Neuregelung der Bauernbefreiung und Entschädigung der Grundherren

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Neuregelung der Bauernbefreiung und Entschädigung der Grundherren
Für die Aufrechterhaltung der inneren Ruhe war der endgültige Abschluß der Bauernbefreiung zu einer Aufgabe von politischer Wichtigkeit geworden. Die Bauernbefreiung führte 1848 mit der Beseitigung der engen Zusammengehörigkeit von Grundherr und Bauer, von Bauernhufe und Herrschaft in der Produktionsordnung sowie in den Besitzverhältnissen zu einer Wende von epochaler Bedeutung. Die überwiegende Mehrheit der Bauern, d. h. etwa 70–80 %, begannen als unabhängige Privateigentümer auf der Stufe von Klein- oder Mittelbauern ihr Leben einzurichten. Dennoch gerieten Bauer und Grundherr nach der Revolution – nun bereits als „freie Bürger“ – erneut miteinander in Konflikt über die Frage nach der Aufteilung des ehemaligen feudalen Grundbesitzes.
Das (siebenbürgische) Gesetz Nr. IV vom Jahre 1848 beließ das tatsächlich genutzte Land unabhängig vom Rechtstitel in den Händen der Bauern. Dabei überließ man es einem späteren Verfahren, darüber zu entscheiden, was als ehemaliges Urbar zum bürgerlichen Privateigentum des Bauern werden und welchen Teil der einstige Grundherr zurückbekommen sollte. Die Durchführung solcher Details der Bauernbefreiung blieb eine Erblast für den neuen Habsburgerstaat.
Die Siebenbürgen zur Hälfte bedeckenden Wälder waren bis 1848 vom Grundherrn und Bauern gemeinsam genutzt worden, obwohl ab 1791 der Grundherr formal gesehen ausschließlicher Eigentümer war. Nun versuchte der ehemalige Grundherr den Bauern die Waldnutzung streitig zu machen, 531jedoch mit der eigentlichen Absicht, den aus dem Wald vertriebenen Bauern nur gegen Geld oder Arbeitsleistung die Waldnutzung erneut zu gewähren. Der Bauer wiederum bestand auf seinen alten Waldrechten und strebte überdies danach, möglichst viel Wald in seinen Besitz zu bringen. Über die Weidenutzung konnte man sich leichter einigen, da es im Interesse der alten Besitzer lag, den Viehbestand der Bauern zur Sicherung der Zugkräfte auch für die Bearbeitung ihrer Felder zu erhalten.
Als Gegenleistung für die Nutzung der umstrittenen Felder versuchte man den Bauern verschiedene Dienstleistungen – nicht selten mit militärischer Hilfe – aufzuzwingen. Als verschiedene Zehntzahlungen im Durcheinander von Besitzverhältnissen und Verpflichtungen erneut verfügt wurden, befürchteten die Bauern, „die Herren“ wollten das Leibeigenensystem wieder einführen. Das Verhältnis zwischen Herr und Bauer war in dieser Periode der halben Abhängigkeit und halben Freiheit außerordentlich gespannt. Nach den Erfahrungen des Schriftstellers Pál Gyulai aus dem Jahre 1851 „verbringt das Volk seine Zeit damit, Besitz für sich zu beschlagnahmen, und der Grundbesitzer damit, sich gezwungenermaßen mit Prozessen dagegen zur Wehr zu setzen; das Volk sinnt auf Rache für die Zukunft, der Grundbesitzer lebt in Angst und Schrecken“.*
P. GYULAI, Erdélyi útibenyomások (Reiseeindrücke aus Siebenbürgen). Budapest 1921, 42.
Im Sommer 1854 – ein gutes Jahr nach einer entsprechenden Verordnung in Ungarn – verfügte ein kaiserliches Urbarial-Patent über die rechtliche Durchführung der Bauernbefreiung. Unter Beibehaltung der prinzipiellen Grundlagen der 48er Gesetze sicherte es den Urbarialbauern die staatliche Ablösung, den Nichturbarialbauern, den Szekler Erbbauern oder den Meierhofbauern sowie Häuslern ermöglichte es die Ablösung aus eigener Kraft. Das Patent bleibt demnach bei der – letztlich unnatürlichen – Unterscheidung von Urbarial- und Nichturbarialbauern, offensichtlich mit der Absicht, einen Teil der befreiten Bauern (ein Drittel der bisher abhängig gewesenen) für die Zukunft mit nach Möglichkeit rechtlichen Mitteln an das Herrschaftsgut zu binden.
