Der Landtag von Hermannstadt und das Provisorium

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Der Landtag von Hermannstadt und das Provisorium
Noch im September 1861 verfügte der Monarch die Einberufung eines Siebenbürger Landtages auf der Grundlage eines bei Anrechnung aller direkten Steuern mit acht Forint festgelegten – also gegenüber 1848 stark verminderten – Zensus. Da Kanzler Kemény das monarchische Prinzip und ein solch ausgedehntes Wahlrecht als unvereinbar miteinander betrachtete, reichte er seinen Rücktritt ein. Das von Mikó geleitete Gubernium protestierte in einer umfangreichen Denkschrift gegen die Einberufung eines eigenen Landtages, in der es der Regierung den Vorwurf machte, in Siebenbürgen aus taktischen Gründen weitergehende Rechte einzuräumen, während „in anderen Provinzen Eurer Majestät die Interessen des Volkes und vor allem der breiten Massen solcher Begünstigung gerade nicht teilhaftig wurden”.* Unterstützt von der Mehrheit der Komitatsbeamtenschaft, wiedersetzten sich Mikó und seine Anhänger allen Vorbereitungen, womit sie sich nicht nur den Zorn der Regierung, sondern auch den des rumänischen Nationalkomitees zuzogen. Erzbischof Şuluţiu bezeichnete in seiner dem Monarchen überreichten Denkschrift das Gubernium als ein dem Zeitgeist trotzendes Gremium und zugleich als rebellisch, da es „die Herrschaft seiner Majestät und all ihre Maßnahmen als gesetzwidrig abstempelt”.* Am 21. November 1861 trat schließlich auch Imre Mikó zurück.
Okmánytár, a.a.O., 178.
L. ÜRMÖSSY, Tizenhét év Erdély történetéből (17 Jahre aus der Geschichte Siebenbürgens). Temesvár 1894, Buch 3. 339.
Dem Rücktritt von Kemény und Mikó folgte der Rücktritt der führenden Amtsträger der ungarischen Verwaltung. Die neuernannten Obergespan-Administratoren waren zuverlässige Anhänger der Regierung. Mit den im Amt verbliebenen Obergespanen vom Nösnerland, Fogarasch, Hunyad und Ober-Fehér erhöhte sich die Anzahl der von Rumänen geleiteten Munizipal 544behörden auf sechs, da auch die Komitate Doboka und Küküllő von rumänischen Administratoren übernommen wurden.
Der neue siebenbürgische Kanzler Graf Ferenc Nádasdy, ehemaliger Reichsinnenminister (und auch nach Meinung von Franz Joseph der meistgehaßte Ungar) nahm sich die Zerschlagung der von ungarischen Generalversammlungen beherrschten Komitate vor, da er für die Wahlen auf die Unterstützung der Komitate angewiesen war. In den von ihm neu geschaffenen Komitatsausschüssen und der Beamtenschaft nahm das Gewicht der Rumänen zu, obwohl die Mitglieder mehrheitlich nach wie vor ungarische Grundbesitzer oder niedere Beamte waren. Die ungarischen Städte und das Szeklerland waren jetzt jene Bereiche, die das ungarische liberale Lager gänzlich beherrschte. Den Administratoren gelang es nun, den Widerstand bis zum Frühjahr 1863 soweit zu unterdrücken, daß schließlich die Landtagswahlen abgehalten werden konnten.
Die wichtigste Neuerung dieser Wahlen war weniger die Erweiterung der Zahl der Wahlberechtigten, als die weitgehende Umstrukturierung der Wählerschaft. Während 1848 jeder Adlige automatisch Wahlrecht besessen hatte, bekamen es jetzt nur jene, die dem neuen Acht-Forint-Zensus entsprachen. Das traf in den Komitaten nur auf jeden fünften Adligen zu! Diese Schicht war traditionell einer der Hauptträger der ungarischen Politik, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu Magyaren oder Rumänen. Der Beruhigung der Rumänen sollte die Maßnahme dienen, daß die Zahl der Komitatsdeputierten erhöht wurde, obwohl man keineswegs deren proportionale Vertretung einführte. (In Fogarasch und im Nösnerland kam ein Abgeordneter auf 18 000, im Szeklerland auf 14 500 und in den sächsischen Gebieten auf 8700 Seelen.) Mehr als die Hälfte der Wähler in den Komitaten waren Rumänen. Dies hat das rumänische Nationalkomitee zu einer intensiven Wahlagitation ermutigt. Es erwartete vom Landtag eine historische Wende, die der rumänischen Nation Gleichberechtigung verschaffen und sie zur politischen Macht erheben sollte.
