Der ungarische Widerstand

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528Der ungarische Widerstand
Den schwersten Schlag führte die Willkürherrschaft gegen die ungarische Gesellschaft Siebenbürgens. Viele emigrierten oder wurden eingekerkert und alle zum Schweigen gezwungen. Das auch früher nicht übermäßig straff organisierte Lager der liberalen Reformer wurde durch Todesfälle stark geschwächt: 1849 starb Dénes Kemény, im Frühling 1850 Wesselényi, eine der Säulen der Reformopposition der „beiden Bruderheimaten“. 1851 starb der liberale Taktiker János Bethlen, 1853 der Wissenschaftler und Politiker Károly Szász. Das liberale Lager Siebenbürgens verlor viel von seinen ursprünglichen, prägenden Elementen. Zwar bewahrte es seine provinzspezifischen politischen Erfahrungen, doch mangels echter Führerpersönlichkeiten orientierte es sich in seinem politischen Verhalten zunehmend an den Liberalen in Ungarn.
Über einen gewissen politischen Spielraum verfügte lange Zeit nur der rechte Flügel der Aristokratie, in dem die Siebenbürger, besonders Baron Sámuel Jósika, anfangs bedeutenden Einfluß besaßen. Die offizielle Zurückweisung ihrer Sondierungen jedoch, die seitens der Wiener Presse – nicht unberechtigt – als reaktionär abgestempelt wurden, versetzte allmählich auch die konservative Aristokratie in einen Zustand der Passivität.
Das Verhalten des liberalen mittleren Besitzadels wurde zu jener Zeit bereits eindeutig von der passiven Resistenz Ferenc Deáks bestimmt, die für ganz Ungarn beispielgebend war. Somit war ein bedeutender Teil dieser Grundbesitzer nicht nur aus ihren Machtpositionen verdrängt worden, sondern verschloß sich von sich aus jeder Machtausübung und suchte nach Möglichkeit auch die Maßnahmen der Behörden zu boykottieren sowie deren Amtsträger weitgehend aus seinem gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Das Verhalten des städtischen Bürgertums und der Bauern wurde von dieser Grundeinstellung der adligen Intelligenz stark beeinflußt. Wie die unzähligen Majestätsbeleidigungsprozesse dieser Periode zeigen, haben die Bauern oftmals in einfacherer, dabei jedoch oft radikalerer Form ihrem „48er Geist“ Ausdruck verliehen.
Die Ungarn hofften lange Zeit hindurch auf den Ausbruch eines neuen Freiheitskampfes und eher noch auf eine Invasion ausländischer, englischer, französischer, vielleicht sogar türkischer Kräfte; träumend wartete man darauf, daß Kossuth an der Spitze seiner Befreiungstruppen im Lande erscheine. Und auf die Rückkehr Bems vertraute sogar ein Teil der Rumänen.
Die ungarischen, rumänischen und polnischen Emigranten vertraten bereits 1850 die Meinung, daß in Siebenbürgen sehr bald ein bewaffneter Aufstand ausbrechen werde. Im Sommer 1851 schuf der ehemalige Honvedoberst József Makk eine große Geheimorganisation. Es sah alles ganz einfach aus: Im Augenblick der für 1852 erwarteten gesamteuropäischen Revolution („europäischer Ausbruch“) sollten sich die aus der Moldau mit Waffen versehenen Szekler (später hoffentlich auch die Rumänen) erheben und Siebenbürgen besetzen; von hier aus sollte dann der Angriff in Richtung auf die inneren Gebiete Ungarns fortgesetzt werden. Die Behörden erhielten natürlich Informationen über diese Vorbereitungen. Ende 1851 führten sie eine Hausdurchsuchung im Bukarester geheimen Hauptquartier Makks durch, wobei den Österreichern auch kompromittierende Dokumente in die Hände fielen. Im Januar 1852 begannen in Siebenbürgen die Verhaftungen. 529Auch die mit der Befreiung der Verhafteten beauftragte Guerilla-Einheit wurde ausgehoben. Nach langwierigen Untersuchungen wurden sieben Personen hingerichtet und Dutzende – unter ihnen auch Frauen – zu schweren Kerkerstrafen verurteilt.
Mit der Niederschlagung der Verschwörung im Szeklerland war die größte geheime Widerstandsbewegung des Habsburgerreiches gescheitert. Der Kampf gegen den Absolutismus konnte von nun an nur noch auf politischer Ebene fortgeführt werden. Aus den Händen der in der Geheimorganisation noch eine zentrale Rolle spielenden plebejisch-demokratischen Kräfte ging die Lenkung des Widerstandes in die der liberalen Grundbesitzer über. Indem dieses Lager auf seine alten Traditionen zurückgriff, nutzte es die kulturellen und Wirtschaftsvereine und im übertragenen Sinne auch das gesamte Gesellschaftsleben der adligen Kreise als politischen Organisationsrahmen.
