3. Das Königreich der Gepiden (455–567)

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3. Das Königreich der Gepiden (455–567)
Zeitgenössische Berichte und die Gotengeschichte des Jordanes heben übereinstimmend die bedeutende Rolle hervor, die das „unzählbare“ Heer der Gepiden im Feldzug Attilas gegen Gallien (451) gespielt hatte, und noch dazu unter der Führung ihres „berühmtesten Königs“, Ardarichs, dem unter allen Vasallenkönigen die Ehre zukam, an den Beratungen Attilas (445–453) teilnehmen zu dürfen. Ihre Vorzugsstellung hatten die Gepiden dem Umstand zu verdanken, daß sie das einzige große ostgermanische Volk waren, das nicht vor den Hunnen aus dem Karpatenbecken geflüchtet war. Attila war genauso gezwungen, sich bei seinen Feldzügen gegen die Städte beider römischen Reiche auf die Masse der – überwiegend das Fußvolk stellenden – Gepiden zu stützen wie das Volk der hunnischen Lagerstadt auf gewisse Dienste der Gepiden. Der von den Hunnen zum neuen Gepidenkönig ernannte Ardarich war ein beinahe ebenso mächtiger Herrscher seines eigenen Volkes wie Attila über die Völker und Vornehmen des Hunnischen Reiches. Diese Macht hatten die Hunnen und Attila Ardarich und einigen anderen Vasallenkönigen verliehen, und der kluge Ardarich gehörte zu denen, die ihre Macht zum Wohle ihres Volkes zu nutzen wußten. Aus dem Karpatenbecken sind aus der Hunnenzeit nirgends so viele Grabmünzen aus Gold bekannt geworden wie aus dem Land der Gepiden. Ihre hunnischen Herren versahen sie noch nach dem Tode des Theodosius II. und nach dem Versiegen des Goldstromes aus Ostrom mit „selbst“ geprägten Solidi des Theodosius Il. Beim Tode Attilas (453) hatten die Gepiden die am besten ausgerüstete und reichste germanische Militäraristokratie. Dieses Volk, „die mit dem Schwert wütenden Gepiden“, und das „Schwert Ardarichs“ führten den Bund der Donauvölker in der Schlacht gegen Attilas Sohn und Nachfolger, Ellak, am Fluß Nedao zum Sieg (455).
Nach dem Sieg „nahmen die Gepiden den Hunnen ihre Quartiergebiete mit Gewalt und besetzten als Sieger die Grenzen ganz Daziens. Als starke Männer verlangten sie vom (ost)römischen Reich nur einen freundschaftlichen Vertrag, Frieden und Jahrestribute.“* – Diese aufgrund der Berichterstattung des Priskos erhalten gebliebene zeitgenössische Angabe berichtet, daß die Gepiden nach ihrem Sieg das Quartiergebiet der Hunnen links der Donau ihrem Lande angeschlossen hatten, welches sie damit um ein Vielfaches vergrößerten. Die Grenzen ihres Reiches in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts werden von Cassiodor aufgrund einer byzantinischen Quelle eindeutig beschrieben. Demnach lebte das Volk der Gepiden westlich von Scythia Minor (Dobrudscha), die Landesgrenzen bildeten im Süden die große Donau, im Osten der Alt, im Nordosten und Norden der Alpenring – also die Karpaten – und im Westen die Theiß.* Unmittelbar nach 81550 schreibt der Zeitgenosse Jordanes, das jetzige Land der Gepiden liege Mösien gegenüber, am jenseitigen Ufer der Donau, in dem von den Alten früher Dacia und dann Gothia genannten Land, das jetzt als Gepidia bezeichnet und von Süden her von der Donau begrenzt werde.*
Jordanes, Getica 264 – totius Daciae fines
Ebd. 33 – ab africo vero magnus ipse Danubius, et ab eoo Flutausis secat
Ebd. 74 – a meridiae Danubii terminabant
In die Zeit zwischen den beiden letzten Beschreibungen über die Ausdehnung des Gepidenreiches fällt der bedeutendste Eroberungskrieg der Gepiden. Cassiodor konnte noch nicht über ihn berichten, und als Jordanes sein Werk beendet hatte, gehörten den Gepiden die eroberten Gebiete bereits nicht mehr – ihr Recht auf diese Eroberungen hat das Oströmische Reich übrigens nie anerkannt; der auf oströmischem Gebiet lebende Jordanes erwähnt sie auch nur nebenbei. Den Krieg von 539 eröffneten die Gepiden im Rahmen des mit dem fränkischen König Theudepert geschlossenen Bündnisses gegen Byzanz. In einer blutigen Schlacht wurden der oströmische General Calluc und seine Armee geschlagen. Aufgrund ihres Sieges bezogen die Gepiden bis Ende 551 den Streifen der Provinzen Moesia Prima und Dacia Ripensis entlang der Donau in ihr Herrschaftsgebiet