Bei den Wahlen im Sommer 1863, bei denen die Regierung angeblich 800 000 Forint für die finanzielle Beeinflussung von 75 000 bis 80 000 tatsächlichen Wählern eingesetzt haben soll, sicherten sich 49 rumänische, 44 ungarischen Städten, mußte aber gerade in den als uralte Organisationszentren des politischen Lebens geltenden Komitaten eine katastrophale Niederlage hinnehmen. Von den 38 Abgeordneten der Komitate waren nur zwei Magyaren. Außer den gewählten Abgeordneten berief der Monarch aus jeder Nation 11 Regalisten aus dem Kreise der „angeseheneren Männer” zwei Magyaren. Außer den gewählten Abgeordneten berief der Monarch aus jeder Nation 11 Regalisten aus dem Kreise der „angeseheneren Männer” oder Amtsträger, gleichsam als das Gegengewicht, das in anderen Parlamenten das Oberhaus darstellte. Damit erhielten schließlich 60 (später 59) Rumänen, 56 Ungarn und 44 Sachsen die Möglichkeit, am Landtag teilzunehmen.
Auf dessen Eröffnung bereiteten sich die politischen Kräfte aller drei Nationen fieberhaft vor. Auf ungarischer Seite beriet man zwei volle Tage darüber, wie man sich an der wichtigsten Aufgabe, an der Absicherung der nationalen Rechte der Rumänen, so beteiligen könne, daß dadurch weder die Unionsgesetze von 1848 noch der prinzipielle Protest gegen den gesonderten Landtag ihre Wirksamkeit einbüßten. Der Beschluß, der auch als an den 545Monarchen adressierte Denkschrift verfaßt wurde, besagte, daß „bereits die Idee des Siebenbürger Landtages dem Gesetz wiederspricht”.*
Das Kurzprotokoll der Beratung s. OSzK Kézirattára (Handschriftensammlung), Fol. Hung. 1430, 1–3 f. – Der Text der Denkschrift s. Deák Ferenci beszédei (Reden von Ferenc Deák). Hrsg. von M. KÓNYI, Bd. III, Budapest 1889, 244–245.
Ergebnislos verlief auch eine vertrauliche Kontaktaufnahme zwischen den ungarischen, rumänischen und sächsischen Abgeordneten, die der Einsicht entsprang, daß die Ausdehnung der Verfassungsrechte auf das ganze Volk im Kreise der Rumänen über eine starke Anhängerschaft verfügte. Für den Landtag erhofften sich die rumänischen Liberalen und einzelne Sachsen auch eine Stärkung des Lagers der Anhänger der Konstitution durch einen Beitritt der Magyaren. Diese wiederum wollten freilich die Rumänen zum Fernbleiben überreden. Der katholische Bischof Haynald versprach, so wie zwei Jahre zuvor, sie würden im Pester Parlament „alle Wünsche der bestehenden Nationen durch Gesetze garantieren”.* Es gelang nicht, die Standpunkte aufeinander abzustimmen, so daß schließlich alle ungarischen Abgeordneten und Regalisten – bis auf drei – dem Landtag fernblieben.
