Das Schicksal der Siebenbürger Ungarn

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Das Schicksal der Siebenbürger Ungarn
Im Unionsbeschluß von Karlsburg wollten die Führer der Siebenbürger Rumänen zugleich eine Charta der Freiheitsrechte für alle Nationalitäten schaffen: „Völlige nationale Freiheit für die mitwohnenden Nationalitäten. Jedes Volk hat das Recht auf eigene Erziehung, Verwaltung und Rechtsprechung in der eigenen Muttersprache, auf eigene Verwaltung durch Personen aus seiner Mitte. Das Recht auf Vertretung in den Gesetzgebungsgremien und in der Regierung des Landes kommt jedem Volk entsprechend seinem Bevölkerungsanteil zu.“* In politischen und gesellschaftlichen Fragen spiegelte dieser Beschluß den Geist der bürgerlichen Demokratie wider, den er auch für die Minderheiten zur Geltung kommen lassen wollte.
Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191–1975. Hrsg. von E. WAGNER. Köln–Wien 21981, 265.
Rumänien verpflichtete sich 1919 in einem internationalen Vertrag zur Wahrung der Minderheitenrechte. Der Minderheiten-Schutzvertrag gewährte der nichtrumänischen Bevölkerung die allgemeine Rechtsgleichheit, den freien Sprachgebrauch und den Unterricht in Nationalitätenschulen, er stellte den Szeklern und Sachsen eine gewisse kulturelle Gruppenautonomie in Aussicht und berechtigte die Minderheiten, sich mit ihren Beschwerden um Rechtsbeistand an den Völkerbund zu wenden. Die Rechtsgleichheit für die Angehörigen der Nationalitäten wurde auch durch die liberale Verfassung von 1923 bestätigt, die aber das Land zum „rumänischen Nationalstaat“ erklärte und die wichtigen Zusagen des Karlsburger Beschlusses nicht beinhaltete. Zwischen den internationalen Abkommen und den Verfassungsbestimmungen auf der einen und der Wirklichkeit auf der anderen Seite bestand stets eine Diskrepanz, die in hohem Maße die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Minderheit beeinflußte.
Die Volkszählung von 1930 bestimmte die Anzahl der Magyaren in Siebenbürgen – aufgrund der Muttersprache – mit 1480 712 Personen. Nach 1918 wurden 200 000 (anderen Schätzungen nach 300000) Magyaren, hauptsächlich Intellektuelle und Angestellte, „repatriiert“, d. h. sie verließen Siebenbürgen und siedelten nach Ungarn über. Mehr als ein Drittel der Magyaren wohnte im Szeklerland, etwa ein Viertel in den siebenbürgischen Städten und ungefähr ebenfalls ein Viertel an der westlichen Grenze.
669Tabelle 10. Zusammensetzung der Bevölkerung Siebenbürgens nach Muttersprache und Nationalität aufgrund der ungarischen Volkszählung von 1910 und der rumänischen Volkszählung von 1930
 
Bevölkerung
1910
1930
1910
1930
Muttersprache
Muttersprache
Nationalität
Muttersprache
Muttersprache
Nationalität
in 1000
in 1000
%
%
Rumänen
2830
3233
3208
53,8
58,2
57,8
Ungarn
1664
1481
1353
31,6
26,7
24,4
Deutsche
516
541
544
9,8
9,8
9,8
Juden/Jiddisch
49*
geschätzte Angabe
111
179
0,9
2,0
3,2
Zigeuner
60
44
109
1,2
0,8
2,0
Sonstige
144
138
155
2,7
2,5
2,8
Insgesamt
5263
5548
5548
100,0
100,0
100,0
Quelle: Angaben der Volkszählung 1910: Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen. Neue Serie). Band 42; E. JAKABFFY, Erdély statisztikája (Statistik Siebenbürgens). Lugos 1923. Angaben der Volkszählung 1930: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930. II. Bucureşti 1938, 1–180.
