Modernisierung von Bergbau und Industrie

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Modernisierung von Bergbau und Industrie
Die kapitalistische Industrieentwicklung Siebenbürgens wurde durch die Forderungen des 1850 gebildeten gemeinsamen Zollgebietes der Habsburgermonarchie, die verhältnismäßige Kapitalarmut Ungarns sowie den niedrigen Akkumulationsgrad des regionalen Kapitals determiniert. Der Aufschwung war eine Folge des Kapitalzuflusses sowie der staatlichen Investitionen, doch wurden die Grundlagen im allgemeinen durch ältere oder neue örtliche Unternehmen geschaffen. Die Basis der Industrie dieses Landesteils war der Bergbau, die Förderung von Rohstoffen.
575Lange Zeit hindurch stellte Siebenbürgen etwa die Hälfte der Salzproduktion des Reiches, und diese bildete eine wichtige Einnahmequelle der staatlichen Finanzverwaltung. Nach 1867 wurde als erstes das Bergwerk von Maroschujvar modernisiert, in dem man am Ende des Jahrhunderts auch zur chemischen Verarbeitung des Abfallsalzes überging.
Der Goldbergbau hatte seinen einstigen Glanz verloren, obwohl Siebenbürgen auch nach 1850 zwei Drittel des Goldes der Monarchie produzierte. In diesem reichsten Goldgebiet Europas besaßen die Kammer, die Aristokraten, die Bürger und Bauern gleicherweise Bergwerke oder. Grubenanteile. Die bedeutendste „Grubengewerkschaft” der Grundherren war„ 12 Apostel” in Ruda, die im Jahre 1864 mit 400 Bergleuten 46,3 kg Gold förderte. Die Kammergruben erbrachten ein Drittel der Goldförderung. Das Orlaer Bergwerk beschäftigte in den 80er Jahren 400 und das von Groß-Astdorf 880 Bergleute. Zu jener Zeit wuchs auch das Interesse des ausländischen Kapitals an den Bodenschätzen Siebenbürgens, wodurch die Modernisierung der mehrheitlich stagnierenden privaten Bergwerke einsetzte. Von der Deutschen Bank bis zur Crédit Lyonnais schalteten sich deutsche, englische, belgische und französische Banken über verschiedene Unternehmen in die Produktion ein. Die Gothaer Harcort’sche Bergwerke AG errichtete 1889 bei der von ihr übernommenen Rudaer Grube „12 Apostel” die größte Golderz-Aufbereitungsanlage des Kontinents, wodurch diese Firma bereits nahezu die Hälfte der Goldproduktion Ungarns lieferte. Zwar kam es in Siebenbürgen nicht zu einem Goldrausch wie in Kalifornien, wohl aber zu einem Aufleben des gesamten Goldbergbaus, da auch die Kammer im benachbarten Neustadt-Gebiet an diesem Prozeß beteiligt war. Englisches und deutsches technisches Personal stellte die Erschließung auf die Grundlage fachgerechter Forschungsarbeit. Die Edelmetallhütte bei der zentralen Berghauptmannschaft von Kleinschlatten übernahm auch die Schmelze der hier eingelösten Rohproduktion der privaten Zwerggruben, woraus dann in Kremnitz (Oberungarn) Geld geprägt wurde.
Neben der Gold- und einer gewissen Silberförderung blieb der Kupferbergbau unbedeutend, obwohl sich ab 1858 mehrere Aktiengesellschaften darin versuchten. Dabei spielte der Verfall der europäischen Metallpreise ebenso eine Rolle wie bei der Bleiproduktion. Um die Jahrhundertwende setzte die breitere Nutzung weiterer Komponenten der Buntmetallerze in der chemischen Industrie ein.