I. PUŞCARIU, a.a.O., 75.
Die Abwesenheit der Magyaren zerstörte die in den Siebenbürger Landtag gesetzten Hoffnungen der Wiener Zentralregierung. Ohne Magyaren waren in ihm nicht mehr alle drei Nationen Siebenbürgens vertreten. Zudem waren 36 der 59 rumänischen Abgeordneten Beamte und 15 Geistliche, von den 33 gewählten sächsischen Abgeordneten waren 22 und von den Regalisten die Hälfte gleichfalls Beamte. Die Zahl der tatsächlich unabhängigen Abgeordneten, vertreten beispielsweise durch den Rumänen Bariţ und den Sachsen Maager, lag nur bei 10. Mit einer solchen Zusammensetzung wurde der Landtag genau zu dem, was Schmerling tatsächlich beabsichtigt hatte: zur Versammlung abhängiger Beamter, zu einem beherrschbaren und folgsamen Landtag. Außerdem war es aber der erste – und zugleich letzte – Siebenbürger Landtag, in dem die Rumänen sogar als Mehrheit vertreten waren.
Der Landtag wurde am 15. Juli 1863 von Gouverneur Generalleutnant Crenneville als königlichem Kommissar eröffnet. Der in ungarischer Gala erscheinende königliche Kommissar verlas dem ohne Magyaren verbliebenen Gremium die Thronrede, welche die Wiederherstellung der konstitutionellen alten Rechte und die Bildung eines der Rechtsgleichheit entsprechenden Vertretungssystems in Aussicht stellte und die Abgeordneten aufforderte, das Oktober-Diplom und das Februar-Patent zu inartikulieren. Der Herrscher forderte Siebenbürgen zum Eintritt in den Reichsrat auf und versicherte die Ungültigkeit der Union. Die Regierung erklärte die Mandate der ungarischen Abgeordneten für ungültig und schrieb in ihren Wahlkreisen Neuwahlen aus. An Stelle der ferngebliebenen Regalisten ernannte man neue. Bei den Wahlen im August feierten die bisherigen ungarischen Abgeordneten erneut einen Sieg, sie verzichteten aber nach dieser gelungenen Machtdemonstration ostentativ auf ihre Mandate. Im Oktober versuchte Nádasdy zum dritten, im Mai 1864 zum vierten und im August zum fünften Mal, mittels Wahlen den ungarischen Widerstand zu brechen, aber stets ohne Erfolg. Zusammen mit den neuen Regalisten waren nur elf Ungarn im Landtag anwesend, den die Regierung dadurch keinesfalls als Vertretung der Magyaren Siebenbürgens ausgeben konnte.
546Unterdessen hatte der Landtag den Vorschlag der größeren Gruppe der Sachsen – der Anhänger der Reichszentralisierung – zurückgewiesen, der vier gesonderte nationale (jedoch ethnisch gesehen keineswegs einheitliche) Gebiete zu bilden empfahl. Dies hielten die Abgeordneten keiner einzigen Nation für liberal, zumal es in mehreren Komitaten die Durchsetzbarkeit des Willens der zahlenmäßigen Mehrheit der Rumänen völlig ausgeschlossen hätte. Die Minderheit der Sachsen bildeten die liberalen Unionisten: Franz Brennberg stimmte für die Union und verzichtete auf sein Mandat. Franz Trauschenfels dagegen, der seinen Standpunkt zur Frage der Union aufrechterhielt, nahm an den Arbeiten teil, ja legte sogar als Sprecher den Ausschußvorschlag vor. (Die ungarischen Liberalen wollten den Komitaten und den Gemeinden die Wahl ihrer Amtssprache selbst überlassen, für Staat und Parlament aber ausschließlich das Ungarische benutzen, wobei ein so angesehener Politiker wie Graf Domokos Teleki es durchaus für möglich hielt, daß mit der Zeit Rumänisch zur Amtssprache Siebenbürgens werden könnte.)
Der angenommene Regierungsvorschlag machte das Ungarische, Rumänische und Deutsche zu Amtssprachen, wollte allerdings die Sprache der Oberbehörden und Gesetze sowie des amtlichen Verkehrs mit den zentralen Regierungsorganen auf dem Verordnungswege regeln. Damit wurde die Festlegung der Staatssprache der Kompetenz der Abgeordneten entzogen. Während der Verhandlungen entstand eine scharfe Diskussion zwischen dem sächsischen und dem rumänischen Lager, weil die Sachsen die sprachliche Gleichberechtigung stufenweise einführen wollten. Während das Gesetz erst Anfang 1865 vom Herrscher gebilligt wurde, sandte es die Regierung bereits Ende 1863 zur Durchführung an das Gubernium von Klausenburg.
