Das ungarisch-rumänische Verhältnis im Frühling und Sommer 1849

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511Das ungarisch-rumänische Verhältnis im Frühling und Sommer 1849
Das Verhältnis zwischen Magyaren und Rumänen gestaltete sich entsprechend der revolutionären Konsolidierung und ihrer Widersprüche. Während die ungarische Regierung im Sachsenland nach dem Prinzip der kollektiven Verantwortung vorging, versuchte sie in den Komitaten gegen die Kämpfenden die Politik der Vergeltung und gegen die Willfährigen die Amnestiepolitik anzuwenden, wobei die Strenge des Gesetzes Herren und Bauern gleicherweise traf – soweit dies die gestörten Verhältnisse ermöglichten.
Negativ beeinflußt wurde die revolutionäre Konsolidierung durch die vielen Standgerichte und noch mehr dadurch, daß man aufgrund der schwachen regulären Truppen in die Aufstellung von Freischaren einwilligte, die nicht nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung, sondern auch zum Einfangen von Aufständischen und zur Wiedergewinnung geraubter Güter eingesetzt wurden – manchmal führte sie die Rache von einem Dorf zum nächsten. Und die Angst vor dieser Rache stärkte wiederum den Widerstand, den – ähnlich dem ungarischen in den Drei Stühlen – auf der anderen Seite der Front die Rumänen des Siebenbürgischen Erzgebirges leisteten.
In dieser natürlichen Gebirgsfestung hatte sich eine große Menge von Bauern in einer Art Lager eingerichtet, wobei es zur gegenseitigen Unterstützung zwischen ihnen und der ebenfalls von den Ungarn belagerten gewaltigen Karlsburger Festung kam. Diese Landschaft verfügte über Traditionen des Widerstandes, wie den von hier ausgegangenen Horea-Aufstand. Der Geist der Empörung wurde hier dadurch wach gehalten, daß in dieser goldreichsten Gegend Europas der Fiskus eben zum Schutz der Goldschmelze die Wald- und Weidenutzung der Bauern und Grubenbauern eingeschränkt hatte. In den 1840er Jahren hatte eine ungarische Adlige namens Katalin Varga die Interessenvertretung einiger rumänischer Dörfer übernommen, und eine jahrelange Fronverweigerungsbewegung setzte ein, bis Bischof Şaguna „unsere Herrin“, wie das Volk sie nannte, mit List gefangennahm. Jetzt organisierten und leiteten den rumänischen Widerstand die für das Freiheitsideal begeisterten Intellektuellen, geführt von Avram Iancu. Das Volk nannte den jungen Anwalt, der selbst Volkstracht trug, „den König der Berge“. Er wurde zur legendenumwobenen Verkörperung des Kampfes, in dem es neben der Entschlossenheit auch zu Momenten kam, in denen mancher fürchtete, das Volk könne um seines eigenen Friedens willen seine Führer ausliefern.
Als die rumänischen Abgeordneten in Debreczin die militärischen Erfolge der Ungarn sahen, beschlossen sie, den rumänischen Widerstand im Erzgebirge mit der ungarischen Regierung zu versöhnen, um ihr Volk vor den schlimmen Folgen einer zu erwartenden militärischen Niederlage zu bewahren, auch im Interesse einer nachdrücklicheren Vertretung der rumänischen nationalen Ansprüche. Die Vermittlerrolle übernahm der Biharer Abgeordnete Ioan Dragoş, der von seiner ersten Erzgebirgsreise wohl ein so günstiges Bild mitbrachte, daß Kossuth im Parlament bereits die mögliche Befriedung ankündigte. In einem Brief an Dragoş vom 26. April nannte er auch die Bedingungen: Neben der Durchsetzung der ungarischen Sprache „in der Landesregierung“ „wollen wir nicht nur jeder Sprache ihren freien Gebrauch und jedem Volkstum seine Entwicklung gewähren, sondern eine solche im 512Interesse der Zivilisation auch fördern“.* Er garantierte den Gebrauch der rumänischen Sprache in Schule, Kirche und Gemeinde und kündigte eine allgemeine Amnestie an, von der nur Bischof Şaguna wegen seiner Rolle bei der russischen Intervention im Januar ausgenommen werden sollte. Kossuths Bedingungen stellten zwar die rumänischen Ansprüche nicht zufrieden, waren aber als Verhandlungsbasis brauchbar. (Allerdings erwartete er die Gesandten aus dem Erzgebirge weniger zu Verhandlungen als zur Übermittlung einer Treueerklärung des Volkes, wonach dann die zum Kampf bereiten Rumänen als Freiwillige in die ungarische Armee eintreten sollten.) Gegenseitige Kontaktaufnahme und direkte Verhandlung hatten noch gar keinen für beide Seiten befriedigenden Stand erreicht, als Dragoş – Standpunkt und Kompromißbereitschaft beider Seiten beschönigend – wieder in Aktion trat.
