Die Frage der Siebenbürger Rumänen im rumänischen Königreich

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Die Frage der Siebenbürger Rumänen im rumänischen Königreich
Die Gesellschaft Rumäniens brachte den rumänischen Einwohnern des ungarischen Staates ein natürliches Interesse und brüderliche Gefühle entgegen. Da Rumänien jedoch in den 60er und 70er Jahren mit den Sorgen um die Erlangung seiner eigenen Unabhängigkeit beschäftigt war, fand die Unterstützung der Siebenbürger Rumänen – wenn manchmal auch seitens der Regierung bestimmte Gesten erfolgten – in erster Linie in der Intelligenz und Hochschuljugend ihre Basis.
Das staatliche Ansehen Rumäniens wuchs im russisch-türkischen Krieg 1877/78 erheblich, als es die ins Stocken geratene russische Offensive auf dem Balkan mit rumänischer Hilfe, noch dazu in Unterstellung der russischen Armeen unter den Befehl des rumänischen Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen (Carol I.) zum Sieg führte. Aus Siebenbürgen traten nicht wenige rumänische jugendliche in das rumänische Heer ein, die dadurch der in diesem Konflikt formell neutralen Monarchie keine geringen diplomatischen Probleme verursachten. Unter den Rumänen im ungarischen Staat kam es zu begeisterten Bewegungen: Man sammelte Geld, Kleidung und Sanitätsartikel für das rumänische Heer. Die Tisza-Regierung verfolgte den Eifer der Rumänen mit Besorgnis, da sie den von Zeit zu Zeit neu auftauchenden Gedanken zur Kenntnis nehmen mußte, der Anschluß Siebenbürgens an Rumänien sei nur noch eine Frage der Zeit. Sie beschränkte die Sammlungen, ohne sie gänzlich verhindern zu wollen. Unter den Spendern waren, wenn auch nicht in großer Zahl, ebenfalls Sachsen und Magyaren, ein Zeichen für die politisch-psychologische Schizophrenie, mit der die hiesige Gesellschaft diesem Krieg begegnete. Auch die Magyaren Siebenbürgens hielten die Freiheitsbestrebungen der unter türkischer Herrschaft lebenden Völker für einen legitimen Prozeß, andererseits waren sie aber über die zunehmende Einflußnahme Rußlands auf den Balkan besorgt, und so dominierte im Einklang mit der europäischen liberalen Öffentlichkeit die Türkensympathie. Das war der gefühlsmäßige Hintergrund der letzten ungarischen romantischen Verschwörung, deren Organisatoren, die siebenbürgischen 614Vertreter der Pester Unabhängigkeitspartei Gábor Ugron, Balázs Orbán und Miklós Bartha, den Versuch unternahmen, eine wenige hundert Mann starke Szekler-Freischar zusammenzutrommeln, um mit ihr – wahrscheinlich mit durch englisches Geld beschafften Waffen – in die Moldau einzudringen und durch Sprengung einer Sereth-Brücke den russischen Truppen die einzige Eisenbahn-Nachschublinie abzuschneiden. Einige Vertreter der rumänischen Intelligenz dachten bereits auch an eine Gegenaktion, doch ließ Tisza die Organisatoren verhaften und 600 Gewehre beschlagnahmen, womit die Angelegenheit erledigt war.
Als Rumänien seine Unabhängigkeit errungen hatte, schlugen jenseits der Karpaten die Wellen des romantischen Nationalismus höher. Es häuften sich sog. dakorumänische Kalender, Landkarten, welche das Siedlungsgebiet der Rumänen in einer großen territorialen Einheit vom Schwarzen Meer bis an die Theiß darstellten. In den Bukarester Zeitungen wurden immer häufiger Artikel über Siebenbürgen veröffentlicht, die zum Teil diesseits der Karpaten verfaßt wurden. In Bukarest wurden auch einige als unabhängig betrachtete Organisationen gegründet, die die Sache der Rumänen außerhalb der Landesgrenzen aufgriffen, so der Transilvania-Verein (1867) oder der Carpaţi-Verein (1882). Die Leiter des letzteren beschäftigten sich bereits 1882 mit dem Plan eines siebenbürgischen Aufstandes, ihre Emissäre bereisten Siebenbürgen und planten die Einschmuggelung von Proklamationen, die zur Gründung eines großrumänischen Staates und zum Aufstand aufriefen. 1885 forderten sie die Bevölkerung Rumäniens auf, das Banner der Irredenta zu entrollen, und feuerten in einem zündenden Aufruf die rumänischen Untertanen des ungarischen Staates zum bewaffneten Aufstand an.
Diesen Plänen, die nur eine kleine Personengruppe aktivierten, fehlten jedoch nicht nur die gesellschaftliche Basis, sondern auch entsprechend günstige Bedingungen im Rahmen der großen Politik. Das Rumänische Königreich suchte als Gegengewicht gegen Rußland bei Deutschland und der Monarchie Unterstützung. Es trat 1883 in Form eines Geheimvertrages mit der Monarchie dem Dreibund bei, und wenn Bukarest auch keine schriftliche Verpflichtung für eine Unterdrückung der Agitation gegen die Monarchie einging, distanzierte es sich doch stets von einer solchen. Während es den kulturellen und nationalen Bestrebungen der Rumänen im ungarischen Staat mehr oder weniger umfangreiche moralische und materielle Unterstützung zukommen ließ, nahm es zugleich den Carpaţi-Verein unter seine Kontrolle. 1885 wird die irredentistische Verschwörung im Keime erstickt und sechs ihrer Organisatoren werden des Landes verwiesen. Seit den 80er Jahren unterdrückt und moderiert Wien auf diplomatischem Wege einerseits die rumänische Einheitsbewegung, andererseits findet es sich – deren vorläufige Harmlosigkeit erkennend – mit ihrer bescheidenen Existenz ab.
Die Lage der Siebenbürger Rumänen und die Gestaltung ihrer zukünftigen Entwicklung war in Bukarest inzwischen zu einer verwickelten parteipolitischen Frage geworden. Da die Bewahrung des rumänischen Bündnisses an einem seidenen Faden hing, konnte die Wiener Diplomatie in der siebenbürgischen Frage nicht ihr ganzes Gewicht als Großmacht einsetzen, ohne den Sturz der Bukarester Regierung heraufzubeschwören. Unter Berufung auf ihre daheim gerade in der nationalen Frage leicht zu erschütternde Position und ihre eigene Bündnistreue versuchte die Bukarester Regierung die Führungskreise der Monarchie zu einer mit der Zeit für die Siebenbürger 615Rumänen günstigeren Nationalitätenpolitik zu bewegen, wofür sie in Wien geringe, in Berlin hin und wieder ernsthaftere Unterstützung fand.
Der Anschluß an den Dreibund eröffnete der Bukarester Regierung die Möglichkeit, in der Frage der nationalen Entwicklung der Siebenbürger Rumänen offiziell ihre Stimme zu erheben. Gerade als es den Anschein hatte, daß die Monarchie mit Hilfe eines von ihr geschaffenen Unterdrückungsmechanismus Rumänien die siebenbürgische Frage aus den Händen schlagen würde, in dem Augenblick begann deren Bedeutung für die Politik der Siebenbürger Rumänen und damit für die Gestaltung ihres Entwicklungsweges zuzunehmen.

 

 

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