Voraussetzungen der kapitalistischen Umgestaltung

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Voraussetzungen der kapitalistischen Umgestaltung
Die Jahrzehnte nach der großen Schicksalswende des vergangenen Jahrhunderts, der Revolution von 1848, brachten die Auflösung der überkommenen feudalistischen Wirtschaftsstruktur, die Entwicklung der grundlegenden Klassen der neuen Gesellschaft sowie die Grundlegung des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit sich. Die neue Gesellschaftsformation bildete lange Zeit eine strukturierte Einheit verschiedener Produktionsweisen, in der sich immer mehr die kapitalistische Produktionsweise durchzusetzen begann. Nach 50 Jahren hatte sich ganz Ungarn organisch in das System der kapitalischen Weltwirtschaft eingefügt.
Siebenbürgen gehörte zu jenen Regionen der Monarchie, die in der denkbar ungünstigsten Lage waren. Eine marktorientierte Warenproduktion hatte sich in der Landwirtschaft vor 1848 nur hier und da herausgebildet; Allgemeinbildung, Industrie und Urbanisierung standen auf niedrigerer Stufe als in den westlicheren Gebieten. Die bis 1868 von Westen her gebaute Eisenbahnstrecke führte nur bis Großwardein, Temeschwar und Arad.
Die Sparkassen von Kronstadt und Hermannstadt galten als die Vorläufer der modernen Formen des Kreditwesens. Die Österreichische Nationalbank führte erst 1854 in Kronstadt die Wechseldiskontierung ein. 1857 eröffnete die Wiener Creditanstalt eine Filiale in Kronstadt, während 1865 in Klausenburg eine bescheidene Kreditbank ihren Betrieb aufnahm. Nach 1867, doch vor allem um die Jahrhundertwende, kam es dann im Finanzbereich zu einer dynamischen Entwicklung. In Siebenbürgen bestanden 1873 20, 1894 85 und 1909 223 Banken und Sparkassen, die Zahl der Kreditgenossenschaften lag damals bereits bei 497, die ihrer Mitglieder bei 110 000. Die Summe der für den Gutsbesitz flüssig gemachten Hypothekenanleihen überstieg 1910 die 100 Millionen Kronen, wobei auch die Summe der Kredite für die Munizipalbehörden, die Gemeinden und gemeinnützigen Objekte schneller als im Landesdurchschnitt wuchs.
In der Landwirtschaft bestand nach wie vor das Brachensystem, der Anteil der Bereiche der Intensivwirtschaft (Acker, Garten, Weinberg, Heuwiese) betrug 1869 nur 43,7 %, und damit kaum mehr als in Kroatien. Die Anzahl der Lohnarbeiter war wesentlich geringer als die der selbständig wirtschaftenden Bauern, und Dampfmaschinen wurden in der Landwirtschaft auch 1872 nur 38 genutzt, lediglich die Hälfte der Zahl in einem einzigen transdanubischen Komitat.
Von 1857 an bis 1869 verringerte sich in der Industrie – allem Anschein nach – der Rückstand Siebenbürgens gegenüber Ungarn. Schneller als im Landesdurchschnitt wuchs der Anteil (21,2 %,) der selbständigen Gewerbetreibenden und besonders der der Industriearbeiter und Angestellten an der Bevölkerung. Zur Zeit des Ausgleichs gehörten 3,9 % der Bevölkerung Siebenbürgens zu dieser Kategorie. Maschinenkraft wurde vor 1867 in der Eisen- und Metallerzeugung, in der Mühlenindustrie und der Spirituosenherstellung angewendet, dabei allerdings auch nur zu einem Zehntel des Umfangs verglichen mit Transdanubien. Das Arbeitskräfteangebot kam fast bis zum Ende der Periode mit den Ansprüchen der Industrie nicht in ein Gleichgewicht. 563Bei Facharbeitern wie angelernten Arbeitern war die Nachfrage im allgemeinen größer als das Angebot, während die Tagelöhner oft nur schwer Arbeit fanden. In der für die Einführung der modernen Arbeitskraft so wichtigen Schulbildung kam es relativ spät zu einer nennenswerten Entwicklung: 1869 noch konnten lediglich 21,7 % der Männer lesen und schreiben, während 56,7 % der Personen über sechs Jahre Analphabeten waren, 59 % der schulpflichtigen Kinder keine Schule besuchten, und dieser Anteil erst am Ende des Jahrhunderts auf 30 % gesenkt wurde.
Auf die Bauernbefreiung folgte die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe mit enormer Verspätung. Der Großgrundbesitz bewahrte auch als Träger der Modernisierung seine prinzipiell nicht profitorientierte Wirtschaftsform, während der Bauernhof durch seine in den Traditionen und dem hohen Analphabetismus des Dorfes begründete Rückständigkeit und infolge seiner geringfügigen Größe nicht den Standard eines modernen Betriebes erreichte. Wer als Bauer zu Geld kam, verwendete es nicht so sehr für Maschinen, sondern eher für den Ankauf von Boden. Die Mehrheit der Handwerker verdiente ihren Unterhalt auch unter neuen Verhältnissen mit der altherkömmlichen Befriedigung traditioneller Bedürfnisse.
Der Staat als wichtiger Motor der Industrialisierung gab in den fünf Jahren nach 1849 sehr bald seine eigenen Versuche zur Einführung neuer Techniken auf, ja er entledigte sich sogar einiger Kammerbetriebe. Erst der Staat der dualistischen Epoche übernahm (über die Industrieentwicklung hinaus) wieder mehr Aufgaben bei der technologischen Modernisierung, und seit den 80er Jahren engagierte sich auch ausländisches Kapital für die Einführung moderner Produktionsverfahren. Die Fabriken und Bergwerke blieben aber bis zum Ende des Jahrhunderts zusammen mit ihrer engeren Umgebung Inseln in einer Welt, die die traditionellen menschlichen Beziehungen, das alte Wertsystem bewahrte. Das durchaus gut ausgebildete sächsische städtische Handwerk schuf sich bereits seit den 50er Jahren moderne, mit Maschinen ausgestattete Kleinwerkstätten. Die Inbetriebnahme oder Entwicklung einer Hütte, eines Bergwerkes benötigten allerdings Techniker und Arbeiter aus fernen Provinzen der Monarchie, selbst wenn in einigen Fabriken jahrhundertealte einschlägige Traditionen vorhanden waren.
Nach dem Ausgleich kam auch die Wirtschaft Siebenbürgens in den Genuß jener Vorteile, die sich aus dem höheren Entwicklungsstand Ungarns in Ostmitteleuropa ergaben. Das Land importierte mehr Kapital, womit es das Banken- und Eisenbahnnetz ausbaute sowie einzelne Industriebranchen entwickelte bzw. schuf. Von Anfang an ist aber auch das heimische Kapital (einschließlich des bescheidenen siebenbürgischen) daran beteiligt, ja um die Jahrhundertwende und besonders nach 1910 trug die innere Akkumulation im engeren Siebenbürgen in größerem Ausmaß zur Wirtschafts- und insbesondere zur Industrieentwicklung bei.
Der Weg zur Beseitigung oder zumindest Verringerung des Rückstandes führte über eine umfassendere Marktintegration neuen Typs. Die Einrichtung eines modernen Verkehrssystems war die Voraussetzung für die Umgestaltung der Landwirtschaft und der Entwicklung der Fabrikindustrie.

 

 

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