Die Goten in Siebenbürgen

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Die Goten in Siebenbürgen
Die Geschichte der 235 beginnenden Wanderungen und Feldzüge der Goten hat die Geschichtswissenschaft bis in die Details geklärt. Das Endergebnis ist übereinstimmend und einheitlich: Ab 271 wurde das Gebiet nördlich der unteren Donau (bzw. westlich von Scythia Minor/Dobrudscha) das Land der Goten, gotisch/lateinisch: Gutthiuda/Gothia; das linke Ufer der Donau wurde ripa gothica = „gotisches Ufer“. Nach der Besetzung der dem römischen Dazien benachbarten Gegenden außerhalb der Karpaten zerfiel der bis dahin einheitliche gotische Block in zwei Teile. Östlich vom Dnjestr lebten die greuthungi = Tieflandgoten oder mit anderem Namen Ostrogoten (gotisch austro = glänzend, schillernd, prächtig, aber auch morgenländisch), westlich-südwestlich vom Dnjestr siedelten die tervingi = Waldbewohner, Waldgoten, mit anderem Namen Wisigoten (gotisch vezu/vizu = gut, tüchtig, wacker). Die gotischen Benennungen sprechen für sich, den Namen „Waldbewohner“ konnten die früher im pontischen Steppengebiet lebenden Goten erst nach der Besetzung des waldig-gebirgigen Siebenbürgens bekommen haben.
Bis zur allerjüngsten Zeit ist niemals der Gedanke aufgetaucht, daß das siebenbürgische Dazien nicht zum Lande der Goten gehört haben könnte. Doch heutzutage wird selbst auf historisch-wissenschaftlicher Grundlage anzuzweifeln versucht, daß die Goten das unter dem gotischen Namen Caucaland (= Hauhaland – das Land der Berge) bekannte Siebenbürgische Hochland innerhalb der Karpaten besetzt hätten, oder man stellt dies als eine vorübergehende Erscheinung dar.
In Wirklichkeit aber berichtet gerade kurze Zeit nach der Ansiedlung der Goten eine zeitgenössische, offizielle römische Quelle über die Siebenbürger Goten innerhalb des Karpatenbeckens: „Tervingi, pars alia Gothorum, adiuncta manu Taifalorum adversum Vandalos Gepidesque concurrant “* – also „die andere Gruppe der Goten, die Waldbewohner (tervingi), kämpfte im Bunde mit den Taifalen gegen die Wandalen und Gepiden“ (Herbst 291). Die in der Origo Gothica* erhaltene Wisigoten-Tradition beleuchtet auch den Grund des Krieges; es wird klar, daß die kriegführenden Gegner um den Besitz des einstigen römischen Daziens aneinander geraten waren. Fastida, König der Gepiden, „eingezwängt zwischen rauhen Bergen und dichten Wäldern“* machte zuerst ein Angebot für eine friedliche Aufteilung Daziens, um sein Volk aus seiner schwierigen Lage zu befreien. Als sein Angebot zurückgewiesen wurde, entschloß er sich erst auf römische Ermunterung hin (der Nachbar meines Nachbarn ist mein Freund) zum Angriff, jedoch erfolglos. Nach der Niederlage zog er sich „ad patria – in seine Heimat“ 67zurück; außerhalb der Karpaten gibt es aber keine Gegend, in der die Gepiden zwischen „rauhe Berge“ gedrängt gewesen sein konnten. Ihre wandalischen Verbündeten konnten nur die seit 120 Jahren im Gebiet der oberen Theiß und in den Tälern ihrer Nebenflüsse siedelnden Hasding-Wandalen gewesen sein, die Siling-Wandalen Schlesiens können als Teilnehmer dieser entfernt stattgefundenen Ereignisse nicht in Frage kommen. Der in der Origo Gothica in gotischer Sprache erhaltene Name des Schauplatzes der Schlacht (Auha = Ahwa, Wasser, Fluß) wird nie bestimmt werden können, aber das in der Nähe gelegene oppidum „Galtis“ weist auf eine einstige römische Stadt hin. Ziel des Krieges war die Aufteilung des römischen Daziens, sein Schauplatz eindeutig Siebenbürgen. Die Versuche, diesen Krieg als einen unbedeutenden und zwecklosen Zusammenstoß am Pruth herabzusetzen, verfälschen die Hauptaussage der Quellen: Namen, Wohnsitz und Ziele der tatsächlich Beteiligten.
