Die siebenbürgische Gesellschaft im Frühling der Völker

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Die siebenbürgische Gesellschaft im Frühling der Völker
Die Welle der europäischen Revolution erreichte Siebenbürgen gleichsam mit der Postkutsche aus Wien und Pest.
Wie stark es nach dem Ausbruch der Februarrevolution in Frankreich auch im Habsburgerreich gärte, wurde zum ersten Mal deutlich, als Lajos Kossuth am 3. März auf dem Preßburger ungarischen Landtag für sämtliche Länder der Monarchie die Einführung der bürgerlichen Verfassung forderte. Zehn Tage später erhob sich das Volk von Wien und erzwang vom Herrscher das Verfassungsversprechen. Am 15. März siegte die Revolution in Pest und Ofen: Zehntausende demonstrierten, ohne daß das Militär einzugreifen wagte. In ihrem Revolutionsprogramm faßten die Wortführer der radikalen Jugend die Reformziele von zwei Jahrzehnten in 12 – keinen Widerspruch duldenden – Punkten zusammen, um dem Land und der Welt kundzutun: Was wünscht die ungarische Nation. Inzwischen gestaltete der Preßburger Landtag als verfassungsgebende Nationalversammlung Ungarn zum selbständigen konstitutionellen Königreich um. Der König ernannte mit Graf Lajos Batthyány einen energischen Ministerpräsidenten, der am 23. März das Landtagsgesetz zur Bauernbefreiung veröffentlichte. Damit konnte fürs erste verhindert 481werden, daß sich die erbuntertänige Bauernschaft gegen die bürgerlich-nationale Umgestaltung einsetzen ließ. Am 11. April sanktionierte der Herrscher die Preßburger Gesetze, darunter auch jenes, das „die völlige Vereinigung des zur ungarischen Krone gehörenden Siebenbürgen mit Ungarn unter einer Regierung“ bestimmte. Die Durchführung der Union machte das Gesetz von der Stellungnahme des einzuberufenden Siebenbürger Landtags abhängig.
Die ungarischen Liberalen Siebenbürgens hatten bereits am 19. März den Landtag in Preßburg um Unterstützung und Hilfe gebeten. Am 20. März gaben sie gemeinsam mit den Konservativen eine Erklärung ab, und anderntags folgte nach der Revolution in Wien und Pest die in Klausenburg. Die Stadtbevölkerung – in vorderster Reihe Studenten und Schüler – demonstrierte begeistert, und der Stadtrat richtete eine Adresse an das Gubernium. Man forderte nicht nur die Einberufung des Landtags und die Union, sondern auch grundlegende gesellschaftliche Reformen: Gleichheit vor dem Gesetz, Bauernbefreiung, allgemeine Steuerpflicht.
In den Städten demonstrierte das Volk. Die Komitats- und Stuhlversammlungen traten zusammen, manche als echte Volksversammlung. In ihren Stellungnahmen folgten sie nicht nur den Klausenburger Grundsätzen, sondern drohten auch, sollte der Landtag nicht zusammentreten, ihre Abgeordneten ins ungarische Parlament zu entsenden. Die Abgeordneteninstruktionen gerieten zu revolutionären Programmen. Ein Munizipium beschloß sogar in Ausübung seines Autonomierechts, die allgemeine Steuerpflicht einzuführen. Unterdessen berief der Gubernator József Teleki ohne Zustimmung des Herrschers den Landtag für den 31. Mai ein.
