Allgemeine politische Situation

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Allgemeine politische Situation
In der internationalen Politik orientierte sich Rumänien nach 1916 an Frankreich und England, weshalb es auch ein Gründungsmitglied der Kleinen Entente wurde, die zur Sicherung des durch die Friedensverträge entstandenen mittel- und osteuropäischen Status quo ins Leben gerufen worden war und die Staaten Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien umfaßte. Das wichtigste Ziel der rumänischen Außenpolitik war die Sicherung der territorialen Integrität, und die verschiedenen Regierungen ordneten die Innenpolitik – und in deren Rahmen auch die Nationalitätenpolitik – diesem Bestreben unter. Die Sowjetunion erkannte die Friedensverträge nicht an und verzichtete niemals auf Bessarabien, auch Bulgarien akzeptierte den Anschluß der Süddobrudscha an Rumänien nicht. Ungarn nahm die Bestimmungen des Friedens von Trianon offiziell zur Kenntnis, machte aber kein Geheimnis daraus, daß es gerade deren Abänderung als sein Ziel betrachtete. Der Anspruch Ungarns auf Siebenbürgen gefährdete Rumänien nicht unmittelbar, da er anfangs von keiner einzigen Großmacht unterstützt wurde. Der ungarischen Außenpolitik gelang es erst 1927, aus ihrer völligen Isolation auszubrechen, als das faschistische Italien – unbefriedigt von den Pariser Vorortverträgen – aus taktischen Gründen und auch offiziell die ungarischen Ansprüche auf eine Revision der Grenzen unterstützte. Auch wenn das nur geringe praktische Bedeutung hatte, so stärkte es doch den ungarischen Irredentismus in seiner Hoffnung, eine grundlegende Wende in 660der europäischen Lage könne den territorialen Status quo verändern. Diese Hoffnung erhielt neue Nahrung durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, da Hitlers Außenpolitik ebenfalls die Revision der Friedensverträge forderte.
Das Verhältnis zwischen Rumänien und Ungarn und das Schicksal der Völker beider Länder wurde also entscheidend durch die Friedensverträge nach dem ersten Weltkrieg beeinflußt, die auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und häufig auch auf die ethnischen Verhältnisse keine Rücksicht nahmen, ferner auch durch die Bildung der für oder gegen den Status quo eintretenden Machtblöcke und deren Kräfteverhältnisse bzw. durch den Anschluß der beiden Staaten an einen solchen.
Rumänien war zwischen den beiden Weltkriegen ein rückständiges Agrarland, was die Tatsache kennzeichnet, daß im Jahre 1930 78,8 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft und bloß 6,7 % in der Industrie beschäftigt waren. In der Landwirtschaft überwog der Zwerg- und Kleinbesitz, dessen Gewicht nach der Bodenreform von 1921 eher noch größer wurde. Auch in der Industrie und im Handel ist der große Anteil der Kleinbetriebe auffallend. Die wirtschaftliche Entwicklung wurde langfristig durch die Expansion der modernen Schwerindustrie (Erdölgewinnung, Bergbau, Stahl- und Eisenindustrie) und teilweise des Maschinenbaus bestimmt. Sowohl an den industriellen Großbetrieben als auch an den Banken war neben dem rumänischen das französische, belgische, deutsche und in geringerem Maße das ungarische Kapital (dieses insbesondere in Siebenbürgen) interessiert.
Die gesellschaftliche Struktur trug als osteuropäisches Kennzeichen den Stempel der wirtschaftlichen Rückständigkeit, was bedeutete, daß die Bauern die überwiegende Mehrheit stellten, die breiten Bevölkerungsschichten unter primitiven Umständen lebten und ihr Lebensstandard außerordentlich niedrig war. Die relativ unentwickelte Arbeiterklasse befand sich auch geographisch betrachtet in einem eng umgrenzten Raum und konzentrierte sich auf einige Industriezweige. Die Handwerker-, Einzelhändler- und Angestelltenschicht stellte das Bürgertum dar, der Staat wurde zumeist von Repräsentanten des Kapitals und des Großgrundbesitzes gelenkt.