mit ein, und zwar von Singidunum (Belgrad) bis zu dem Raum gegenüber der Altmündung. Die von den Gepiden kontrollierte – genauer gesagt, von ihnen geöffnete – Grenze an der unteren Donau erhielt historische Bedeutung: 12 Jahre lang halfen sie den das Oströmische Reich angreifenden slawischen Gruppen und 550 den Kutriguren, die Donau zu überqueren. Vor der aus oströmischer Sicht „Sklaverei“ bedeutenden Gepidenherrschaft und den slawisch-kutrigurischen Angriffen flüchtete damals die 271 aus dem trajanischen Dazien umgesiedelte romanisierte Bevölkerung aus den Städten an der unteren Donau ins Innere der Balkanhalbinsel und nahm ihren lateinischen Dialekt, die Erinnerung an ihren trajanischen Ursprung und an ihr einstiges „dacus“Sein mit nach Süden. Justinian I., gestärkt durch den Sieg seiner langobardischen Verbündeten 551, vertreibt zwar die Gepiden aus dem römischen Gebiet und schloß die Grenze an der unteren Donau wieder, doch es gelang ihm nicht, die Städte wieder zu beleben und deren Bewohner zurückzusiedeln. Beidseitig der unteren Donau wurden nach 552 anstelle der Kastelle, Gegenfestungen und Städte nur Burgen gebaut, in denen 3 Jahrzehnte lang ein zahlenmäßig kleines Militär, zur Hälfte oder gänzlich von barbarischer Abstammung, den Grenzschutz versah. Durch die Feldzüge der Awaren in den 80er und 90er Jahren wurde dann auch dieser bis zur Dobrudscha endgültig zerstört.
Sehr gut sind die archäologischen Hinterlassenschaften der Gepiden aus dem Frühmittelalter, also aus dem 5. und 6. Jahrhundert, bekannt. Der erste Grabfund der Gepiden ist 1856 gerade in Siebenbürgen zum Vorschein gekommen: Schmuck aus dem Grab einer reichen adligen Dame (Fund von Kleinschelken). Daß diese und ähnliche Schmuckstücke im Karpatenbecken zum „Merowingerstil“ gehören, wurde 1880 anhand der Prunkschnalle aus dem Grabfund von Großwardein von J. Hampel festgestellt, der in Verbindung mit den sich schnell häufenden Funden, mittels seiner ausgezeichneten historischen Quellenkenntnisse Ende des vergangenen Jahrhunderts feststellte, daß Gräber und Gräberfelder mit derartigen Funden östlich der Theiß vom Volk der Gepiden stammen. Als das erste vorbildlich freigelegte (1906/07) gepidische Gräberfeld von Mezőbánd/Bandorf veröffentlicht wurde, 83wies I. Kovács methodisch gründlich nach, daß dieses Gräberfeld von den Gepiden der Völkerwanderungszeit stammt (1913). Obwohl auch die Archäologie der Gepiden nicht von dem für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg herrschenden Durcheinander in der archäologischen Forschung verschont blieb, wurden die Forschungen und Grabungen auf dem Gebiet des jetzt zu drei Ländern gehörenden einstigen Gepidenreiches unverändert fortgesetzt (in Siebenbürgen zwischen 1951 und 1956 als „slawisch-antisches Programm“) und seit den sechziger Jahren geklärt. Heute bezweifelt kein einziger ungarischer, jugoslawischer und rumänischer Fachmann mehr, daß die Siedlungen und Gräberfelder aus dieser Zeit von den Gepiden stammen. Weitaus schwieriger ist es, ihre Ansichten über die Gepiden mit der „merowingerzeitlichen“ Forschung der westlichen Welt in Einklang zu bringen, da es dort auch heute noch zahlreiche Historiker und Archäologen gibt, die nichts von diesem Volk wissen wollen oder bestenfalls nur die ärmlichen Funde des Gemeinvolkes als gepidisch anerkennen. Die gehässigen gotischen und langobardischen zeitgenössischen Chroniken belasten die Gepiden bis heute. Ihre wunderschönen Schätze, Königsgräber und Fürstenfunde werden ihnen genauso ab- und den Goten zugesprochen wie ihre Siege. All das wirkte sich zeitweise auch auf die lokale Gepidenforschung aus, so beispielsweise im Falle der mit historischen Quellenangaben nicht belegbaren Vorstellung, daß die Königsgräber von Apahida oder der Schatz von Szamosfalva die Hinterlassenschaft einer Siebenbürgen bis 474 oder 490 besetzthaltenden ostrogotischen Herrscherschicht wären, wo doch der ungewöhnliche Reichtum der gepidischen Könige und Vornehmen sehr gut mit ihrem historisch bedeutsamen Sieg über die Hunnen und (die erwähnten 12 Jahre nicht mitgerechnet) dem festen Bündnis mit dem Oströmischen Reich zu erklären ist.