In ihrer Berufs- und Sozialstruktur war die siebenbürgisch-ungarische Gesellschaft traditionell komplexer als die der Rumänen. (Auf diesem Gebiet weisen alle Nationalitäten in vieler Hinsicht abweichende, spezifische Züge auf.) Verglichen mit der Gesamtbevölkerung hatte sie einen weniger agrarischen Charakter: nur 58 % waren in der Urproduktion tätig (einen noch geringeren Anteil am Agrarsektor hatten bloß Deutsche und Juden). Fast 20 % der Ungarn arbeiteten im Bergbau oder in der Industrie, 7,8 % erwarben ihr Einkommen im Handel sowie im Kredit- und Verkehrswesen. Der Anteil der nur gelegentlich Arbeitenden (hauptsächlich Tagelöhner) war mit 2,5 %, relativ hoch.
Die Lage der Magyaren in Rumänien verschlechterte sich teils infolge gewisser ungünstiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse, teils wegen der diskriminierenden Nationalitätenpolitik. Die Rückständigkeit der Industrieentwicklung betraf die von Magyaren bewohnten Gebiete, vor allem das Szeklerland. Die Krise der 30er Jahre hatte auf die zahlreichere ungarische Arbeiterschaft, die Handwerker und Einzelhändler die nachteiligste Wirkung. Obwohl die Bodenreform von 1921 manchenorts auch die ungarischen Bauern begünstigte, vermochte sie die Bedürfnisse des ungarischen Agrarproletariats nicht zu befriedigen. Die Reform hat vor allem die Schicht der ungarischen Groß- und Mittelbesitzer, aber auch die Kirchen und anderen Gemeinschaften der Magyaren wirtschaftlich stark beeinträchtigt. Während der Grundbesitz der rumänischen Kirchen sich im allgemeinen vergrößerte, wurden mehr als 314 000 Morgen Land der ungarischen Kirchen enteignet, obwohl diese die Einkünfte aus ihrem Landbesitz bislang primär für kulturelle und Unterrichtszwecke verwendet hatten.
Eine wirtschaftliche Diskriminierung bestand darin, daß in den Szekler Komitaten höhere Steuern veranlagt wurden als in Gebieten mit rumänischer Bevölkerungsmehrheit. Die Lage der ungarischen Handwerker und Einzelhändler wurde nicht nur durch Steuern, sondern auch durch Entzug oder direkte Aufhebung von Krediten erschwert. Die ungarischen Banken 671bekamen von der Rumänischen Nationalbank nicht dieselbe Unterstützung wie die anderen und konnten deshalb bloß Kredite in beschränktem Rahmen gewähren. Zudem leisteten diese Banken, einzig ihren reinen Geschäftsinteressen folgend, den in Not geratenen Kleinbauern – gemessen an ihren Möglichkeiten – keinerlei Hilfe.
670Tabelle 11. Zusammensetzung der Bevölkerung Siebenbürgens nach beruflichen Hauptgruppen und Nationalitäten 1930 (arbeitende und nichtarbeitende Bevölkerung)
 
Berufliche Hauptgruppen
Rumänen
Ungarn
Deutsche
Juden
Sonstige
Gesamtbevölkerung
in 1000
%
in 1000
%
in 1000
%
in 1000
%
in 1000
%
in 1000
%
Urproduktion
2598
81,0
786
58,0
294
54,1
16
9,2
171
64,5
3865
69,7
Bergbau, Industrie
209
6,5
270
1919
130
24,0
48
26,7
42
15,9
699
12,6
Handel, Kreditwesen, Verkehr
112
3,5
106
7,8
40
7,2
72
40,4
8
3,0
338
6,1
Verwaltung
48
1,5
25
1,8
8
1,5
3
1,9
2
0,6
86
1,5
Im Dienste der Kirchen
16
0,5
8
0,6
2
0,5
6
3,6
1
0,2
33
0,6
Unterricht
26
0,8
12
0,9
6
1,1
2
1,0
1
0,3
47
0,8
Militär, Polizei
63
2,0
5
0,4
3
0,6
2
1,2
7
2,7
80
1,5
Gesundheitswesen
10
0,3
16
1,2
10
1,8
3
1,7
2
0,8
41
0,7
Gelegentlich Arbeitende
37
1,2
34
2,5
7
1,4
5
2,7
13
4,9
96
1,7
Sonstige, Unbekannte
89
2,7
91
6,9
44
7,8
22
11,6
17
7,1
263
4,8
Insgesamt
3208
100,0
1353
100,0
544
100,0
179
100,0
264
100,0
5548
100,0
Quelle: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930. VII. Bucureşti o. J.
