Das Oktober-Diplom: ein Projekt des konservativen Föderalismus

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Das Oktober-Diplom: ein Projekt des konservativen Föderalismus
Auf Initiative konservativer Aristokraten erließ Franz. Joseph am 20. Oktober 1860 als „ständiges und unwiderrufliches staatliches Grundgesetz” das sog. Oktober-Diplom, das als Gnadenakt des Herrschers die selbständige Regierung der einzelnen historischen Länder „retablierte”. Am gleichen Tag wurden durch kaiserliches Reskript die Ungarische und die Siebenbürgische Hofkanzlei wieder eingerichtet. Der Leiter der ersteren wurde auch formell Mitglied der neu entstandenen Zentralregierung (des„ Staatsministeriums”). Eine weitere Verfügung kündigte eine Provinzversammlung zum Zwecke der Erneuerung der siebenbürgischen Verfassung an, mit deren Vorbereitung ein Gremium der „zu den verschiedenen Nationalitäten, Religionen und Ständen gehörenden … ausgezeichneten Männer”* beauftragt werden sollte.
Okmánytár Erdély legújabb jogtörténetéhez, 1848–1865 (Dokumente zur jüngsten Rechtsgeschichte Siebenbürgens, 1848–1865). Zusammengestellt von J. SÁNDOR, Kolozsvár 1865, 116.
Das Oktober-Diplom fand keine so begeisterte Aufnahme, wie sie sich seine Initiatoren erhofft hatten. Das österreichische Bürgertum sah in ihm eher einen Staatsstreich der föderalistischen Großgrundbesitzer gegen die Zentralisierung. 537Die ungarischen Liberalen verweigerten dem Monarchen das Recht, Entscheidungen, die für Ungarn von Bedeutung waren, allein zu erlassen. Sie erkannten keinerlei formelle Oberhoheit irgendeines zentralen – d. h. äußeren – Regierungsorgans oder Reichsparlaments an und bestanden auf Wiederherstellung des 1848 geschaffenen verantwortlichen ungarischen parlamentarisch-ministeriellen Systems. Was Siebenbürgen betraf, nahmen die ungarischen Liberalen besonders daran Anstoß, daß das Diplom die Union von 1848 wieder für nichtig erklärte. „Ohne die Union sind die siebenbürgischen Magyaren für immer verloren, davon ist bei uns selbst der letzte ungarische Bauer überzeugt”* – berichteten sie nach Pest.
Zitiert von GY. SZABAD, Forradalom és kiegyezés válaszútján (1860–1861) (Am Kreuzweg von Revolution und Ausgleich [1860–1861]). Budapest 1967. 389.
Die rumänische und sächsische Bürgerschaft reagierte auf das Diplom unterschiedlich. Der optimistische Bariţ kommentierte mit Begeisterung in seiner Zeitung: „Heute wurde die siebenbürgisch-rumänische Nation durch ihren Monarchen gemeinsam mit den anderen Völkern als volljährig erklärt”. Die Autonomie Siebenbürgens sei für immer und ewig gesichert, „unser Schicksal ist in unsere Hände gelegt”.* Die rumänische Intelligenz veranstaltete im November Beratungen, auf denen man sich mit unterschiedlicher Entschlossenheit die Durchführung des Nationalprogrammes von 1848 zum Ziel setzte. Die orthodoxe Synode von Hermannstadt wünschte ein siebenbürgisches Parlament, bestehend aus der jeweils gleichen Anzahl von Abgeordneten der einzelnen Nationen, ferner die Gleichberechtigung aller drei Sprachen. In einzelnen Versammlungen jedoch wurde bereits der Wunsch laut, innerhalb des Reiches eine rumänische Provinz zu bilden.
Zitiert von V. NETEA, Lupta românilor din Transilvania pentru libertatea natională (1848–1881) (Kampf der Siebenbürger Rumänen für die nationale Freiheit [1848-1881]). Bucureşti 1974, 158–159.
