Die Zerstörung Daziens

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Die Zerstörung Daziens
Aus der antiken Weltgeschichte und aus der im vorigen Kapitel umrissenen Geschichte Daziens sind die Angriffe der Karpen, Goten und Gepiden auf die römischen Provinzen nördlich und südlich der unteren Donau zwischen 238 und 270 gut bekannt. Infolge dieser Überfälle wurde die Lage Dacia Superiors recht bald kritisch. Bis zum Ende der gemeinsamen Herrschaft Philippus’ I. und II. (249) erhielten die Soldaten der römischen Grenzkastelle in Siebenbürgen – mit einigen Ausnahmen – noch ihren Sold, einige Garnisonen existierten selbst noch zur Zeit der Herrschaft des Decius (249–251).
Der römische „Limes“ in Siebenbürgen war die militärische Anlage einer starken, selbstsicheren und offensiven Großmacht. Das Imperium hatte die Pässe und Übergänge – mit Ausnahme des Rotenturmpasses – nicht gesperrt, sondern hielt sie nur durch eine Kette von Wachstationen unter Kontrolle, die zumeist nur auf Sichtweide den Kastellen vorgeschoben und zur Verteidigung ungeeignet waren. Das Láposgebirge im Norden, das Fogarascher, Görgener und Hargitagebirge im Osten sowie das Berecker Gebirge im Süden waren Niemandsland – das siebenbürgische Dazien glich einem riesengroßen antiken Theater, dessen Tore und Tribünen Rom dem barbarischen Publikum überlassen und sich selbst nur die Bühne vorbehalten hatte.
Die Lager und späteren Kastelle der Hilfstruppen wurden in den Ebenen vor den Bergen errichtet, wegen der Transportschwierigkeiten an oder nahe bei Flüssen, auf niedrigen Hügeln oder an Talrändern, von wo eine ausgezeichnete Sicht auf das offene Vorgelände innerhalb der Berge und Pässe gegeben war. Rom hielt also diesen riesigen natürlichen Schutzring nur unter Beobachtung; entgegen der auch noch bei den modernen Geschichtsforschern verbreiteten allgemeinen Auffassung hat dieser in Wirklichkeit das siebenbürgische Dazien niemals tatsächlich geschützt.
Dieses System hatte bereits in den zwei Jahrzehnten nach 160 versagt und wurde unter dem Druck der Mitte des 3. Jahrhunderts beginnenden heftigen Barbarenangriffe für die in die Defensive gedrängte römische Macht unhaltbar. Nach 248 wurden durch deren Angriffe der Reihe nach die mit starken Steinmauern umgebenen Kastelle und Städte Scythia Minors, Mösiens und Thraziens zerstört, in den 60er Jahren konnten selbst Athen und Korinth nicht mehr gehalten werden. Aus den militärischen Leistungen der Barbarenheere geht hervor, daß keine einzige Grenzfestung Daziens ihren Angriffen standzuhalten vermochte, ja daß es durch diese nicht einmal gelang, 63das Vordringen des Feindes in die Provinz auch nur zu stören oder zu verzögern. Der nicht mehr zu haltende „Limes“ Ostsiebenbürgens mußte in den 50er Jahren aufgegeben werden, ohne daß auch nur ein Versuch zu seiner Verteidigung unternommen worden war.
In der westlichen Hälfte der Provinz konnten sich zwar 3 bis 4 Städte und ein einziges Legionskastell noch eine Zeitlang halten, aber nur längs der nach Süden führenden Hauptstraße. Die Verteidigung des den westlichen Ausgang des Miereschtales bewachende Micia (Vitzel) mußte unter Valerian 260 aufgegeben werden. Aus verborgenen Münzfunden geht hervor, daß die im Herzen Siebenbürgens liegende letzte Festung, das Castrum von Apulum, 268 angegriffen und gleichzeitig damit die über Krassó-Szörény führende Verbindungsstraße aufgegeben wurde (Münzfund von Galacs).