Die natürliche Beschaffenheit der Komitate im Szeklerland war für die Landwirtschaft nicht günstig, und da es hier kaum Industrie gab, war ein großer Teil der Jugend gezwungen, ins „Regat“ abzuwandern (Schätzungen sprechen für diesen Zeitabschnitt von 100 000 Siebenbürger Ungarn) oder in den siebenbürgischen Städten Arbeit zu suchen; viele kamen als Dienstboten unter. Die Wirtschaftskrise führte auch zu einer vermehrten Auswanderung (die Zahl der nach Westen, vor allem in die Vereinigten Staaten emigrierten Ungarn kann mindestens auf 50 000 geschätzt werden).
Ein Teil der Aristokratie verließ Siebenbürgen, andere blieben aber dort und vermochten trotz Vermögensverluste aufgrund ihrer Beziehungen zu den führenden rumänischen Kreisen oder auch zu Ungarn eine Rolle in der Politik bzw. im öffentlichen Leben zu spielen. Ein großer Teil der ehemals mittleren Besitzschicht verarmte, deren Kinder versuchten, in den Städten Erwerbsmöglichkeiten zu finden, oder sie emigrierten. Auch viele Stadtbürger und Intellektuelle verließen Siebenbürgen, vor allem Beamte und Angestellte. 1919 verweigerten die ungarischen Beamten den Treueid auf die neue Macht, weshalb sie entlassen wurden. Später kam es zu Entlassungen unter dem Vorwand, daß die Beamten des Rumänischen nicht mächtig seien, eine Begründung, mit der selbst Postboten und Eisenbahnern gekündigt wurde. In den 30er Jahren kam bereits bei den Privatbetrieben der sog. „Numerus valachicus“ zur Geltung, d. h. die Angestellten mußten mehrheitlich Rumänen und die Geschäftssprache das Rumänische sein.
Die Vorherrschaft der rumänischen Sprache hat man mit allen Mitteln durchgesetzt. Orts- und Straßennamen durften selbst in Ortschaften mit ungarischer Mehrheit nicht ungarisch geschrieben, ja manchmal sogar selbst in ungarischsprachigen Publikationen nicht erwähnt werden, zweisprachige Firmenschilder wurden mit einer Steuer belegt und schließlich abgeschafft. Von 1921 an wurden alle Gerichtssachen rumänisch verhandelt, der Sprache nicht mächtige Klienten benötigten die Hilfe eines Dolmetschers. Alle Behördengesuche mußten in der Staatssprache verfaßt sein. An öffentlichen Stellen erschien die Aufschrift: „Es darf nur rumänisch gesprochen werden.“ Die Ansiedlung von Rumänen setzte ein, vor allem an der westlichen Grenze und im Szeklerland – größere ethnische Veränderungen brachte sie aber nicht. Eine außerordentliche Kampagne für die Rumänisierung der Szekler wurde gestartet. Nationalistische Kreise beteuerten, die Szekler seien eigentlich magyarisierte Rumänen, und deshalb handle es sich jetzt bloß um deren Rerumänisierung. Von 1924 an war man bestrebt, die Rumänisierung der fast völlig ungarischsprachigen Bevölkerung und der gemischt Muttersprachigen des Grenzgebietes (manchenorts auch mit ungarischer Mehrheit) dadurch zu beschleunigen, daß in den 10 Komitaten dieser Gebiete – der offiziellen Begründung nach zur Intensivierung des rumänischen Unterrichts – eine sog. Kulturzone geschaffen wurde. In den staatlichen Schulen wurden Lehrer aus dem Regat mit 50 % höherem Gehalt angestellt, zuzüglich 10 ha Land zur Ansiedlung. Man betrachtete nämlich die Schule als das Hauptinstrument der Assimilation.
