Das deutschnationale Erwachen der Sachsen

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Das deutschnationale Erwachen der Sachsen
Bis in die 40er Jahre waren die Sachsen stille Teilnehmer an den Siebenbürger Landtagen. 1834 sympathisierten sie noch mit der ungarischen Opposition und arbeiteten mit ihr zuweilen bei der Verteidigung der Ständeverfassung auch zusammen. 1837 orientierten sie sich bereits eindeutig am Regierungskurs, lehnten aber die ungarische Redaktion der Gesetzesvorschläge nicht ab und hielten als Amtssprachen das Ungarische und Lateinische für sinnvoll. Politisches Kalkül und der Schwung des nationalen Erwachens konfrontierte aber bald die sächsische Politik mit der ungarischen.
Angesichts der Vorbereitungsarbeiten der ungarischen Reformopposition einigten sich die offiziellen Führer der Sachsen noch vor dem Landtag von 1841 bei einer lutherischen Konsistoriumssitzung auf einen einheitlichen Standpunkt in der für sie wichtigsten Frage der Regelung der Amtssprache. Joseph Bedeus von Scharberg – den der Landtag 1837 zum Oberkommissar der Provinz (Versorgungsbeamter des Heeres), zum höchstrangigen sächsischen Landesbeamten jener Periode gewählt hatte – schlug vor, da Siebenbürgen ohnehin zur ungarischen Krone gehöre, solle man in Landesangelegenheiten das Ungarische als Amtssprache akzeptieren, „denn eigentlich ist dieß für uns ja auch nichts Neues, da schon unter den National-Fürsten alle Geschäfte in der ungrischen Sprache verhandelt, auch die Gesetze ungrisch verfaßt wurden“.* Gegen diese zum Kompromiß aufrufenden Worte stellten sich die tonangebenden sächsischen Politiker auf den Standpunkt der ständischen Gleichberechtigung: sie verlangten die völlige Gleichstellung des Deutschen mit dem Ungarischen.
J. BEDEUS, Erinnerungen. Arhivele Statului, Sibiu, Fond Bedeus, nr. 112. I . 301–302.
Die Verteidigung ihrer ständischen Rechte verband sich bei den Sachsen naturgemäß mit dem Engagement für die Errichtung moderner nationaler Bindungen und wuchs sich zu einer umfassenden Nationalbewegung aus, die danach strebte, die nationale ständische Existenz der Sachsen zu einer staatsrechtlich anerkannten Gebietsautonomie mit deutscher Amtssprache umzugestalten. Der Königsboden sollte im umfassenden Sinn zum Sachsenland werden. Der deutsche Nationalkult dieser Epoche fiel in der sächsischen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden, denn ihr Beharren auf ihre ethnische Zugehörigkeit – seit dem Mittelalter konnte nur jemand mit „deutscher Herkunft“ wirklich gleichberechtigtes Mitglied der sächsischen Nation werden – war mit einem wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch vorteilhaften Status verbunden. Auf der anderen Seite führte diese Beharrungstendenz zu Selbstgefährdung und Isolierung. Treu ihren Traditionen, suchten sie deshalb, sich mit der Habsburgermacht zu verbünden, die sich 473ebenfalls manchmal auf sie zu stützen suchte. So wurde der bedeutendere Teil der für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes überaus produktiven Sachsen zum Verbündeten des bürokratischen Absolutismus, zumindest gezwungenermaßen. Wegen dieses gesamtdeutschen Nationalismus gaben andere ihre bisherige Orientierung am provinziellen Habsburgerreich auf und suchten in Anlehnung an die fortschrittlichen deutschen geistig-politischen Richtungen nach Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für ihre politische Existenz im Sinne ihres deutschen Nationalismus umzugestalten.
Die ständisch-patrizische Oberschicht wurde von der juristisch hochgebildeten Beamtenschaft und das ganze sächsische Volk von der Kirche und dem ihr unterstellten Schulnetz zusammengefaßt. Die Bedeutung der Lehrer und Geistlichen nahm plötzlich so zu wie zur Zeit der Reformation. Andererseits waren sie durch die sog. Regulatio von 1805 mit ihrer detaillierten Regelung der dörflichen und städtischen Verwaltung und des Munizipiums, welche die Wiener Regierung den Sachsen aufgezwungen hatte, vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Auch hier machte sich die Spannung bemerkbar, die aus einer Überproduktion der dadurch von Arbeitslosigkeit bedrohten Intelligenz resultierte. Es gab 5 Gymnasien mit 50–60 Lehrern und 1000–1500 Schülern, neben den vielen Grundschülern bereiteten sich die Hälfte der 350–400 Gymnasiasten auf die kirchliche Laufbahn vor, doch boten die 250 Parochien nur etwa 500 Pfarrern Arbeit und Brot. An deutschen Universitäten ausgebildete Lehrer und Geistliche wurden zu Ideologen der Nationalbewegung, zu Trägern der Ideale der nationalen Erweckungsbewegung.
