Die rumänische Politik des passiven Widerstands

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610Die rumänische Politik des passiven Widerstands
Für die rumänische Nationalbewegung bedeutete der Ausgleich einen schweren Schicksalsschlag. Kurz zuvor war die Autonomie Siebenbürgens für absehbare Zeit noch gesichert erschienen, und trotz mancher böser Vorahnungen hatte man darauf vertraut, innerhalb des Großfürstentums allmählich das politische Übergewicht zu erlangen. Die Union versperrte der Nationalbewegung jedoch diese Möglichkeit. Im Tausch dafür hatte sie die Verfassung und die Aufhebung der langen rechtlichen Separation zwischen den Rumänen in Siebenbürgen und in Ungarn erhalten – beides konnte sie vorerst jedoch nicht als Positiva betrachten.
Bereits bei den Wahlen zur Vorbereitung des Krönungslandtages von 1867 trat jene immer stärker werdende Richtung in Erscheinung, welche Passivität gegenüber dem ungarischen Parlament proklamierte und eine Garantie der nationalen Existenz der Rumänen einzig und allein in der Bewahrung der Autonomie Siebenbürgens erblickte. Ungarischerseits gab es jedoch bereits keinen zwingenden Grund mehr für Zugeständnisse. Als sich schließlich am 3. Juni 1867 einige ihrer Repräsentanten mit ihren Forderungen an Deák wandten, konnte auch er nichts anderes sagen, als daß es zu spät sei, von Autonomie könne keine Rede mehr sein; er versprach ihnen lediglich die volle politische Gleichberechtigung.
Der mit der Beseitigung der siebenbürgischen Autonomie beauftragte Regierungskommissar wurde auf seiner Rundreise zur Lagebeurteilung an mehreren Orten von Angehörigen der rumänischen Intelligenz empfangen, die feierlich gegen den Ausgleich protestierten. Verständlicherweise schlug er ihnen vor, sich den vollendeten Tatsachen anzupassen, und wies das Ersuchen des Erzbischofs von Blasendorf nach Einberufung einer rumänischen Nationalversammlung zurück. Einem Treffen unter der Ägide der ASTRA, des reorganisierten rumänischen Kulturvereins in Klausenburg, wurde jedoch kein Hindernis in den Weg gelegt; mehr noch, der Regierungskommissar selbst erschien in der ersten Sitzung sowie beim Konzert. Diese Sitzung legte den Kurs für die nächste Zeit fest; die ausgegebene Parole hieß: abwarten, bis der dualistische Versuch scheitert, und indessen jede sich bietende Gelegenheit zum Protest gegen den Ausgleich sowie gegen die Union nutzen. Dem folgte im Frühling 1868 das Blasendorfer Pronunciamentum, das sich für die Durchsetzung der 1863/64 in Hermannstadt verabschiedeten Rechtsnormen aussprach. Daraufhin hat die Regierung gegen die Autoren – sowie die Redakteure der die Öffentlichkeit informierenden Zeitungen – eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet. Ein großangelegter Prozeß, von dem sich einige erhofften, daß er die europäische Öffentlichkeit auf die rumänische Angelegenheit aufmerksam machen werde, blieb jedoch aus, da die Regierung das Verfahren einstellte.
Während der Debatte über das Nationalitätengesetz von 1868 brachten die rumänischen Politiker gemeinsam mit den serbischen Abgeordneten einen Gegenvorschlag ein. Der Mocsonyi-Miletić-Plan betrachtete sämtliche Völker des Landes als eigenständige Nationen und wollte ihnen dementsprechend auch eigene politische und Verwaltungsorganisationen zugestehen, obwohl er die Notwendigkeit einer gewissen territorialen und politischen Einheit des Landes nicht leugnete. Dieser Vorschlag war sogar für die Sympathisanten der Nationalitäten inakzeptabel, und selbst die ungarische 611Opposition unter Dániel Irányi war nur zu taktischen Zugeständnissen geneigt. Auch Deák wies in der Parlamentsdebatte erneut ihren Antrag auf einen autonomen Status zurück.