672Der ungarischsprachige Unterricht beschränkte sich nach 1919 praktisch auf die Konfessionsschulen, da mehr als 1000 staatliche Volksschulen mit Ungarisch als Unterrichtssprache geschlossen wurden. Im Schuljahr 1930/31 unterhielten die Kirchen – ohne jede staatliche Unterstützung – 483 reformierte, 297 katholische, 36 unitarische und 6 evangelische Volksschulen mit 76 255 Schülern, also 57,6 % der Schulpflichtigen ungarischer Muttersprache. Den übrigen stand im Prinzip das Recht zu, in ungarischsprachigen staatlichen Schulen oder in den ungarischen Abteilungen rumänischer Schulen zu lernen, deren Zahl ging aber ständig zurück (1934/35 bestimmungsgemäß nur noch 112), in ihnen lernten 11 484 eingeschriebene Schüler. Typischerweise gab es in Komitaten wie Csík und Szatmár keine einzige staatliche Schule mit ungarischer Abteilung, folglich war ein erheblicher Teil der ungarischen Kinder gezwungen, in rumänische Schulen zu gehen, wozu sie übrigens auch aufgrund der im Szeklerland durchgeführten Namenanalyse zur Feststellung der Abstammung gezwungen wurden. Das Gesamtbild wird dadurch abgerundet, daß die Sprache der staatlichen Kindergärten – zumindest nach offiziellen Angaben – überall das Rumänische war. Ungarische konfessionelle Kindergärten gab es zu dieser Zeit lediglich 18.
Im Mittelschulunterricht war die Lage noch schlechter. Im Schuljahr 1930/31 gab es 23 ungarischsprachige Bürgerschulen (Klassen 5-8), denen das Stiftungsvermögen entzogen worden war, 17 Lyzeen, 7 Lehrerbildungsanstalten, 4 Oberhandelsschulen und landwirtschaftliche Winterschulen. Das entsprach einer Abnahme von 50 %, gegenüber 1918, als es allein 116 konfessionelle ungarischsprachige Mittelschulen gab. Ein Teil der konfessionellen Mittelschulen hatte kein sog. Öffentlichkeitsrecht, d. h. sie konnten erst dann ein gültiges Zeugnis ausfertigen, nachdem es durch die rumänischen Schulbehörden überprüft worden war. Zwischen 1930 und 1935 lernten 2609 Jugendliche in als Privatschulen qualifizierten Mittelschulen, außerdem besuchten 3645 von ihnen rumänischsprachige Mittelschulen.
Das sog. Privatschulgesetz (1925) schrieb vor, daß in den Schulen nicht nur die rumänische Sprache, sondern auch Geschichte, Geographie und Bürgerkunde rumänisch unterrichtet werden mußten. Die Absolventen der Lyzeen hatten das Abitur in rumänischer Sprache abzulegen, und zwar vor Ausschüssen, deren Mitglieder aus den rumänischen Lehrkörpern anderer Schulen ausgewählt worden waren – das hatte zur Folge, daß die Mehrheit der Abiturienten die Prüfung nicht bestand.