Die meisten sächsischen Intellektuellen sahen das Hauptanliegen der nationalen Reformarbeit ebenfalls in der Demokratisierung des Lebens und der Modernisierung der Wirtschaft, sie interpretierten und verbreiteten die liberalen Ideen ihrer Epoche, indem sie diese auf die spezifischen Entwicklungsbedingungen ihrer Gesellschaft übertrugen und ausdehnten. Begeistert entdeckten sie demokratische Vertretungsformen in der uralten sächsischen Verfassung, machten den Ausdruck „unus sit populus“ aus dem Diploma Andreanum zu ihrer Losung, und mancher verlautbarte bereits, die nationalen Bande müßten auch auf die 25 % der Sachsen in den Komitaten, die deutschsprachigen erbuntertänigen Bauern, ausgedehnt werden. Stolz wurde verkündet, das sächsische Volk sei die Lebensgemeinschaft fleißiger Gewerbetreibender und Bauern, im Sachsenland gebe es keine Untertanen, weil die rumänischen und sächsischen Bauerndörfer der sächsischen Städte nicht zur Nation gehörten und ihre Dienstleistungen außerdem geringer seien als die der Bauern in den Komitaten. Bereits in den 40er Jahren sprach man davon, auch die die freie Bauerngesellschaft belastende Feudalrente, den Kirchenzehnten, mittels Ablösung abschaffen zu wollen.
Schärfere Gesellschaftskritik übte die Ende der 30er Jahre gegründete Kronstädter Presse (das Siebenbürger Wochenblatt mit seinen Beilagen Blätter für Geist und Satellit) mit einer Auflage bis zu tausend Examplaren. Den Herausgeber Johann Gött aus Frankfurt am Main hatten ebenso wie seine Mitarbeiter, den Mährer Anton Kurz und den Preußen Leopold Max Moltke, das Elend der damaligen deutschen Intelligenz und deren Unterdrückung nach Osten gelockt, bis sie schließlich in Siebenbürgen mit seinen vielen Nationalitäten eine neue Heimat fanden. Die Schäßburger Mitarbeiter der Kronstädter Zeitungen wiederum hatten in Berlin ihre Ausbildung absolviert und dort die Ideen des Liberalismus in sich aufgenommen. Unter dem Banner 474dieser Ideen begannen sie nun die schwerfällige Bürokratie der „Zopfperücken“-Beamtenschaft anzugreifen. Als Vorbedingung für alle Reformen verlangten sie die Transparenz des öffentlichen Lebens und die Wahl der das Leben der Dorfgemeinden und Städte lenkenden Kommunitäts- und Ratsmitglieder durch die Bürger. Die Führungen einiger sächsischer Stühle verlangten mehrfach, die Kronstädter Zeitungen vor Gericht zu stellen, und ließen sich nur schwer davon überzeugen, daß der sächsischen Presse der gleiche Bewegungsspielraum bei der Behandlung nationaler Angelegenheiten eingeräumt werden müsse wie der ungarischen.
Anfänglich griff auch die Kronstädter Presse den ungarischen Sprachgesetzvorschlag und die ungarischen Zeitungen an, doch zu ihrem Hauptwidersacher wurde Der Siebenbürger Bote von Hermannstadt, der die Verteidigung des bürokratischen Absolutismus übernommen hatte. Der Pressekrieg spiegelt auch die Konkurrenz der beiden Städte wider: Die Kronstädter wollten sich von der Hermannstädter Hegemonie befreien. Neben dem oder eher gegen das Programm der „provincia cibiniensis“, der zentralisierten territorial-nationalen Autonomie, wurde das „Kronstadt voran“ als Ausdruck des Strebens der Bürger von Kronstadt nach Selbständigkeit zur Losung ihrer wirtschaftlichen und politischen Erneuerungsbewegung.
Die greifbarsten Ergebnisse bei der Mobilisierung der sächsischen Gesellschaft erzielte die Vereinsbewegung in allen Lebensbereichen; so entstanden Gewerbe- und Landwirtschaftsvereine sowie Sparkassen, und die Jahressymposien des später bedeutenden Vereins für Siebenbürgische Landeskunde mit ihrem Zeremoniell und der Atmosphäre von Nationalfeiertagen mobilisierten die Bewohner vieler Kleinstädte.