Die komplizierte und ausgedehnte Aufgabe der Neuregelung der Grundbesitzverhältnisse wurde den mit Verwaltungsbeamten besetzten sog. Urbarialgerichten übertragen, die 1858 in Siebenbürgen ihre Arbeit aufnahmen. Die Urbarialgerichte entschieden in all jenen Angelegenheiten, in denen sich die beiden Parteien bisher nicht hatten einigen können. Im Szeklerland ließ sich ungefähr ein Fünftel aller Angelegenheiten im Rahmen einer friedlichen Übereinkunft lösen, auf dem Gebiet der alten Komitate sogar ein Mehrfaches dessen. Die umstrittensten Fälle – und das waren nicht wenige – zogen sich über Jahrzehnte hin.
Mangels einer Regelung vor 1848 kann wegen der komplizierten Besitzverhältnisse in Siebenbürgen kein genaues Bild von den quantitativen Ergebnissen der Bauernbefreiung von 1848 und 1854 erstellt werden. Es hat den Anschein, daß in Siebenbürgen und im Partium 78 % der abhängigen Bauern (175 543 Urbarialbauernwirtschaften, etwa 974 846 Personen) auf dem Wege der staatlichen Entschädigung befreit wurden, deren bürgerlicher Besitz sich auf 1 616 547 Katastraljoch Acker und Weide belief und damit den überwiegenden Teil der Ackerfläche der Provinz umfaßte. Zu 80 % gelangte der Boden in den Besitz rumänischer Bauern, so daß damit auch der 532rumänische nationale Grundbesitz geboren war, was wiederum der nationalen Entwicklung der Rumänen neue Perspektiven eröffnete. Im Szeklerland dagegen entwickelte sich die Lage der einstigen Urbarialbauern außerordentlich ungünstig; am Landesdurchschnitt gemessen mußten sich hier viel mehr Bauern selbst ablösen oder sich in das Los des Agrarproletariats ergeben. In den ehemaligen Komitaten war es genau umgekehrt, da hier drei Viertel der Bauern aufgrund der staatlichen Entschädigung befreit wurden.
Die Gesetze zur Bauernbefreiung von 1848 garantierten unter feierlichem Versprechen die Entschädigung der einstigen Grundherren, allerdings nicht für den Boden, sondern für die bisherigen Dienstleistungen. Die Grundbesitzer verloren u. a. 8,7 Millionen Handdiensttage, 5 Millionen Vier-Ochsen- und 2,5 Millionen – gesetzlich fixierte – Zwei-Ochsen-Spanndiensttage. Die zeitgenössische Meinung dürfte sich bewahrheitet haben: „In Siebenbürgen beruhte der Reichtum des Grundherren auf der Menge der Fron”.* Das Patent legte den kapitalisierten Betrag, mit dem die Besitzerklasse ein für allemal entschädigt werden sollte, auf das Zwanzigfache der jährlichen Dienstleistungen fest. Inzwischen vegetierten die der früheren Dienstleistungen verlustig gegangenen Herrschaftsgüter nur noch dahin, die Eigentümer hatten mit Kapital- und Arbeitskräftemangel zu kämpfen. Es war die seltsame Situation entstanden, daß die Grundherren vielerorts von einem nationalen Befreiungskrieg (vom Sieg der „Revolutionspartei”) ebenso eine angemessenere Entschädigung erwarteten wie im anderen Lager die ungarischen Bauern von Kossuth günstigere Bedingungen für ihre Befreiung …
Kolozsvári Magyar Futár, 17. Juli 1856.
Daß die seit 1851 in kleinen Raten gewährten Entschädigungsvorschüsse nahezu ausschließlich in Aktien ausgegeben wurden, deren Börsenkurs um 20 bis 45 % unter dem Emissionswert lag, verursachte großen wirtschaftlichen Schaden. (Ein bedeutender Teil der Entschädigungen wurde zur Tilgung der Schulden nach 1848 verwendet. Nach Meinung der besten österreichischen Fachbeamten mußte nahezu die Hälfte der bis zum Frühling 1861 auf dem Gerichtswege überwiesenen Gelder bereits nicht mehr den Grundbesitzern, sondern ihren Kreditgebern ausgezahlt werden.)
Die Summe von rund 70 Millionen Forint, die die Regierung den ehemaligen Grundherren Siebenbürgens infolge der laut Plan noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fällig gewordenen Obligationen erstatten ließ, bedeutete letztlich eine weitere Belastung aller Steuerzahler, da der Staat die notwendige Deckung durch zusätzliche Steuern sicherstellen mußte.
Die einstigen Grundherren wurden nicht für alle ihre Verluste entschädigt, da sich nicht einmal genau errechnen ließ, was sie tatsächlich bislang in Form von Dienstleistungen erhalten hatten. Aufgrund der wirren Verhältnisse, der plötzlichen Veränderung, waren die großen und mittelgroßen Gutswirtschaften der ehemaligen Grundherren eine Zeitlang völlig verwahrlost und standen nicht selten auf einer primitiveren Stufe der Bewirtschaftung als bei den Bauern.

 

 

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