Der Kohlebergbau kam schwer in Gang, durchlief dann aber eine umso spektakulärere Entwicklung. Die vom Westen her ausgebauten Eisenbahnlinien brachten auch die böhmische Kohle ins Land, und zudem steigerte in der Nachbarschaft die mit französischem Kapital arbeitende Firma STEG (Österreichische Staatseisenbahn-Gesellschaft) im Banat die Steinkohleförderung (und die Eisenverhüttung) bereits 1860 auf jährlich 100 000 Tonnen Kohle. Mit der Erschließung der umfangreichen und qualitativ guten Braunkohlevorkommen im Schil-Tal wurde nach 1857 im Rahmen einer gleichzeitigen Tätigkeit des Kronstädter Bergbau- und Hütten-Aktien-Vereins und der staatlichen Finanzverwaltung begonnen. In den 80er Jahren erreichte die Förderung im Schil-Tal 200 000 Jahrestonnen. Bis zur Jahrhundertwende beherrschten die Salgótarjáner Steinkohlen-Bergbau-AG und die Urikány-Zsilthaler Kohlenbergwerks-AG bereits das gesamte Becken, wobei letztere mit ungarisch-französischem Kapital arbeitete. Diese 576beiden Gesellschaften förderten auf technisch hohem Niveau, so daß die Produktion im Jahre 1913 bereits 2,5 Millionen Tonnen erreichte. Von weither trafen angelernte Arbeiter ein, Tschechen, Polen und Deutsche, es entstanden bedeutende Bergmannskolonien mit den üblichen Dienstleistungseinrichtungen: Petroscheni und Schylwolfsbach wuchsen von kleinen Dörfern zu Städten heran, arbeiteten doch 1913 allein in den dortigen Gruben 14 000 Menschen.
Außer im Schil-Tal gab es auch in Egeresfalva Kohlebergbau, der zunächst mit siebenbürgischem und dann mit belgisch-ungarischem Kapital betrieben wurde. In Neustadt-Burzenland arbeiteten sächsische Unternehmer und im Szeklerland in Köpecbánya ab 1872 eine von Aristokraten gegründete AG.
Das Eisenhüttenwesen bestand früher aus verstreuten kleinen, mit nahezu mittelalterlicher Technik arbeitenden Hütten, es gab zu viele Betriebspausen, allein die Kammerbetriebe lieferten eine ausgeglichenere Produktion. Die Modernisierung setzte wiederum in der unmittelbaren Nähe Siebenbürgens ein, in den Betrieben in Reschitza und Altwerk der bereits erwähnten Banater Firma STEG, womit dieses Gebiet ab 1862 für längere Zeit zum entwickeltesten Hüttenzentrum Ungarns aufstieg. In Siebenbürgen kaufte der Kronstädter Bergbau- und Hütten-Aktienverein der Reihe nach (ab 1856) die alten Hütten auf, modernisierte sie und produzierte 1867 bereits ebensoviel Roheisen wie die Kammerbetriebe. 1872 ließ sie unter Leitung belgischer Ingenieure in Kalán zwei ganz moderne Hochöfen errichten. Die sich vielversprechend entwickelnde Firma geriet am Jahrhundertende in eine Finanzkrise, wurde aufgelöst und entstand 1898 mit österreichisch-deutschem und ungarischem Kapital unter dem Namen Kaláner Bergbau- und Hütten-AG neu.
Die Kammer besaß 1867 in Siebenbürgen fünf Hochöfen alten Typs in sehr erneuerungsbedürftigem Zustand. Aus Sparsamkeitsgründen stimmte das Parlament gegen ihre kostenaufwendige Modernisierung, so daß die Kammer erst später größere Investitionen durchführte. In Eisenmarkt entstanden ab 1884 mehrere neue Hütten, wobei hier 1895 der größte Hochofen Ungarns (mit einer Jahreskapazität von 400 000 dt Eisen) errichtet wurde. Auch das staatliche Eisenwerk von Kudschir wurde in den 80er Jahren modernisiert und mit Walzwerkanlagen ergänzt. Um die Jahrhundertwende produzierten die Kaláner AG und die Kammer fast die gesamte Eisenmenge Siebenbürgens. Während die bäuerlichen Hammerwerke – wie in Eisenhütte – langsam eingingen, konnte sich der mittelgroße Privatbetrieb in Karlshütte halten, der von der Dreschmaschine über den Spaten bis zur Hacke alles herstellte.