Stephan Ludwig Roth vereinigte in seiner Tätigkeit alle Bestrebungen seiner Epoche. Als Jüngling war er Mitarbeiter von Pestalozzi in der Schweiz, doch war seine Broschüre über das Schulwesen in den 20er Jahren noch ohne Echo geblieben. Als Gymnasiallehrer in Mediasch wollte er nach dem Vorbild der in Reaktion auf die Napoleonischen Kriege entstandenen deutschen Jugendbewegung Sport und Gesang in den Unterricht aufnehmen, wurde aber von dem kleinstädtischen Konservativismus daran gehindert. Seine Zeit kam in den 40er Jahren, und als Dorfpfarrer wurde er einer der Lenker der nationalen Agitation, ohne tatsächlich ein praktischer Politiker zu sein. In zwei romantisch-antikapitalistischen Abhandlungen verteidigte er das Zunftsystem und die wohlhabenden sächsischen Großbauern – Industrie und Landwirtschaft jedoch hielt er für modernisierungsbedürftig. Mit seiner Arbeit über die Sprachenfrage vertiefte er den Streit nur, indem er der Opposition extreme Magyarisierungsbestrebungen unterstellte, die sie gar nicht vertrat, und das Ungarische als Amtssprache für ungeeignet erklärte. Eine Amtssprache sei unnötig, denn die Landessprache sei das Rumänische, indem die meisten rumänisch sprächen und es – wie auch die ungarischen Zeitgenossen zugäben – ein wichtiges Medium beim täglichen Umgang zwischen den Nationalitäten sei. Die Frage nach Anerkennung der Rumänen als vierte Nation warf Roth vorerst klugerweise nur in der Pester deutschen Presse auf, zudem mit dem Hinweis, daß eine solche keine territoriale Autonomie bedeute, sondern nur eine Stimme mehr im Landtag mit denen der übrigen Ständenationen – denn die Sachsen bemühten sich darum, die Abstimmung im Landtag nach Nationen durchzusetzen. Obwohl Roth auf theoretischer Ebene die Konsequenzen aus der nationalen Gleichberechtigung 475beispielhaft darlegte, war sein Vorschlag, den Geltungsbereich der deutschen, lateinischen und ungarischen Sprache festzulegen, nicht nur ständisch geprägt, sondern berücksichtigte auch die Interessen der absolutistischen Zentralregierung, ohne den konstitutionellen Aspekt der Problematik zu berücksichtigen.
Roth machte vor allem auf die moralische Verantwortung gegenüber Nationalität und Volkstum aufmerksam, auf die Entwicklung des Volks- und Gesellschaftsbewußtseins der Sachsen übte er einen entscheidenden Einfluß aus. Die ungarische Publizistik vereinfachte die sächsisch-ungarischen Gegensätze im Kampf zwischen Liberalismus und dem (vom Wiener Hof unterstützten) bürokratischen Konservativismus, er dagegen versuchte, die siebenbürgische Situation durch die Darstellung der Gegensätze und wechselseitigen Abhängigkeit der sächsischen Bürger, ungarischen Adligen und rumänischen Bauern zu charakterisieren, wobei er den sächsischen Bürgern die Funktion zuwies, interessenausgleichend zu wirken. Auch dies bedeutete eine grobe Vereinfachung – versuchte doch der konservative sächsische Bürger sich ebenso krampfhaft an seine Privilegien zu klammern wie der konservative ungarische Adlige –, aber sie verfolgte den praktischen politischen Zweck, die politische Isolation der Sachsen zu überwinden. Denn die Betonung ihrer bürgerlichen Rolle war dazu geeignet, in der provinziellen öffentlichen Meinung der Sachsen auch Sympathie für eine Zusammenarbeit mit den ungarischen Liberalen zu wecken. Hinter dieser Anschauung verbarg sich zudem der Wunsch der sächsischen Führungskreise, gleich den ungarischen Liberalen im sächsisch-rumänischen Verhältnis, nun im ungarisch-rumänischen Verhältnis eine Schiedsrichterrolle zu übernehmen.