KLÖM XV, 137.
Nicht so sehr das gegenseitige Mißtrauen und Taktieren als vielmehr der Mangel an Übereinstimmung zwischen militärischer und politisch-ziviler Führung stürzten diesen Versuch einer gegenseitigen Aussöhnung in eine Katastrophe. Schon im März lag der Plan für einen konzentrierten Angriff gegen das Erzgebirge vor, wurde aber vom Kriegsministerium in der Meinung beiseite gelegt, die „Beruhigung“ der Rumänen sei Aufgabe der siebenbürgischen Behörden. Nach der Abfertigung des erwähnten Kossuth-Briefes geriet jedoch infolge zufälliger Ereignisse das Kommando über die ungarischen Erzgebirge-Truppen in die Hand eines zwar ruhmsüchtigen, aber militärisch ganz unerfahrenen Jünglings, Imre Hatvani. Alarmiert von Falschmeldungen über angebliche ungarnfeindliche Ausschreitungen rückte dieser am 5. Mai an der Spitze seiner kaum 1000 Mann umfassenden, schlecht ausgerüsteten und sehr heterogenen Truppe in die Stadt Großschlatten ein, die verzweifelte Warnung seitens Dragoş ebenso mißachtend wie die in dieser Stadt laufenden Friedensverhandlungen, die bereits vor ihrem erfolgreichen Abschluß standen. Mit diesem Einmarsch war der Bürgerkrieg wieder ausgebrochen.
Iancu floh noch rechtzeitig und schloß dann die schlecht geführte ungarische Einheit mit seinen Truppen ein. Goldbach und Großschlatten wurden ein Raub der Flammen, Dragoş selbst wurde von Rumänen ermordet. Unterdessen verfügte Kossuth, beeinflußt von den verschiedensten Falschmeldungen, die Fortsetzung der im übrigen ohne seine Einwilligung unterbrochenen militärischen Operationen, worauf ein erneuter schimpflich abgeschlagener Angriff auf Großschlatten erfolgte und sogar Kossuths Befehl den Rumänen in die Hände fiel. Hatvani ließ aus Rache Ioan Buteanu hinrichten, Petru Dobra wurde schon vorher „auf der Flucht“ getötet, obwohl sie ihre Hoffnung nicht aufgegeben hatten, die Verhandlungen in Debreczin fortsetzen zu können. Viele der bisher friedlich mit den Rumänen zusammenlebenden Ungarn in Großschlatten verloren in den Kämpfen ihr Leben. Auf beiden Seiten verstärkten die tragischen Entwicklungen die Überzeugung, der jeweils andere habe eine Falle gestellt.
All das steigerte natürlich die Entschlossenheit des rumänischen Widerstandes, zugleich aber auch das Gefühl der gegenseitigen Verantwortung. Auf die an ihn gerichtete Aufforderung zum Frieden fand Iancu die bezeichnende Antwort, daß „in diesen zwei Schwesterländern der Ungar nicht ohne den Rumänen von Existenz und Zukunft reden kann und der Rumäne nicht ohne 513den Ungarn“, weil „zwischen uns und euch niemals die Waffen entscheiden können“.*
Avram Iancus Brief an Oberstleutnant József Simonffy. Topesdorf, 15./27. Juni 1849. Mitgeteilt von A. ROMAN, Documente la istoria revoluţiunei ungur. din an. 184819 (Dokumente über die Geschichte der ungarischen Revolution von 1848/49). Transilvania 1877, 54–56.
Inzwischen hatte sich durch die militärischen Erfolge der Ungarn über die Kaiserlichen der Habsburger Hof gezwungen gesehen, den Zaren offen um militärische Hilfe zu bitten: Der umfassende Angriff begann Mitte Juni, und im Juli mußte die ungarische Regierung Oberungarn und Transdanubien aufgeben. Nun kam es, auch gestützt auf den rumänischen Widerstand im Erzgebirge, zu zwei politischen Bestrebungen der Rumänen, die in diametral entgegengesetzte Richtungen wiesen.
