Die konservative Gegenoffensive

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Die konservative Gegenoffensive
Schon zum Ende des Landtages 1841–1843 wurde deutlich, daß alle Hoffnungen auf eine reformfreundliche Regierungspolitik Illusion waren.
Die Wiener Regierung fürchtete um die Einheit der Gesamtmonarchie und sah diese durch die mit dem Liberalismus verflochtenen National- und Sprachbestrebungen und die Union gefährdet; der Polizeiminister äußerte sogar die Sorge, daß infolge der Union Siebenbürgens mit Ungarn sich der Schwerpunkt der Monarchie „unvermeidlich“ nach Ungarn verlagern würde.* Ein positives Programm hatte man in Wien nicht anzubieten. Man 477besaß nicht einmal genug Kraft, die Zentralisierungsbestrebungen offen weiterzuentwickeln, die mit einer Begünstigung des noch für zuverlässig gehaltenen „deutschen Elementes“ und allgemeinen Germanisierungstendenzen verbunden waren, obwohl man auch den deutschen Nationalismus fürchtete. Aufgrund des Prinzips des kleineren Übels und des traditionellen „teile und herrsche“ suchte der Wiener Hof eher die nicht-magyarischen Nationalitäten zu fördern.
Wien HHStA, Kabinettsarchiv, Staatsconferenz-Akten, 1846: 1055.
Die „Regelung der ungarischen Frage“ und damit die innere Konsolidierung des Reiches übernahm eine entscheidungsfreudige und zielbewußte Gruppe junger ungarischer Konservativer, die 1846 die Konservative Partei gründeten. Sie spürten, daß die bürgerliche Umgestaltung unumgänglich sei, strebten aber gegenüber einer Interessenausgleichspolitik nach einseitiger Durchsetzung ihrer Grundherrninteressen. Dem liberalen Fortschritt, der Revolution bedeutete, stellten sie den „besonnenen Fortschritt“ gegenüber, langsame und stufenweise Reformen, die viele wirklich wollten, und waren sogar zu einer zeitweisen Zusammenarbeit mit den Liberalen bereit. Die Konservativen suchten auch die Gremien der Ständeverfassung für sich zu erobern, indem sie diese so ausbauten, daß ihnen selbst die Vorteile der absolutistischen Herrschaftsordnung zugute kamen und sie im Rahmen derselben ihre eigenen Positionen auch gegen die Zentralisierungsbestrebungen der Regierung zu sichern vermochten. Einer der Protagonisten dieser konservativen Gegenoffensive war der siebenbürgische Vizekanzler Baron Samu Jósika, ein Meister der politischen Intrige. Er instrumentalisierte die Besorgnis des siebenbürgischen Adels um die Umgestaltung genauso für seine undurchsichtige Politik des Taktierens wie die Unsicherheit der Wiener Regierung und ihre Furcht vor Anarchie. In Siebenbürgen gab er sich als Günstling Wiens aus, in Wien als der Politiker, der allein die kritische Lage in Siebenbürgen meistern konnte. Durch Verteidigung der schichtenspezifischen Interessen des Adels gelang es ihm, diesen mehrheitlich auf seine Seite zu ziehen sowie seine Gegner durch Betonung der zu erwartenden Folgen einer Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn in Schach zu halten oder gar zu erpressen.
Auf dem Landtag von 1846 kam es über die brennendste Frage der Epoche, die Urbarialregulierung, zur Kraftprobe. Zuvor hatte Jósika an die Spitze der Komitate entweder wohlhabende Gesinnungsgenossen oder Personen gestellt, die ganz von der Regierung abhängig waren, sowie unter die Regalisten Männer berufen, die auf seine Unterstützung angewiesen waren. In Wien war man mit Recht besorgt, daß er die Adelsinteressen zu einseitig durchsetzen und die Steuerkraft der Bevölkerung dadurch weiter verringern werde, da die Steuerschulden Siebenbürgens gegenüber Wien sich seit 1830 bereits vervierfacht hatten. Die jungen Konservativen nutzten die Furcht der Wiener Regierung vor einer Union Siebenbürgens mit Ungarn. Als ein Mitglied der Staatskonferenz die ungarische Urbarialregulierung als Modell vorschlug (waren doch in Ungarn die Hufen fast doppelt so groß wie in Siebenbürgen, während die Fronlasten erheblich geringer waren), widersprach Jósikas Gesinnungsfreund, der Chef der ungarischen Kanzlei Graf György Apponyi, mit dem Argument, eine solche sei „aus höheren politischen Rücksichten“ nicht ratsam, weil „alles was die bisher legal oder faktisch vorhandenen Ungleichheiten zwischen den beiden Ländern aufhebt oder vermindert“, gleichzeitig die Antipathie des Siebenbürger Adels gegen die Union 478verringere, „von welcher er dann nicht mehr, wie jetzt materielle Nachteile zu befürchten, sondern nur politische Vorteile zu hoffen hätte“.*
Ebd., 1846: 970.
