Rumänen als dominierende Staatsnation

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665Rumänen als dominierende Staatsnation
Das Spezifikum Siebenbürgens im Vergleich zum alten Rumänien bestand – neben den Unterschieden in der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung – hauptsächlich in seiner ethnischen Zusammensetzung. Nach der Volkszählung von 1930 – nach Nationalitäten – waren im ganzen Land 71,9 % Rumänen, 7,9 % Ungarn, 4,1 % Deutsche, 4 % Juden, 3,2 % Ruthenen, 2,3 % Russen, 2 % Bulgaren, 4,6 % Sonstige. Die Anteile in Siebenbürgen betrugen bei 5 548 363 Einwohnern: 57,8 % Rumänen, 24,4 % Ungarn, 9,8 % Deutsche, 3,2 % Juden, 4,8 % Sonstige. Diese Volkszählung machte einen Unterschied zwischen ethnischer Zugehörigkeit und Muttersprache, so wurden Juden und Zigeuner als Volksgruppen angegeben, selbst wenn sie auch ungarisch sprachen. (Hier seien die Bevölkerungsanteile aufgrund der Muttersprache nach der Volkszählung von 1910 erwähnt: 53,8 % Rumänen, 31,6 % Ungarn, 9,8 % Deutsche, 4,8 % Sonstige.)
Der Herrschaftswechsel begünstigte die Rumänen sowohl wirtschaftlichgesellschaftlich als auch kulturell. Den offiziellen Statistiken nach waren bis zum 1. Juni 1927 aufgrund des Bodenreformgesetzes von 1921 212 803 Rumänen, 45 628 Ungarn, 15 934 Sachsen und Schwaben und 6314 Personen anderer Nationalität Nutznießer der Bodenreform in Siebenbürgen. Obwohl der Staat bestrebt war, den bei den Banken verschuldeten Kleinbesitzern mit seiner Steuer- und Kreditpolitik zu helfen, verhinderte der technische Rückstand eine Produktivitätserhöhung in der Landwirtschaft, die Klein- und Zwergbauern lebten unter armseligen Umständen, und das Los der Bauernschaft blieb – unabhängig von der Nationalität – auch weiterhin ein großes soziales Problem.
Tabelle 9. Zusammensetzung der Bevölkerung Rumäniens nach Muttersprache und Nationalität aufgrund der Volkszählung von 1930
 