Die europäische Revolution gewann die öffentliche Meinung für sich und entmachtete ihre Gegner. Die eben noch siegreichen Konservativen verschwanden von der politischen Bühne, ein Teil schloß sich den Liberalen an, um zu retten, was zu retten war. Kanzler Samu Jósika vertraute in seinem konservativen Optimismus auf die Wirksamkeit des Mythos vom „guten Kaiser“, des Ansehens von Militär und Herrscher beim Volk, und glaubte durch entsprechende Manipulationen der Massen die Verbreitung der bäuerlichen Unzufriedenheit verhindern zu können und den Adel aufgrund seiner Interessenlage als Träger der konservativen Politik zu gewinnen; deshalb war er bemüht, die Bauernbefreiung auf das kommende Frühjahr zu verschieben. Er war es, der dem Herrscher vorschlug, jenen, dem Hof unbedingt ergebenen Jelačić zum Banus von Kroatien zu ernennen, der sich später bewaffnet gegen die ungarische Regierung stellen sollte. Nach Annahme des Preßburger Unionsgesetzes wurde Jósika jedoch gewahr, daß sich die Kräfteverhältnisse begannen, gegen ihn zu entwickeln, und dankte ab. Mit den Mitteln des konservativen Reichs- und Regionalprovinzialismus ließ sich Siebenbürgen nicht mehr regieren, die Kraft der National- und Volksbewegungen war zu stark geworden.
Mit unerwarteter Vehemenz traten auch die rumänischen Nationalbestrebungen zu Tage. Ihr Nahziel war es, sich eine Massenbasis zu schaffen und ein Programm zur Sicherung der nationalen Einheit zu erarbeiten. Die Organisation der Bewegung übernahmen radikale junge Intellektuelle, Juristen, Anwälte und Rechtspraktikanten. Anfangs wiesen sie die Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn noch nicht zurück, knüpften sie aber an Bedingungen wie den Gebrauch der rumänischen Sprache und eine für die 482Grunduntertanen vorteilhafte Bauernbefreiung. Unter Hervorhebung dieser Forderungen unterzeichneten Alexandru Papiu-Ilarian und Avram Iancu das Memorandum ungarischer Anwaltspraktikanten von Neumarkt, verfaßte wiederum der Advokat Ioan Buteanu eine Petition. Im März wandte sich von den tonangebenden Persönlichkeiten der rumänischen Bewegung allein Simion Bărnuţiu scharf gegen die ungarischen Unionsbestrebungen. Der einst mit Gewalt aus dem Blasendorfer Lyzeum entfernte Dozent der Philosophie, der als Vierzigjähriger in Hermannstadt Jura zu studieren begonnen hatte, führte in seiner handschriftlichen Proklamation aus: „ewig verflucht sei der Rumäne, der gleich welche Union einzugehen wagt, bevor die rumänische Nation in politischem Sinne anerkannt wäre“, denn „ohne Nation ist auch die Republik nur eine verfluchte Tyrannei“.* Gegen eine selbstzweckhafte Verabsolutierung der Nation und gegen nationalen Messianismus gerichtet, versuchte George Bariţ ein alternatives Programm zur Erfüllung der nationalen Ansprüche und gesellschaftlichen Forderungen zu skizzieren, da er die Möglichkeiten nationaler Entfaltung in einem Staatswesen sah, dessen Ordnung sich auf der Komitatsautonomie, die den Sprachgebrauch gewährleisten würde, gründen sollte. Die Suche nach Überbrückungslösungen blieb jedoch der Realität der Widerstände unterlegen.
V. CHERESTEŞIU, A balázsfalvi nemzeti gyűlés 1848. május 15–17 (Die Blasendorfer nationale Versammlung vom 15.–17. Mai 1848). Bukarest 1967, 221–222.
