederung eines ethnisch sehr heterogenen Landes in die Struktur eines bürgerlichen Nationalstaates 459voraus. Die Liberalen hielten Siebenbürgens Sonderstellung für eine schlimme historische Bürde und gedachten die Vereinigung durch Verhandlungen der beiden Landtage unter Berücksichtigung der lokalen Interessen zu erreichen. Entsprechend ihrer Nationalstaatskonzeption wollten die ungarischen Liberalen die von ihnen angestrebte Gesellschaftsreform mit einer Magyarisierung verbinden, da sie in der Nationalitätenvielfalt des Landes ein Entwicklungshindernis, den Träger des feudalen Partikularismus und Separatismusgeistes sahen. Ihre Gedanken schlugen in diesem Punkt eine eigenartige Richtung ein: Im Tausch für die durch den Adel erkämpften Gesellschaftsreformen und verfassungsmäßigen Rechte würden die in den Kreis der Nation aufgestiegenen nichtmagyarischen Völker loyal zum bürgerlichen Nationalstaat stehen, ja sich auch seine Sprache aneignen, war doch Einheit und Suprematie der Staatssprache nach herrschender Auffassung der Zeit das Unterpfand der Entwicklung. Sie überschätzten dabei zum einen die Möglichkeit, die ungarische Sprache erlernen zu können, und zum anderen den psychologischen Widerstand, den jede forcierte Assimilationsbestrebung hervorrief. Da die ethnischen Gegensätze früherer Zeiten grundlegend feudalen Charakter hatten, war man nun ohne jede Erfahrung auf Experimente angewiesen. Die bekannten Vorbilder schienen die Berechtigung der Assimilationsbestrebungen zu bestätigen: die Einheit der französischen Gesellschaft ebenso wie das Beispiel der durch die Begeisterung für die Freiheit integrierten Vereinigten Staaten und im eigenen Land die spontane Assimilation des nichtmagyarischen Adels, insbesondere die politische Loyalität der Massen des nichtmagyarischen Kleinadels.
In den 30er Jahren bildete Gesellschaftsreform und Anspruch auf Magyarisierung eine harmonische Einheit. „Ich verbreitete jedes demokratische Prinzip. […] Ich lebte und starb für die Sprache meiner Heimat, und zwar mittels Unterdrückung der Sprache anderer […] ich wollte sie zur einzigen machen und wünschte, daß jeder Einwohner ein freier Ungar werde“* – schrieb Bölöni Farkas in seinem Tagebuch, um dann später auch selbst die sprachliche Magyarisierung scharf zu verurteilen. Wesselényi wollte ursprünglich die Aneignung des Ungarischen zur Voraussetzung der Bauernbefreiung machen, beobachtete dann aber im Verlauf der 40er Jahre den Prozeß der zunehmenden Politisierung bei den nichtmagyarischen Völkern und warnte mehrfach vor einer gewaltsamen Assimilation derselben. Die Übernahme solcher moralisch durch politischen Rationalismus und Gerechtigkeit begründeten Werte erklärt den Wandel in der Auffassung, die Neuorientierung an die multinationale Realität bzw. die immer nachdrücklichere Parteinahme für dieselbe. Im ungarischen politischen Denken wurde daher jeder Eingriff in den privaten Sprachgebrauch zunehmend zum Unrecht. Trotzdem wollte man als Sprache des öffentlichen Lebens auch weiterhin nur das Ungarische anerkennen, Kossuth schrieb im Pesti Hírlap (Pestet Nachrichtenblatt): „Weniger zu tun wäre Feigheit, mehr zu befehlen Tyrannei, wenn wir uns betrachten, wäre beides Selbstmord“.* Die Garantie der Religionsfreiheit wiederum – ein wichtiges Anliegen der ungarischen 460Liberalen – erwies sich für die nationale Entwicklung der Rumänen als überaus förderlich. Schon zu Beginn der 30er Jahre stellten sich einige Komitate gegen die bisherige Regierungspolitik, die griechisch-katholische Konfession auf Kosten der orthodoxen zu fördern. Mehrere Komitate nahmen in die Instruktionen an ihre Landtagsabgeordneten die Forderung nach Anerkennung des orthodoxen Glaubens auf gesetzlicher Grundlage auf, und der Landtag von 1841–1843 verfügte, ein Landtagsausschuß solle zu diesem Zweck (sowie zur Emanzipation der Juden) einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten.
Bölöni Farkas Sándor naplója (Tagebuch von Sándor Bölöni Farkas). Vorwort von E. JANCSÓ. Bukarest 1971, 49
I., KOSSUTH, Bánat és gondoskodás (Kummer und Fürsorge). Pesti Hirlap, 2. Okt. 1842, Nr. 183.
