Die Gepiden in der Merowingerzeit

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Die Gepiden in der Merowingerzeit
An der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert begann sich vom Atlantischen Ozean bis Siebenbürgen, in West- und Mitteleuropa, eine neue „Zivilisation“ zu entfalten. Ihr Geburtsland war das von den Franken eroberte Nordgallien, genauer, das sich auf die Täler von Rhein–Maas–Mosel–Main erstreckende „südliche Land“, Austrasien. Unter der Herrschaft der Merowingerdynastie stabilisierten sich hier nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern auch die Wirtschaft in den einstigen römischen Städten blühte wieder auf. Auf dem Lande entwickelten sich frühfeudale Güter, mit Dörfern und Meierhöfen. Bei den nur noch locker oder überhaupt nicht mehr an römische Vorgänger geknüpften dörflichen Siedlungen entstanden „Reihengräberfelder“, die Jahrhunderte hindurch benutzt wurden. Ihre Bestattungen und Grabbeigaben bewahrten die Mode dieser Periode, die Bewaffnung und andere Elemente 86ihrer materiellen Kultur sowie gewisse Grundprinzipien ihrer gesellschaftlichen Struktur. Östlich des fränkisch-alemannischen Blocks schloß sich in Thüringen, im heutigen Böhmen und Mähren, in Österreich, Pannonien, im Theißgebiet und schließlich auch in Siebenbürgen die sog. Ost-Merowinger- oder Reihengräber-Kultur an das Kerngebiet an, deren Träger andere germanische Völker waren. Von dieser Kultur finden sich außerhalb, insbesondere östlich und südlich des Karpatenbeckens nicht einmal mehr Spuren – bis hierher reichte in dieser Zeit Europa. Zwar ist östlich von Thüringen und Oberösterreich das Attribut Merowinger nicht mehr berechtigt, da sich die Herrschaft der Merowingerdynastie nie bis dorthin erstreckte, doch ist es insofern anwendbar, als die Völker in diesem Raum, in erster Linie die Langobarden und Gepiden, in den ersten zwei Dritteln des 6. Jahrhunderts enge politische (die Gepiden z. B. während des Krieges gegen Byzanz im Jahre 539), ja sogar dynastische (wie die langobardischen Könige) Beziehungen mit den Merowingern unterhielten, Beziehungen, die mehr als einmal von bestimmender Bedeutung für das mittlere Donau-Becken wurden.
Den entfernt siedelnden Gepiden waren die direkten Beziehungen zu Byzanz, ja – wie ihr Schmuck zeigt – eine Zeitlang auch die krimgotischen und skandinavischen Kontakte wichtiger als der direkte oder indirekte Einfluß der Merowinger-Kultur. Nach der zweiten Eroberung Syrmiens (536) bestand ihr Land wieder aus drei locker verbundenen Teilen. Nach Westen und Norden zu war das Theißgebiet am offensten, nach Süden und Richtung Italien Syrmien und in östlicher Richtung – eine Zeitlang – Siebenbürgen. Als die östlichen Beziehungen durch die Wanderungen der Slawen ein Ende fanden, wurde Siebenbürgen innerhalb des gepidischen Königreiches – zwangsweise – zu einer Selbstversorgungsprovinz.
Als Kennzeichen für die wirtschaftliche und politische Stabilität sind aus dieser Periode zahlreiche ständige Siedlungen bekannt. Die um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert entstandenen Gepidendörfer hatten keinerlei Vorgänger; Spuren ehemaliger gotischer, römischer oder urzeitlicher Dörfer finden sich nur an wirtschafts- oder verkehrsgeographisch exponierten Stellen. In der Mehrheit handelt es sich um neue Dörfer oder Meierhöfe der neu siedelnden und ansässig gewordenen, Ackerbau und Viehzucht treibenden germanischen Bauernbevölkerung.