Die Bauernschaft entwickelte rasch ein Kollektivbewußtsein und war sich über ihre Stärken wie Schwächen im klaren. Anfänglich hatten die Demonstrationen des Komitatsadels und des städtischen Bürgertums die Bauern darauf verwiesen, wie sehr sich die Welt verändert hatte. Dann zeigte die Bauernbefreiung in Ungarn ihre Wirkung als Berufungsgrundlage für die beginnende Verweigerung der Fron in den westlichen Komitaten. In Innersiebenbürgen wiederum taten die Proklamationen das ihre, die rumänische Jugendliche von einem Geistlichen zum anderen brachten. Wollte einer von ihnen diese nicht bekannt geben, wurde er vom Dorf dazu gezwungen, wie in Drág, wo eine in Ofen erschienene Proklamation verlesen wurde. Und aufgegriffen wurde auch nicht deren ursprünglicher Hauptgedanke, daß nämlich die Union sogleich Siebenbürgens Vereinigung mit Ungarn und die Bauernbefreiung mit sich bringe. Vielmehr wurde die Proklamation als eine Art „Freibrief“ betrachtet und von einem Teilnehmer wie folgt interpretiert: „das Joch der Rumänen ist zerbrochen, ihr Tag ist gekommen, ihr Himmel ist offen, denn von dieser Stunde an werden wir dem Herrn nicht mehr dienen“.* Alte, tief verinnerlichte Wünsche und Sehnsüchte brachen sich in der Bauernschaft Bahn. Die Erklärungen der Komitatsvollversammlungen über die voraussichtliche Bauernbefreiung bestärkten sie in ihrem Mißtrauen gegen den Adel und in ihrem Glauben, der „gute Kaiser“ habe längst den Befehl zur Bauernbefreiung erlassen, den die Adligen jedoch zurückhielten; hier und da wurde angeblich schon geäußert, der Kaiser habe den Bauern die Allodialfelder übergeben. Eine Streikbewegung erfaßte die Dörfer und auch die Erwartung einer großen, die kollektive „Erlösung“ bringenden Veränderung. Dabei verbanden sich Messianismus und politische Disziplin recht gut 483miteinander. Passiver Widerstand war die Antwort auf die Brachialgewalt des Guberniums und der Komitatsbehörden, die das Standrecht erklärten, Galgen in den Dorffluren errichteten und versuchten, der jugendlichen Verbreiter der Proklamationen habhaft zu werden. Als wären die Gerechtigkeit stiftenden Helden der Volksmärchen zum Leben erwacht, so sprachen die Bauern von Bărnuţiu als dem „Blasendorfer König“, von Iancu als dem Prinzen und als König auch von dem abgedankten konservativen Obergespan László Nopcsa, der, seiner rumänischen Herkunft sich rühmend, versucht hatte, die rumänische Nationalbewegung zu infiltrieren, um sie dann in Wien zu denunzieren. Wen „die Herren“ fürchteten, den betrachteten die Bauern als ihren Befreier.
OL Erdélyi Országos Kormányhatósági Levéltárak (Siebenbürger Landesarchiv der Regierungsbehörden – im weiteren: EOKL) Gubernium Transylvanicum in Politicis, ügyiratok (Akten), 1848: 9012.
Den meisten Erfolg hatte der liberale Adel mit seiner Politik des Interessenausgleichs auch weiterhin bei jenen Schichten, die von der Zentralgewalt benachteiligt worden waren. Und zwar vor allem im Szeklerland, und dort wiederum ehestens in den Drei Stühlen, in denen die Gesellschaft stärker gegliedert, die Warenproduktion entwickelter und die interne Arbeitsteilung differenzierter war. Hier motivierte der Wille zur Durchsetzung der konträren Interessen in spezifischer Weise den Zusammenschluß. Der Bauer strebte die Gleichberechtigung mit dem Grenzer an, der Grenzer wiederum die mit dem grundbesitzenden Adel. So wollte der Bauer wie ein Soldat mit der Waffe in der Hand den bisher bebauten Boden als Eigentum besitzen, auf den wiederum der Grenzer und der Adlige Besitzanspruch erhoben. In heftigem Wettstreit miteinander, gegeneinander und sich zugleich wechselseitig als Bundesgenossen suchend, verteidigten sie ihre ständischen Vertretungsorgane, in der Gewißheit, durch sie ihre Interessen schützen zu können. Damit erhielt die Ständeverfassung schrittweise einen liberalen und demokratischen Charakter. Gut belegt dies die Weigerung einiger Grenzereinheiten unter der Leitung zweier junger Anwälte, entgegen dem Befehl des militärischen Oberkommandos nicht nach Kronstadt zu marschieren. Statt dessen leisteten sie dem Gubernium den Gehorsamseid und wählten die beiden Anwälte zu Landtagsabgeordneten einer Kleinstadt. Ende Mai verkündeten diese dann auf einer Volksversammlung auf Betreiben der Grenzer hin die Aufhebung der Fron.
