Die revolutionäre Konsolidierung und ihre Widersprüche

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Die revolutionäre Konsolidierung und ihre Widersprüche
Mitte Dezember brach die kaiserliche Armee in Siebenbürgen in Richtung Großwardein auf, doch scheiterte ihre Offensive an der reorganisierten ungarischen Verteidigungslinie. Unterdessen hatte Kossuth, der Vorsitzende des Landesverteidigungsausschusses und Organisator des ungarischen Selbstverteidigungskampfes, einen neuen Heerführer für die siebenbürgischen Armeen ernannt, den Polen Józef Bem, der sich in den Kämpfen des polnischen Nationalaufstandes 1831 einen Namen gemacht hatte und zu den „Berufssoldaten der Revolution“ gehörte. Im Oktober 1848 hatte er noch die Verteidigung des revolutionären Wien geleitet und war dann nach Ungarn gegangen. Bem führte am 20. Dezember einen Gegenangriff von Neustadt her mit 10 000 Mann und 16 Geschützen und feierte – obwohl man bisher der Meinung war, die Rückeroberung Siebenbürgens verlange zumindest ein Heer von 50 000 Mann – Weihnachten bereits in Klausenburg. Dies war der erste ungarische Sieg, seit Ende September Jelačić in Transdanubien in die Flucht getrieben worden war.
Mit der Besetzung Klausenburgs schnitt Bem die österreichischen Truppen mittendurch und nahm ihnen damit viel von ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit. Zuerst befreite er Nordsiebenbürgen und vertrieb Urbans Heer in die Bukowina, um sich dann gegen die Hauptmacht unter Puchner zu wenden. Er zog von Klausenburg nach Osten, nach Neumarkt, um von dort das Szeklerland zu mobilisieren. Um dem zuvorzukommen, griff Puchner seinerseits an, unterlag aber in der ersten ernsthaften Schlacht am 17. Januar bei Szőkefalva. Das ungarische Heer stieß bis Hermannstadt vor, wo aber der Triumphzug endete und Bem sich mit schweren Verlusten zurückziehen mußte. Von seinen 6–7000 Mann schickte er die Szekler heim, damit sie mit 506Verstärkung zurückkehren sollten, und erhebliche Kräfte kommandierte er nach Diemrich zur Vereinigung mit den aus Ungarn erbetenen Truppen ab – womit ihm im ungarischen Hauptheer kaum 2500 Mann verblieben.
Puchner wandte sich mit allerhöchster Einwilligung um Hilfe an die russischen Besatzungstruppen in der Walachei. Die kaiserliche Regierung sollte aber diese offene Schande nicht treffen, so schob er das sich sträubende Rumänische Komitee vor. Einige von dessen Mitgliedern bevollmächtigten Ende Dezember Bischof Şaguna und den Lehrer Gottfried Müller, im Namen beider Nationen die Zarenarmee um Schutz zu bitten. Als in den ersten Februartagen die 7000 Mann russischer Hilfstruppen eintrafen, schlug Puchner mit seiner Übermacht Bem bei Salzburg schwer, der sich unter ständigen Kämpfen mit seinen Verfolgern nach Ungarn durchschlagen wollte. Bei Diemrich warteten aber bereits die 3000 Mann Verstärkung, mit denen die ungarische Armee auf 8000 anwuchs. Am 9. Februar gewann Bem bei Piski die mörderischste siebenbürgische Schlacht, denn als den Kaiserlichen schließlich die Munition ausging, mußten sie sich zurückziehen. Bem verfolgte sie nicht nach Hermannstadt, sondern brach mit Bravour zwischen der Festung Karlsburg und der österreichischen Hauptarmee durch, mit dem Ziel, die Verbindung mit dem Szeklerland wiederherzustellen, was ihm auch gelang.
Allerdings war der Widerstand in den Drei Stühlen bereits im Dezember 1848 zusammengebrochen. Die Nachricht von der Befreiung Klausenburgs war zu spät im Szeklerland eingetroffen, und wegen der ungünstigen Kräfteverhältnisse wurden die Führer des Widerstandes in den Drei Stühlen zum Waffenstillstand mit der kaiserlichen Militärführung gezwungen. Doch vergeblich leisteten die Führung des Stuhls und die Obristen den Eid auf den Kaiser, das Volk folgte auf Bems Sieg hin den Radikalen, und die Obristen traten ab. Die Korporale und Leutnante, auch bisher schon die Seele des Widerstandes, übernahmen nun in den neuaufflammenden Kämpfen die Führung. Anfang Februar nahm Leutnant Sándor Gál bereits den Kampf gegen ein zweieinhalb tausend Mann starkes russisches Heer auf und hätte ihn im Falle eines energischeren Gegenangriffs auch gewonnen. Die von Hermannstadt heimgeschickten Szekler wiederum erhielten so viel Verstärkung, daß sie Mediasch besetzten und dort auf Bem warteten, der inzwischen den aus der Bukowina kommenden Urban zurückschlagen mußte, um den Kampf gegen Puchner wieder aufnehmen zu können. Der österreichische General vermochte Bem bei Mediasch zwar zu schlagen, nicht aber seinen Sieg auch auszunutzen. Er versuchte, den nach Schäßburg zurückweichenden Bem einzuschließen, was dieser aber rechtzeitig bemerkte und, mit einem der bravourösesten Manöver des Freiheitskampfes seinen Verfolger umgehend und ins Leere laufen lassend, am 11. März blitzschnell Hermannstadt einnahm. Binnen weniger Tage drängte er die Russen aus Siebenbürgen hinaus und dann auch Puchner. Im ersten Zorn wollte Zar Nikolaus eine 50 000-Mann-Armee nach Siebenbürgen schicken, wovon ihn die „Friedenspartei“ bei Hofe jedoch abbringen konnte. Mitte März befand sich kein angriffsfähiges reguläres kaiserliches Heer mehr in Siebenbürgen, nur Karlsburg und Diemrich waren in kaiserlicher Hand. Bem wiederum zog ins Banat, wo er einen Monat später die aus der Walachei einfallenden, neuaufgestellten österreichischen Kräfte zurückschlug.
Inzwischen war über Siebenbürgens Schicksal zweimal innerhalb von anderthalb Monaten entschieden worden: in Olmütz und Debreczin.