Bevölkerung
Muttersprache
Nationalität
Muttersprache
Nationalität
in 1000
%
Rumänen
13 181
12 981
73,0
71,9
Ungarn
1 554
1 426
8,6
7,9
Deutsche
761
745
4,2
4,1
Juden/Jiddisch
5,9
728
2,9
4,0
Ruthenen/Ukrainer
641
582
3,6
3,2
Russen
451
409
2,5
2,3
Bulgaren
264
366
2,0
2,0
Zigeuner
101
263
0,6
1,5
Sonstige und Unbekannte
485
557
2,6
3,1
Insgesamt
18 057
18 057
100,0
100,0
Quelle: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930 (Allgemeine Volkszählung vom 29. Dezember 1930). II. Bucureşti 1938, 1–180.
Der Staat unterstützte die rumänischen Handwerker und Kleinhändler, deren Zahl sich nicht bedeutend erhöhte, sowohl mit wirtschaftlichen als auch mit administrativen Mitteln. Die siebenbürgische Bank Albina wurde eine der größten Banken Rumäniens; in Klausenburg wurden zur siebenbürgischen Handels- und Industrieförderung die Banca Centrală und zur Finanzierung 666der Landwirtschaft die Banca Agrară gegründet. Die Entwicklung des siebenbürgisch-rumänischen Kreditwesens stagnierte aber wegen der Konkurrenz der Bukarester Banken.
Der Herrschaftswechsel brachte den Angestellten und Intellektuellen besondere Vorteile, da der Verwaltungs- und der kulturelle Apparat erweitert wurden und viele Magyaren nach Ungarn übersiedelten oder ihr Amt verloren. Die Karriereaussichten der Siebenbürger Rumänen wurde aber durch die große Zahl derer eingeschränkt, die aus dem Regat genannten Altrumänien eintrafen, und das führte sehr bald zu Konflikten.
Zu den Gegensätzen trugen auch die Unterschiede in Kultur und Lebensweise bei. In Altrumänien waren die Orthodoxen in überwiegender Mehrheit, in Siebenbürgen gehörten die Rumänen dagegen zwei unterschiedlichen, aber früher gleichgestellten Kirchen an (1930 bekannten sich 1,9 Millionen Rumänen zur orthodoxen und 1,4 Millionen zur griechisch-katholischen Kirche). Rumänien betrachtete die Orthodoxie als Staatsreligion, und die griechisch-katholische Kirche hatte bloß ein „Vorrecht“ gegenüber den anderen (nichtrumänischen) Kulten. Beide Kirchen bekamen beträchtliche staatliche Unterstützung, trotzdem erreichten die Orthodoxen bei der Organisation neuer Kirchengemeinden und dem Bau neuer Kirchen einen Vorsprung. Infolge der Verstaatlichung des rumänischen Konfessionsschulnetzes verloren die Griechisch-Katholischen ihre Institutionen mit eigener Tradition und damit die Möglichkeit, bei der Erziehung der Jugend ihr seit dem 18. Jahrhundert bestehendes und die Verbindung zu Rom und Wien pflegendes kulturelles Erbe zu bewahren.
Die gesellschaftliche Basis der siebenbürgisch-rumänischen nationalen Politik war die Bauernschaft, und traditionsgemäß reagierte die siebenbürgisch-rumänische herrschende Schicht auf die Probleme im Dorf immer empfindlicher als die Rumänen im alten Königreich. Unterschiede gab es auch in den wirtschaftlichen und Verwaltungstraditionen Siebenbürgens, es bestanden unterschiedliche moralische Normen im öffentlichen Leben und abweichende Gewohnheiten auch im Alltagsleben.
Tradition, wirtschaftliche und kulturelle Interessen sowie Unterschiede in der Lebensweise sind also zusammengenommen die Erklärung dafür, daß ein großer Teil der Siebenbürger Rumänen die Rumänische Nationalpartei Iuliu Manius mit ihrem Programm, das die spezifischen siebenbürgischen Interessen artikulierte, unterstützte. Die Klausenburger Patria schrieb bereits am 26. Dezember 1920 gegen die „Regatler“: „Sie betrachten und behandeln Siebenbürgen als eine Kolonie“, und 1922 blieb die Nationalpartei sogar der Königskrönung fern. 1928 kam Maniu schließlich mit der Nationalen Bauernpartei (Nationalzaranisten) – die er mit einem Partner aus dem alten Rumänien geschaffen hatte – an die Regierung, konnte aber die siebenbürgischen Sonderinteressen nicht durchsetzen, und sein Bauernschutzprogramm verkehrte sich infolge nur halbherziger Maßnahmen und der Weltwirtschaftskrise in sein Gegenteil. Mit der Möglichkeit zum freien Verkauf des Grundbesitzes wurde der Bodenverlust der Kleinbauern gefördert, die Genossenschaften und die Volksbanken wurden ein Instrument für die Ausbeutung der Armen.