In Umrissen begannen sich zwei Bestrebungen abzuzeichnen. Die eine legitimierte ihre Ziele mit der Einwilligung des Kaisers, die andere mit der des verfassungsmäßigen Königs. Und damit wurde der gesellschaftliche und nationale Widerstand in Siebenbürgen zusehends ein Teil der Kämpfe um die strukturelle Umgestaltung des Reiches.
Paradoxerweise wurde König Ferdinand V. zur Schlüsselfigur der ständig wechselnden Konfliktsituationen. Diese schwache Herrscherpersönlichkeit wurde zwischen seiner Familienclique, die den Reichsabsolutismus zu retten suchte, und dem ungarischen Ministerpräsidenten, welcher die Interessen der Gesamtmonarchie mit der Stabilisierung der Selbständigkeit Ungarns zu vereinbaren bemüht war, geradezu zerrieben.
Ende April versuchte die durch die Revolution zur Macht gekommene neue österreichische Regierung, die nach den Bestimmungen der sog. Aprilgesetze von Preßburg keine Kompetenzen für Ungarn besaß, sich aber als Erbe der früheren Wiener Regierungsorgane betrachtete, Schritte gegen die Selbständigkeit Ungarns zu unternehmen, um die Großmachtstellung Österreichs zu wahren. Anfänglich hatte Wien noch keine konkreten 484Vorstellungen. Ein Teil der österreichischen Staatsmänner strebte einen Kompromiß an, während die Anhänger einer absolutistischen Zentralisierung selbst vor dem Gedanken einer bewaffneten „Lösung“ nicht zurückschraken. Einer der aus Siebenbürgen stammenden Feldzeugmeister vermeldete der Heimat: „die Wiederherstellung der Ordnung wird damit beginnen, daß wir Siebenbürgen in die Hand bekommen, um das aufständische Ungarn zwischen zwei Feuer zu nehmen“, auch mittels der „Hilfe“ der Rumänen.* Die österreichischen Minister, die mit einem Terraingewinn der Monarchie auf dem Balkan rechneten, bestanden aber auch deshalb auf einem selbständigen Siebenbürgen, weil so die rumänische Nation Siebenbürgens vielleicht „den Kern bilden könnte“, dem sich die Donaufürstentümer unter österreichischer Hoheit würden anschließen können.*
Ádám Récseys Brief an János Bethlen. Wien, im Mai. 1848. A szabadságharc története levelekben ahogyan a kortársak látták (1848. Geschichte des Freiheitskampfes in Briefen, wie ihn die Zeitgenossen sahen). Hrsg. I. DEÁK, Budapest, o. J., 77.
Die Meinungsäußerung des Finanz-, des Arbeits- und des Kriegsministers im Ministerrat vom 1. Juni, mitgeteilt von Á. KAROLYI, Az 1848-diki pozsonyi törvénycikkek az udvar előtt (Die Preßburger Gesetze von 1848 vor dem Hof). Budapest 1936, 344.
Die sächsischen Führungskreise waren anfänglich von der Revolution geradezu gelähmt worden, obwohl keine ernstlichen inneren Gesellschaftskonflikte zu befürchten waren und solchen zudem mit kleineren oder größeren Reformen zuvorgekommen werden konnte. Fraglich war aber, ob sich die sächsische Territorialautonomie retten ließ, die der Führungsschicht die Hegemonie über die Region sicherte und zugleich den Rahmen bot für eine das Umfeld deutlich überragende Entwicklung des Sachsenlandes. Hier lag die Ursache des liberal-demokratischen Eifers gegen den Bürokratismus, hatte das hartnäckige Festhalten an den alten Institutionen, am mythisch überhöhten nationalen Wesen letztlich seinen Grund.