Die besterforschte Siedlung liegt in der Gemarkung Mühlendorf-Podej, wo 34 halb in die Erde vertiefte, ursprünglich von Satteldächern bedeckte Hütten mit je 1, 2 oder meistens 3 Pfosten freigelegt wurden. Einen ständigen Herd oder Ofen gab es in ihnen ebensowenig wie in den zeitgenössischen Häusern anderer Germanen. In einigen Grubenhäusern standen Webstühle, in anderen spiegeln Werkzeuge, verlorengegangene Kämme, Messer, billiger Schmuck und viele Gefäßscherben die Periode wider, in der sie errichtet bzw. benutzt wurden. Sämtliche Gegenstände sind charakteristische Produkte des gepidischen Bronze- und Eisenhandwerks, der Beinschnitzerei und des noch immer die Schnelldrehscheibe mit Fußantrieb benutzenden Töpferhandwerks. Aus Gepidensiedlungen des Theißgebietes und Gepidengräbern dieser Periode sind Hunderte von Analogien bekannt. Aus anderen Gegenden des Gepidenreiches unbekannte, „lokale“ Einflüsse sind nicht nachweisbar, und die sich mit Ackerbau und Rinderzucht befassende Bevölkerung hatte keine Außenkontakte. Die Siedlung von Mühlendorf war zwischen 500 und 567 von Gepiden bewohnt, die Häuser der letzten Periode sind restlos dem awarischen 87Angriff zum Opfer gefallen – nach einigen Jahren oder Jahrzehnten siedelten an der Stelle des verwüsteten einstigen Gepidendorfes bereits Awaren.
An zahlreichen Orten Siebenbürgens sind Spuren von Häusern, kleineren oder größeren Dörfern und Siedlungen ähnlich der von Mühlendorf gefunden worden, und zwar selbst mit den gleichen Gegenständen (Csapószentgyörgy, Kutyfalva, Mezőszopor, Johannisdorf, Betelsdorf, Schäßburg-Weingärten, Kézdipolyán-Kőhát; außerhalb Siebenbürgens in Bihar Häuser mit Beinschnitzereiwerkstätten, am Mieresch in Tschanad und Petschka, an der unteren Donau in Szentlászlóvára und Alt-Palank). Besonders erwähnt seien die im einstigen Apulum, dessen Innenbereich in dieser Zeit bereits vollkommen zerstört war (in der Zitadelle von Karlsburg), halb in die Erde vertieften gepidischen Hütten, die durch charakteristische Erzeugnisse des gepidischen Töpferhandwerks, durch Gefäße mit Ausgußrohr, datiert sind. Scherben von Gefäßen mit Ausgußrohr und Glatt- und Stempelverzierungen kommen machmal in Siedlungen auf Hügelplateaus zum Vorschein, so in Kleinschelken-Burgberg und Kisgalambfalva-Galattető. Dort wurden außer den in die Erde vertieften Hütten auch Spuren von Holzhäusern beobachtet. Es existieren aber keine Spuren von Erdwällen, die diese gepidischen Plateausiedlungen umgeben hätten – einige Forscher sahen in urzeitlichen oder mittelalterlichen Schanzwerken oder sogar in natürlichen Schöpfungen Wälle der Gepiden. Die gepidischen Siedlungen waren im ganzen Gepidenreich ungeschützt.
Dem heutigen Stand der Forschung nach spiegeln die tatsächliche Ausdehnung des gepidischen Siedlungsgebietes in Siebenbürgen eher die Gräberfelder sowie auf Gräberfelder deutenden Gräber und Funde wider. Wie in Gepidien überall, sind sie auch in Siebenbürgen mit zwei Arten von Siedlungen zu verbinden: mit Dörfern und mit Meierhöfen, Gehöften. Die Herrenhäuser der Adligen verschwanden in Siebenbürgen bis zum 6. Jahrhundert, ihren kontinuierlichen Fortbestand kann man außerhalb Siebenbürgens nur bei Großwardein beobachten. Die adlige Familiengrabstätte von Großwardein wurde leider nicht fachgemäß freigelegt, vieles, was im Laufe der Jahrzehnte von ca. 10 Bestattungen zum Vorschein kam, gelangte nicht in Sammlungen. Aber auch die noch vorhandenen Funde belegen, daß sowohl die bestatteten Männer als auch die Frauen zu den Vornehmsten in ganz Gepidien gehörten. Unter den Grabbeigaben finden sich christliche Symbole und originalfränkischer Schmuck. Ähnlich reiche adlige Bestattungen aus der Zeit nach 536 sind aus Syrmien bekannt, und das kann kaum Zufall sein, denn um die Mitte des Jahrhunderts verlegte König Kunimund den gepidischen Königshof in die noch existierende antike Stadt Sirmium, dort lebte der Thronfolger, und dort hatte auch der Bischof der gepidisch-arianischen Kirche seinen Sitz.
