Vereine und ihre Ziele

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Vereine und ihre Ziele
Die stark eingeschränkte gesellschaftliche Eigenaktivität unter dem Absolutismus entfaltete sich in den von der Reformzeit geebneten Bahnen. Alle drei Nationen schufen sich eigene wissenschaftlich-kulturelle „Gesellschaften”, die über die Pflege und Organisation der Wissenschaften hinaus auch eine national-politische Funktion erfüllten.
Der sächsische Verein für Siebenbürgische Landeskunde entstand schon 1840, nach 1860 spaltete sich von ihm der Siebenbürgische Verein für Naturwissenschaften ab. Beide Vereine wie auch die Bruckenthal-Bibliothek und die Gymnasien entwickelten eine breit gefächerte wissenschaftliche Tätigkeit, die von der Ethnographie über die Geschichte bis hin zur Tier- und Pflanzenwelt sowie zu den Bodenschätzen der Karpaten so ziemlich alles umfaßte. Die zukünftigen Gelehrten studierten ausnahmslos an deutschen Universitäten, an denen sie auch ihre methodologische Ausbildung erhielten. Sie leisteten auf allen Gebieten eine ausgesprochene Pionierarbeit. (Gerade infolge dieser enger gewordenen Beziehungen zu Deutschland sind – von einzelnen persönlichen Bekanntschaften abgesehen – die Verbindungen der sächsischen Wissenschaft zur ungarischen nur sehr lose geblieben.) Aus der Fülle der in dieser Epoche entstandenen wissenschaftlichen Werke sollen hier nur einige wenige herausgegriffen werden: So die seit 1852 in Heften erscheinende Geschichte der Siebenbürger Sachsen von Georg Daniel Teutsch, die erste ganz auf Quellen aufgebaute zusammenfassende Sachsengeschichte, sowie das um die Jahrhundertwende begonnene Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, eine bis heute grundlegende Quellenausgabe; ferner das Wirken von Franz Zimmermann, der das sächsische Archivwesen auf eine beispielhaft moderne wissenschaftliche Basis stellte. Darüber hinaus entstanden noch zahlreiche andere Vereine mit kultureller Zielsetzung; einer der bekanntesten, der 1881 gegründete Karpaten-Verein, erwarb sich bei der Entwicklung des Tourismus und durch das Aufgreifen von Naturschutzproblemen bleibende Verdienste.
Bis in die Gegenwart hinein wirkte ein Spezifikum des sächsischen Kulturlebens, daß nämlich die gesamte sächsische Lehrerschaft – die in unserer Periode mit dem Ende der hegemonialen Stellung der Juristen auch immer mehr an politischem Gewicht gewann – wissenschaftliche Forschung betrieb und das geschriebene Wort bereits damals ein hohes Ansehen in der gesamten sächsischen Gesellschaft besaß.
Durch Wiederaufleben einer alten Idee und beeinflußt vom sächsischen Vorbild entstand als nationale Einrichtung der Magyaren der Erdélyi Múzeum Egyesület, der Siebenbürgische Museumsverein. Zu diesem Zwecke stiftete 581Graf Imre Mikó in Klausenburg einen 5 ha großen Garten samt Villa, erarbeitete das Statut und erwirkte in Wien die Gründungsgenehmigung. Bereits 1857 fand die erste Vollversammlung statt, obwohl die Genehmigung erst 1859 erteilt wurde. Erster Vorsitzender war Graf Mikó, nach dessen Urteil „unser Verein eine praktische Schule der Selbstverwaltung sein kann”. Der Verein war eine rein ungarischsprachige wissenschaftliche Gesellschaft, sein Bestand setzte sich aus den auch Antiquitäten umfassenden Sammlungen von Aristokraten, Intellektuellen und Bürgern zusammen. Finanziert wurde er durch Schenkungen, die größte Summe von 10 000 Forint spendete übrigens der altkonservative Baron Samu Jósika. Die Aktivitäten dieses Vereins mit Akademie-Charakter erstreckten sich auf die Geschichts- und Naturwissenschaften, er entwickelte sich zur größten wissenschaftlichen Gesellschaft Siebenbürgens. Seine riesige Antikensammlung, die mehreren tausend Urkunden und Manuskripte, die später durch die wertvolle 48er Kollektion ergänzt wurden, und sein naturwissenschaftliches Kabinett bildeten von Anfang an eine ausgezeichnete Forschungsbasis. Die vom Polyhistor Sámuel Brassai unter dem Titel Erdélyi Múzeum herausgegebenen Jahrbücher erfreuten sich weiter Verbreitung.
Kulturelle Gründung und Organisation galten noch in dieser Periode als politische Tat. Unter den freieren Verhältnissen des öffentlichen Lebens in den 60er Jahren und zumal nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 und der Union mit Ungarn verlor der Museumsverein viel von seinem politischen Symbolcharakter, während seine wissenschaftliche Bedeutung erhaltenblieb. Eine Zäsur bildet 1872 die Gründung der Klausenburger Universität: Die Sammlungen des Vereins werden der Universität vertraglich zur Nutzung überlassen, und die Betreuer der Sammlungen sind von nun an die Professoren der jeweiligen Fachgebiete. Damit werden die Tätigkeiten von Verein und Universität eng miteinander gekoppelt, ohne daß ersterer seine Selbständigkeit aufgegeben hätte. Zu einer Arbeitsverlagerung kommt es in unserem Jahrhundert, als Jahresversammlungen und populärwissenschaftliche Vorträge in Mode kommen.