Das sächsische Bürgertum verlangte die Wiederherstellung der alten sächsischen Rechte und Institutionen sowie die Einrichtung eines zukünftigen Siebenbürger Landtages auf den bis 1848 gültigen Grundlagen. In der Frage der Modernisierung des Wahlrechtes und der – von der Mehrheit übrigens nicht gewünschten – Union wurde die Entscheidung auf später verschoben.
Der Monarch beauftragte am 9. Dezember Baron Ferenc Kemény, den gemäßigt konservativen Präsidenten des letzten Siebenbürger Landtages, mit der provisorischen Leitung der Kanzlei. Zum Vorsitzenden des Provinzregierungsorgans, des in Klausenburg erneut eingerichteten Guberniums, wurde – ebenfalls provisorisch – Graf Imre Mikó ernannt. Beide richteten in ihren Institutionen rumänische Referate ein, geleitet – erstmals auf der Grundlage nationaler Kriterien – von rumänischen Räten.
Am 11. Februar 1861 wurde jene Nationalitätenberatung nach Karlsburg einberufen, deren Aufgabe die Vorbereitung eines künftigen Siebenbürger Landtages sowie die Ausarbeitung eines Wahlgesetzentwurfes sein sollte. Bei der Auswahl der Eingeladenen kam ein charakteristisches Prinzip der Ständezeit zur Geltung: Es wurden acht ungarische, acht „Szekler”, acht (ungarisch) städtische, acht sächsische und acht rumänische Notabeln um ihre Teilnahme ersucht. Eine derartige ungarische Majorität hatte bereits lange vor Beginn der Beratung den größeren, unionsfeindlichen Flügel der Nationalitätenpolitiker stark verbittert. Die zwei rumänischen Kirchenführer 538erhielten vom neuen Staatsminister Schmerling (unter Umgehung von Kemény) die Genehmigung, eine nationale Beratung kleineren Ausmaßes einzuberufen. Die 150 Teilnehmer der rumänischen Versammlung von Hermannstadt stimmten in ihrem Beschluß für das Oktober-Diplom. Sie forderten die Anerkennung der rumänischen Nation als autonome politische Einheit sowie die Streichung einiger alter, für die Rumänen nachteiliger, bereits 1848 außer Kraft gesetzter siebenbürgischer Gesetze und schließlich ein relativ ausgedehntes Wahlrecht. Aus der Versammlung ging ein Koordinierungsausschuß hervor, das später sehr bedeutende rumänische Nationalkomitee, als dessen Vorsitzende Bischof Şaguna und der griechisch-katholische Erzbischof Şuluţiu fungierten.
Auf der nachfolgenden Konferenz in Karlsburg äußerte dann jeder seine Meinung. Der römisch-katholische Bischof Lajos Haynald setzte sich nachdrücklich für das Inkrafttreten der Union und der 48er Gesetze – insbesondere des einstigen Wahlgesetzes – ein. Erzbischof Şuluţiu bestand dagegen auf der Autonomie Siebenbürgens und machte die Möglichkeit einer Verbrüderung von einem außerordentlichen Landtag abhängig, der der rumänischen Nation Gleichberechtigung sichern und ihr die Mitsprache in der Regierung ihrem Anteil entsprechend garantieren sollte. Der Sachse Konrad Schmidt erklärte großes Einverständnis mit der Union und einzelnen Bestimmungen der 48er Gesetze, hielt aber die Einberufung des Siebenbürger Landtages für erforderlich, um die Nationalitätenrechte, vor allem die sächsische Autonomie, auf sichere Grundlagen zu stellen. Die Beratung ging zu Ende, ohne daß sich die Seiten auch nur einen Schritt näher gekommen wären. Doch stand die Frage der Union von diesem Zeitpunkt an erneut im Mittelpunkt des politischen Interesses und wurde in den ungarischen, rumänischen und deutschen Zeitungen lebhaft diskutiert.

 

 

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