Friedhöfe von Meierhöfen sind vorwiegend am Kleinen Samosch und Mieresch bekannt (Großthoren, Nagyiklód, Mezőceked, Neumarkt und Maroscsapó), kommen aber auch im Tal der Kleinen Kokel vor (z. B. Betelsdorf). Der Ritus ist einheitlich und christlichen Charakters: west-östlich orientierte Sargbestattungen. Auch die Grabbeigaben sind einheitlich: Fibeln gepidischen Typs, zweireihige Kämme, Pfeilspitzen – eventuell ein ganzer Köcher voll –, Schnallen aus Bronze und Eisen sowie Gefäße gepidischen Typs mit Glatt- oder Stempelverzierung, selten unverziert, aber immer auf der Töpferscheibe gedreht. Von letzteren aber sind entsprechend den 88religiösen Verhältnissen einer Gemeinde entweder sehr viele oder sehr wenige in einem Gräberfeld zu finden.
Auf Dörfer hinweisende Friedhöfe sind bisher in Siebenbürgen recht wenige entdeckt worden. In Mühlendorf sind bei der Zerstörung der Siedlung auch die Gräber beinahe vollzählig Grabräubern zum Opfer gefallen. Was in ihnen verblieb – Fibeln, Perlen, Kämme, Waffen usw. –, ist so charakteristisch gepidisch, daß das Gräberfeld auch in der Gemarkung Szentes in Ungarn hätte gefunden werden können. Friedhöfe von Dörfern wurden in Bistritz und in Hieresdorf freigelegt.
Das bisher größte, fachgemäß freigelegte und auch durch Publikation vorgestellte gepidische Gräberfeld Siebenbürgens ist das von Mezőbánd/Bandorf. Im Gegensatz zu dem von Mühlendorf sind für dieses viele Gefäßbeigaben charakteristisch, aber auch das vollkommene Fehlen der heidnischen Fleischspeise. Die eigenartige Mischung oder Verschmelzung von christlichen und heidnischen Rituselementen kommt auch anderswo bei den halbheidnisch-halbchristlichen Gepiden vor. Bandorf gehört zu jenen Gräberfeldern, in denen auch nach der Eroberung durch die Awaren noch bestattet wurde, genauso wie in dem von Marosnagylak und dem Gräberfeld Pretai 3 und wahrscheinlich auch in dem zum Teil freigelegten Gräberfeld von Marosveresmart.

Abb. 5. Verbreitung des charakteristischsten Gepidenschmuckes, der mit einem Adlerkopf verzierten Schnallen, welche die Siedlungsgebiete von Gepidia im 6. Jahrhundert kennzeichnen
Die Zahl der Grabbeigaben bekannter Fundorte und die Fundorte mit ein bis zwei Gräbern bewegt sich um 40. Aus derartigen „einzelnen“ Gräbern 89stammen auch die beiden „gepidischsten“ Schmuckstücke in Siebenbürgen: große Gürtelschnallen mit Raubvögelköpfen verziert, aus Szamosjenő und Maroscsapó-Csűrrét. Diese Schnallen waren im ganzen Gepidenreich im 6. Jahrhundert Schmuck reicher oder adliger Frauen.
Obwohl wir die Überreste der siebenbürgischen „Merowingerkultur“ aus vielen Fundorten und Gräbern kennen – ist dies doch die einzige in Siebenbürgen besser erforschte frühmittelalterliche Periode-, sind diese doch nicht so leicht zu interpretieren. Sicher ist nur, daß diese Kultur mit dem gepidischen Block im Gebiet östlich der Theiß und in Syrmien identisch und mit der Kultur der Langobarden Pannoniens und der Baiern an der Oberen Donau verwandt ist. Ihre Zeitbestimmung ruht auf guten Fundamenten, in Gestalt der an der Theiß und in Syrmien den Toten als Obolus beigegebenen byzantinischen Goldmünzen und der Datierung anderer byzantinischer Metallgegenstände. In Siebenbürgen nämlich werden die Gräber des 6. Jahrhunderts zwar kaum, die gepidischen Siedlungsgebiete selbst aber sehr wohl durch ursprünglich als Grabobolus benutzte Goldmünzen Justins I. (518–527) und Justinians I. (527–565) datiert.
Auch diese Periode verlief nicht reibungslos; die Machtübernahme Elemunds oder seines Vaters zu Beginn des 6. Jahrhunderts wurde bereits erwähnt. Nach 546 wurde die Dynastie von Thorisind gestürzt. Dem auf die Machtübernahme eingetretenen Chaos fielen überall im Gepidenreich Dörfer (und Gräberfelder) zum Opfer. In Siebenbürgen gab es wahrscheinlich bereits schon vorher Grund zur Unruhe. Der einzige „innere“ Münzschatz Gepidiens wurde im Tal der Großen Kokel, zwischen Kleinschelken und Feigendorf, kurz nach der Herrschaft Justins I. versteckt. Der Schatzfund enthielt 50 bis 80 oder 100 Goldmünzen, die die besitzende Familie in den Jahren nach 440 zu sammeln begonnen hatte; aber die zur Zeit der „Konjunktur“ Justianians einströmenden Münzen waren bereits nicht mehr vertreten. Dennoch ist nicht auszuschließen, daß der Schatz zur Zeit des Thorisind-Putsches versteckt wurde.