Ein schwerer Nachteil aufgrund des mangelhaften Schulsystems war die stagnierende Ausbildung von Gewerbetreibenden und Kaufleuten, da es kaum ungarischsprachige Fachschulen gab und sich nur wenige ungarische Jugendliche in rumänischen Schulen dieser Art einschreiben lassen konnten, obwohl unter den neuen Lebensbedingungen die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Berufe auch für die Magyaren zugenommen hatte. Die Facharbeiterausbildung geschah eher in den Fabriken und kleinen Werkstätten, aber ab 1927 durften auch die Lehrlinge nur rumänisch unterrichtet werden.
Die Fortbildung an Hochschulen und Universitäten für die wenigen ungarischen Abiturienten stieß auf zahlreiche Schwierigkeiten. Ein gesellschaftlicher Versuch zur Gründung einer ungarischen interkonfessionellen Universität scheiterte am Verbot der Behörden. Die Zahl der ungarischen Studenten an den Universitäten Rumäniens nahm ständig ab: Waren es 1933/34 noch 1443, so 1937/38 nur noch 878. (Es war für die fachliche 673Zusammensetzung der Studenten kennzeichnend, daß von letzteren 287 Jura, 126 Philosophie, 116 Naturwissenschaften, 118 Medizin, 54 technische Fächer studierten.) An der Klausenburger rumänischen Universität wurden jährlich etwa 2500 Studenten immatrikuliert, davon durchschnittlich 300 Ungarn, von denen aber nur wenige ihr Studium abzuschließen vermochten. In den ersten zehn Jahren bekamen bloß 304 ungarische Studenten ihr Diplom, d. h. 6–7 % aller Diplomierten. Folglich fehlte der ungarischen Intelligenz der Nachwuchs, weil die wenigen hundert jugendlichen, die an den Budapester oder anderen ausländischen Universitäten oder Hochschulen studiert hatten, nur zum Teil nach Siebenbürgen zurückkehrten. Die Anstellung der Pädagogen gestaltete sich am schwierigsten: sie konnten nur an Konfessionsschulen und mit niedrigem Gehalt unterrichten, und ihre definitive Bestätigung war an unterschiedliche Prüfungen gebunden.
Der Unterricht in der Muttersprache wurde in den 30er Jahren noch weiter zurückgedrängt, da sich die wirtschaftliche Lage infolge der Weltwirtschaftskrise verschlechterte und somit viele ungarische Schüler das hohe Schulgeld in den Konfessionsschulen nicht mehr bezahlen konnten. Viele gaben unter den zwingenden Umständen und dem Druck der gewaltsamen Rumänisierung nach und ließen ihre Kinder in eine staatliche Schule einschreiben. Die Diskriminierungsmaßnahmen waren so offensichtlich, daß im Minderheitenstatut, das 1938 durch die königliche Diktatur erarbeitet wurde, gerade auf dem Gebiet des Unterrichts bedeutende Vergünstigungen zugesichert wurden – natürlich ohne solche jemals zu verwirklichen.
Da die Kirchen die Mehrheit der Institutionen des ungarischsprachigen Unterrichts – und auch der öffentlichen Bildung – in Händen hatten, wuchs die Bedeutung der Kirchen für das Leben der Minderheiten. Die Geistlichen, besonders die jungen unter ihnen, leisteten trotz der Behördenschikanen viel für die Entwicklung der Bildung auch in den kirchlichen Vereinen.
Die Arbeit der einzelnen Organe und Institutionen in Bereich von Information und Kultur erfuhr starke Einschränkungen. Mitte der 20er Jahre begann die ungarische Presse die in den ersten Jahren verlorenen Möglichkeiten zurückzuerhalten und ersetzte den Verlust der den Siebenbürgern durch die Zensur jahrelang vorenthaltenen Budapester Zeitungen. Die Auflagen waren zwar nicht allzu hoch – ausgenommen die Brassói Népújság (Kronstädter Volkszeitung) mit 50 000 Exemplaren Auflage. Die Freiheit der Minderheitenpresse wurde durch Presseprozesse und den sich regelmäßig wiederholenden Ausnahmezustand eingeschränkt. Diese Presse hatte das große Verdienst, neben den konservativen Richtungen auch liberale Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Auch ungarische Zeitschriften wurden in beträchtlicher Zahl herausgegeben. 1921 erschien die Literaturzeitschrift Pásztortűz (Hirtenfeuer), 1928 der Erdélyi Helikon (Siebenbürgischer Helikon), der die Tätigkeit des im Jahre 1924 gegründeten Kulturvereins Erdélyi Szépmíves Céh (Siebenbürgische Zunft der Schönen Künste) unterstützte. 1926 erschien die Zeitschrift Korunk (Unsere Zeit), eine marxistische, bewußt an Europa orientierte gesellschaftspolitische und literarische Monatsschrift.