Panegyrici Latini III (XI) 17,1
Jordanes, Getica 99
Jordanes, Getica 98 – inclusum se montium queritans asperitate silvarumque
Nachdem es gelungen war, das siebenbürgische Dazien gegenüber den sprachverwandten Ostgermanen zu verteidigen, stand den Wisigoten nichts mehr im Wege, sich an den beiden Kokel, am Kleinen Samosch und im Miereschtal bis Micia/Vitzel niederzulassen. Ein historischer Beweis ihrer Ansiedlung sind ihre Angriffe vom Mieresch aus gegen die mit den Römern verbündeten Sarmaten der Großen Ungarischen Tiefebene. Die Goten Ariarichs erlitten am 18. Februar 332 im heutigen Banat eine katastrophale Niederlage durch das römische Heer, das Konstantin der Große unter Führung seines Sohnes, des späteren Constantinus II., den bedrängten Sarmaten zur Hilfe gesandt hatte. Die Niederlage nahm ihnen aber keineswegs ihre Kampfeslust, einige Jahre später (um 335) vertrieben sie unter Führung ihres Königs Geberich das Heer des Wandalenkönigs Visumar aus dem Miereschtal. Am Mieresch-Abschnitt in der Tiefebene konnten die Goten nur das unter ihrer strengen Herrschaft stehende dazische Gothia halten. Darüber berichtet eine sichere, zeitgenössiche römische Quelle um 350: „Daciam … nunc Taifali, Victohali et Tervingi habent“* – also „Dazien… ist jetzt im Besitz der Taifalen, Wiktofalen und Terwingen“.
Eutropius, Breviarium ab urbe condita 8,2,2
Vor den Angriffen des Kaisers Valens in den Jahren 364 und 369 weicht das gotische Heer des Königs Athanarich bis hinter die Serrorum montes (Südostkarpaten) zurück und flüchtet 376 vor den Hunnen nach Caucalanda. Die Besetzung des siebenbürgischen Daziens durch die Goten ist laut Zeugnis zeitgenössischer römischer Quellen eine Tatsache, die keinerlei Beweise bedarf. Die antike geographische Literatur des 5. bis 6. Jahrhunderts bezeichnet in historischen Rückblicken auf das 3. und 4. Jahrhundert Dazien eindeutig als Gothia, so auch Orosius bereits im 4. Jahrhundert: „Dacia ubi est Gothia“* – „Dazien, wo sich Gothia befindet“.
Orosius, Historiarum adversum paganos I.54
Die archäologische Hinterlassenschaft der Wisigoten konnte erstmals um 1906 mit Hilfe des Gräberfeldes von Marosszentanna und seiner Funde bestimmt werden. Der bei dieser Bestimmung entscheidend beteiligte Archäologieprofessor Béla Pósta in Klausenburg war der erste, der auf seiner Studienreise durch Rußland den überraschenden Zusammenhang zwischen den Funden der damals im Gouvernement Kiew freigelegten – unpublizierten – Gräberfelder (Černjahov und Romaski) und dem Gräberfeld in Siebenbürgen sowie den diese Verwandtschaft bestimmenden historischen 69Hintergrund erkannte. Seine Feststellung wurde durch die Arbeit seines Schülers István Kovács allgemein anerkannt, die zusammenfassende Benennung der gotisch-ostgermanischen archäologischen Kultur des 3. bis 4. Jahrhunderts ist heute die Černjahov-Marosszentanna/Sîntana-de-Mureş-Kultur.