Anfang 1846, noch vor Zusammentreten des Siebenbürger Landtages, war in Galizien der Aufstand des polnischen Adels ausgebrochen, dem sich aber die Bauernschaft entgegenstellte, um den Adel als Feind des Kaisers zu vernichten. Daß der polnische nationale Befreiungskampf so blutig unterdrückt werden konnte, machte großen Eindruck und festigte das Selbstbewußtsein des Hofes. Dagegen erkannte die ungarische Reformopposition, sie könnten in eine ähnliche Lage wie der polnische Adel geraten, wenn sie die Bauernbefreiung nicht selbst durchführte. Der polnische Aufstand rief in Klausenburg und auch beim siebenbürgischen Adel das Gespenst des Bauernaufstandes wach, bis beim Gubernium aus allen Landesteilen beruhigende Berichte einliefen. Noch waren viele der Meinung des großen Taktikers der siebenbürgischen liberalen Opposition Graf János Bethlen d. Ä., der „siebenbürgische Bauer ist mit sehr wenigen Ausnahmen nicht anders als der von 1817“, „mit zusammengelegten Händen konnte er Hungers sterben, ohne nur einen Finger nach dem Besitz des anderen auszustrecken“.* Aber man wußte wohl, daß die Bauernschaft als Masse eine schreckliche Waffe in der Hand der Regierung sein könnte.
János Bethlens Brief an Miklós Wesselényi. Klausenburg, 31. Juli 1846. OL, Filmtár (Filmarchiv), 8367.
Die Liberalen wollten das Verhältnis Herr-Bauer in einer gesellschaftlich adäquaten Form und gerecht regeln. Sie verwarfen die Cziráky-Konskription von 1819/20, weil ihrer Meinung nach zumindest ein Drittel der Urbarialböden in diese nicht aufgenommen worden war. Sie beriefen sich auf die historisch „entstandenen Ansprüche“ und wollten durchsetzen, alle tatsächlich von Bauern genutzten Böden als Urbarialböden anzuerkennen.
Die Liberalen mußten jedoch Schritt für Schritt nachgeben. Die Landtagsmehrheit akzeptierte die tendenziöse, den Adel begünstigende Cziráky-Konskription als Grundlage für die Unterscheidung von Urbarial- und Adelsboden.
Vergeblich protestierten die Liberalen gegen den Sieg der Konservativen „im heiligen Namen des Volkes“. Auch der vorausschauende Gubernator Graf József Teleki wandte sich erfolglos an den Herrscher, mit der Bitte, den für die Bauern katastrophalen Gesetzesvorschlag abzulehnen. In Wien verdrängte die Freude am Sieg über die Liberalen alle eventuellen Befürchtungen. Zudem hatte der Landtag die Zahl der geforderten Rekruten von sich aus erhöht, und Jósika beendete den Sprachenkampf damit, daß es ihm gelang, das Gesetz über die Suprematie der ungarischen Sprache bestätigen zu lassen. Aus praktisch-politischen Überlegungen entsprach das Gesetz eher der Nationalitätenvielfalt dieser Region. Denn die Einführung der allgemeinen ungarischsprachigen Matrikelführung geschah – anders als in Ungarn – nur dort, wo in der Kirche ungarisch gepredigt wurde. Der inzwischen vom Landtag zum Kanzler gewählte Jósika erwies sich als tüchtiger Politiker der Praxis, indem er den Sachsen als gleichberechtigter Ständenation zusicherte, daß der Gesetzestext auch in beglaubigter deutscher Übersetzung verlautbart und das Deutsche auf dem Boden der sächsischen Nation die Amtssprache sein werde. Dennoch aber rügte er den Zensor von 479Hermannstadt, weil der Siebenbürger Bote berichtet hatte, daß nach Aussage eines der sächsischen Delegierten die liberale Opposition mit ihrer Ausgleichspolitik der sozialen Gegensätze in den beiden Schwesternationen die Entwicklung „eines freien Bürgertums“ fördert.*
OL, Erdélyi Udvari kancellária, elnöki iratok (Siebenbürgische Hofkanzlei, Präsidial-Akten) 1847: 421.
Die um Entwicklung bemühten liberalen Kräfte mußten nun einsehen, daß Siebenbürgen im Rahmen der erzwungenen Unbeweglichkeit nicht stark genug sein werde, aus eigener Kraft die wesentlichen Reformen durchzusetzen. Die Verflechtung verschiedenartiger sozialhistorischer Prozesse hatte zu einer institutionellen Zersplitterung geführt, die alle ebenfalls national segmentierten Kräfte der bürgerlichen Umgestaltung daran hinderte, sich im Interesse ihrer gemeinsamen und langfristigen Zielsetzungen zu vereinigen. Der Fortschritt wurde eher noch durch die Unhaltbarkeit der archaischen Feudalverhältnisse gleichsam aufgezwungen. Darüber hinaus war deutlich geworden, daß die gesamte Region einen neuen, sie zugleich integrierenden staatlichen Rahmen benötigte, um den in ihr zusammenlebenden Völkern eine nationale Entwicklung bieten zu können.

 

 

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