Von den Kunstinstitutionen muß das Klausenburger ungarische Theater hervorgehoben werden, das sich mit der Aufführung der Werke siebenbürgisch-ungarischer Schriftsteller besonders große Verdienste erwarb. Es gab viele selbständige Gruppen im Bereich des Theaters und der Musik.
674Die Initiatoren des literarisch-kulturellen Lebens der Magyaren waren Persönlichkeiten wie Károly Kós, Aladár Kuncz, Sándor Reményik, János Kemény und Miklós Bánffy. In den 30er Jahren meldeten sich hervorragende neue Vertreter dieser Literatur zu Wort wie Áron Tamási, István Asztalos oder Sándor Kacsó in der Prosa sowie Lajos Áprily und Jenő Dsida in der Lyrik. Diese Literatur setzte sich zum Ziel, die eigene Lage zu analysieren, das Selbstbewußtsein zu stärken sowie die Werte des Ungartums, insbesondere die Erhaltung der Sprache und der Kultur zu pflegen.
Viele der Intellektuellen wurden zu Anhängern des sog. Transilvanismus, der gestützt auf historische Erfahrungen Siebenbürgen und den Siebenbürger Ungarn eine besondere Rolle zugedacht hatte und eine Lösung der ethnischen Problematik vor allem in der Versöhnung und gefühlsmäßigen Annäherung der hier lebenden Völker suchte. Auch nahm die Sensibilität für die gesellschaftlichen Probleme zu: Schriftsteller und Sozialwissenschaftler schilderten die sozialen Spannungen im Szeklerland und in den siebenbürgisch-ungarischen Städten. Es gab natürlich auch Schriftsteller, die das traditionelle Leben des Dorfes beschrieben und eine Art mystischer Volksmärchenstimmung erweckten.
Rezeption und Popularisierung der rumänischen Literatur bildete eine spezifische Aufgabe für das ungarische geistige Leben. Mit einigen großen rumänischen Schriftstellern, unter anderen Octavian Goga, Emil Isac oder Victor Eftimiu, kam es auf diesem Gebiet zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Viele von den siebenbürgisch-ungarischen Schriftstellern übernahmen auch eine Vermittlerfunktion zwischen der rumänischen und ungarischen Literatur. Einige populistische Schriftsteller (eine Richtung, die anders als die Urbanen die traditionelle dörfliche Kultur und die nationalen Werte betonte) in Ungarn – wie z. B. László Németh – interessierten sich für das „Minderheitenschicksal“ und suchten Kontakte zu den siebenbürgisch-ungarischen Schriftstellern und durch diese auch zu den rumänischen. Es gab auch Versuche zur Zusammenarbeit zwischen ungarischen und sächsischen Schriftstellern, so mit dem Kreis um die Zeitschrift Klingsor. Ein solcher „Händedruck“ konnte freilich keine Wende herbeiführen. In der Atmosphäre des wütenden Nationalismus verkümmerte jeder Versuch in Richtung auf ein längerfristiges Zusammenwirken.