In der Frage der Union und ihrer Wertung stießen die politischen Kräfte und Meinungen der Sachsen aufeinander. Während Ende März von Hermannstadt eine Treueerklärung nach Wien abging und Ende April Sachsenkomes Franz von Salmen zunehmend gegen die Union agierte, wurden in Kronstadt und Schäßburg Petitionen für die Liberalisierung des öffentlichen Lebens ausgearbeitet und flatterte auf dem Kronstädter Rathausturm die rot-weiß-grüne ungarische Fahne. Die Kronstädter Presse geißelte die Territorialautonomie mit dem Zentrum Hermannstadt als einen „utopistischen Gedanken“ und suchte die Lösung in einem Munizipalismus innerhalb des auf „freie Institutionen“ und das Prinzip der Volksvertretung gegründeten konstitutionellen Staatssystems. Nicht das österreichische Reich, sondern das liberale Deutschland galt ihr als Unterpfand der Zukunft, im Vertrauen darauf, ein mit diesem verbündetes Ungarn werde, eben im Interesse „des natürlichen Bündnisses“, die Nationalentwicklung der Sachsen gewährleisten.
Anfang Mai, beim Besuch des Gubernators József Teleki in Hermannstadt, traten die jungen Radikalen und älteren Konservativen, die sich stolz Antiunionisten nannten, an die Öffentlichkeit. Die Publizistik bot den Sachsen wenig korrekte Information, sondern stellte die Fakten meist recht verzerrt dar. Als z. B. der Gubernator den Gebrauch des Deutschen als Amtssprache für garantiert erklärte, wurde die Öffentlichkeit informiert, laut 485Teleki müsse das Ungarische „die allgemeine Geschäftssprache“ werden! Als Antwort demonstrierte die bisher ruhige Stadt in schwarz-gelben Farben, das Militär an der Spitze. Die Antiunionisten stellten der ungarischen Verfassung die (inzwischen für die Erblande erlassene) österreichische gegenüber, aus der sie zudem die Bestimmung in den Verfassungsentwurf der sächsischen Nationsuniversität übernahmen, die Integrierung in das Gesamtreich zu fördern. Um einem Überhandnehmen rumänischer Unzufriedenheit im Sachsenland zuvorzukommen, machte die Nationsuniversität einige Zugeständnisse, in Einzelfällen wurde den Rumänen auch die Anerkennung als vierte Nation versprochen, um sich so die Bundesgenossenschaft der rumänischen Nationalbewegung zu sichern.
In den siebenbürgischen Komitaten schloß sich die Bauernbewegung, Träger und Sammelbecken der lokalen Unruhen, der immer stärker werdenden rumänischen Nationalbewegung an. Angesichts der allgemeinen Gärung rief der Blasendorfer Philosophielehrer Aron Pumnul in einer Proklamation die Pröpste auf, mit einem oder zwei Mann aus jedem Dorf am 30. April nach Blasendorf zu kommen. Der Bischof bat höheren Orts um Genehmigung zur Abhaltung einer Nationalversammlung, die das Gubernium für den 15. Mai erteilte. Ungefähr 30–40 000 Bauern trieb die Hoffnung auf eine Wende ihres Schicksals durch die Bauernbefreiung nach Blasendorf.