Die gepidische Gesellschaft Siebenbürgens im 6. Jahrhundert ist trotz Gemeinsamkeiten viel schwächer entwickelt als ihr Pendant in der Großen Ungarischen Tiefebene und besonders in Syrmien. Funde, die auf Adlige, auf das Militärgefolge der Könige oder Herzöge schließen lassen, existieren nicht. Und dies kann – gerade im Lichte der gegenteiligen Beweise aus dem 5. Jahrhundert – kaum auf Mängel in der Forschung zurückgeführt werden. Die Abwanderung der gepidischen Adligen und Militärführer im 6. Jahrhundert nach Süden ist auch historisch begründet und bekannt. Unter den Zurückgebliebenen scheint die Zahl der dörflichen Kriegerschicht und ihrer Familienangehörigen nicht von Bedeutung gewesen zu sein. Die Mehrheit der Gepiden in Siebenbürgen bestand aus zu Diensten und Dienstleistungen verpflichtetem mäßig Wohlhabenden oder armen Freien, was den frühfeudalen Verhältnissen gut zu entsprechen scheint. Zu denen von Rang oder direkt zum Adel gehörte auch der Kunstschmied aus Bandorf, der nicht nur mit seinem Werkzeug, sondern auch mit seinem eisernen Lamellenhelm bestattet wurde.
Andererseits sind während der Gepidenperiode vom Mittellauf des Samosch entlang des Mieresch und der beiden Kokel bis zum Schwarzwasser eine Kette von Ackerbau und Viehzucht treibenden Dörfern und Gehöften entstanden, wodurch sich – verglichen mit dem Tiefpunkt zur Zeit der Hunnen – das kultivierbare und besiedelte Ackergebiet – wenn auch nicht in 90dem Ausmaß wie zur Zeit der Wisigoten – erneut vergrößerte. Das ist zweifellos das Verdienst der Gepiden.
Zur Zeit des Gepidenreiches behelligten weder Slawen noch Awaren die Gepiden in Siebenbürgen, da diese, um ihrer Ruhe und Sicherheit willen, die noch passierbaren Pässe sorgfältig verschlossen und bewacht hielten. Infolge ihrer geographischen Abgeschlossenheit hat der Angriff der Awaren im Jahre 567 die Gepiden Siebenbürgens am wenigsten getroffen, selbst wenn diese Feststellung nur eine relative ist. Denn von 30 datierbaren gepidischen Gräberfeldern des 6. Jahrhunderts wurden in 25 die Bestattungen im Jahre 567 unterbrochen, und offensichtlich wurden auch die dazu gehörenden Siedlungen vernichtet.
Wenn man die auch noch nach 567 benutzten 4 bis 6 gepidischen Gräberfelder entlegener Dörfer objektiv untersucht, kann man nicht bestreiten, daß sie alle im gepidischen Zeitalter Siebenbürgens wurzeln und ihre Funde eine Fortsetzung der materiellen und geistigen Kultur der Gepiden darstellt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß die Awaren unter den verbliebenen Gepiden geflüchtete Baiern, Alemannen und Franken ansiedelten. Zumindest legen dies einige Waffen, Gürtel und Reliquienbehälter des späten 6. und des 7. Jahrhunderts mit ausgesprochen westlichem Charakter nahe. Eine auf ähnliche Weise angesiedelte Bevölkerung findet sich auch in anderen Gebieten des Awarenreiches, es handelt sich dabei um eine ausgeprochene „Steppen“-Methode. Unbegründet erscheint daher die archäologische Überlegung, es handele sich bei einigen auch weiterhin benutzten gepidischen Gräberfeldern Siebenbürgens um Merkmale einer ihrer Zeit (erst nach 600) und ihrer Population nach „archäologische“ Gruppe mit selbständiger Zivilisation, deren Bevölkerung mit der „autochthonen Bevölkerung vermischt“ gewesen sei („Band-Kultur“). Die „örtlichen“ Römer wären durch einige byzantinische Schnallen und andere kleinere Schmuckgegenstände vertreten, durch eine im Reich und außerhalb seiner Grenzen überall verbreitete Basarware.
Unbestritten bleibt allerdings, daß nach den 670er Jahren in Siebenbürgen keine archäologisch verwertbaren Spuren der Gepiden mehr vorzufinden sind.

 

 

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