Der Liberalismus hat für die sächsische Nationalbewegung die Gefahr ihrer endgültigen Isolierung heraufbeschworen. Das größte Problem bildete eine drohende absolute Mehrheit der Rumänen im Sachsenland. Gegen die rumänischen Bestrebungen betonten die Sachsen die Einheit der Nation und die Gleichberechtigung ihrer Glieder, und als Lösung schlug eine Broschüre aus dem Jahre 1844 vor, die Rumänen sollen sich „in Bildung, Sprache“ den Sachsen „assimilieren“.*
J. TRAUSCH, Bemerkungen über die vom siebenbürgischen Bischof Basiliu Moga im Jahre 1837 den zu Hermannstadt versammelten Landesständen unterlegte Bittschrift. Kronstadt 1844, 24.
Ein Gegengewicht gegen das Gefühl der Bedrohung und die Gefahr der Isolierung bildeten das bürgerliche Sendungsbewußtsein und die Stärkung des deutschen Nationalgefühls. Die sächsische Nation umfaßte nicht mehr nur die Privilegierten, sondern die ganze Gemeinschaft derer, die die gleiche Sprache sprechen. Die Intelligenz hielt die gesamte deutschnationale Entwicklung für einen Garant auch ihrer nationalen Bestrebungen und sah die nationale Berufung der Sachsen in der Vermittlung der Errungenschaften des deutschen Entwicklungsweges in Richtung Osten. Da der deutsche Liberalismus den ungarischen als Bundesgenossen betrachtete, rechneten viele damit, dieses auf gleicher Ideologie und Interessengemeinschaft beruhende Bündnis werde die ungarischen Sprachbestrebungen mäßigen und die gegenseitige Zusammenarbeit fördern. Da die nationalen Bestrebungen der Sachsen über die quantitativ geringste ethnische Basis verfügten, fürchteten sich die Sachsen begreiflicherweise am meisten vor den sie von zwei Seiten bedrohenden nationalen Hegemoniebestrebungen. Aus ihren Reihen ging die Mehrheit 476der Anhänger für das Konzept des Vielvölkerstaates hervor, die unter Berücksichtigung des Liberalismus, der Sprachbestrebungen und der spezifisch siebenbürgischen Interessen die Notwendigkeit betonten, einen solchen modernen multinationalen Staat zu schaffen.
Die Kronstädter Presse nahm ihre Beispiele manchmal aus den Vereinigten Staaten und der Schweiz, womit sie das Verlangen nach einem den Nationalitäten gegenüber neutralen Staatsverband artikulierte, der den Nationalbestrebungen innerhalb den örtlichen Munizipal-Selbstverwaltungsorganen Raum gewähren sollte, was zumindest teilweise mit den Vorstellungen der ungarischen Liberalen übereinstimmte. Joseph Marlin aus Mühlbach – der erste sächsische Intellektuelle, der von seinen Schriften lebte, wenn auch in Pest – ermunterte als Mitarbeiter der Pesther Zeitung, „lerne nur Jeder Siebenbürgen und nicht das Sachsenland allein lieben, wirke nur Jeder fürs Vaterland und nicht für die Nation allein – so werden die Fehden unter die Nationalitäten Siebenbürgens aufhören, und man wird nicht weiter von Magyarisirung, Germanisirung und sogar Rumunisirung schwatzen“.*
J. MARLIN, Politische Aphorismen aus dem Sachsenland. Satellit, 6. Mai 1847, Nr. 36.
Zu einer ernsthafteren Zusammenarbeit kam es im kulturellen Bereich. Anton Kurz veröffentlichte in seiner Zeitschrift (Magazin für Geschichte) auch Arbeiten ungarischer Autoren. Wie er an den Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften schrieb, „man kann ein guter Deutsche sein und auch mit den freisinnigen Strebungen der Magyaren sympathisieren, besonders auf dem Felde der Wissenschaft, wo kein Unterschied in Sprache und Vaterland herrscht“.* Deutsches Selbstbewußtsein und siebenbürgischer Patriotismus kamen gut miteinander aus. Der in Preußen geborene Dichter Leopold Max Moltke schrieb 1856 auf den Wunsch von Landsleuten die bis heute beliebte Volkshymne der Siebenbürger Sachsen:
Anton Kurz’ Brief an Ferenc Toldy, Brassó, 27. Okt. 1843. MTAKK Magyar. Irodalmi levelezés, 4-r 79.
Siebenbürgen, Land der Duldung,
jedes Glaubens sichrer Hort!
Mögst du bis zu fernen Tagen
als ein Hort der Freiheit ragen
und als Wehr dem treuen Wort.
 
Siebenbürgen, süße Heimat,
unser teures Vaterland!
Sei gegrüßt in deiner Schöne,
und um alle deine Söhne
schlinge sich der Eintracht Band!

 

 

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