68Karte 4. Die Goten in Dazien, 270–376/380
1 = Dacias Grenzbefestigungen vor der Räumung, 2 = Siedlungen und Friedhöfe der Terwingen-Wisigoten der Marosszentanna-Kultur, 3 = angenommene römische Bevölkerung unter gotischer Herrschaft, 4 = 376–380 verborgene gotische Münz- und Schmuckschätze, 5 = Gepiden vor der Hunnenherrschaft, 6 = Goldmünzen von Theodosius I. bis zu Honorius, 379–424, 7 = in den 420er Jahren verborgene Gepidenschätze, 8 = gepidisches Siedlungsgebiet in der nordöstlichen Tiefebene, 9 = gotisches Siedlungsgebiet

Abb. 3. Bronzefibeln, Gürtelschnallen und Knochenkämme aus dem gotischen Gräberfeld von Marosszentanna
70Die Goten äscherten wie die anderen Germanen in der frühen Kaiserzeit ihre Toten ein. Diesen ihr Volkstum und ihre Herkunft charakterisierenden Ritus behielten sie auch im 3. bis 4. Jahrhundert bei. Doch durch den Einfluß der mediterranen Zivilisation und des Christentums verbreitete sich der Brauch, die Toten zu begraben, mehr und mehr, die Totenverbrennungen wurden immer seltener. In Siebenbürgen sind auch einige gotische Brandbestattungen bekannt, die stellenweise auf die Generation der gotischen Erstansiedler hindeuten (z. B. im zerstörten Innengelände des römischen Castrums von Sóvárad), die Totenverbrennung ist aber auch noch in späterer Zeit, so auch im namengebenden Marosszentanna, nachweisbar.
Die modernen Forschungen haben in den vergangenen Jahren drei aufeinanderfolgende Belegungsphasen im Gräberfeld von Marosszentanna analysiert. Die Phasen bestimmen zeitlich zumindest über drei Generationen das Leben der Bevölkerung dieses gotischen Dorfes, die dieses Gräberfeld angelegt und benutzt hatte (300–376). Phase 1 wird durch ganze Sätze von Gefäßen mit Speisen für das Jenseits charakterisiert – ähnliche Gräber sind in Siebenbürgen aus Csombord, Maroschujvar, Rugendorf und Neumarkt bekannt. Für Phase 2 sind außer verändertem Kleidungszubehör und Schmuck (neue Fibel-, Kamm- und Schnallenformen) nur noch eine oder höchstens zwei Grabgefäße charakteristisch – solche Gräber wurden in Siebenbürgen aus Palatka, Salzgruben, Weißkirchen und Klausenburg bekannt. Phase 3 bestätigt die Verbreitung des Christentums, die Gräber sind meist west-ost-orientiert, und es kann vorkommen, daß auf nicht mehr erkennbare Gräber der Phase 1 bestattet wird. Die Hände der Toten sind oft gefaltet, die Speisebeigabe kommt nicht mehr vor; derartige Gräber kamen in Neudesch, Mediasch und Klausenburg zum Vorschein.
Als eine Weiterentwicklung der früheren Fibeln mit umgeschlagenem Fuß gestalteten sich in der Phase 2 als Schmuck der gotisch-ostgermanischen Frauentracht die sog. Blechfibeln heraus, durch die das Kleid an den Schultern oder an der Brust zusammengehalten wurde. Diese Fibelart blieb selbst bei den in Spanien einwandernden Wisigoten in Mode. Die Verbreitung der mit halbkreisförmigen „Spiralplättchen“ und fünfeckigen „Nadelplättchen“ bedeckten gotischen Silber- und Bronzefibeln kennzeichnet hervorragend die Siedlungsschwerpunkte der Wisigoten in Siebenbürgen, aber leider auch die Schwerpunkte der zufälligen Forschung (Klausenburg, Palatka, Vajdakamarás, Neudesch-Rét, Salzgruben, Marosszentanna, Neumarkt, Tekerőpatak, Lechnitz, zwischen Pretai und Hetzeldorf, Honigberg). Nahverwandte Fibeln kennzeichnen wohlhabende Frauenbestattungen der die Steppen bewohnenden Ostrogoten, und völlig mit den Fibeln aus Siebenbürgen stimmen die Frauenfibeln der übrigen im Umkreis der Karpaten lebenden Wisigoten überein (Independenţa, Spanţov, Izvorul, Alexandru Odobescu, Tîrgşor, Leţcani und neuerdings in größerer Zahl als in all diesen Gräberfeldern: in Bîrlad und Mogoşani). Daß es sich bei diesen Frauen tatsächlich um Gotinnen handelt, bestätigt die gut leserliche und verständliche Runenschrift eines in einem moldauischen Grab gefundenen Spinnwirtels (Leţcani). Kürzere Runeneinritzungen kommen auch auf Spinnwirteln aus der Walachei vor.