Das ungarische wissenschaftliche Leben war auf einen engen Raum zurückgedrängt; es waren eher Einzelne, die Wissenschaft betrieben, Institutionen gab es kaum. Es gab keine moderne Hochschule, und die Tätigkeit des Siebenbürgischen Museumsvereins wurde eingeschränkt. Letzterer befaßte sich vor allem mit der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und gab Anregungen für die Aufarbeitung historischer Themen, u. a. der gemeinsamen rumänisch-ungarischen Vergangenheit.
Die Literatur und das geistige Leben erfüllten unter den gegebenen Umständen auch politisch-ideologische Funktionen, vor allem bei der Pflege des ungarischen Nationalbewußtseins und der Organisation des kulturellen Lebens. Bis Mitte der 30er Jahre überließ die Intelligenz die direkte politische Auseinandersetzung gerne dem Adel und jenen bürgerlichen Kreisen, die infolge ihrer Traditionen und ihres Vermögens dafür als geeigneter galten.
Da mit dem Frieden von Trianon die Zugehörigkeit Siebenbürgens auch rechtlich entschieden worden war, verkündeten die konservativen politischen 675Führer der Magyaren die loyale Anpassung und die sog. politische Verpflichtung zur Verteidigung der eigenen Rechte; an die Gründung einer Partei dachten sie anfangs noch nicht. Der demokratisch gesinnte Künstler und Architekt Károly Kós gründete im Juni 1921 in Bánffyhunyad eine Volkspartei, die sich aber nicht landesweit durchsetzen konnte. Nach mehreren Gründungsversuchen unterschiedlicher demokratischer und aristokratischer Parteien konnte schließlich Ende 1922 eine beständigere Organisation, die Országos Magyar Párt (Ungarische Partei), geschaffen werden. Sie wurde von Vertretern der Aristokratie und des Bürgertums in konservativem Geist geführt, aber gestützt auf die sichere Grundlage, daß die Anliegen und Beschwerden der Nationalität allen Schichten gemeinsam seien. 1923 schloß die Partei mit dem im Namen der Volkspartei von General Averescu verhandelnden Dichter Goga das Abkommen von Csucsa, das für den Fall eines Wahlsieges der gemeinsam aufgestellten Kandidaten folgende Zusicherungen enthielt: eine gewisse Autonomie für die ungarischen Kirchen; das Öffentlichkeitsrecht der Konfessionsschulen (Anerkennung ihrer Examina), Erleichterung der Tätigkeit weiterer ungarischsprachiger kultureller Institutionen; erweiterter Muttersprachengebrauch in Dörfern mit mindestens 25 % ungarischer Bevölkerung und in der Rechtsprechung. Die Ungarische Partei kündigte dieses Abkommen bald wieder auf und traf 1926 eine ähnliche Vereinbarung mit der für stärker gehaltenen Liberalen Partei. Bald danach kehrte sie aber zum Bündnis mit der Volkspartei zurück. Später unternahm sie wiederholte Versuche zur Zusammenarbeit erst mit der deutschen Minderheit und dann aufs neue mit den Liberalen. Solche Vereinbarungen konnten trotz des für die kleinen Parteien ungünstigen Wahlsystems den Magyaren einige Parlamentsabgeordnete sichern. Die festen Zusagen erfüllten die Regierungen aber trotzdem nicht, so daß diese Politik des Paktierens praktisch keine Verbesserungen für das Los der Magyaren brachte. Gewisse Veränderungen erfolgten eher durch kleine Schritte in Richtung einer Demokratisierung des Landes, so z. B. die zeitweise Aufhebung des Ausnahmezustandes oder die durch die Maniu-Regierung durchgeführten sauberen Wahlen von 1928 (als die Ungarische Partei auf den zweiten Platz aufrückte). Aber der Erfolg auch dieser Maßnahmen wurde durch die allgemeine politische Verwirrung und Rechtsradikalisierung infolge der Wirtschaftskrise zunichte gemacht.