507Karte 19. Die siebenbürgischen Kriegsoperationen vom 18. Dezember 1848 bis zum 9. Februar 1849
508Anfang März löste die Reichsregierung in dem Glauben, die Ungarn entscheidend geschlagen zu haben, das Reichsparlament auf, verwarf den im Zeichen des Prinzips der Volkssouveränität erarbeiteten Verfassungsplan und stellte statt dessen im Namen des Herrschers die Einführung einer für das ganze Reich gültigen oktroyierten Verfassung in Aussicht, in der sie gerade im Interesse der Reichseinheit Siebenbürgen wieder zur selbständigen Kronprovinz machte. Den Grundton in der neuen Verfassung bildete die „Gleichberechtigung der Nationalitäten“, obwohl konkret nur von einer Sicherung der Rechte der sächsischen Nation die Rede war. (Inzwischen hatte man im Dezember 1848 Ferdinand V. zur Abdankung gezwungen und der junge Franz Joseph den Kaiserthron bestiegen; seine Hände waren nicht durch frühere konstitutionelle Versuche und Akte gebunden.)
Die Olmützer Verfassung machte auch deutlich, daß der Herrscher keine Einigung mit der ungarischen Nationalbewegung auf der Basis der 1848er Verfassung anstrebte, was die ungarische Unabhängigkeitsbestrebungen wesentlich stärkte, während der große ungarische Gegenangriff die österreichischen Kräfte durch eine Reihe gewonnener Schlachten aus dem Lande hinauszudrängen begann.
Am 14. April nahm das ungarische Parlament in Debreczin die Unabhängigkeitserklärung an, welche die Entthronung des Hauses Habsburg aussprach, Ungarn (zusammen mit Siebenbürgen) zum unabhängigen Verfassungsstaat erklärte und Kossuth zum Gouverneur-Präsidenten wählte. Die Mehrheit der liberalen Abgeordneten Siebenbürgens hätte zwar statt der Entthronung des Herrscherhauses – wie die Mitglieder der sog. Friedenspartei – lieber nach einem Kompromiß mit dem Hof gesucht, doch befürwortete ein großer Teil der ungarischen Öffentlichkeit auch in Siebenbürgen die härtere Kossuthsche Politik, da diese jetzt die Perspektive der Rettung und Sicherung der Existenz zu bedeuten schien.
Das Leben im befreiten Siebenbürgen lenkte man mittels der Gesetze von April–Juni 1848, wobei von neuem die bevollmächtigten Landeskommissare die Staatsführung vertraten. Angesichts der ersten Schwierigkeiten sandte Kossuth einen seiner treuesten Mitarbeiter, László Csányi, nach Siebenbürgen, der mit der Reorganisation der Verwaltung, der Mobilisierung der Szekler und der Sicherung der ungestörten Rekrutierung zu Bems Siegen beitrug.
Es ist üblich, Bem den ungarischen Regierungskommissaren gegenüberzustellen, als hätte er den Freiheitskampf der Völker gegen den an den Klasseninteressen festhaltenden Provinzialismus vertreten. Der polnische General betonte im Geist der ungarischen Führungskreise, „die ungarische Armee kämpft für die gemeinsame Volksfreiheit, deshalb streiten in ihr die Abkömmlinge aller möglicher Völker, wodurch sie ein für allemal zum Vorkämpfer der europäischen Volksfreiheit geweiht wurde“.