Aber nicht nur der Schmuck der Frauentrachten ist einheitlich. Auf dem Gebiet der Černjahov-Marosszentanna-Kultur sind bestimmte Typen der Knochenkämme mit halbrundem Griff oder halbrundem Mittelgriff und die 71Anhänger aus Bein, Bronze und Silber einheitlich verbreitet, bei der Männertracht wiederum sind es die eigenartigen Gürtel- und Schuhriemenschnallen. Einheitlich entwickelte sich auch das – teilweise spätkeltische Traditionen fortsetzende, aber auch antike Techniken, wie die schnelle Drehscheibe mit Fußantrieb, verwendende – gotische Töpferhandwerk. Seine charakteristischen Produkte wurden in fast identischer Form, Verzierung und technischer Ausführung am Dnjepr, Dnjestr, Mieresch und an der unteren Donau angefertigt. Während aber auf das Töpferhandwerk (und die materielle Kultur) der Ostrogoten eher die griechisch-römischen Städte des Pontusgebietes ihren Einfluß ausübten, war es bei den Wisigoten das Handwerk der römischen Provinzen jenseits der unteren Donau, besonders der Grenzstädte. Diese Einflüsse und der römische Import (Gläser, Amphoren, Keramikkrüge) sind am stärksten in der Ebene nördlich der unteren Donau zu verfolgen und verlieren sich Richtung Norden zusehends. In Siebenbürgen sind sie im Burzenland und im Drei-Stühle-Gebiet noch gut erkennbar, am Mieresch und Kleinen Samosch gibt es kaum noch Spuren davon. Die Nachwirkungen des vorangehenden (vorgotischen) römischprovinziellen Handwerkes sind noch spärlicher, beispielsweise verschwand die Kenntnis des Rot- und Gelbbrennens der Gefäße völlig.
Die Denkmäler der gotischen Kultur in Siebenbürgen wurden zu 90%, von ungarischen und sächsischen Forschern gefunden, ausgegraben und veröffentlicht, überwiegend noch vor dem ersten oder kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Die planmäßige Erforschung wurde nach der Freilegung von ca. 120 Gräbern endgültig eingestellt, während in der Moldau und der Walachei die Zahl der erschlossenen und überwiegend publizierten Gräber von Null auf wenigstens 2000 anstieg, womit sich das Verhältnis der dazischen und der außerhalb Daziens gefundenen Gräber auf 1:20 veränderte. Im gleichen Verhältnis hat sich auch die Anschauung der Forschung verändert, und es wächst die Zahl der Theorien, die eine Anwesenheit der Goten in Siebenbürgen nun auch auf archäologischer Grundlage anzweifeln oder bestrebt sind, sie auf nur einige als spät bezeichnete Gräberfelder im Miereschgebiet zu beschränken (Marosszentanna, Neumarkt und Salzgruben). Andere Forscher knüpften diese Gräberfelder an die nach 376 vorübergehend vor den Hunnen in Siebenbürgen Zuflucht suchenden Goten des Athanarich oder an die des Radagaisus (?) um 400. Aufgrund der großangelegten Forschungen in der rumänischen Ebene drängen selbst jene das dazische Siedlungsgebiet der Goten immer mehr – bis zur Bedeutungslosigkeit – zusammen, die ansonsten die Anwesenheit der Goten in Siebenbürgen seit 271 oder 300 anerkennen. Einer schon obskuren Theorie zufolge gibt es in Siebenbürgen nur Gräberfelder der Goten, in den Siedlungen aber lebten römische Dorfbewohner.