Schon nach Ausbruch des Aufstandes begann sich das politische Gewicht der rumänischen Intelligenz zu verringern und das der kirchlichen Führer von neuem zu verstärken. Ende 1848 war Bischof Şaguna wieder zum Führungsmitglied der rumänischen Nationalbewegung geworden, mit der Aufgabe, dem Herrscher die nationalen Forderungen zu übermitteln. In Wien und Olmütz arbeitete er mit Intellektuellen wie Laurian, Maiorescu und Bărnuţiu zusammen. Sie richteten eine Reihe von Gesuchen an den Herrscher und die Regierung, in denen sie die nationalen Bestrebungen in neuer Form vortrugen. Von Siebenbürgens Sonderstellung war keine Rede mehr. Im Februar 1849 baten sie um die Vereinigung der Rumänen „zur selbständigen Nation“ in den „österreichischen Provinzen“ und um eine rumänische nationale Verwaltung. Damit hatten sie mehrere Ansprüche und Bestrebungen vereint. Bischof Şaguna schlug unter dem Einfluß des orthodoxen theokratischen Gesellschafts- und Staatsmodells vor, die einzelnen Nationalitäten sollten ihr Leben ähnlich dem der Kirchen regeln. Maiorescu wiederum stand eher auf der Basis der territorialen Autonomie und bezeichnete im Februargesuch die Errichtung eines „rumänischen Österreichs“ als Ziel. Im Juli 1849 verlangten die Intellektuellen eine gesonderte rumänische Kronprovinz. Ihre Argumentation stand unter einem tragischen Widerspruch aller osteuropäischen Nationalbestrebungen: Unter Berufung auf ihre nachteilige Lage sprachen sie von ihrer Angst vor der Hegemonie der übrigen Nationen, gleichzeitig boten sie jedoch dem Hof die Verwirklichung der rumänischen nationalen Einheit innerhalb Österreichs an, auch um die ungarischen Nationalbestrebungen in Schach zu halten.
Es ist ein besonderes Spiel der Geschichte, daß eben damals die walachische Emigration und die ungarische revolutionäre Führung den siebenbürgischen Völkern neue Perspektiven vermittelten. Ein Teil der Führer der walachischen Revolution mißbilligte die Politik der Siebenbürger Rumänen bzw. beobachtete sie mit Besorgnis. Die österreichische Militärführung war bemüht, sie fernzuhalten, dennoch gelangten einige ins Erzgebirge, wo sie bei den Friedensbemühungen im Mai eine aktive Rolle spielten. Als die walachischen Emigranten dann das positive europäische Echo auf den ungarischen Freiheitskampf bemerkten, überprüften sie ihre Politik von neuem. Im Fieber des revolutionären Messianismus schlug dies bereits in Selbstgeißelung um, man beklagte die versäumten Gelegenheiten und würdigte den Kampf der alleingelassenen Ungarn: „Ach, wenn wir wirklich eine rumänische Regierung gewesen wären, hätte der Ruhm, die Welt von der 514Knechtschaft zu befreien, nicht den Ungarn, sondern uns gebührt; oder wir hätten, vereint mit den Ungarn, gewiß Wien eingenommen und die allgemeine Freiheit proklamiert. Nun aber zittern wir und bemühen uns, die Krümel vom ungarischen Schmaus einzusammeln“* – schrieb einer der Führer der ehemaligen Bukarester Revolution, C. A. Rosetti in Paris.
C. A. Rosettis Brief an Ion Ghica. Iaşi, 20. April 1849. Mitgeteilt von I. GHICA, Amintiri din pribegia după 1848 (Erinnerungen aus dem Exil nach 1848). Hrsg. O. BOITOŞ, Craiova o. J., 70–71.
Als erstes konkretes Ergebnis der Fühlungnahme der rumänischen Emigration brachte der begeisterte Revolutionsdichter Cezar Bolliac in Kronstadt eine Zeitung heraus, die Espatriatul, in der er so hitzig, daß er damit sogar seine Mitstreiter überraschte, die Politik der Siebenbürger Rumänen verurteilte, indem er vor allem bewußt machte, „daß es heute in Europa nur einen einzigen Kampf gibt, den zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Völkern und Thronen“.*
Espatriatul, 25. März 1849, Nr. 1.
