Etablierung der Sachsen im Ausgleichssystem

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Etablierung der Sachsen im Ausgleichssystem
Die 200 000 sächsischen Bewohner Siebenbürgens, deren Führungsschicht aus Intelligenz und Beamtenschaft vom Dualismus die Aufhebung ihrer privilegierten Stellung befürchtete, haben sich – obzwar nicht konfliktlos – leichter als die Rumänen in das neue System eingegliedert. Dies erreichte die Regierung mit Hilfe der sog. Neusachsen (der nach Eingliederung strebenden Bürger und Intellektuellen) und mit Hilfe administrativer Maßnahmen. Noch im Februar 1867 wurde mit Moritz Conrad ein neuer Sachsenkomes ernannt und die Einberufung einer Sitzung der mehrheitlich aus Antiunionisten 607bestehenden Nationsuniversität verhindert. Das die Union bestätigende Gesetz von 1868 wahrte noch die sächsischen Selbstverwaltungsrechte, doch bereits im Jahr darauf wurde mit der Eingliederung des Königsbodens in den modernen Staat begonnen.
1869 trat die Nationsuniversität aufgrund des auf dem Verordnungswege erlassenen neuen Wahlrechts in der Form wieder zusammen, daß es den 18 Neusachsen gemeinsam mit den vier Rumänen und einem Ungarn gelang, die 21 Altsachsen zu majorisieren; sie erarbeiteten einen Vorschlag zur Angleichung des Sachsenlandes an das Komitatssystem, der für die Regierung akzeptabel war. 1872 haben sich dann die zwei sächsischen Strömungen formell vereinigt. In dem am 11. Mai auf der Mediascher Sitzung veröffentlichten Sächsischen Nationalprogramm bekannten sie sich zum Dualismus, zur „ungarischen Staatseinheit”, wenn diese nicht die Zentralisation stärkt; zum „ungarischen Staatsprinzip”, wenn es die Möglichkeiten für den Gebrauch der Nationalitätensprache erweitert; zum moderneren Volksvertretungssystem, wenn dies nicht zu einem Übergewicht der „unreifen Massen” führt. Der Preis für diese mit vielen Bedingungen verschleierte Geste des Sich-Beugens wäre das Weiterbestehen des Königsbodens in Form eines ganz selbständigen Komitats gewesen.
Die alten sächsischen Einrichtungen wurden von oben durch die Zentralisationsbestrebungen des modernen Staates und von unten durch die Gleichberechtigungsforderung der rumänischen Massen im Sachsenland, durch ihr Verlangen nach Aufnahme in die Institutionen des öffentliches Lebens auf unterer und mittlerer Ebene in Frage gestellt. Stärker war das Interesse an einem guten – in Wirklichkeit gerade nur annehmbaren – Verhältnis zur Regierung, deswegen saßen die sächsischen Abgeordneten in der regierenden Deák-Partei, obwohl Andrássy 1870 dem höchst einflußreichen Bischof Teutsch eindeutig erklärt hatte, die sächsischen Privilegien irritierten seine Ministerkollegen.
Nach wiederholten Konsultationen über eine Umgestaltung setzte die Tisza-Regierung – da auch die Rumänen um Aufteilung des Königsbodens ersuchten, weil ihre Rechte dort nicht zur Geltung kommen könnten – mit Unterstützung der Neusachsen das Gesetz Nr. XII/1876 durch, mit dem der Königsboden zum dritten Mal und jetzt bereits endgültig zerstückelt wurde. Die politische und administrative Kompetenz der Nationsuniversität wurde aufgehoben und ihr enormes Vermögen in eine Stiftung überführt. Der Verlust der nahezu siebenhundertjährigen Autonomie berührte das sächsische Bürgertum schmerzlich, führte jedoch bei weitem nicht dazu, was die Altsachsen befürchteten: „zum Streichen der sächsischen Nation aus der Reihe der Lebenden”.* Im Sachsengebiet blieb die Verwaltung überwiegend deutsch und die Nationsuniversität ein reiches und machtvolles Gremium. In Vermögensfragen war der dualistische Staat konsequent liberal, er schrieb lediglich vor, daß aus dem Vermögen – entsprechend der Idee der Rechtsgleichheit – Mittel nicht nur für die kulturellen Ziele der Sachsen, sondern auch der anderen dort lebenden Staatsbürger, also vor allem Rumänen, aufgebracht werden müssen. Die Verfassung der sächsischen evangelischen Kirche stand auf fester Grundlage als eine der Bastionen der 608national-kulturellen Autonomie. Der Verlust beschränkte sich in Wirklichkeit auf die Privilegien, die starken sächsischen Positionen blieben die ganze Periode hindurch erhalten.