Während Maniu in den 20er Jahren noch gewisse Sonderrechte für Siebenbürgen forderte und damit Sympathien zu gewinnen versuchte, verkündete ein anderer Teil der Siebenbürger Rumänen, wie die vom Dichter 667Octavian Goga geleitete Richtung, die Notwendigkeit einer starken Zentralisierung gegen alle Autonomiebestrebungen. Die territorialen Revisionsbestrebungen Ungarns verstärkten den Gedanken an einen einheitlichen Charakter des rumänischen Staates immer wieder auch bei jenen, die sonst die korrupte Parteienherrschaft verurteilten und die siebenbürgischen partikularen Gesichtspunkte zur Geltung kommen lassen wollten.
Der Herrschaftswechsel kam den Rumänen auch in kultureller Hinsicht zugute. 1910 war noch etwa die Hälfte der Bevölkerung Siebenbürgens des Lesens und Schreibens unkundig, und die Mehrheit dieser Menschen wohnte in den von Rumänen bewohnten Komitaten (in den Komitaten Hunyad, Unter-Fehér, Kolozs, Szilágy und Marmarosch machte die Zahl der Analphabeten zwei Drittel der Erwachsenen aus). Durch die Verstaatlichung und Erhöhung der Zahl der Schulen und durch den Zuwachs an Lehrkräften verbesserten sich die Bildungsvoraussetzungen für eine kulturelle Entwicklung. Bis 1930 stieg der Anteil der Schreib- und Lesekundigen auf 67,4 %; in den Städten auf 83,7 %, in den Dörfern auf 62,5 %. In den Komitaten Kolozs, Hunyad, Szilágy, Bihar, Torda und Marmarosch waren in den Dörfern trotzdem noch 37,4–68,6 %, der Bevölkerung Analphabeten. Die überwiegende Mehrheit der Schreib- und Lesekundigen hat hier aber auch nur die vier Klassen der Volksschule absolviert.
Der Unterricht in den Mittelschulen weitete sich aus und differenzierte sich, was auch eine Zunahme der geistig Tätigen und Intellektuellen unter den Rumänen zur Folge hatte. Die Intelligenz wurde vor allem an der gut ausgestatteten Universität von Klausenburg ausgebildet, deren Unterrichtssprache 1919 rumänisch wurde. 1921 kam es in Temeschwar zur Gründung einer technischen Hochschule.
Es entstand eine stärker gegliederte rumänische Intelligenz, die nicht mehr nur aus Lehrern und Geistlichen bestand, sondern auch aus Ärzten, Ingenieuren und anderen Geistesschaffenden. Ein erheblicher Teil der Intelligenz kam aus den Dörfern, hauptsächlich Kinder wohlhabender Bauern. Dies stärkte den Glauben an die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Aufstiegs und einer Teilnahme an der Macht. Unter diesen Umständen stand die überwiegende Mehrheit dieser Intelligenz auf seiten der herrschenden Klassen, und nur sehr wenige kamen mit der Arbeiterbewegung in Berührung. Für den Nationalismus der Intelligenz war auch der Populismus kennzeichnend, der für die siebenbürgisch-rumänische Kultur auch am Ende des 19. Jahrhunderts charakteristisch gewesen war und sich vor allem in der Förderung der Volkskunst und in der Bindung an das mythisierte Bauerntum äußerte.
Diese Entwicklungslinie der siebenbürgisch-rumänischen Kultur wurde von Lucian Blaga weitergeführt, der in seiner philosophisch-kosmischen Dichtung Antworten auf die Existenzfragen der Menschen suchte und in seinen Aufsätzen ein aus der deutschen Lebensphilosophie und der rumänischen Volksdichtung geschöpftes mythisches Bild vom Schicksal und dem Charakter seines Volkes entwarf. Das wichtigste Organ dieser Richtung war die recht anspruchsvolle Zeitschrift Gândirea (Gedanke), die mit ihrer geistigen Ausrichtung den Nationalismus stärkte. Die Welt des rumänischen Dorfes wurde auch in der Prosa thematisiert, deren Vertreter Liviu Rebreanu und Ion Agîrbiceanu die siebenbürgisch-rumänischen Bauern teilweise in einer idyllischen Umgebung darstellten, aber auch in ihrem Kampf gegen die 668ungarische herrschende Klasse – die sie als „die ungarische Herrschaft“ identifizierten – sowie die Tragödien des Alltags beschrieben.
Die Entwicklung der Wissenschaft an der Klausenburger Universität war ebenfalls eng mit der nationalen Problematik verbunden: Archäologen, Historiker, Sprachwissenschaftler und Folkloristen widmeten sich voll und ganz dem Beweis der dakorumänischen Kontinuität und dem Studium der früheren siebenbürgisch-rumänischen nationalen und sozialen Bewegungen, der Folklore und der Volkskunst. Der Bedarf der Wirtschaft bewirkte auch eine Entwicklung der rumänischen Naturwissenschaft, die an der Klausenburger Universität von hervorragenden Wissenschaftlern gelehrt wurde.

 

 

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