Rumänien war bis 1938 eine konstitutionelle Monarchie mit einem Mehrparteiensystem, aber die Verfassungsrechte kamen wegen der Rückständigkeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung nur beschränkt zur Geltung. In den 20er Jahren regierte – mit kürzeren Unterbrechungen und vor allem mit Unterstützung des Bukarester Großkapitals – die von der Familie Brătianu geführte Liberale Partei, die zur Verwirklichung ihrer als national propagierten Politik der Modernisierung der Wirtschaft vor allem vom Mittel der im rumänischen öffentlichen Leben häufig angeprangerten Korruption Gebrauch machte. Der überwiegende Teil des rumänischen Bürgertums und der Intelligenz in Siebenbürgen unterstützte die Nationalpartei von Iuliu Maniu; durch ihre Vereinigung mit der Partei der Kleinlandwirte jenseits der Karpaten – dem Sammelbecken auch der kleinbürgerlichen Elemente – entstand 1926 die zweitgrößte politische Gruppierung des Landes, die Nationale Bauernpartei (Nationalzaranisten). Diese Partei, die sich eine Demokratie unter dem Primat der Bauernschaft vorstellte, wurde zum Hauptgegner der Liberalen. Nach ihrem Machtantritt im Jahre 1928 konnte sie aber zur Enttäuschung breiter Gesellschaftsschichten 661und der eigenen Führung ihr Versprechen, ein gesünderes öffentliches Leben, eine sog. saubere Regierungspolitik einzuführen, nicht erfüllen. Bei ihrer Machtausübung verwendete sie fast dieselben Methoden wie ihr liberaler Gegner oder die kurzlebigen Koalitionsregierungen kleinerer Parteien und entfremdete damit landesweit die Massen von der Regierung.
Gegen die vornehmlich eine rechtsgerichtete Politik verfolgenden Regierungen formierte sich die bis 1920/21 in allen Provinzen völlig selbständig handelnde Arbeiterbewegung, die auch in der Folgezeit ihren regionalen Organisationsrahmen beibehielt. Die 1921 gegründete Kommunistische Partei Rumäniens wurde nach einer kurzen Legalitätsperiode zur illegalen Tätigkeit gezwungen, konnte aber trotz der legalen Sozialdemokratischen Partei die Mehrheit der Gewerkschaften auch weiterhin dominieren. Sie war auch in Organisationen tätig, wie dem Block der Städtischen und Dörflichen Werktätigen, der zwei Drittel seiner Sympathisanten in Siebenbürgen besaß. Unter ihren Mitgliedern und Führern waren zahlreiche ungarische Arbeiter und Intellektuelle, die auch vor 1918 in der Arbeiterbewegung aktiv waren oder an den Kämpfen der Ungarischen Räterepublik teilgenommen hatten. 1924 stellte der 3. Kongreß der Partei fest, Rumänien sei infolge der Vereinigung der verschiedenen Provinzen aus einem Nationalstaat zu einem Multinationalitätenstaat geworden, und „man muß die Anstrengungen der unterdrückten Nationalitäten aufgrund des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung bis hin zur völligen Abspaltung vom bestehenden Staat unterstützen*; aus dieser Tatsache wurde die Lehre gezogen, daß die Stärkung der Beziehungen zu den Arbeitern der nationalen Minderheiten besonders wichtig sei. Die Partei widerrief später diesen Beschluß, aber die demokratische Lösung der Nationalitätenfrage blieb immer eine Hauptforderung ihrer Politik, die auch den Klassenkampf in den Vordergrund stellte.
Documente din istoria Partidului Comunist din România 1923–1928 (Dokumente zur Geschichte der Kommunistischen Partei Rumäniens 1923–1928). Vol. II. Bucureşti 1953, 258.
In den Kämpfen der Arbeiter unterschiedlicher Nationalitäten gegen die für sie nachteiligen Folgen der großen Weltwirtschaftskrise waren die Kommunisten die führende Kraft. Die bedeutendste Aktion war 1929 der Streik der Zechenarbeiter in Schylwolfsbach gegen die Lohnsenkung und die Entlassungen, der mit Brachialgewalt, in einem mindestens 30 Todesopfer fordernden Zusammenstoß, niedergeschlagen wurde. Unter den Opfern waren zahlreiche Ungarn (während auf der anderen Seite, in der Leitung der Bergbaugesellschaft Petroşeni AG, auch Kapitalisten aus Ungarn saßen oder infolge der Ablösung ihrer Aktien am Gewinn profitierten, den die Bergleute im Schiltal erzeugten). Gleichfalls lenkten die Kommunisten 1934 die Bauernaktion im Gyimestal sowie die mehrwöchigen Streiks um Lohnerhöhungen 1935 in der Lederfabrik Dermata in Klausenburg und 1936 in der Textilfabrik Arad. In diesen Kämpfen wurde die neue Einheit der rumänischen und ungarischen Arbeiter geschmiedet, die in der Atmosphäre des aufgehetzten nationalistischen Hasses eine einmalige Erscheinung von zukunftsträchtiger Bedeutung war.