Zitiert von F. TEUTSCH, Die Siebenbürger Sachsen in den letzten fünfzig Jahren. 1868–1919. Hermannstadt 1926, 77.
Zu Obergespanen in den neuen Komitaten wurden Neusachsen oder ungarische Aristokraten ernannt. Letztere, wie Graf Gábor Bethlen in Groß- und Klein-Küküllő oder Baron Dezső Bánffy in Bistritz, betrieben eine harte Magyarisierungspolitik, anders als im Komitat Brassó, das stets moderner und damit auch eine Bastion der neusächsischen Strömung war. Hier war die Übereinstimmung mit der Regierung größer. Insgesamt war die ganze Tisza-Periode dennoch von den Konflikten zwischen den Sachsen und der Regierung geprägt. Gegen das Schulgesetz aus dem Jahre 1879, das den obligatorischen ungarischen Sprachunterricht in allen Volksschulen vorschrieb, protestierten die sächsischen Abgeordneten und auch die Kirche; später erreichten sie zumindest eine Verringerung der Stundenzahl. Anfang der 80er Jahre fochten sie gegen den Entwurf des Mittelschulgesetzes, der außer dem ungarischen Sprachunterricht noch vorschrieb, daß die Lehreranwärter das Staatsexamen mit der Zeit auf ungarisch ablegen müßten. Nachträglich stellte sich heraus, daß die übergroße Furcht vor dem Gesetz von 1883 unbegründet war. Das sächsische Gymnasialsystem wandelte sich vom Human- in Richtung Realgymnasium und wurde vereinheitlicht. Für die Lehreranwärter war es kein Nachteil, daß sie in der Regel ein Jahr lang auch eine ungarische Universität besuchten; die staatliche Kontrolle der Mittelschulen blieb im Rahmen der Fachaufsicht.
Das sächsische Bürgertum erhielt in seinem Kampf um die Verteidigung seiner Positionen erhebliche moralische Unterstützung von der Intelligenz Deutschlands und der dortigen Publizistik, welche die autonomiefeindlichen oder Magyarisierungsmaßnahmen der ungarischen Regierung heftig verurteilten. An der Ausbildung des Nachwuchses für Intelligenz und Klerus hatten die Universitäten in Deutschland bereits einen entscheidenden Anteil, und der preußisch-französische Krieg stärkte das Nationalbewußtsein der Sachsen und damit auch den Gedanken ihrer Zugehörigkeit zur großdeutschen Nation. Der direkte politische Nutzen daraus war vorläufig sehr bescheiden. Kanzler Bismarck bezog entschieden Stellung gegen jede deutsche Nationalitätenbestrebung innerhalb Ungarns: „Wir haben auf die Stärkung und Einheit des ungarischen Reiches ein solch großes politisches Gewicht gelegt, daß demgegenüber unsere gefühlsmäßigen Bedürfnisse in den Hintergrund gedrängt werden müssen.”* Unterstützung erhielten die Sachsen daher eher von den verschiedenen Vereinen in Deutschland.
Bismarcks Anweisung vom 2. März 1883 an den Budapester deutschen Konsul. PA AA Bonn. Österreich 104. Bd. 8, 3866.