In Wirklichkeit aber unterscheiden sich die gotischen Siedlungen in Siebenbürgen nicht von denen im gesamten Gebiet der Černjahov-Maroszentanna-Kultur. Das Fundament der aus einem Raum bestehenden Hütten ist auch in Siebenbürgen ihrer Höhe nach zur Hälfte in die Erde abgesenkt – derartige Häuser existierten im 3. und 4. Jahrhundert im Römischen Reich selbst in versteckten Dörfern nicht! –, das Dach wurde von je 2 oder 3 in die Erde vertieften Pfosten gehalten, eine ständige Feuerstelle gab es nur selten. Neben Grubenhütten sind auch Oberflächenhäuser mit Pfahl- und Holzkonstruktion bekannt. Aus den Häusern sind die gleichen 72Kämme, Schmuckstücke und Gefäßscherben zum Vorschein gekommen wie aus den Gräbern, ihre Zusammengehörigkeit ist also eine archäologische Evidenz (Bözöd-Lóc, Pretai 1, Schäßburg-Weingärten, Bögöz-Vizlok, Csekefalva-Lok, Fiatfalva-Nagyerdő, Kisgalambfalva-Galattető, Kreutz-Felsőlok, St. Georgen-Eprestető, Honigberg-Goldgrube, Réty-Telek, Kronstadt, Zeikdorf usw.). Die Zahl der auf Siedlungen hindeutenden Oberflächenspuren ist ziemlich groß. Mit den Gräberfeldern und Gräbern zusammen bestimmen sie die Siedlungsgrenzen der Wisigoten in Siebenbürgen mit beachtlicher Genaugkeit. Die Verbreitung der zur Zeit bekannten 90 bis 100 Fundorte beweist dennoch eine bedeutende Schrumpfung des zur Römerzeit bewohnten und kultivierten Gebietes. Im Bereich der einstigen römischen Kastelle, Siedlungen und Villen verweisen nur vereinzelte Spuren auf gotische Siedlungen (z. B. Micia/Vitzel und Bretz).

Abb. 4. Verbreitung des charakteristischsten gotischen Frauenschmuckes, der Blechfibel, in Siebenbürgen
1 = Klausenburg, 2 = Magyarpalatka, 3 = Vajdakamarás, 4 = Neudesch-Rét, 5 = Salzgruben, 6 = Marosszentanna, 7 = Neumarkt, 8 = Tekerőpatak, 9 = Lechnitz, 10 = zwischen Pretai und Hetzeldorf, 11 = Honigberg
Die Zusammensetzung der in den Gräbern und Siedlungen vorkommenden Fleischnahrungsreste (Tierknochen), die kontinuierliche Belegung der Gräberfelder und die Siedlungsweise selbst beweisen, daß die in Siebenbürgen 73und in der Ebene nördlich der unteren Donau siedelnden Goten – im Gegensatz zu ihren Verwandten, den Ostrogoten – Ackerbauern waren; als solche werden sie 348/49 auch von Libanius charakterisiert.* Das gleiche bestätigt der ins Wisigotische übersetzte Wortschatz der Wulfila-Bibel. Er enthält fast sämtliche Ausdrücke von Pflügen, Säen, Ernten und Einbringen, für die Tierzucht belegt er die intensive (Stall-)Wirtschaft. Alle erhalten gebliebenen Angaben, archäologischen, sprachlichen und historischen Quellen widerlegen die neuerdings betonte These, welche die in und um Siebenbürgen herum lebenden Wisigoten als herdenhaltende Wander-, ja sogar „nomadische“ Hirten darstellen möchte. Auf die autarke Bauernwirtschaft verweisen gotische Wörter, welche die Existenz des dörflichen Handwerks bestätigen, und eindeutig „barbarisch“ sind alle Überreste des wisigotischen Handwerks (darunter auch das Töpferhandwerk), selbst dann, wenn es sich gewissen Einflüssen der benachbarten römischen Zivilisation nicht entziehen konnte, was ja bekanntlich auch keinem einzigen anderen Volk auf der barbarischen Seite des Limes gelang. Was Luxus- und Industrieartikel (Metall- und Glasgefäße, Tuche) sowie gewisse Nahrungsmittel (z. B. Wein und Speiseöl) anbelangt, waren die Goten in so großem Ausmaß dem Reich ausgeliefert, daß „zu Kriegszeiten infolge Stockungen im Handel äußerster Mangel in der täglichen Versorgung auftrat“.* Die Goten zahlten für die Waren mit Sklaven: Vor diesem Schicksal versuchte Kaiser Aurelian die Bevölkerung Daziens zu bewahren, indem er sie im Reich angesiedelt hatte.
Libanius, Oratio 59,89
Ammianus Marcellinus, Rerum gestarum. Liber 27,5
Über die wisigotische Gesellschaft liefern die entsprechenden Ausdrücke der Wulfila-Bibel, die Passio S. Sabae – die Märtyrer-Akte des Goten Saba – und einige spätantike Autoren, unter ihnen in erster Linie der Zeitgenosse Ammianus Marcellinus, schriftliche Angaben, vieles verraten aber auch die gotischen Personennamen und die archäologischen Beobachtungen.