Nur in Ausnahmefällen gelang den Handwerksbetrieben für Maschinen- und Werkzeugbau der Sprung zum kapitalistischen Betrieb. Sogar der Ingenieur Péter Rajka, der schon in den 50er Jahren mustergültige landwirtschaftliche Werkzeuge und Maschinen baute, verkaufte seinen Klausenburger Kleinbetrieb an einen Händler. Obwohl in diesem Betrieb 1874 die erste siebenbürgische Dampfmaschine gebaut wurde, konnte von seiner Umgestaltung zum Großbetrieb keine Rede sein. Von den Mittelbetrieben zur Jahrhundertwende ist die vielseitige Rieger-Maschinenfabrik in Hermannstadt hervorzuheben und ferner die stark erweiterten Betriebe der Ungarischen Staatsbahnen in Klausenburg und Fischdorf. Der Maschinenbau entwickelte sich besser in der Nachbarschaft Siebenbürgens: Die Firma STEG baute in Reschitza einen sehr seriösen Maschinenbau auf und 577produzierte 1872 – erstmals in Ungarn – eine Lokomotive. In Arad wurde seit dem Jahrhundertende die Maschinen- und Waggonfabrik Weitzer erweitert, in deren Nachbarschaft 1909 die Automobilproduktion begann und im Weltkrieg auch Benz-Flugzeugmotoren gebaut wurden.
Die Entwicklung der chemischen Industrie setzte in Ungarn recht spät ein. Im Banat und in Siebenbürgen wurde Ende der 50er Jahre mit der Raffinerie des aus Rumänien (seit dem Ende des Jahrhunderts aus Rußland und Galizien) importierten Erdöls begonnen. Schwefelsäure wurde in Kronstadt und in Kleinschlatten produziert; 1894 wurden in Maroschujvar und später auch in Thorenburg Sodafabriken gebaut, die den Gesamtbedarf des Landes deckten. Erdgas wurde 1909 in der Siebenbürgischen Heide entdeckt, und da sich keine englischen und amerikanischen Kapitalgeber fanden, wurde 1915 mit deutschem Kapital die Ungarische Erdgas-AG gegründet. Damals bestanden bereits Ferngasleitungen, und während des Krieges wurde in St. Martin unter Nutzung des Erdgases ein Chemiebetrieb errichtet. Die Zahl der Gasquellen belief sich 1918 auf 38.
In den sächsischen Städten entwickelte sich die Textilindustrie organisch aus den alten Kleinbetrieben heraus. Der rumänische sowie der lokale Markt und später die staatliche Unterstützung ermöglichten es einzelnen Tuchherstellern von Kronstadt und Hermannstadt (Scherg, Leonhardt), namhafte Unternehmen aufzubauen. Daneben entstand auch eine bescheidene Baumwollindustrie.
Die Lebensmittelindustrie erfüllte für die Kapitalakkumulation eine hervorragende, wenn auch nicht so bedeutende Funktion wie im engeren Ungarn. Eine Reihe großer Spirituosenfabriken umfaßten Siebenbürgen von Lugosch bis Großwardein, doch auch im Inneren Siebenbürgens entstanden nach 1849 handelsorientierte Brennereien. Elek Sigmond gründete 1851 in Klausenburg eine Fabrik, und für Jeremiás Baruchs Fabrik in Neumarkt ist bezeichnend, daß 1874 hier die erste Dampfmaschine siebenbürgischer Produktion in Betrieb genommen wurde. Von der Spirituosenindustrie gingen die Unternehmer schließlich zur Mühlenindustrie oder zu anderen Branchen über. 1878 existierten 125 industrielle Brennereien, wobei die größeren von ihnen vor allem aus Rumänien importierten Mais verarbeiteten. Die zwei führenden Fabriken am Ende des Jahrhunderts waren im Besitz der sächsischen Familie Czell und der ungarischen Familie Sigmond. Die übrigen Betriebe dieser Art erreichten bei weitem nicht die Größe der Fabriken im Banat. Die Brennereien beschäftigten sich auch mit Rindermast und verkauften ihr Vieh in das Landesinnere oder nach Wien. Um die Jahrhundertwende begann der Aufschwung der Bierbrauerei. Neben den Kleinbetrieben entwickelten sich die Brauereien von Thorenburg und Neumarkt zu Großbrauereien mit einem Jahresausstoß von 120 000 hl.
