Koalitionsperiode und letzter Versuch Wiens: die Pläne Franz Ferdinands

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Koalitionsperiode und letzter Versuch Wiens: die Pläne Franz Ferdinands
Der um die Reichseinheit besorgte Monarch wollte der von Graf Albert Apponyi, Graf Gyula Andrássy d. J. und Ferenc Kossuth geführten siegreichen oppositionellen Koalition nicht die Regierungsgewalt übertragen. Deshalb beauftragte er Baron Géza Fejérváry mit der Bildung eines außerparlamentarischen Kabinetts. Der neue Innenminister József Kristóffy erschreckte mit seinem Plan der Einführung eines neuen, allgemeinen Wahlrechts die um die ungarische Suprematie und die politische Führungsrolle der Besitzerklasse äußerst besorgte Koalition, aus dem Kalkül heraus, diese werde als Gegenleistung ihre für die Einheit der Monarchie bedrohlichen Forderungen nach einem selbständigen ungarischen Zollgebiet, einer eigenen Notenbank, nach der Einführung des Ungarischen als Kommandosprache in den ungarischen Regimentern der gemeinsamen Armee fallen lassen. Der Idee der Wahlrechtsreform begegneten die Sachsen mit Vorbehalten, die Führer der Rumänen begrüßten sie freudig; sie sahen darin die Erfüllung einer alten demokratischen Forderung durch den Hof. Es schien, als stelle sich der Monarch endlich auf die Seite der Nationalitäten. Kristóffy jedoch untersagte (anders als Tisza) den Rumänen sogar die Einberufung einer Nationalkonferenz, damit die ungarische Opposition die ohnehin nicht für national genug gehaltene Regierung nicht der Schwäche bezichtigen konnte. Der Unterrichtsminister wiederum verordnete auf direktem Wege, den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen von nun an in ungarischer und nicht in der Sprache der betreffenden Konfession abzuhalten. Während aber die Koalition auch in Siebenbürgen einen lärmenden, doch – mit Ausnahme eines Teiles des Szeklerlandes – völlig erfolglosen, theatralischen „nationalen Widerstand“ einleitete, riefen die rumänischen Führer ihr Volk demonstrativ zur Steuerzahlung, zur Ableistung ihres Militärdienstes, also zum Dienst an der Dynastie auf.
Dem Monarchen gelang es schließlich, die oppositionelle Koalition zum Nachgeben zu bewegen, so daß sie im Frühjahr 1906 unter Führung des treuen 67er Politikers Sándor Wekerle mit einer streng „festgelegten Marschroute“ an die Regierung kommen konnte. Dies löste im Kreise der Rumänen Panik und Schrecken aus, da diese schon seit der Jahrhundertwende die Unabhängigkeitspartei als ihren Hauptfeind, als den „Mandatar des ungarischen Chauvinismus“ betrachteten. Die Führer der neuen Regierung 626jedoch luden die beiden Erzbischöfe sowie einige rumänische Politiker zu einer vertraulichen Beratung ein. Wenn es auch – gerade wegen des Widerstandes der Komitate – nicht zu der empfohlenen Wahlkooperation kam, konnten dennoch bei den Wahlen 1906 18 rumänische Abgeordnete „Einlaß finden“. Die Mehrheit von ihnen nahm – gemeinsam mit den Serben und Slowaken – aktiv am Parlamentsleben teil. Sie brachten nicht nur die nationalen Gravamina vor, sondern erhoben gelegentlich ihre Stimme auch im Interesse ihrer Bauern.
Die Nationalitätenpolitik der Koalitionsperiode erinnerte in ihren Methoden an die Bánffy-Epoche: Die Wien gemachten Zugeständnisse werden mit Härte gegenüber den Nationalitäten kompensiert. Inzwischen hatte man es aber mit stärker gewordenen Nationalitätenbewegungen zu tun. Die Koalition wurde ohnehin von der Absicht nach einem spektakulären Aufbau des „ungarischen Nationalstaates“ geleitet. Das Zusammentreffen dieser Faktoren führte dazu, daß die Presseprozesse gegen die Nationalitäten wieder zunahmen und eine neue Welle von Flugschriften die Diskussion initiierte, ob die Rumänen nun unterdrückt seien oder nicht. Eine Frucht dieser Politik war das unter dem Namen „Lex Apponyi“ bekannte Schulgesetz, das den vorhergehenden Berzeviczy-Plan fortführte.
Das Gesetz Nr. XXVII/1907 erhöhte die Gehälter der Lehrer an Gemeinde- und Konfessionsschulen und gewährte den Schulträgern zu diesem Zweck eine Staatshilfe, die aber an eine Reihe strenger Bedingungen geknüpft war. Die Schulen waren verpflichtet, den Schülern eine „einwandfreie patriotische staatsbürgerliche Erziehung“ zu geben, deren Nachweis im verstärkten Unterricht der ungarischen Sprache, Literatur und Verfassung bestand. Damit versuchte die Kulturpolitik die Tatsache zu ändern, daß nahezu 40 % der Bevölkerung des Landes der Staatssprache unkundig waren. Eine schwerwiegende Maßnahme – Quelle zahlreicher künftiger Konflikte – bestand darin, daß bei einem Anteil ungarischer Schüler von über 50 % der Unterricht ungarisch durchgeführt und bei 20 % Ungarisch als Lehrfach eingeführt werden mußte. All dies krönte man mit Magyarisierungsvorschriften für das äußere Erscheinungsbild. Jede Schule mußte das Staatswappen sowie ihren Namen in ungarischer Sprache am Gebäude anbringen, an Feiertagen die Staatsflagge hissen, ungarische Formulare verwenden und in den Unterrichtsräumen Bilder aus der ungarischen Geschichte aufhängen. Sachsen und Rumänen protestierten.