Ab den 30er Jahren wurde auch in Rumänien die neue nationalistische Welle immer stärker, deren wichtigster Träger die in der Moldau entstandene faschistische Bewegung war, die zeitlich keineswegs ihren europäischen Parallelen hinterherhinkte. Die verschiedene Tendenzen in sich vereinigende, 662unter dem Namen „Legion des Erzengels Michael“ oder „Eiserne Garde“ bekannt gewordene Organisation entwickelte sich nach der Weltwirtschaftskrise zu einer bedeutenden Kraft, sie schlug politisches Kapital sowohl aus der Krise selbst und der Rückständigkeit der durch die Grundbesitzerherrschaft nicht nur ausgebeuteten, sondern auch vernachlässigten Bauernschaft, als auch aus der tiefen Abneigung der jungen Intelligenz aus den Volksschichten gegen die Unmoral des öffentlichen Lebens, aus dem Parteienstreit sowie dem Fremdenhaß. Die Entwicklung der internationalen Lage und der Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland haben die dynamische Machtzunahme der „Legion“ ebenfalls gefördert. Diese Bewegung, die neben der bekannten sozialen Demagogie des Faschismus auch aus dem Mystizismus der Orthodoxie schöpfte – und auch in Siebenbürgen eine Anhängerschaft besaß – verkündete die Schaffung einer gerechteren und sittlicheren Welt, während sie in der Praxis für die Abrechnung mit den politischen Gegnern und „Verrätern“ das System der politischen Morde einführte.
Gegen die rechten Parteien und den Faschismus nahm die von den Kommunisten geführte, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise durch die Streiks erstarkte Arbeiterbewegung am konsequentesten den Kampf auf. Mit den Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam kämpften auch Intellektuelle unterschiedlicher Nationalität, aber sie konnten den Vormarsch des Faschismus nicht aufhalten.
Die herrschende Klasse stellte dem Angriff des europäischen und rumänischen Faschismus eine rechtsgerichtete Diktatur gegenüber. Der seit 1930 herrschende König Karl II. versuchte, ein autoritäres System der persönlichen Diktatur auszubauen und ein ihr angepaßtes Nationalbewußtsein zu schaffen. Anfang 1938 entließ er die ohnehin nur als Provisorium ernannte Regierung Octavian Gogas und stellte einen Verfassungsentwurf korporativen Charakters zum Referendum, das die neue Regierungsform bestätigen sollte. Unter den Bedingungen des Ausnahmezustands wagten es von den 4,3 Millionen Abstimmungsteilnehmern nur 5483 – und die Mehrheit von ihnen in Siebenbürgen –, gegen den Entwurf zu stimmen. Die Parteien und Organisationen wurden aufgelöst, die Gesetzgebung wurde statt dem herkömmlichen Parlament der sog. Interessenvertretung übertragen, an die Spitze der Verwaltung traten zumeist Militärs. Die Organisation des politischen Lebens übernahm die Front der Nationalen Wiedergeburt, zu der auch die Nationalitätenorganisationen gehörten. Der Versuch Karls II. – eine eigenartige Mischung aus Faschismus und Nationalismus, aus partiellen Freiheitsrechten und Maßnahmen zur staatlichen und wirtschaftlichen Modernisierung – entbehrte keineswegs jeder Unterstützung. Mangels einer besseren Alternative akzeptierte ihn auch jener Teil des rumänischen Bürgertums in Siebenbürgen, der mit den drastischen Maßnahmen des Königs zur Liquidierung der Eisernen Garde einverstanden war und hoffte, er werde erfolgreich gegen die damals bereits stärker werdenden ungarischen Revisionsbestrebungen vorgehen.

 

 

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