Die Ungarische Partei oder die von ihr unterstützten Gruppen bzw. Institutionen versuchten von Zeit zu Zeit, sich aufgrund der internationalen Verträge – hauptsächlich wegen vermögensrechtlichen und Schulbeschwerden – an den Völkerbund zu wenden. Auf diesem Forum aber wurden die Beschwerden für die rumänische Regierung natürlich zu einer Prestigefrage, und sie tat daher alles, um den Nachweis zu führen, wie sehr solche Klagen unbegründet seien, unter anderem berief sie sich auch darauf, daß die deutsche Minderheit (die eine andere Taktik verfolgte) „mit ihrem Schicksal zufrieden“ sei und nicht um Hilfe von außen bitte. Abgesehen von gewissen vermögensrechtlichen Kompromissen vor allem zugunsten der nach Ungarn umgesiedelten Gutsbesitzer, konnte der Völkerbund die Minderheitenrechte nicht durchsetzen. Auch Versuche, bei Beschwerden der katholischen Kirche um die Hilfe des Vatikans zu bitten, hatten keinerlei Erfolg. All das war ein Zeichen dafür, daß jenes auf der Möglichkeit der internationalen Kontrolle aufgebaute System des Minderheitenschutzes nicht wirklich funktionstüchtig war.
676Unter den Vertretern der progressivsten gesellschaftlichen und nationalen Forderungen bei den Ungarn waren auch die Kommunisten, die eine aktive Rolle in der Kommunistischen Partei Rumäniens und den mit dieser zusammenarbeitenden Organisationen spielten. Zum Kampf gegen die zunehmende Ausbeutung und den Nationalismus wurde 1934 aus der Opposition der Ungarischen Partei aufgrund der Empfehlungen der Kommunisten der Verband Ungarischer Werktätiger (MADOSZ) geschaffen, der im Rahmen einer sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und im Zeichen der allgemeinen Demokratisierung eine Lösung der Nationalitätenfrage und die Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes anstrebte. Mit dem Verband arbeiteten nicht nur die rumänischen Kommunisten, sondern auch die radikale rumänische Landarbeiterpartei (Frontul Plugarilor) zusammen, eine Bewegung, die sich ab 1933 unter der Führung von Petru Groza aus dem Komitat Hunyad über das ganze Land verbreitete, sowie einige Vertreter der Sozialdemokraten.
1937 fand auf Initiative der Linksradikalen und anderer junger demokratischer Intellektueller das Neumarkter Treffen statt, dem von den Vertretern des gesamten siebenbürgischen Ungartums eine epochale Bedeutung beigemessen wurde. Das Treffen, das vom Schriftsteller Áron Tamási eröffnet wurde, setzte sich den Kampf gegen den Faschismus, die Zusammenarbeit mit den rumänischen demokratischen Kräften und die Schaffung einer Volksfront zum Ziel, wobei betont wurde, daß die freie „brüderliche Vereinigung“ für die historisch aufeinander angewiesenen Völker der Rumänen und Ungarn die echte Lösung bedeutete. Das Treffen fand starken Anklang sowohl im Kreise der progressiven rumänischen Intelligenz als auch im geistigen Leben Ungarns.
1938, nach der Auflösung der Parteien und der offiziellen Einführung des korporativen Systems, entstand unter der Leitung von Graf Miklós Bánffy die sog. Ungarische Volksgemeinschaft als Vertretung der kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Siebenbürger Ungarn. Zu dieser Zeit begannen Verhandlungen über ein neues Minderheitenstatut, das vor allem im Schulwesen und für die kulturellen Institutionen und Kirchen eine Verbesserung versprach. Die Mehrheit der Siebenbürger Ungarn betrachtete Verhandlungen dieser Art wegen der andauernden nationalen Unterdrückung und des überhandnehmenden innenpolitischen Chaos zu dieser Zeit bereits mit Skepsis und erwartete eine Verbesserung ihres Schicksals eher vom Ausland. Immer weniger – Ungarn und auch Rumänen – suchten die Zukunft beider Völker auch weiterhin im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus.

 

 

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