82Karte 5. Die Gepiden in Siebenbürgen und der östlichen Tiefebene, 445/455–567
1 = Siedlung, Grab, Gräberfeld, 2 = Königsgrab, Schatz, 3 = Goldmünzen von der Steuer Theodosius’ II. der 440er Jahre an bis zum Tode Justinians I. (565), 4 = Münzschatz, 5 = Gepidia bis um 455, 6 = gepidisches Siedlungsgebiet 474–567
Aus der Verbreitung der Solidi von Theodosius II., Marcian und Valentinian III. – Goldmünzen, welche die Gepiden im mittleren Drittel des 5. Jahrhunderts mit Vorliebe als Beigaben in die Gräber ihrer Angehörigen legten – geht klar hervor, daß sich das Land der Gepiden zur Zeit der hunnischen Herrschaft östlich der Bodrog-Theiß-Linie, nördlich der Linie Kreisch-Schnelle Kreisch und im Osten nördlich vom Quellgebiet des Großen Samosch erstreckte. Die reichen gepidischen münzdatierten Einzelgrabfunde im Partium und Nordsiebenbürgen (z. B. Érmihályfalva), dienen der internationalen Archäologie als chronologische Grundlage der „Merowingerzivilisation“. In dieser Zeit entwickelte sich das „neureiche“ Trachtenzubehör der adligen Gepidenfrauen: an beiden Schultern des Kleides große Silberplattenfibeln, verzierte Gürtelschnalle, Armreifen, gepaart mit goldenen Ohrringen und Perlen. Die in Nordostungarn häufigen adligen Frauenbestattungen sind auch für das sich an die östliche Tiefebene anschließende Partium charakteristisch (z. B. Érdengeleg und Gencs), ja in Großwardein entstand zu dieser Zeit ein wahrer adliger Friedhof.
Da die Waffenausrüstung, die Männer- und Frauentracht sowie sonstige Produkte der materiellen Kultur der Gepiden zur Hunnenzeit heute bereits aus bedeutenden Gräberfeldern Ungarns und des Partiums (Ártánd I und II, Érmihályfalva usw.) bekannt sind, ist es nicht schwer, die Besiedlung Siebenbürgens auch nach der Hunnenzeit zu verfolgen. Die ersten Besetzer nämlich brachten ihre eigenen Ohrringe, Fibeln usw. mit. Ihren Toten gaben sie als Obolus teilweise noch immer die in riesigen Mengen ins Hunnenreich 84gelangten späten Prägungen des Theodosius II. oder des Valentinian III. (425–455) mit ins Grab, die aber recht bald von den Solidi Leos I. (457–747) und Zenos (474–491) abgelöst wurden. Die Verbreitung der Goldmünzen deckt sich gut mit den sich bis in die Täler Südsiebenbürgens, bis Schäßburg, Hofmarkt, Kronstadt, Stolzenburg und Hotzing erstreckenden frühen gepidischen Grabfunden. Die Mehrheit stammt aus Familiengrabstätten neuerrichteter adliger Herrenhäuser und Meierhöfe, größere Dörfer waren noch nicht entstanden. Die meisten Funde dieser Epoche sind aus Klausenburg und Umgebung bekannt, wo ein bedeutendes Gepidenzentrum angenommen werden kann.

 

 

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