Die meisten Verdienste bei der Harmonisierung der rumänischen und ungarischen nationalen Freiheitsbestrebungen erwarb sich Nicolae Bălcescu. Er ging davon aus, daß der Befreiungskampf aus mehreren Phasen bestehe. Man müsse mit ungarischer Hilfe die Unabhängigkeit der rumänischen Donaufürstentümer erreichen, um dann die Frage der rumänischen nationalen Einheit lösen zu können, deren Verwirklichung er auch für ein ungarisches Nationalinteresse hielt, weil sie den Ungarn das Bündnis mit den Rumänen garantiere. Bis dahin müßten die Siebenbürger Rumänen noch in ihrem „etwas untergeordneten“ Zustand bleiben. Er hatte nicht einmal gegen Bems Angriffsvorbereitungen auf das Erzgebirge direkt etwas einzuwenden: „ich empfinde es so, daß alle, welche die Freiheit lieben, die Ungarn unterstützen müssen, sie sind das einzige Volk unter Waffen und kämpfen gegen Rußlands Verbündete, die Tyrannen“.*
Bălcescus Brief an Ghica. Pest, 6. Juni 1849. N. BĂLCESCU, Opere. IV. Corespondenţă. Hrsg. GH. ZANE. Bucureşti 1964, 185–187
„Frankreichs 89er Rolle, Europa zu emanzipieren, wurde uns übertragen; und ich meine, wir haben keine Wahl: wir müssen diese Rolle spielen oder fallen“ – schrieb László Teleki, der einstige siebenbürgische Oppositionelle und jetzige ungarische Regierungsbeauftragte in Paris, der enge Kontakte mit der polnischen Emigration unterhielt. Geleitet von seinen Erfahrungen riet er, „wir müßten ein System errichten, mit dem wir die fehlende Einheit der Nationalität durch Abstimmung und Beachtung der individuellen und Nationalitätenrechte ersetzen“. Er vertraute darauf, die benachbarten und die zusammenlebenden Völker „werden Ungarn mit Freude als Zentrum und Königin einer zukünftigen Donauföderation akzeptieren“.* Solch Optimismus bewog auch Kossuth zu seinem wichtigen Schritt, am 14. Juli in Szegedin auf Bălcescus Drängen das projet de pacification zu erarbeiten.
László Telekis Brief an Lajos Kossuth. Paris, 14. Mai 1849. Mitgeteilt von GY. SPIRA, A nemzeti kérdés a negyvennyolcas forradalom Magyarországán (Die nationale Frage in Ungarn während der 48er Revolution). Budapest 1980, 216–217.
Der Befriedungsplan versprach keine territoriale Autonomie, sicherte aber den rumänischen Sprachgebrauch in den Komitaten mit rumänischer Mehrheit und in der Nationalgarde. Diese außerordentlich weitgehende Garantie der Sprachrechte im öffentlichen Leben und die Selbständigkeit der 515Komitate ermöglichten und förderten die teilweise Erfüllung der Nationalitätenforderungen. Der These in der österreichischen Verfassung von der „Gleichberechtigung der Nationalitäten“ stellte die ungarische Regierung die Idee von der Förderung „der freien Entfaltung der Nationalitäten“ gegenüber. Die Allmacht der Staatsräson begrenzte der Plan damit, daß „die diplomatische Benutzung der ungarischen Sprache“ sich nur auf die parlamentarischen, Verwaltungs- und Regierungsangelegenheiten erstrecken dürfe, „soweit dies für die Erhaltung der ungarischen Staatlichkeit unbedingt notwendig ist“. Der Plan zeigte auch eine Wende in der Harmonisierung der Freiheitsbestrebungen beider Völker an. Die Regierung übernahm in einer eigenen Vereinbarung die Aufstellungskosten für eine rumänische Legion. „Die Legion schwört Rumänien und Ungarn die Treue. Sie wird für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, niemals aber gegen die Nationalität eines Volkes.“*
KLÖM XV, 723–727.
Der Erfolg in den ungarisch-rumänischen Verhandlungen ermutigte die Regierung zu weiteren Schritten in ihrer nun tatsächlich beispielhaften Nationalitätenpolitik. Am 28. Juli regelte das Parlament auf Vorschlag von Ministerpräsident Bertalan Szemere die Lage der nichtmagyarischen Völker Ungarns im Sinne des Befriedungsplanes per Verordnung mit Gesetzeskraft. Mit Recht betonte Szemere, damit sei es gelungen, einen Weg zu betreten, für den „noch keine Regierung […] ein Beispiel gab“.* All dies geschah jedoch bereits zu spät.
Szemeres Rundbrief an die Regierungskommissare vom 29. Juli. Zitiert von Z. I. TÓTH, A Szemere-kormány nemzetiségi politikája (Nationalitätenpolitik der Szemere-Regierung). In: ders., Magyarok és románok (Ungarn und Rumänen). Budapest 1966, 367.

 

 

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