In der Zeit der Vorbereitung dieses Gesetzes, in der von beiden Seiten angeheizten nationalistischen Atmosphäre, fand die Absicht der fortschrittlichsten Gruppe des ungarischen Bürgertums – der um die Jahrhundertwende auftretenden Bürgerlichen Radikalen –, die Nationalitätenparteien als Verbündeten der ungarischen Demokratie zu gewinnen, kein entsprechendes Echo. Ihr Leiter, der Politiker und Sozialwissenschaftler Oszkár Jászi, stellte sich mutig auf die Seite der Nationalitäten, gleichfalls die Sozialdemokratische Partei, die der alleinige Organisator auch des nichtmagyarischen Proletariats war. Die Radikalen bauten gewisse persönliche Kontakte zu einigen Vertretern der rumänischen Nationalpartei aus, wobei allerdings eine bedeutende Annäherung ausblieb. Die sozialistische Bewegung betrachtete man auf rumänischer Seite mit abgestufter Feindseligkeit, von ihren Organisationsmethoden wollte man lernen, hin und wieder tauchte sogar der Gedanke einer Zusammenarbeit auf; aus nationalistischer Sicht jedoch 627befürchtete man, sie werde die arme Bauernschaft schließlich dem Einfluß des national gesinnten Klerus entziehen.
In dieser Bedrängnis erreichte die rumänische Intelligenz ein Bündnisangebot aus einer Richtung, aus der sie ein solches stets erhofft hatte: aus Wien. Nicht vom alten Kaiser, sondern vom Thronfolger Franz Ferdinand, um den nach 1906 ein Geheimkabinett („Werkstatt“) entstand, das eine neue Reichspolitik plante und kritisch gegenüber den, samt und sonders als Feinde der Dynastie betrachteten Magyaren eingestellt war.
Die Siebenbürger Sachsen unterhielten keine Verbindung zum Erzherzog. Ab Herbst 1906 schrieb der rumänische Abgeordnete Alexandru Vaida-Voevod unter einem Pseudonym Berichte für die „Werkstatt“. Nach seiner im Februar 1907 im ungarischen Parlament gehaltenen dynastietreuen und „den ungarischen Separatismus“ kritisierenden Rede empfing ihn Franz Ferdinand erstmals, ebenso insgeheim wie den zukünftigen Bischof Miron E. Cristea und den Domherrn Augustin Bunea, die um Darstellung der Ansichten der beiden rumänischen Kirchen gebeten wurden.
Der zu jener Zeit in der Wiener Emigration lebende Aurel C. Popovici arbeitete den Plan einer föderalisierten Habsburgermonarchie aus (Die Vereinigten Staaten von Großösterreich, 1906), in dem er nicht die historischen, sondern die ethnischen Regionen mit einer den Mitgliedsstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbaren Autonomie ausstatten wollte. Er hat auch alle Rumänen des historischen ungarischen Staates in einer Gebietseinheit zusammengefaßt (ein eigenes Gebiet für die Szekler war auch vorgesehen) und plante, daß durch den Anschluß des Rumänischen Königreiches die großrumänische Einheit unter der Habsburgerherrschaft verwirklicht werden sollte. Da der Plan auch auf eine Stärkung der Dynastie abzielte, bezog die „Werkstatt“ Popovici in den Kreis ihrer Mitarbeiter ein, obwohl der Thronfolger seine Vorstellung nicht akzeptierte – wie er sich übrigens zu keinem einzigen Programm ausdrücklich bekannte – und später die Anweisung gab, die Schrift von Popovici in konservativem Sinne zu überarbeiten.
Die rumänischen Mitarbeiter der „Werkstatt“ erwarteten vom künftigen Monarchen, er werde die ungarische Hegemonie beseitigen und die Nationalitätenrechte ausdehnen. Sie kannten seine Abneigung gegen den Dualismus, seine Antipathie gegen die ganze ungarische Gesellschaft. („Jeder Ungar, ob Minister, ob Fürst, ob Cardinal, ob Bürger, ob Bauer, ob Häusler, ob Hausknecht, ein Revolutionär und eine Canaille ist“ – schrieb er 1904.*) Sie waren sich darüber im klaren, daß er im Interesse eines Sturzes der Koalitionsregierung darauf hinauswollte, alle Nationen „auf die Ungarn loszulassen“ und aus diesem Grund auch das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Vaida und seine Anhänger boten beim Kampf gegen die Koalition die Hilfe der rumänischen Partei an und erreichten damit die Anerkennung ihrer Nationalbewegung seitens des zukünftigen Monarchen, wodurch diese Beziehung zweifellos ihr politisches Ansehen erhöhte.
Brief des Thronfolgers vom 30. Juli 1904, mitgeteilt von R. A. KANN, Erzherzog Franz Ferdinand Studien. Wien 1976, 114–115.

 

 

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