Nach der Besetzung Daziens zerfielen die waldbewohnenden Terwingen nicht mehr in einzelne Stämme (der den gotischen Stamm bezeichnende Begriff thiuda war im 3.–4. Jahrhundert die Bezeichnung für alle Wisigoten und deren Land), und an der Spitze der zentralen Macht (thiudanassus) stand im 4. Jahrhundert ein einziger thiudans, der dem griechischen basileus entsprach. Das Volk der Wisigoten gliederte sich in Geschlechter-Gentes (kunja = phylai-pagi) unter einem kindins (dux, arkhón). In den den kunja entsprechenden Gebietseinheiten (garvi) lebten Großfamilien (sibja), die aber eher in Ausnahmefällen tatsächlich aus Blutsverwandten bestanden. Ein Dorf (haims) war im allgemeinen der Wohnort einer sibi, die sibi war also die feste territoriale, wirtschaftliche und kultische Einheit in dieser Periode. Das sich aus vaterrechtlichen Familien (fadreins) zusammensetzende Dorf wurde vom Dorfrat geleitet, in dem die Alten (sinistans) tonangebend waren. Es existierten auch kleinere gehöftartige Siedlungen (weihsa).
Seit der Zeit der großen Kriegszüge und Eroberungen gelangte die tatsächliche Macht über die Wisigoten in die Hände der militärischen Führer und deren Gefolge. Die Bezeichnung reiks (basiliskos, regulus) für die militärischen Führer tritt seit dem 3.–4. Jahrhundert auch häufig in Namenzusammensetzungen (Guntherich, Geberich, Aorich, Ariarich, Munderich usw.) auf, ebenso auch in dem Namen des größten Führers der 74Wisigoten des 4. Jahrhunderts: Athanarich. Der lateinische Titel iudex des Athanaricus bedeutet im Spätlateinischen bereits Regent (Statthalter, oberster Führer). Nachdem seine tatsächliche Rolle, Tätigkeit und Würde bekannt sind, bestehen kaum Zweifel, daß die Hervorhebung Athanarichs als iudex potentissimus (der mächtigste iudex) die lateinische Entsprechung für das gotische thiudans ist. Die reiks stützten sich auf die Schicht der maistans (optimates-megistanes), die Herren der Güter und Herrenhöfe (gards), zu denen sie selbst ebenfalls gehörten. Die Macht dieser Schicht wurde durch ein kleineres oder größeres, den Militärdienst berufsmäßig ausübendes bewaffnetes Gefolge gesichert. Das freie (freis) wisigotische Volk hatte sich bis zum 4. Jahrhundert stark aufgegliedert, und neben den besitzlosen Freien war auch eine umfangreiche Knechte- und Sklavenschicht entstanden.
Nur selten verweisen archäologische Funde auf die maistans-Schicht, so ein goldener Armreifen, wahrscheinlich ein Machtsymbol (Bodendorf), und eine „ex Transilvania“ stammende goldene Fibel mit Edelsteinen, ein Meisterwerk der gotischen Goldschmiedekunst des 4. Jahrhunderts. Weitaus besser spiegelt sich die Dorfgesellschaft in ihren Gräberfeldern wider, wie auch in dem von Marosszentanna. Die Gräber und deren Beigaben sind fast genauso geschichtet wie die Bewohner des Dorfes des gotischen Märtyrers Saba. In einer Gemeinschaft von 50 bis 100 Personen kommen 4 bis 5 reiche Ehepaare vor, sie könnten im Dorfrat tonangebend gewesen sein. Die Bestattungen sind mehrheitlich einfach und deuten auf gleichberechtigte Bauernfamilien (waurstwja) hin, Besitzlose (unleths) mögen die ärmlich bestatteten Toten gewesen sein, Bestattungen von Sklaven (skalks) gibt es nur wenige. Schmuckstücke, wie sie die Frauen der Sippenanführer in der dörflichen Gesellschaft trugen, sind in dem Schatzfund von Tekerőpatak zum Vorschein gekommen. Sie gleichen denen der reichen Dorffrauen, nur sind sie massiver und aus reinem Silber; außerdem verfügte die Besitzerin auch über römische Münzen.
Sowohl die schriftlichen Quellen als auch die archäologischen Funde liefern zahlreiche Angaben über die ursprüngliche Religion der Goten – eine gotische Runeninschrift im Schatzfund von Pietroasa am Rande des siebenbürgischen Daziens enthält die Wörter: Gutanî ô wîh hailag.