Anhand übereinstimmender Beweise zeitgenössischer schriftlicher Angaben und archäologischer Quellen ist es heute nicht mehr zu bestreiten, daß die römische Armee, die Familienangehörigen der Soldaten und alle Zivilelemente, deren Existenz eng mit dem Militär verknüpft war, spätestens zu Beginn der Herrschaft Aurelians aus der Provinz evakuiert wurden (271). In den 48 sich in einem großen Bogen vom Banater Donauabschnitt bis zum Rotenturmpaß erstreckenden römischen Castra Siebenbürgens und den zu ihnen gehörigen, von ihnen lebenden und abhängigen Siedlungen (sog. vici auxiliari) erlosch das Leben. Zeugen dafür sind – bis heute – die Castra selbst; ihr im Mittelalter nicht überbautes Gelände zeigt heute mit den herausragenden Wällen und tiefen Gräben das gleiche Bild wie die zur gleichen Zeit aufgegebenen Kastelle der agri decumates in Baden-Württemberg oder die bereits früher verlassenen Grenzfestungen des Antoninus-Walls in Schottland; sie sind von innen und außen „leer“, da es zur Zeit der großangelegten spätrömischen Bauvorhaben weder in ihnen noch um sie herum irgendwelches Leben gegeben hat (Bretz, Tihó, Alsókosály, Vármező, Kuppendorf usw. sogar selbst Poscheschna an der unteren Donau!).
Bei den die längste Zeit überdauernden Munizipien Napoca (Klausenburg), Potaissa (Thorenburg), Apulum (Karlsburg) und Ulpia Traiana (Burgort/Gredistye), ist zu vermuten, daß anfangs eine geringe Zahl armer Volkselemente innerhalb oder außerhalb ihrer Mauern in die Knechtschaft der Goten geriet, reichen doch die archäologisch greifbaren Spuren (einige Bestattungen) nicht über das 3. Jahrhundert hinaus. Zur gleichen Zeit begannen stellenweise innerhalb der bis in die Neuzeit bestehenden Steinmauern der militärischen Festungen, die Gebäude rapide zu verfallen; an der Stelle des Lagerforums der Legion in Potaissa nahmen an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert bereits Barbaren aus dem Osten ihre Bestattungen vor. Die einstigen ländlichen Gebäude, die Villen und Gutshöfe der Hauptvertreter der „Romanisierung“ verfielen, und zwar in dem Maße, daß an deren Stelle hier und da die Goten im 4. Jahrhundert bereits Gräberfelder anlegten (Palatka).
Für das Überleben einer angenommenen „romanisierten“ Bevölkerung hätte nur eine einzige Möglichkeit bestanden: die aktive Verteidigung, ein Rückzug in eilends errichtete Bergfestungen und befestigte Siedlungen. Dazu war zu dieser Zeit auch die Bevölkerung innerhalb des Reiches, auf dem Balkan wie im Innern Pannoniens, in der Eifel-Hunsrück-Hügellandschaft zwischen Rhein und Mosel und noch weiter westlich, in den Ardennen, gezwungen. Die natürlichen Gegebenheiten dazu waren auch im siebenbürgischen 64Dazien vorhanden, weitaus besser als anderswo. Und doch gibt es nirgendwo in Siebenbürgen Spuren von Refugien, Höhensiedlungen, Zufluchtsorten aus spätrömischer Zeit, es gab keine Träger der in der Theorie vielfach betonten „Selbstverteidigung“.