An die Spitze dieser Bestrebungen stellte sich jenseits des Königssteiges Graf Imre Mikó, der als der „Széchenyi Siebenbürgens“ galt. Die Spenden der durch Mikó gewonnenen Aristokraten und der Bürger retteten das kurz vor dem Bankrott stehende Klausenburger Nationaltheater und schufen im Jahre 1855 den Siebenbürgischen Museumsverein, der sich später zu einem echten Kulturzentrum entwickelte. Der Siebenbürgische Wirtschaftsverein untersuchte auf Studienreisen den Zustand von Landwirtschaft und Industrie, und dem gleichen Ziel dienten auch seine Ausstellungen und die von ihm organisierte Verbreitung neuer Fachkenntnisse. In dieser Form konnte der Mangel an einem öffentlichen politischen Leben wenigstens teilweise kompensiert werden.
Die ungarischen Emigranten im Westen zogen aus 1848 die Lehre, daß die Unabhängigkeit Ungarns ohne Unterstützung seitens der Rumänen und Serben nicht erkämpft werden könne. Als geeignetste Partner dafür boten sich die rumänischen Revolutionäre aus der Walachei an, die nach der Niederschlagung der dortigen Revolution und der russisch-türkischen Besetzung ihres Landes ebenfalls ins Ausland geflohen waren – zumal auch von ungarischer Seite Siebenbürgen als mögliche Basis eines gegen Habsburg gerichteten Aufstandes betrachtet wurde. Natürlich fiel es sehr schwer, die nationalen Gegensätze in den Hintergrund zu drängen, doch bemühten sich beide Seiten schon deshalb um eine Übereinkunft, um die Unterstützung der Westmächte gewinnen zu können.
Auf polnische Anregungen hin wurden 1850 in Paris Verhandlungen über ein ungarisch-rumänisch-serbisches Bündnis eingeleitet. Nicolae Bălcescu skizzierte seinen Plan der Vereinigten Donaustaaten, mit einer aus drei Mitgliedern bestehenden Regierung mit wechselndem Sitz, die nicht für die inneren Angelegenheiten der drei Bündnisländer zuständig sein sollte. Die Meinungen der Ungarn dazu waren geteilt; László Teleki und Bertalan Szemergi, die diese Ideen akzeptierten, blieben schließlich in der Minderheit. Während die Rumänen in erster Linie auf Territorialautonomie bestanden, klammerten sich die Ungarn vor allem an ihr historisches Recht und wollten über das Szegediner Nationalitätengesetz von 1849 nicht hinausgehen. Allein Graf Teleki gelangte zu der Einsicht, daß die Entwicklung der Nationalitäten zu Nationen von den Magyaren territoriale Zugeständnisse erforderlich machte. Er verließ jedoch Paris sehr bald, Bälcescu wiederum kehrte totkrank zu seinen Geschichtsstudien zurück. Die Tätigkeit der übrigen Emigranten 530erschöpfte sich in Pressepolemiken, die nur mehr die alten Standpunkte ständig wiederholten.
Der in der Türkei lebende Kossuth verwarf Bălcescus Plan, weil er in ihm primär ein Mittel zur Abtrennung Siebenbürgens erblickte. Auf Anregung von Mazzinis Europäischem Demokratischen Komitee in London erarbeitete er 1851 einen Verfassungsentwurf, der – unter Beachtung der ethnischen Vielfalt im Karpatenbecken – eine Doppelstruktur empfahl. Er versuchte in diesem Dokument die historisch begründete politische Überlegenheit der Magyaren mit den Autonomiebestrebungen der Nationalitäten in einer demokratischen Staatsverfassung so zu vereinigen, daß eine solche von der ungarischen Öffentlichkeit nicht als Selbstverstümmelung interpretiert werden konnte. Neben dem demokratisierten, über Selbstverwaltung verfügenden Komitat sollten die eigenständigen gesellschaftlichen Organisationen der einzelnen Nationalitäten als Garanten ihrer Gleichberechtigung sowie als Basis ihres kulturellen, kirchlichen und nationalen Lebens dienen. Während die ungarische Öffentlichkeit diesen Plan vielleicht akzeptiert hätte, hielt ihn die rumänische Emigration jedoch für unzureichend, da in ihm auf die Frage nach einer möglichen Abtrennung Siebenbürgens mit keinem Wort eingegangen wurde.
Trotz der Gegensätze waren beide Seiten zu einer Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit geneigt, wozu die Weltpolitik auch sehr bald Gelegenheit bot.

 

 

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