Bis in die jüngste Vergangenheit hat die Geschichtsschreibung das Christentum der Goten vor 376 genauso streng beurteilt wie jene Römer, deren Aufmerksamkeit den als Kuriosum betrachteten, bizarr gekleideten heidnischen Priestern und Priesterinnen, mit barbarischen religiösen Symbolen verunstalteten Sippenheiligtümern, auf Fuhrwerken transportierten plumpen Götzen und von Hirschen gezogenen heiligen Wagen galt. Die Bekehrungsversuche zum Christentum bezeichnete man vor noch nicht langer Zeit als vereinzelte Aktionen, denen vorrangig bei den von den Goten eingeschleppten römischen Gefangenen, der von den Goten unterworfenen einstigen römischen Bevölkerung und höchstens noch in der untersten gotischen Bevölkerungsschicht ein – vorübergehender – Erfolg beschieden sein konnte. Noch strenger verfährt die Archäologie, die von gotischen Bestattungen gegenständliche Beweise des Christentums erwartet, die vor 376 in den Provinzen entlang der Reichsgrenze eine ganz große Seltenheit sind. Solche gibt es nicht und wird es auch nicht geben. In einer ganzen Reihe von Gräberfeldern der Wisigoten, so auch in dem von Marosszentanna, werden aber nach der Mitte des 4. Jahrhunderts die heidnischen Speise- und 75Trankbeigaben immer seltener oder verschwinden völlig, immer häufiger werden die Bestattungen in Ost-West-Richtung und die gefalteten Hände, dieselben rituellen Kennzeichen des Christentums im 4. Jahrhundert wie in den römischen Provinzen.
Zwischen 369 und 372 war Athanarich bestrebt, durch eine Christenverfolgung von der Verantwortung der militärischen Führung der „Mächtigen“ für die schimpflichen Niederlagen 367 und 369 gegen die Römer abzulenken. Wegen einer aus einigen Kriegsgefangenen und gotischen Habenichtsen bestehenden christlichen Gemeinde wäre es wohl kaum nötig gewesen, eine mehrere Jahre dauernde Bewegung anzufachen, aus der eine Reihe von Märtyrern gotischen Namens sowohl für die katholische als auch für die gotisch-arianische Kirche hervorgegangen ist.
Nach dem Friedensdiktat, das dem Sieg der Römer im Jahre 332 gefolgt war, verbreiteten sich die verschiedensten Missionen (katholische, sektiererische und arianische) in Gothia. Nach dem Zeugnis der Wulfila-Bibel hatten die Arianer mit dem Ausbau ihrer gotischsprachigen Kirche den größten Erfolg. Schon zur Zeit der ersten Christenverfolgung von 347/48 war die Zahl der gotischen Christen beträchtlich, und ihre Geschichte läßt sich bis zum Martyrium Sabas (372) oder bis 378, als der Christ Fritigern einen christlichen Presbyter zu Kaiser Valens entsandte, kontinuierlich verfolgen. Die neueste internationale Forschung verwirft die frühere These, daß die Goten nur im Reichsgebiet und nach 382 arianische Christen geworden seien, und erkennt heute bereits an, daß „die ins Reich eingedrungenen Goten in ihrer überwiegenden Mehrheit arianische Christen wurden“.*
H. WOLFRAM, Geschichte der Goten (München 1979) 96–97.
In diesem Sinne sind die zwei bis drei in Siebenbürgen gefundenen frühchristlichen Öllämpchen aus dem 4.–6. Jahrhundert und die 1775 in Birthälm zum Vorschein gekommene Votivtafel mit der Inschrift ZENOVIVS und dem Christus-Monogramm-Anhänger keine Beweise mehr für die Anwesenheit irgendwelcher „Römer“. Das Donarium von Birthälm aus dem 4. Jahrhundert ist in Wirklichkeit irgendwo im Illyricum für einen dortigen Besteller gefertigt worden und hat später sicher zur Kirchenausstattung eines Missionspriesters gehört, gemeinsam mit den mit ihm zusammen gefundenen Bronzegefäßen. Die christliche Predigt war an alle gerichtet. Weder im 4. Jahrhundert ließ sie sich, noch läßt sie sich heute als Privileg einer Bevölkerung bestimmter Sprache oder Herkunft betrachten.

 

 

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