Das Gefühl lastender historischer Verantwortung und die Abwägung der Möglichkeiten und Kräfteverhältnisse bestimmte die unterschiedlichen Richtungen der rumänischen Nationalbewegung und die Haltung ihrer Führungspersönlichkeiten. Wer für die Union Siebenbürgens mit Ungarn war, sah sich isoliert. Der Blasendorfer Gelehrte und Zeitungsredakteur Timotei Cipariu suchte sich einfach den Kräfteverhältnissen anzupassen, als er seine die Vorteile der Union behandelnde Artikelserie mit der Erörterung ihrer Nachteile beendete und mit zustimmendem Tenor den Artikel der Wiener Zeitung veröffentlichte, welcher anregte, die rumänischen Fürstentümer sollten in die große Familie der österreichischen Völker eintreten. Um die Vorbereitung der Revolution in der Walachei bemüht, sandten Nicolae Bălcescu und Ion Ghica, die Organisatoren, den aus Siebenbürgen stammenden Gelehrten August Treboniu Laurian mit der Weisung nach Siebenbürgen, „man solle nicht mit den Ungarn brechen, andererseits Stellungnahme für die Rechte der Rumänen beziehen und sich mit den Ungarn darüber zu verständigen suchen, daß ihre Vereinigung mit den Rumänen die Rettung beider Nationalitäten bedeute“.* Nachdem er in Artikeln für die Union eingetreten war, beschwor Laurian bereits die Vorteile der vierten Nation. Bariţ unterwarf sich der Forderung nach einer einheitlichen Stellungnahme, während sich Kampfwille und Tatkraft der radikalen Jugend durch die Verfolgung von seiten der Komitatsbehörden nur noch verstärkten.
1852. Notes écrites sous la dictée de N. Balcesco sur les évenements qui ont précédé la révolution de 1848. Biblioteca Academiei RSR, Bucureşti, Arhiva Ghica VI, 562–563.
Bărnuţiu, der bereits im April mit einem Konflikt zwischen den österreichischen Führungskreisen des Gesamtreiches und der ungarischen Regierung rechnete, wurde als Ideologe zur bestimmenden Autorität der rumänischen Freiheitsbestrebungen. Am 14. Mai hielt er eine richtungsweisende Rede in der Blasendorfer Kirche über die nationale Selbstbestimmung und Gleichberechtigung sowie das harmonische Verhältnis zwischen den Nationen. Dieses 486hehre, vom nationalen Erweckungsgedanken getragene Bekenntnis war andererseits durchsetzt von der Absicht, Mißtrauen zu säen, so z. B. durch die Äußerung „vergiftet ist der Bissen vom Tisch der ungarischen Freiheit“. Auch die Erwähnung der Schweiz als Beispiel bot kein wirkliches Gegengewicht dazu, daß Bărnuţiu, kaum hatte er die ungarischen Machtträume gegenüber den Donaufürstentümern angeführt, im Gegenzug sofort auseinanderzusetzen begann: Siebenbürgen, „unsere Heimat ist eine von der Natur mit hohen Mauern umgebene Burg, ohne welche die Magyaren der pannonischen Fluren wie Feldhasen den Angriffen des Gegners ausgesetzt sind“, und „wenn es nicht zur Union kommt, zerreißt das Band zwischen den siebenbürgischen und pannonischen Ungarn und die siebenbürgischen Ungarn werden langsam auf natürliche Weise verschwinden“.*
1848 la români. O istorie în date şi mărturii (1848 bei den Rumänen. Eine Geschichte an Hand von Daten und Zeugen). Hrsg. C. BODEA. Bucureşti 1982, 462.
Während sich also die ungarische Bewegung gestützt auf ihre gesellschaftliche Überlegenheit die Hegemonie sichern wollte, beabsichtigte die rumänische Bewegung dasselbe unter Berufung auf das zahlenmäßige Übergewicht ihres Volkes. Die eigene innere Schwäche – unterschiedlicher Natur – versuchten beide Seiten durch eine rasche Sicherung politischer Positionen auszugleichen und gefährdeten gerade damit das proklamierte Fernziel einer Harmonie der Nationen.