Moderne Großmühlen wurden in erster Linie in Pest und am Rande der Großen Ungarischen Tiefebene mit Hilfe des akkumulierten Handelskapitals errichtet. Während 1872 in den Städten von Bihar, Arad und Sathmar 30 Dampfmühlen arbeiteten, gab es in Siebenbürgen laut Statistiken nur vier. Der Spirituosenfabrikant Elek Sigmond gründete 1853 in Klausenburg eine Dampfmühle, Jeremiás Baruch 1855 in Neumarkt eine große Mühle, die später auch Strom für die erste öffentliche Beleuchtung der Stadt lieferte. Die Anzahl der Wassermühlen wächst auch weiterhin: zwischen 1850 und 1890 um 1525, und auch 1895 sind nur 88 der insgesamt 5236 Mühlen Dampfmühlen. 578Um die Jahrhundertwende beginnt dann eine dynamische Modernisierung, zwischen 1881 und 1906 entstehen 109 Dampfmühlen. Im letztgenannten Jahr lag die Mühlenindustrie Siebenbürgens bei der Nutzung der Verbrennungsmotoren bereits an der Spitze. Dennoch blieben natürlich die ganz kleinen, aus Holz gebauten Wassermühlen auch weiterhin bestehen; allein im Komitat Hunyad arbeiteten 1031 dieser Sorte.
Die alte Zuckerproduktion ging nach 1849 auch in Siebenbürgen zurück. Durch staatliche Initiativen um die Jahrhundertwende wurde 1889 die große Kronstadt-Brenndorfer Fabrik der Ungarischen Zuckerindustrie AG geschaffen, die 1912 mit 1218 Arbeitern 145 000 dt Zucker produzierte. Aristokraten gründeten 1893 in Neumarkt eine Zuckerfabrik mit staatlichen Krediten und bei den Produzenten hinterlegten Aktien, die diese mit Zuckerrüben tilgten. 1912 stellte man hier mit 405 Arbeitern 47 000 dt Zucker her, der auch nach England, Italien und Ägypten exportiert wurde. Die übrigen Lebensmittel-Industriezweige – abgesehen von den beiden staatlichen Tabakfabriken – waren eher in den sächsischen Städten zu finden. Salamifabriken arbeiteten in Hermannstadt, Kronstadt, Bissritz, Mediasch und in Agnetheln; in Desch und Schloßberg gab es Konservenfabriken. Der größte Betrieb zur Herstellung von Milchprodukten wurde 1902 in Hermannstadt errichtet.
Zum Schluß sei die holzverarbeitende Industrie erwähnt, die sich trotz einer hohen Holzgewinnung eigentlich niemals stark entwickelte. Das auf dem Mieresch geflößte Holz wurde überwiegend in Szegedin verarbeitet, es wurde aber auch nach Rumänien exportiert. Der erste große Kunde war die Eisenbahn, und dann verbrauchten vor dem Weltkrieg allein die Gruben von Petroscheni jährlich 100 000 qm Grubenholz. Sägewerke bestanden bei allen größeren Forstwirtschaften, doch gab es nur wenige Holzwaren- bzw. Möbelfabriken. Demgegenüber zogen sich bei den bäuerlichen Sägemühlen ganze Reihen von Holzfabrikationsdörfern am Fuß der Gebirge hin, die auch Bretter, Latten und Schindeln für den städtischen Markt lieferten. In Zetelak im Hargitagebirge wurden die besten von Hand gehauenen Balken angefertigt. In Bedecs stellte man sozusagen in Vorfabrikationstechnik Holzhäuser her, die dann wieder zerlegt und schließlich am Bestimmungsort, d. h. im Dorf des Auftraggebers, erneut montiert wurden. Hatte irgendwo ein Großfeuer stattgefunden, wurden Anfang des Jahrhunderts auf der Wiese bei Bedecs mehrere Dutzend Häuser mit Nebengebäuden auf einmal gebaut, die auf ihren Abtransport warteten …
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Nahezu für die gesamte Industrie Siebenbürgens ist ein Dualismus charakteristisch: Am Ende des Jahrhunderts erobert die neue kapitalistische Fabrikindustrie das Land, häufig sogar unter Einführung auch der modernsten Technik, daneben bleibt aber vom Goldbergbau über die Holzindustrie bis zur Köhlerei das System der traditionellen Kleinwerkstätten bestehen, die mit archaischer Technik arbeiten und nur im Gesamtrahmen der kapitalistischen Wirtschaft als Unternehmen bezeichnet werden können, sowie das weitgefächerte Netz des dörflichen Gewerbes, das ebenfalls einen echten Bedarf erfüllt.

 

 

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