In den Reihen des sächsischen Bürgertums vollzog sich allmählich eine bedeutende Umschichtung. Die alte Schicht der Zunftmeister verlor an Gewicht, andererseits ging aus ihr eine ganze Schar von Besitzern starker Mittelbetriebe hervor. Die sich vermögensmäßig stark differenzierende Schicht der Kaufleute wuchs bedeutend an. Die traditionelle Beamtenschicht verarmte teilweise, ihre Bedeutung verringerte sich stark, dagegen erhöhte sich das Gewicht der aufstrebenden modernen Bürger, Anwälte, Lehrer und Ärzte, wodurch auch die Verteidigung der veralteten Ständeautonomie hinter die wirtschaftliche und kulturelle Aufbauarbeit zurückgedrängt wurde. Diese 609Veränderung schuf – als Folge der kapitalistischen Entwicklung – die Atmosphäre dafür, daß die 1876 gegründete Sächsische Volkspartei, die natürlich einen oppositionellen Standpunkt einnahm und deren Abgeordneten in den 80er Jahren stets gegen die Regierungspartei auftraten, auch selbst den Kompromiß suchte. Als Kálmán Tisza, das Symbol der Konfrontation, stürzte, wurde 1890 eine Vereinbarung getroffen. Die sog. sächsischen Komitate erhielten neue Obergespane: An die Spitze des Komitats Hermannstadt gelangte der frühere Advokat Gustav Thalmann, die sächsische Intelligenz konnte sich in den Behörden sogar ohne Aufgabe ihrer Nationalität verwirklichen. In den Komitaten wurde eine größere Zahl sächsischer oder mit ihnen in gutem Verhältnis stehender Beamten eingesetzt. Die sächsische Klein- und Mittelindustrie erhielt einen erheblichen Anteil der staatlichen Industriefördermittel. Es ist charakteristisch, daß sie gerade mit jenem Ministerpräsidenten Graf Szapáry den Kompromiß schließen konnten, den die sächsischen Führer vorher als Innenminister wegen der Beseitigung der sächsischen Selbstverwaltung vor Gericht hatten stellen wollen …
Der am 17. Juni 1890 in Hermannstadt abgehaltene „Sachsentag”, an dem 700 Sachsen teilnahmen, billigte die Modifizierung des politischen Programmer; er akzeptierte den Dualismus, den Gedanken des „einheitlichen ungarischen Nationalstaates”, als Minimum das Nationalitätengesetz aus dem Jahre 1868 und erhob Anspruch darauf, daß die sächsische Intelligenz effektiv an der Verwirklichung der Staatsaufgaben mitwirken könne. Großen Nachdruck bekam ihre Forderung auf Wirtschaftsmaßnahmen: Entwicklung der bäuerlichen Wirtschaft und des Gewerbes, u. a. der Fabrikindustrie. Aufgrund dieses neuen Programms traten die sächsischen Abgeordneten als Gruppe wieder der Regierungspartei bei. Wenn damit auch nicht jeder Konflikt mit der Regierung beseitigt war, bildeten die sächsischen Landesväter doch die gesamte Periode hindurch eine Stütze der Regierung, und die offizielle Nationalitätenpolitik blieb ihnen gegenüber gemäßigt und nachsichtig.
Die in den 90er Jahren ins Leben gerufene oppositionelle sog. „grünsächsische” Bewegung erhob einen Führungsanspruch über alle Deutschen in Ungarn, konnte jedoch nicht einmal daheim die Mehrheit erlangen. Die Regierung honorierte die maßvolle „schwarzsächsische” Politik durch regelmäßige Genehmigung von staatlichen Subventionen an sächsische Kirchen; in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg ermöglichte die Staatshilfe beispielsweise den Umbau von fünf Gymnasien.
Die Integration der Sachsen in das dualistische System ist ein gutes Kennzeichen für die nationalitätenpolitischen Möglichkeiten und Schranken der Ausgleichsregierungen. Wenn die führende politische Schicht einer Nationalität in der Tat den Dualismus akzeptierte (sowie in der eigenen Gesellschaft dessen Akzeptanz förderte) und sich einigen, überwiegend äußerlichen Magyarisierungsmaßnahmen fügte, dann unterstützte die Regierung deren kirchliche und kulturelle Einrichtungen, duldete deren Vertreter in politischen Schlüsselpositionen auf mittlerer und unterer Ebene und überließ deren Städte und Gebiete weitgehend einer autonomen Gestaltung, wodurch eine solche Nationalität im Staat ein Eigengewicht bewahren und vertreten konnte. Eine solche Politik der Kompromisse konnte die Führungsschicht einer Nationalität mit großem Institutionennetz jedoch nur dann verfolgen, wenn sie über feste Positionen verfügte.

 

 

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