* In der Praxis führte er im allgemeinen das aus, was er für die militärische Kampfbereitschaft und die Mobilisierung der Massen gerade für zweckdienlich hielt. Als erstes wird immer seine Amnestiepolitik erwähnt; seine allgemeine Amnestie verfügte er ohne Wissen und Einwilligung der Regierung und war nicht einmal zur Bestrafung bereit, als z. B. die flüchtenden rumänischen 509Aufständischen – nach George Bariţs Meinung „aus reiner Rache“* – Straßburg mit seiner Hochschule samt Bibliothek anzündeten und in der ungarischen Stadt ein Blutbad anrichteten. Er glaubte an die moralische Wirkung der allgemeinen Amnestie, doch wenn er das Gefühl hatte, daß man seine Großmut mit Undank vergalt, wollte er schwerer strafen, als das Gesetz je erlaubte. Als sich z. B. die Rumänen vom Nösnerland dem aus der Bukowina einbrechenden Urban anschlossen, wollte er die aufrührerische Gegend räumen und Szekler dort ansiedeln lassen. Im Bewußtsein, daß Kossuth hinter ihm stand, konnte Csányi diese katastrophale Unternehmung gerade noch vereiteln; gleichzeitig führte er als Exekutor des Willens und der Politik der Regierung (des Landesverteidigungsausschusses) im Sachsenland trotz der Amnestie den Belagerungszustand ein.
Bems Aufruf an die Bewohner Hermannstadts. Hermannstadt, 12. März 1849, mitgeteilt in KŐVÁRI, Okmánytár, 158.
G. BARIŢ, Părţi alese. II. Sibiu 1890, 416.
Die ungarischen Führungskreise machten nämlich vor allem die Sachsen für den rumänischen Aufstand und die Intervention der Russen verantwortlich und gaben deshalb ihre moderaten Absichten vom Frühjahr 1848 auf. „Ich will aber nicht eine voreilige Gnade, die zum Messer gleicht, das man dem Feinde gibt, um es in unser eigenes Herz zu stoßen“* – schrieb Kossuth an Bem. Indessen waren Standgerichte geschaffen worden, deren eines dann zur Abschreckung Stephan Ludwig Roth hinrichtete, obwohl der sächsische Pfarrer gerade im Vertrauen auf die Amnestie nicht geflohen war. Dieser Quasi-Justizmord war eine tragische Folge des Bürgerkrieges: Es wurde ein Gegner hingerichtet, an dessen Hand kein Blut klebte.
Kossuth an Bem. Debreczin, 23. April 1849. Kossuth Lajos összes munkái (Lajos Kossuths sämtliche Werke). Zum Druck vorbereitet von I. BARTA (im weiteren: KLÖM). Budapest 1953, XV, 93.
Die Beschränkung der Amnestiepolitik Bems erwies sich als Fehler. Andererseits wurde die Konsolidierung durch die – von der ungarischen Regierung eingeleitete – Neubelebung der sächsischen Verwaltung und der Munizipien sowie die Demokratisierung der Beamten- und Abgeordnetenwahlen gefördert.
Beruhigend wirkte die Wahl Simeon Schreibers, des Wortführers der Sachsen auf den Landtagen der Reformzeit, zum Bürgermeister von Hermannstadt. Und das Mißtrauen wurde auch dadurch zerstreut, daß die Regierung den deutschen Sprachgebrauch im Sachsenland akzeptierte und man sich an Csányis Stellvertreter Mózes Berde auch mit deutschen Eingaben wenden konnte. In Hermannstadt und Kronstadt wurden Regierungskommissare eingesetzt, die scharfe Repressalien möglichst vermieden und die Lautstärke der Militärs auszugleichen versuchten. In beiden Städten lebte die sächsische Presse wieder auf, die nicht mehr von der Zensur eingeschränkt wurde. Die Kronstädter Intelligenz feierte mit einem für ihre Zeit typisch revolutionären Messianismus den Triumph ihrer Ideale. Anton Kurz wurde Bems Adjutant. Die Leitung der deutschen Zeitung übernahm Leopold Max Moltke, der in Kossuth „den Präsidenten der ersten osteuropäischen Republik“ verehrte und schon über ein Ungarn schrieb, das den zusammenlebenden Nationen weitgehende Sprachenrechte gewähre.

510Karte 20. Die siebenbürgischen Kriegsoperationen im Frühjahr 1849

 

 

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