Der bekannteste ungarische Kulturverein war übrigens der 1885 gegründete und lange Zeit lautstark politisierende EMKE, dessen Tätigkeit später im politikgeschichtlichen Kapitel dargestellt wird.
Unter den Rumänen war der Gedanke einer Akademie oder einer Sprachpflegegesellschaft bereits 1852 aufgetaucht, bis dann unter dem Einfluß des ungarischen Museumsvereins 1861 in Hermannstadt die Asociaţiunea transilvană pentru literatura română şi cultura poporului român (Siebenbürgische Gesellschaft für rumänische Literatur und Kultur des rumänischen Volkes), ASTRA, gegründet wurde. Die stark historisch und linguistisch-literarisch ausgerichtete, aber auch mit Naturwissenschaften befaßte Gesellschaft schob die alten konfessionellen Unterschiede beiseite und vereinigte alle Intellektuellen, die bisher meist in einem Konkurrenzverhältnis zueinander gestanden hatten. Erster Vorsitzender der ASTRA wurde zwar der orthodoxe Bischof Baron Şaguna, Sekretär jedoch der konfessionell unvoreingenommene Bariţ. Die ASTRA erhielt in den Jahren nach 1861 grenzüberschreitende Bedeutung, da sie mangels einer vergleichbaren Institution in Rumänien eine Zeitlang die Funktion einer rumänischen Akademie erfüllte.
Materiell gesehen war die ASTRA schlechter gestellt als der Museumsverein 582oder der sächsische Verein, wenn sie auch von der rumänischen Intelligenz unterstützt wurde. Typischerweise gaben nicht nur Geistliche und Bürger für ihre Gründung Geld, sondern es mußte auch die Opferbereitschaft der Bauern in Anspruch genommen werden; so verpflichteten sich Dorfgemeinschaften, 5 Jahre lang eine bestimmte Menge Mais zur Unterstützung der ASTRA zu spenden. Ihre Bedeutung blieb auch nach dem Ausgleich bestehen, als der politische Kampf der Siebenbürger Rumänen um ihre nationale Emanzipation fortgesetzt wurde und die ASTRA darin – trotz ihres zeitweisen Verfalls – eine unverändert wichtige Rolle spielte. Ab 1895 erweiterte die Gesellschaft ihr Tätigkeitsgebiet auf die nichtsiebenbürgischen Teile Ungarns. Die um die Jahrhundertwende reorganisierte Gesellschaft gibt die erste rumänische Enzyklopädie heraus, deren 38 000 Wortartikel zur Hälfte von Verfassern aus Rumänien stammten. 1905 wird das Hermannstädter ASTRA-Museum errichtet, das auch Zentrale, Bibliothek und Theater beherbergt. Von hier aus werden Vorträge für die bäuerliche Bevölkerung organisiert und für diese über 100 kleine Volksbüchereien eingerichtet. Die Vollversammlungen vor dem ersten Weltkrieg entwickeln sich zu wahren Massendemonstrationen. Während für den ungarischen Museumsverein vor allem seine wissenschaftliche Tätigkeit bezeichnend war, liegt die Bedeutung dieser rumänischen Kulturgesellschaft in erster Linie in ihrer Volksbildungsarbeit. In den letzten Jahrzehnten unserer Periode ersetzte die ASTRA den Mangel eines rumänischen Kulturministeriums.
Zwischen diesen drei Vereinen entwickelten sich keine engeren Beziehungen, obwohl anfänglich jeder aus Höflichkeit Ehrenmitglieder auch aus den anderen beiden Nationen aufnahm und es bei der wissenschaftlichen Arbeit zu gelegentlichen Kontakten unter den Fachleuten kam. Die Zeitgenossen waren damals aber mehr vom Ausbau der eigenen nationalen Institutionen, vom nationalen Integrationsprozeß oder „nationalen Kampf” in Anspruch genommen, als daß sie großen Wert auf wechselseitige Beziehungen gelegt hätten.
In der zweiten Jahrhunderthälfte führte bei Magyaren und Rumänen die weitgehende kulturelle Verschmelzung mit der „Mutternation” zeitweise zu einem wahren Exodus der Intellektuellen nach Pest und Bukarest. Das sich zur Weltstadt entwickelnde Budapest zog die Künstler und Gelehrten wie ein Magnet an. Die rumänischen Intellektuellen hingegen gingen bereits seit Jahrzehnten gerne nach Bukarest, nicht nur aus Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen in Ungarn oder auf der Flucht vor der Staatsmacht, wenn sie mit dieser in Konflikt geraten waren, sondern auch, wenn sie hier bereits Karriere gemacht hatten. Der Banater Victor Babeş, seit 1879 ein geschätzter Professor an der Budapester Universität, der mit Pasteur, Koch und Virchow in Verbindung stand und das erste ungarische bakteriologische Lehrbuch verfaßte, folgt 1886 dem Ruf der rumänischen Regierung nach Bukarest. Sein Bruder, ein Chemiker, geht ebenso nach Rumänien wie der namhafte Augenarzt George Crăiniceanu, der auch Fachmonographien in ungarischer und deutscher Sprache geschrieben hat. Ihr Beispiel belegt, daß die wirklich schöpferischen Intellektuellen in der Periode der Nationalgesellschaften eine vollwertige Fachkarriere nur innerhalb der eigenen Nation machen konnten. Gegenbeispiele, wie der Dichter und Publizist Grozescu, der aus Rumänien nach Pest zurückkehrte, sind eher die Regel bestätigende Ausnahmen.

 

 

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