Eine im siebenbürgischen Dazien „weiterlebende“ römische Bevölkerung wird in keiner einzigen Quelle der späten Römerzeit bzw. des frühen Mittelalters erwähnt, die Namen der einstigen römischen Städte, Siedlungen und Festungen sind ausnahmslos verschwunden, in keiner Sprache und Quelle wurden sie ins Mittelalter überliefert. Erhalten blieb allein das auch für die Römer bereits urzeitliche Erbe unbekannter Sprachherkunft, die Namen einiger großer Flüsse: Temesch, Mieresch, Kreisch, Samosch und Alt. Ein Erbe aus vorrömischer Zeit sind auch die Flußnamen Ampelus-Ompoly und Tierna-Cerna, und nur sprachwissenschaftlicher Dilettantismus kann den aus dem Iranischen stammenden ungarischen Flußnamen Aranyos (Urkunde aus dem Jahre 1075: qui dicitur hungaricae aranas, latine autem aureus) auf das lateinische Wort Aureus „zurückführen“ – der reiche Gold-(aureus-)gehalt erklärt von selbst die Entstehung des Namens und auch die slawische Variante dafür (Zlatna aus dem Wort zlato = Gold, dt. und rum. aus ung.: Ariesch-Arieş). Das vollkommene Verschwinden der antiken Ortsnamen belegt, daß die Restbevölkerung des antiken Daziens spurlos aufgesogen wurde, besonders wenn man in Betracht zieht, daß in Britannien, am Rhein und an der oberen Donau zahlreiche antike Ortsnamen ins Englische, Holländische und Deutsche übernommen wurden, obwohl auch dort die weitaus zahlreichere und noch 200 Jahre nach der Aufgabe Daziens lebende römische Bevölkerung dieser Länder vollkommen verschwunden ist. Nach Ansicht der mitteilenden Archäologin erinnert der Ritus des einzigen „spätrömischen“ Gräberfeldes in Siebenbürgen (Pretai, Gräberfeld I) zweifellos an die in Dazien bereits früher, im gut erforschten Pannonien wiederum spätestens (!) bis Probus (276–282) vorkommenden sog. Brandschüttungsgräber, nur kommen die für die wirklichen römischen Bestattungen charakteristischen rituellen Beigaben (intakte Gefäße, Öllampen, Münzen) darin überhaupt nicht vor. Für die nicht selten mit einer Steinpackung bedeckten Gräber des Gräberfeldes von Pretai sind die ausgesprochen „barbarischen“ Fleischopfer charakteristisch, in den Gräbern mit „Beigaben“ wurden auch nach barbarischem Brauch verbrannte Gefäßscherben sowie Fibeln, Spinnwirtel und Perlen der Marosszentanna-Černjahov-Kultur gefunden. Gräber solchen oder ähnlichen Ritus sind in den karpisch-gotischen Gräberfeldern Moldawiens und der Bukowina häufig zu finden (z. B. Danceny, Etulija, Baltzata I–II, Hanska-Luterija II, Oselivka). Auch in der zum Gräberfeld gehörigen Siedlung sind Funde vom Typs Marosszentanna–Černjahov (Gefäße, Kämme, Schmuck) zum Vorschein gekommen, die Grundbevölkerung des Gräberfeldes von Pretai stammte also aller Wahrscheinlichkeit nach gleichfalls aus dem Barbaricum. Im übrigen ist es sehr unwahrscheinlich, daß es einer „weiterlebenden“ geschlossenen römischen Gemeinschaft gelungen wäre, sich an einer der verkehrsreichsten Hauptstraßen Siebenbürgens (zwischen Mediasch und Schäßburg) „zu verstecken“.
Zeugnisse der seit der Zeit der Tetrarchie entwickelten spezifisch spätrömischen Grabsitten und von Kleidungsrelikten kommen in der für die römischen Provinzen charakteristischen Einheitlichkeit am linken Ufer der Donau nicht vor. Die von der römischen Staatsmacht den eigenen Untertanen vorgeschriebenen 65bzw. verliehenen „Dienstabzeichen“, die sog. Zwiebelknopffibeln, gelangten nur als Beute ins Barbaricum, sie finden sich verstreut bei den germanischen Quaden, den Gepiden im östlichen Teil der Tiefebene (Muszka) und bei den Goten in Siebenbürgen (Obrázsa, Lemhény und Vitzel). An Hand der Zwiebelknopffibeln läßt sich die Existenz einer geschlossenen römischen Bevölkerung im Barbaricum nicht beweisen, vornehmlich nicht mit solchen, die im vergangenen Jahrhundert aus Pannonien, Mösien und sogar aus Italien in private und öffentliche Sammlungen Siebenbürgens gelangt sind. Mit der menschlichen Natur im Gegensatz steht die vielfach betonte These, daß römische Münzen nur „romanisierte“ römische Menschen benutzt haben können; der „Umlauf“ der auf dem gesamten Gebiet Siebenbürgens nach 271 gefundenen römischen Münzen unterscheidet sich kaum von dem anderer Gegenden des Barbaricums, so z. B. in der Großen Ungarischen Tiefebene oder der polnischen Ebene.

 

 

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