Die Erfolglosigkeit stärkte den Einfluß der ohnehin die parlamentarische Passivität propagierenden Kräfte ebenso wie die Erkenntnis, daß frühere Herrschaftssysteme die nationalpolitischen Bestrebungen der Rumänen hemmungslos ausgenutzt hatten, um sie dann im Stich zu lassen. Aufgrund der Unterschiede im historischen Entwicklungsweg blieben die rumänischen Führer im engeren Ungarn Anhänger einer aktiven Oppositionspolitik und wollten die Garantie ihrer nationalen Rechte zwar gegen die Regierung, aber innerhalb des einheitlichen ungarischen Staates erkämpfen, was ihnen auch eine taktische Zusammenarbeit mit den ungarischen Parteien ermöglichte. Die siebenbürgischen Abgeordneten als Vertreter der anderen Hälfte des Rumänentums jedoch wählten den Weg der Obstruktion, der passiven Resistenz. Nicht nur die Verschlechterung der politischen Lage drängte ihre politisierende Intelligenz in die Passivität, sondern auch ihre innere Spaltung und der Mangel an Organisation.
Im März 1869 wurde die Reußmarkter Versammlung einberufen, nun bereits unter dem Vorsitz einer weltlichen Persönlichkeit, des Parlamentsabgeordneten Elie Măcelariu. Einige Konferenzteilnehmer, Politiker der aktivistischen Gruppe, machten auf die zu erwartenden Gefahren aufmerksam: Die Passivität komme einem Verzicht auf die Verantwortung der Intelligenz gegenüber dem Volk gleich, die bäuerlichen Massen gelangten unter den Einfluß fremder politischer Strömungen; auch das freie Forum gehe verloren, welches das Parlament bedeute. Von den 300 Teilnehmern stimmten jedoch nur vier für eine aktive Haltung, da Şaguna, ihr Anführer, sein eigenes Lager auch jetzt nicht in den Kampf gegen die andere Seite führen wollte. Die große Mehrheit teilte begeistert das Bekenntnis des Domherren Micu-Moldovan zur Passivität: „Im Leben eines Volkes sind 20 oder 30 Jahre soviel wie ein Tropfen im großen Meer. Doch wir wissen, daß wir in einem aufgeklärten, im 19. Jahrhundert leben, in dem es eine Verrücktheit wäre zu glauben, daß das Reich der Ungerechtigkeit Jahrzehnte bestehen bliebe […]* Es wurde jene Denkschrift angenommen, die noch während des Kampfes um Verhinderung des Ausgleichs, Ende 1866 dem Monarchen überreicht worden war; in dieser wurde die Union verurteilt und ein Teil der 1848er Gesetze beanstandet. Ein 25köpfiges Komitee erhielt den Auftrag, die Siebenbürgische Rumänische Nationalpartei zu organisieren. Unter Berufung auf Wahrung der Grundgesetze löste die Regierung das Komitee auf. Ohnehin wurde die Legalität von Parteien, die sich auf der Grundlage ihrer nationalen Ausschließlichkeit organisierten, vom Regime nicht anerkannt.
Zitiert von V. NETEA, Lupta românilor din Transilvania pentru libertatea naţională 1848–1881 (Kampf der Rumänen Siebenbürgens für die nationale Freiheit). Bucureşti 1974, 381.
Damit begann für die Rumänen der für den längeren Abschnitt der dualistischen Periode charakteristische Zustand, daß ihre Partei an der Grenze der Gesetzlichkeit stand, ihre Tätigkeit von Zeit zu Zeit verboten wurde, ohne daß die Regierung dieses Verbot allerdings jemals durchgeführt hätte. Den Wahlen des Jahres 1869 blieben sehr viele rumänische Wähler fern. Somit wurden die Rumänen von 15 „ungarländischen” (der Nationalpartei) und acht Abgeordneten der Regierungspartei vertreten. Diese einen eigenen Klub 612bildenden Abgeordneten nahmen aktiv an der Parlamentsarbeit teil und erhoben ihre Stimme im Interesse der rumänischen politisch-kulturellen Bestrebungen, des allgemeinen Wahlrechts, der Entwicklung der Pressefreiheit und einer besseren Verwaltung.