Mit der rechtlichen Gleichstellung der rumänischen Konfessionen und den Sprachenverordnungen war die rumänische Nation formal gesehen zwar politisch gleichberechtigt, die Chance, dies auch durchzusetzen, blieb damals jedoch nur gering. Gegen die stärkste Kraft des Landes, die Magyaren, die über das größte politische Potential und starke Verbündete von diesseits des Königssteiges verfügten, war keine dauerhafte Lösung zu erzielen. Bei ihrer damaligen Struktur vermochte die rumänische Gesellschaft vorläufig nur eine geistliche und Beamten- bzw. Intelligenzschicht zu stellen, die für sich allein noch keine schlagkräftige politische Kraft bildete und notgedrungen auf die Rolle beschränkt war, der staatlichen Bürokratie als Reserve zu dienen. Um dies zu kompensieren, erhoben Bariţ und andere auf den Landtagen ihre Stimme für die Verfassungsmäßigkeit, womit sie zugleich teilweise die Politik der ungarischen Liberalen übernahmen. Ioan Raţiu warnte bereits ab 1861 davor, daß man sich der Schmerling-Regierung zu stark verpflichte, und schlug vor, Kontakte zu den ungarischen Politikern zu suchen.
Nach der Annahme der ersten Gesetze verstärkte sich die schlechte Stimmung. Es tauchte der Verdacht auf, der ganze Versuch diene allein dazu, Ungarn in den Reichsrat zu zwingen. Die Regierung trieb ihr Spiel mit dem Hermannstädter Gremium. (Vizekanzler Reichenstein trug ständig das königliche Reskript über die Auflösung bei sich, um es jederzeit hervorholen zu können.) Landtagspräsident wurde jener konservative Ungar Gusztáv Groisz, der unter den sechs Kandidaten die wenigsten Stimmen erhalten hatte. Im Bedarfsfalle konnte die Mehrheitsentscheidung durch eine neue Abstimmung ganz einfach revidiert werden. Auf königliches Drängen wurden unverzüglich die 26 (davon 13 rumänische und 11 sächsische) Delegierten für 547den Reichsrat gewählt, die am 20. Oktober in der Kaiserstadt die leeren Sitze der tschechischen Abgeordneten einnehmen konnten, die sich erst kurz zuvor entfernt hatten. Doch sie vermochten gar nichts zu erreichen; auch der siebenbürgische Budgettitel wurde in seiner ursprünglichen Formulierung gebilligt. Nach einiger anfänglicher Begeisterung der österreichischen Abgeordneten wurden sie als Statisten der Regierung betrachtet.
Im Mai 1864 trat der Landtag von Hermannstadt erneut zusammen. Aus der 1863 provisorisch angewandten Regelung wurde ein Wahlrechtsentwurf. Die Umgestaltung der Justiz, die – von den Liberalen als kommunistisch bezeichneten – Agrarempfehlungen von Raţiu, z. B. über die Waldnutzung, die Bauernbefreiung im Szeklerland und die Weideaufteilung, blieben unerledigt. Ende Oktober wurden die Sitzungen vertagt. Fortgesetzt wurden sie nie mehr, da sich die politische Lage 1865 radikal veränderte. Die insgesamt sechs sanktionierten Gesetze hatten keine Bedeutung, da nicht nur die Führer der ungarischen Politik gegen sie opponierten, sondern sie in Wirklichkeit – mangels eines Krönungseides – auch den Monarchen nicht verpflichteten. Wenn dieser Landtag überhaupt ein Verdienst gehabt haben sollte, so läßt sich ein solches lediglich in der Beschleunigung des Entwicklungsprozesses des sächsischen und noch eher des rumänischen Nationalbewußtseins sowie dessen politischer Schulung erkennen.

 

 

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