In der überhitzten Atmosphäre dieser Tage bestimmte das Verhältnis zur Nation auch die zwischenmenschlichen Beziehungen. Für Bărnuţiu war die Zukunft der Nation voll der schönsten Versprechungen und lag die größte Gefahr darin, daß sich jemand nicht der Nation bzw. ihrem Willen unterordnete. Da ein großer Teil der rumänischen Intelligenz zweifelte, die Bauernbefreiung und das liberale Staatssystem Ungarns würden der rumänischen Nationalbewegung genügend Raum gewähren, erkannte sie zunehmend den in der gegebenen Lage unwiderstehlich logisch argumentierenden Bărnuţiu als Führer an. Doch mußte jeder selbst entscheiden, wie er dies verstanden wissen wollte. Gegenüber denen, die unter dem Vorwand „wir haben genug gelitten“ nach Hegemonie riefen, hätte es z. B. Avram Iancu in seinem Idealismus vom „Völkerfrühling“ lieber gesehen, wenn Siebenbürgen einen „Föderatenstatus“ mit Beachtung der Gleichberechtigung der Nationalsprachen angestrebt hätte. Diese Haltung gegenüber der Nationalitätenvielfalt kam auch deutlich zum Ausdruck, als am ersten Tag der Nationalversammlung, am 15. Mai, die Massen nicht nur auf die Treue zum Kaiser und zur rumänischen Nation, sondern auch auf die Achtung „aller siebenbürgischen Nationen“ vereidigt wurden.
Im Geiste der Rede Bărnuţius wurde der Anspruch auf nationale Selbstbestimmung erhoben – in der Sprache der Zeit: auf die rumänische nationale Unabhängigkeit – und die rumänische Nation zu einem integralen Bestandteil Siebenbürgens erklärt. Man forderte rumänische Abgeordnete und Amtsträger in Proportion zum numerischen Anteil der Nation. Man verlangte die Bauernbefreiung, allgemeine Steuerpflicht und – erstmalig in der Geschichte der rumänischen Nationalbestrebungen – die Aufhebung der Zölle zwischen Siebenbürgen und den rumänischen Fürstentümern. Der letzte Punkt enthielt die Bitte an die „gemeinsam wohnenden Nationen“, über die Unionsfrage „nicht zu verhandeln, solange die rumänische nicht zu einer 487verfassungsmäßigen und organisierten, im Parlament beratenden – und mit Stimm- und Entscheidungsrecht ausgestatteten Nation geworden ist“.*
V. CHERESTEŞIU, a. a. O., 491.
Die Sanktionierung der rumänischen Unabhängigkeit erwartete man vom Herrscher, und wenn auch nach Klausenburg eine Gesandtschaft abging, dann nur mit dem Auftrag, die Blasendorfer Petition dem Landtag zur Kenntnis zu geben. Von Verhandlungen sah man nämlich die Handlungsfreiheit und Legitimität der Selbstbestimmung gefährdet. Die Intelligenz überzeugte die Dorfbevölkerung von den Vorteilen einer rumänischen Verwaltung offensichtlich mit Argumenten, wie sie auch die nach der Versammlung herausgegebene Proklamation enthält: „in jedem Verwaltungszweig sollen die Vorsteher Leute sein, die aus dem Körper ihrer eigenen Nation sind, damit sich die Rumänen im Falle ihrer Kränkung mit ihren Beschwerden an diese wenden können und nicht gezwungen sind, immer nur Fremden zu klagen, weil jene sie hassen und ihnen keine Gerechtigkeit gewähren“.* Die Zielsetzungen des nationalen Forderungskatalogs wurden des öfteren auch von kleineren oder größeren Bauerngruppierungen verlautbart: „wir wollen eine Nation, d. h. rumänische Herren und rumänische Sprache“.* Hier und da verband sich dies auch mit religiöser und nationaler Hetze, so reimte sogar ein Dichter wie Andrei Mureşan über „heidnische Unterdrücker, denen weder ein Gott noch ein Gesetz bekannt“.*
Ebd. 510.
A. PAPIU-ILARIAN, Istoria românilor din Dacia Superioară. Schiţa tomului III. (Die Geschichte der Rumänen aus Dacia Superior). Sibiu 1943, 36.
N. POPEA, Memorialul Archiepiscopului şi Metropolitului Andrei baron de Şaguna (Denkschrift des Erzbischofs Metropolit Andrei Baron de Şaguna). I. Sibiu 1889, 80.