Die siebenbürgischen Passivisten bildeten unter Umgehung der Verbotsmaßnahme der Regierung Anfang 1870 in Thorenburg eine sechsköpfige „Deputation”, die als Parteileitung damit beauftragt wurde, den Widerstand (statt im Parlament) nun bereits in den Komitatsversammlungen zu organisieren. 1872 bat Ministerpräsident Menyhért Lónyay bei seinem Besuch in Siebenbürgen die Repräsentanten der Passivität um den Vortrag ihrer Forderungen. Deren Denkschrift machte ihre Zustimmung zur Union und zum dualistischen System von einer, der Ethnostruktur des Landes folgenden, neuen Verwaltungseinteilung Siebenbürgens, von der Legalisierung des Rumänischen als eigener Amtssprache, von einem demokratischeren Wahlrecht und der Ernennung einer Reihe von rumänischen Beamten abhängig. Für die von Gewaltausbrüchen begleiteten Wahlen im Jahre 1872 war in der Regel das Fernbleiben der Rumänen von den Wahlurnen charakteristisch, wobei jedoch auch die sog. ungarländischen Rumänen eine empfindliche Niederlage erlitten. Die beiden Führungspersönlichkeiten, der Großgrundbesitzer Alexandru Mocsonyi und der Intellektuelle Vincenţiu Babeş, wurden gestürzt. Şaguna war über den allgemeinen Niedergang verbittert und zog sich angesichts der erneuten Schwächung der Aktivisten ganz aus dem politischen Leben zurück; im darauffolgenden Jahr verstarb er. Mit seinem Tode war die rumänische Nationalbewegung im wesentlichen nun von ihrer bisherigen Vormundschaft durch den hohen Klerus befreit.
Der Kampf gegen das Trefort-Schulgesetz vom Jahre 1879, das die Rechte der Träger von Nationalitätenschulen verletzte, schweißte die – durch den Unabhängigkeitskrieg Rumäniens von 1877/78 ohnehin selbstbewußter gewordene – rumänische Intelligenz in Ungarn auch politisch zusammen. Nach Vorbereitungsversammlungen sowie Sondierungen bei den Staatsmännern in Budapest und Bukarest wurde am 13. Mai 1881 in Hermannstadt unter Teilnahme von 117 siebenbürgischen sowie 34 Delegierten von diesseits des Königsteigs (engeres Ungarn) eine Konferenz abgehalten, auf der für Siebenbürgen die Passivität und für die ungarischen Landesteile die Fortsetzung der politischen Aktivität gebilligt wurde. Gleichzeitig proklamierte die Versammlung die Gründung der einheitlichen Rumänischen Nationalpartei und wählte Partenie Cosma zu ihrem Vorsitzenden, den Rechtsanwalt der Albina-Bank, dem eine große Zukunft vorausgesagt wurde. Das Programm der einheitlichen Partei faßte in erster Linie die in der Autonomie Siebenbürgens gipfelnden alten Forderungen zusammen. „Die rumänische Nation kann sich niemals, unter keinen Umständen” mit dem dualistischen System „aussöhnen” – hieß es 1882 in einer mit Unterstützung aus Rumänien in mehreren Sprachen herausgegebenen, die Gravamina resümierenden Denkschrift.* Dieses selbstbewußte, aber introvertierte und wenig Möglichkeiten zum Taktieren bietende Programm blieb bis 1905 das Basisdokument der rumänischen Nationalbewegung.
Emlékirat (Denkschrift). Nagyszeben 1882, 12.
Die Politik der Passivität basierte auf jener anfangs ziemlich verbreiteten und verständlichen – besonders in Österreich geteilten – Lagebeurteilung, 613daß der Dualismus lediglich ein vorübergehender Versuch von einigen Jahren Dauer bleiben dürfte. Doch zu Anfang der 70er Jahre stabilisierte sich das Ausgleichssystem, alle auf eine Umgestaltung abzielenden Versuche scheiterten. Dadurch wurde die ab 1887 allgemein auf Zustimmung stoßende Politik der Passivität aus einem anfänglichen taktischen Fehler zu einem grundlegenden strategischen Irrtum. Sie vermochte keineswegs die politische Tätigkeit der Regierung, die langsame, jedoch dynamische Magyarisierung der Verwaltung, den Ausbau des neuen Institutionensystems zu verhindern, ja sie spielte ihr mit ihrem Fernbleiben und den feierlichen Protesten geradezu in die Hände. Die demonstrative Abwendung vom Parlament wurde in einem Staat, dessen politisches Leben sich nahezu ausschließlich auf das Parlament konzentrierte, zur Selbsteinschränkung mit schweren Folgen. Weil ihre Wähler mangels eigener Kandidaten ihre Stimmen den Regierungskandidaten gaben, konnte sich die rumänische Opposition auf Dauer praktisch nur auf ein- bis zweitausend Angehörige der Intelligenz stützen.

 

 

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