Öffentliches und Privatleben waren zusehends ineinander verflochten, eine Grenze zwischen beiden Bereichen war immer schwerer zu ziehen, und damit wurde – innerhalb der Konzeption vom Nationalstaat – die Garantie solcher Gesetze zum Sprachgebrauch erleichtert, die bei dem unausweichlich werdenden nationalen Gegeneinander dennoch als Basis für eine Zusammenarbeit in konkreten Fragen dienen konnten. Die ungarischen Liberalen Siebenbürgens nahmen 1841 in ihre Abgeordneteninstruktionen die Zielsetzung auf, auch „die Beseitigung der Eifersucht zwischen Nation, Religion und Konfession“ anzustreben, andererseits arbeiteten sie zur Eröffnung des Landtags einen Gesetzesvorschlag aus, der einen größeren Geltungsbereich des Ungarischen vorsah, was eine ganz kontraproduktive Wirkung bei Rumänen und Sachsen auslöste. Die Stoßrichtung in der Auseinandersetzung um die Rechte der ungarischen Sprache zielte gegen die Zentralgewalt und das rückständige Ständewesen (Ungarisch sollte statt des Lateinischen zur Sprache der Staatsverwaltung, der Gesetze und des Parteienverkehrs innerhalb der Regierungsämter werden) Die Szekler und ungarischen Munizipien waren immer schon dafür, daß in den Komitaten und Szekler Stühlen die Eintragung in die Matrikel in ungarischer Sprache allgemein verbindlich sein sollte, und wollten vorschreiben, daß nach 10 Jahren die griechisch-katholischen Seminaristen in Blasendorf ungarisch unterrichtet würden und unterrichten sollten. Die tonangebenden Persönlichkeiten der ungarischen Liberalen verwarfen jedoch die Mittel einer solchen gewaltsamen Assimilation. Als sie den Protest der rumänischen Öffentlichkeit und die ablehnende Haltung des Hofes bemerkten, änderten sie ihre Überzeugung und modifizierten sie ihren Gesetzesvorschlag, in dem alle rumänischen Bezüge gestrichen wurden.
Die ungarischen Liberalen akzeptierten die historisch gewachsenen Strukturen einer gewissen nationalen Autonomie – die Sonderstellung der Sachsen wurde jederzeit geachtet. Durch die Vorschrift, mit den ungarischen Munizipien und dem Gubernium ungarisch zu verkehren, suchte man die Einheit des Landes hervorzuheben. In seinem Werk von 1843 über die Umgestaltung des Reiches in einen Staatenbund (Eine Stimme in der Sache der ungarischen und slawischen Nationalität) schlug Wesselényi vor, die Lage der Slawen in der Monarchie ähnlich der nationalen Autonomie der Sachsen zu regeln. Dagegen wünschten sich die Sachsen eine weitergehende, vom Nationalitätenprinzip her legitimierte Autonomie.
So kam es zum Sprachenkampf, zum heftigen Streit in der ungarischen, rumänischen und sächsischen Publizistik. Trotz der vielen grundlosen Anschuldigungen konnte zwei Jahrzehnte später der Rumäne Georg Bariţ mit Recht schreiben: „ohne Nationalitätenunterschied erkennen wir an, daß der Kampf – ein Krieg der Federn, rechtens, großherzig […] und natürlich war, 461der Kampf der Elemente der menschlichen Natur um ihre Selbsterhaltung“.* Zugleich wird es verständlich, wenn dieser komplizierte Wettkampf um die Macht eine alle nationalen Unterschiede verleugnende Sehnsucht nach einer einheitlichen Weltgesellschaft steigerte und das tradierte Erbe des utopistischen Denkens in Siebenbürgen wiederbelebte. Der den Weltbürgergedanken des 18. Jahrhunderts hochhaltende Mathematikprofessor Farkas Bolyai aus Neumarkt macht in seiner Arithmetik (1843) vorerst nur Andeutungen über diese allgemein verbreitete Sehnsucht. Sein Sohn János Bolyai, der 1832 im Anhang Appendix von seines Vaters Buch Tentamen als erster die Grundprinzipien der nicht-euklidischen Geometrie vorgestellt hatte, müht sich nun, völlig zurückgezogen, um die Ausarbeitung seiner gewaltigen Utopie, der „Heilslehre“, in der er mit brennender romantischer Begeisterung das Modell einer auf Gemeinbesitz beruhenden, Gefühlskonflikte verhindernden Gesellschaft schaffen möchte. Der Lehrer der unitarischen Hochschule Sámuel Brassai, welcher ein Dutzend Sprachen beherrschte, läßt in der vom Klausenburger Kasino unterstützten Volkszeitung seinen Schulmeister sagen: „Der Unterschied der Sprache personifiziert, verursacht, vergiftet und vererbt die nationalen Gegensätze. Wenn die ganze Menschheit nur eine Sprache hätte, würde dies bald nur ein Volk formen, und die Menschen liebten einander wie Verwandte.“*
G. BARIŢ, Limbile oficiale (Offizielle Sprachen). Gazeta Transilvaniei 1860, Nr. 322.
S. BRASSAI, Az iskolamester (Der Schulmeister). Vasárnapi Újság, 1. Jan. 1843, Nr. 452.
In dem nationalen Gegeneinander ließ die gesellschaftliche Reformtätigkeit für eine gewisse Zeit die Möglichkeit eines Auswegs aufleuchten.

 

 

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