Nach der Versammlung von Blasendorf versuchten die Rumänen mancherorts, aufgerufen von den Führern der Intelligenz (und dazu angeregt von den Sachsen), sich zu bewaffnen; wenn auch nicht zum Zwecke eines Aufstandes, wie ihn z. B. Mitte April Ioan Axente, der einstige Blasendorfer Gefährte Bărnuţius, betrieb. Sie ließen etwas von der Stimmung des „Völkerfrühlings“ weiterleben; jene Rumänen, die sich bewaffneten und zugleich auch ganz Europa beweisen wollten, sie seien „reif“ für die nationale Existenz. Denn – so schrieb einer der Verfasser der Klausenburger Petition vom Ende März, Buteanu aus Hermannstadt – „das österreichische Reich ist sehr geschwächt und scheint auf dem Wege des völligen Verfalls. In Paris halten die Franzosen, in Frankfurt die Deutschen einen Nationalkongreß ab; dort wird die Zukunft der europäischen Reiche beschlossen werden, dort wird entschieden werden“ auch über die Zukunft der Rumänen, und wenn sie unsere Bewegung kennen lernen, werden sie uns gewiß „teilhaben lassen an der süßen Freiheit“. Und da die panslawistischen Bestrebungen, die auf die Zarenmacht bauen, Rumänen und Ungarn gleichermaßen bedrohen, sollten die Ungarn, wären sie „ehrliche Leute, uns brüderlich die Hand reichen und uns als eine politische Nation anerkennen“.* Gleichzeitig beschuldigte Bărnuţiu in seinem Proklamationsentwurf die drei „gesetzlichen Nationen“, einen Bürgerkrieg zu provozieren, falls sie die Blasendorfer Forderungen nicht anerkennten.
Ioan Buteanus Brief an Simion Balint. Hermannstadt, 27. Mai 1848, OL Gub. Trans. in Pol. 1848: 7273.
Es vergrößerte die Reibungsfläche um ein Zusätzliches, daß in dieser Situation auch die Konflikte zwischen ungarischem Grundherrn und 488rumänischem Bauern eine nationale Färbung annahmen. Die Führer der Rumänen sahen z. B. eine Existenzbedrohung der gesamten Nation darin, daß Anfang Juni in Michelsdorf die (vom militärischen Oberkommando in Hermannstadt als Ordnungskräfte eingesetzten) Szeklergrenzer von den Waffen Gebrauch machten, als Bauern die grundherrlichen Weiden besetzt hielten, dem Militär Zugang in den Ort verwehrten, und der Zusammenstoß beinahe ein Dutzend von Opfern forderte. In Reaktion hierauf rief Iancu die Bevölkerung des Siebenbürgischen Erzgebirges zu den Waffen; sollte der Klausenburger Landtag „die Urbarialablösung nicht so gewähren, wie sie den Bauern in Ungarn die dortige Versammlung zuerkannt hat, werden wir sie uns auch mit Gewalt nehmen“.* Papiu versuchte nach dem Vorbild des serbischen und kroatischen bewaffneten Aufstandes, die Bewohner der Siebenbürgischen Heide zu organisieren. Daraufhin verbot das Gubernium das Rumänische Nationalkomitee, das auf der Blasendorfer Versammlung gewählt worden war, und versuchte vergeblich, auch einige seiner tonangebenden Organisatoren festzunehmen. So begann sich also jedermann zum eigenen Schutz zu bewaffnen (anfänglich entstanden in den Städten gemeinsame Nationalgarden mehrerer Nationalitäten, aus denen die Rumänen aber bald ausschieden), doch richteten sich Waffen und Emotionen in tragischer Weise mehr und mehr gegeneinander.
Zeugenaussage aus dem Protokoll des Gubernal-Untersuchungsausschusses. OL Gub. Trans. in Pol. 1848: 9012.

 

 

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